Diskriminierung durch wiederholte Kündigung trotz Schwangerschaft

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 23.09.2015

Vorsicht ist bei der Kündigung schwangerer Arbeitnehmerinnen geboten. Eine in Kenntnis der Schwangerschaft ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde ausgesprochene Kündigung kann eine verbotene Benachteiligung wegen des Geschlechts darstellen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer Geldentschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichten. Dies hat das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 16.09.2015, Aktenzeichen 23 Sa 1045/15) entschieden und damit eine Entscheidung des ArbG Berlin bestätigt.

Worum ging es? Der Beklagte, ein Rechtsanwalt, hatte die bei ihm beschäftigte Klägerin bereits während der Probezeit gekündigt. Diese Kündigung hatte das ArbG in einem vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren nach § 9 MuSchG für unwirksam erklärt, weil die Klägerin ihrem Arbeitgeber gleich nach der Kündigung unter Vorlage des Mutterpasses mitgeteilt hatte, dass sie schwanger sei und der Arbeitgeber keine Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde zur Kündigung eingeholt hatte. Einige Monate später kündigte der Beklagte ein weiteres Mal ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde. Durch die erneute Kündigung wurde die Klägerin nach Auffassung des LAG wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Der Einwand des Arbeitgebers, er habe angenommen, die Schwangerschaft sei bereits beendet, hat das Gericht für unberechtigt gehalten. Es hätten keine Anhaltspunkte für ein Ende der Schwangerschaft vorgelegen; auch sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, den Arbeitgeber stets von dem Fortbestand der Schwangerschaft in Kenntnis zu setzen. Die Höhe der Geldentschädigung wurde auf 1.500 Euro festgesetzt.

(Quelle: PM Nr. 28/15 vom 16.09.2015)

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8 Kommentare

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Richtlinie 2000/78/EG der EU, Art. 17: "Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein."

EU-Richtlinien sind unmittbar geltendes Recht, an das sich die Richter gemäß Art. 20 (3) GG zu halten haben.

Eine Summe, die nicht einmal einem Bruttogehalt entspricht, ist sicher nicht abschreckend. Das ist schon nahe an Rechtsbeugung.

Mein Name schrieb:
Richtlinie 2000/78/EG der EU, Art. 17: "Die Sanktionen, die auch Schadenersatzleistungen an die Opfer umfassen können, müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein." EU-Richtlinien sind unmittbar geltendes Recht, an das sich die Richter gemäß Art. 20 (3) GG zu halten haben. Eine Summe, die nicht einmal einem Bruttogehalt entspricht, ist sicher nicht abschreckend. Das ist schon nahe an Rechtsbeugung.

EU Verordnungen sind unmittelbar geltendes Recht. Richtlinien müssen im Mitgliedstaat in ein Gesetz gegossen werden, bevor sie Wirkung entfalten. Nur unter den Voraussetzungen der Francovich-Rechtsprechung verschafft die Nichtumsetzung einer Richtlinie ausnahmsweise unmittelbare Wirkung.

https://de.wikipedia.org/wiki/Francovich-Entscheidung#Entscheidung

 

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Solche Compliance-Verstösse werden bei in Deutschland sehr gnädig geahndet. Von "Abschreckung" ist jedenfalls keine Rede. Und auch die Schummelei vei VW wäre bei uns mit einem verständnisvollen Augenzwinkern abgetan worden, wenn die Amerikaner nicht gewesen wären...

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"Abschreckend" ist nicht nur Unionsrecht, sondern ebenso qua europarechtskonformer Auslegung des § 15 AGG auch bundesdeutsches Recht, vgl.:

"Ferner ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, sodass die Höhe auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Die Entschädigung muss geeignet sein, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben und muss in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen"

BAG, U. v. 15.3.2012 - 8 AZR 160/11, Rz. 39

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Wer den Nichtvermögensschaden für entgangene Urlaubsfreude rechtspolitisch hinterfragt, spricht sich mit Sicherheit nicht dafür aus, dass die Urlauber fortan ohne den geringsten Verbraucherschutz in von Kakerlaken befallenen Bruchbuden direkt neben der Landebahn bei mickriger Verpflegung untergebracht werden sollen. Ich will daher meinen Beitrag auch nicht als Plädoyer gegen die Rechte von Schwangeren im Besonderen oder von Frauen im Allgemeinen verstanden wissen. Man muss aber - wenn Sie so wollen -"rechtssoziologisch" - konstatieren, dass die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche immer mehr um sich greift. Schwer mess- und objektivierbare Gefühle wie Ärger, Missmut, Frustration usw. und eben auch Diskriminierung können in einer Gesellschaft, die von allem den Preis kennt aber von nichts mehr den Wert, mittlerweile wie selbstverständlich zu Geld gemacht werden. Die Diskussion ist deshalb schon einen Schritt weiter: zu möglichst viel Geld muss derlei gemacht werden. Für die Geister, die solcherlei verfechten, ist eben die Betrübnis des Hotelgasts, der am Frühstückstisch unter der der gebuchten Hotelkategorie nicht angenmessene Eintönigkeit des Müslis leidet, struktuerell dasselbe wie eine Querschnittslähmung nach einem Verkehrsunfall. Dann ist es nur konsequent, wenn in einer der Vorredner die Zumessung von 1.500,00 € für die wiederholte illegale Kündigung einer Schwangeren für eine strafbare Rechtsbeugung hält, begangen durch den Richter.

Durch diese Amerikanisierung - zu Recht sieht man (noch) in der punitive damage einen Verstoß gegen den ordre public - wird das Rechtsgut der körperlichen und seelischen Unversehrtheit, dessen Verletzung durch das klassische Schmerzensgeld sanktioniert wird, völlig entwertet. Schauen Sie einmal in die Hack'sche Tabelle oder - da wie hier im Beck Blog sind - in die Schmerzensgeldtabelle von Slizyk, welche körperlichen Beeinträchtigungen man erleiden muss, um beispielsweise ein Schmerzensgeld von 30.000,00 € zu erhalten - nur für den Fall, falls die Straflustigen hier in diesem Forum im Fall des LAG Berlin-Brandenburg das 20-Fache des dort ausgeurteilten Betrages goutieren würden.

   

Man sollte nicht über Gerechtigkeit und Billigkeit philosophieren, sondern strikt das Gesetz anwenden. Und dort steht "abschreckend". Ein oder zwei Jahresgewinne sind (bei VW) abschreckend. 1500 EUR für einen Anwalt sind es nicht. Dass im Übrigenn die Schmerzensgelder für Körperschäden in Deutschland leider generell viel zu niedrig sind, steht auf einem anderen Blatt.

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Dass der "punitive damage" ein Verstoß gegen den "ordre public" sei, wäre mir neu. Er ist geltendes europäisches Recht. Dass sich Deutschland weigert, diesen Rechtsgedanken aufzunehmen, ändert daran nichts.

 

Der Betrag von EUR 1.500,- ist hinsichtlich der Höhe eine klare "message" an die Klägerin, denn die Rechtsanwaltsgebühren bzw. die Gerichtskosten werden diesen Betrag bei weitem aufzehren. Es ist nämlich kaum zu erwarten, dass die Klägerin exakt EUR 1.500,- eingeklagt hat. Diese "Message" ist eindeutig. Sie lautet:

 

"Klagen kannst du. Aber wir zeigen Dir, dass sich eine Klage nicht lohnt. Also lass´es künftig lieber"

 

Wenn man zynisch ist, dann müsste man sagen: Die Frau hatte Glück, dass sie nicht von der Staatsanwaltschaft verfolgt wurde oder aber von juristisch hochbegabten Journalisten der FAZ an den Pranger gestellt wird.

 

@Martin Bender:

 

Ihr Vergleich mit dem immateriellen Schaden im Reiserecht hinkt. Mit dem AGG bzw. mit den ihm zugrundliegenden europäischen Richtlinien sollen Mißstände beseitigt werden, die tatsächlich flächendeckend im Arbeitsleben bestehen. Daher der "punitive damage", weil sich sonst einfach nichts ändert.

 

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@ Gast79

Sie reden an Herrn Bender vorbei wenn Sie schreiben "punitive damages" sei insoweit geltendes europäisches Recht. "Punitive damages" (dt. sog. Strafschadensersatz) ist ein Begriff aus dem US-amerikanischen Rechtskreis - deswegen spricht Herr Bender von Amerikanisierung - der im Zivilprozess einem Kläger einen exorbitant über den tatsächlich erlittenen Schaden liegenden Schadensersatzanspruch zuerkennt.

Dieser ist  in Deutschland nicht geltend zu machen wegen Art. 40 Abs. 3 EGBGB

Quote:

(3) Ansprüche, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, können nicht geltend gemacht werden, soweit sie

1. wesentlich weiter gehen als zur angemessenen Entschädigung des Verletzten erforderlich,

bzw. Erwägungsgrund 32 Satz 2 der Rom-II Verordnung

Quote:

Insbesondere kann die Anwendung einer Norm des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts, die zur Folge haben würde, dass ein unangemessener, über den Ausgleich des entstandenen Schadens hinausgehender Schadensersatz mit abschreckender Wirkung oder Strafschadensersatz zugesprochen werden könnte, je nach der Rechtsordnung des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts als mit der öffentlichen Ordnung ("ordre public") dieses Staates unvereinbar angesehen werden.

     
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