Revisionsverwerfung nach § 349 StPO: Noch keine Verletzung rechtlichen Gehörs

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.09.2015

Aus Sicht eines Betroffenen verständlich. Er legt eine Revision (oder im OWiG eine Rechtsbeschwerde) ein und erhofft sich weitschweifende Ausführungen zur Rechtslage. Und dann: Zack! Es gibt nur einen Kurzbeschluss, durch den die Revision (oder eben Rechtsbeschwerde) ohne weitere Begründung nach § 349 StPO verworfen wird. Da kann man schon mal als Rechtsmittelführer denken: Haben die Richter denn meine Argumente überhaupt zur Kenntnis genommen? Der BGH hat einmal mehr festgestellt: 

Aus dem Umstand, dass der Senat die Verwerfung der Revision nicht
begründet hat, kann der Verurteilte nicht auf einen Verstoß gegen den Grundsatz
der Gewährung rechtlichen Gehörs schließen, denn eine Begründungspflicht
für letztinstanzliche, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare
Entscheidungen besteht nicht (BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2007
– 2 BvR 496/07, StraFo 2007, 463 mwN). Art. 103 Abs. 1 GG zwingt die Gerichte nicht, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 BvR 792/11, NJW 2014, 2563,
2565). 

BGH, Beschluss vom 6.8.2015 - 3 StR 220/15 

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6 Kommentare

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Tja... dann hat die Justiz das erreicht, was anscheinend ihr ureigenstes Ziel ist. Absolute "Willkür". Ein Senat kann also jede Revision auf diese Art und Weise bearbeiten. Das spart Zeit!

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Vom Revisionsführer, bzw. Nichtzulassungsbeschwerdeführer, erwartet man allerdings das genaue Gegenteil, nämlich bei Mehrfachbegründungen alle Erwägungen (und das können durchaus viele sein) ausführlich und lege artis erfolgreich anzugreifen. Kein Wort davon, dass nicht jeder Angriff begründet werden muss:

"Ist die anzufechtende Entscheidung auf mehrere jeweils tragende Begründungen gestützt, muss die Beschwerdebegründung jeder dieser Begründungen einen Zulassungsgrund aufzeigen" (BAG, 18.9.2012 -3 AZN 952/12 Rn. 4).

"Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann bei einer solchen Mehrfachbegründung die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt" (BVerwG, 29.4.2015 - 3 B 29.14 Rn. 10).

"Hat das Berufungsgericht seine Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Revisionsbegründung beide Erwägungen angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig" (BAG, 10.6.2015 - 5 AZR 795/14 Rn. 9).

Das nennt sich dann "Waffengleichheit". Die Gerichte dürfen es sich einfach machen, der Bürger muss das ganze Sammelsurium an nahezu unerreichbar hochgesteckten Anforderungen erfüllen. Suum cuique...

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Halt, halt! Ganz so ist es nicht: die offensichtlich gemeinte Verwerfung einer Revision als "ou" (offensichtlich unbegründet) iSd § 349 Abs. 2 StPO setzt einen zu begründenden Antrag der Staatsanwaltschaft (also einer Generalstaatsanwaltschaft bei Revisionen zu einem OLG, bzw. der GBA bei Revisionen zum BGH) voraus. Der Antrag muss sich mit allen nicht ganz abwegigen Verfahrensrügen beschäftigen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 349  Rz. 13), und ist dem Beschwerdeführerer (Revidenten) mit Gründen mitzuteilen (§ 349 Abs. 3 S. 1 StPO). Damit ist für den Revidenten ersichtlich, dass und warum die offensichtliche Unbegründetheit seiner Revision zur Entscheidung durch das Gericht steht. Das Revisionsgericht prüft i.Ü. unbeschadet dieses Antrages das Revisionsvorbringen umfänglich und dokumentiert dies in einem Senatsheft. Der Beschluss verlangt zudem Einstimmigkeit der beteiligten Richter (§ 349 Abs. 2 StPO). Dass dem Revidenten die - auch von der Zuschrift der Staatsanwaltschaft ggfs. abweichenden - Erwägungen des Revisionsgerichts nicht erneut durch das Gericht mitgeteilt werden, ist daher zu verkraften, zumal es eine Anfechtung letztinstanzlicher Entscheidungen im Rechtsweg ohnedies nicht gibt. I.Ü. sollte das Revisionsgericht im Falle einer Abweichung vom Antrag der Staatsanwaltschaft die Entscheidung mit einer kurzen Begründung erläutern (BVerfG NJW 2002, 814 f.: "sinnvoll"). Verfassungsrechtlich verlangt Art 19 Abs. 4 GG ("nur"), dass die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle auch in der Revisionsinstanz gewährleistet sein muss - mehr aber auch nicht (vgl. BVerfGE 40, 272 <274>, u.a.,  stRspr). Eine "Kontrolle" des Revisionsgerichts über die Begründung der Entscheidung ist von Verfassung wegen weder vorgesehen noch erforderlich. Irgendwann ist auch mal gut....

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OStA50 schrieb:

[...] Der Beschluss verlangt zudem Einstimmigkeit der beteiligten Richter (§ 349 Abs. 2 StPO). [...]

 

Sehr geehrter Herr OStA50,

 

zugegeben, Ihre Verteidigung liest sich gut, aber neben dem, was OG schon anmerkte (ich habe 150-seitige Widmaier-Revisionen gesehen, die mit einem OU-Zweizeiler weggewischt wurden; wenn die Unbegründetheit doch so offensichtlich ist, warum kann man sie dann eigentlich nicht seinerseits kurz begründen?), sei auch auf Folgendes hingewiesen:

Wie wir inzwischen aus dem Nähkästchen des 2. Senats wissen, ist "Einstimmigkeit" i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO nicht immer das, was man sich dem Wortlaut nach darunter vorstellt. So ist es üblich, dass 4:1 auch "einstimmig" ist, weil der einzelne Abweichler in diesem Fall seine (begründeten!) Zweifel aus Kollegialität aufzugeben hat. Mitunter soll das sogar bei 3:2 geschehen, um den Senat nicht in die - bei diesem Stimmenverhältnis ohnehin aussichtslose - Hauptverhandlung zu "zwingen". M.E. kann man hier durchaus die Frage stellen, ob diese Praxis nicht bereits die Schwelle zur Rechtsbeugung übertritt.

Insgesamt liegt in der Praxis des Revisionsrechts einiges im Argen (4-Augen, OU etc.) - aus Sicht der Verteidiger natürlich eher als aus Sicht der StA, die ja vergleichsweise selten in Revision geht. Aber dass sich mittlerweile auch einige Bundesrichter sehr kritisch äußern, sollte dem Gesetzgeber zu denken geben.

 

Beste Grüße

S. Sobota

 

 

@OStA50

Danke für die ausführliche Einschätzung. Sie hebt sich wohltuend von den Äußerungen der Vorredner, in denen alle Prozeßordnungen in einen Topf geworfen werden, ab. Aber eine ganz so heile Welt, wie Sie schreiben, ist es auch nicht. Wenn die Staatsanwaltschaften (GStA/GBA) nicht in der Praxis "grundsätzlich" und geradezu reflexartig ihre Anträge nach § 349 Abs. 2 StPO stellen würden, könnte man mehr Vertrauen in das dadurch angestrebte "Mehraugenprinzip" haben. Aber auch unabhängig davon, ob das Beschlußverfahren im Einzelfall angemessen ist (und nicht nur fiskalisch erzwungen wird), ist noch nicht gesagt, daß das Abspeisen einer anspruchsvollen Begründung mit einem Einzeiler dem Rechtsfrieden wirklich dient (ja, es gibt unterbelichtete Revisionen, aber auch die "Großen" des Revisionsrechts fallen in das große ou-Loch). Und so anspruchsvoll sind die Anträge der Staatsanwaltschaften auch nicht immer begründet.

Zur Vertiefung: http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/15-07/index.php?sz=6

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In Deutschland gibt es viel zu viel Schriftlichkeit. M.E. sollte jede Art von Entscheidung nur dann schriftlich begründet werden, wenn das Gericht eine Veröffentlichung (sei es zum Zwecke deer Rechtsfortbildung, sei es zum Zwecke der Weiterbildung, sei es wegen öffentlichen Interesses am konktreten Fall) beabsichtigt. Dass gerichtliche Entscheidungen unüberlegt erfolgen, glauben allenfalls Narren.

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