ArbG Nienburg: Voller Mindestlohn für Zeitungszusteller, wenn Werbeprospekte dazukommen

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 03.10.2015

Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde gilt seit Januar 2015 – allerdings mit einigen Ausnahmen. Zu diesen Ausnahmen gehören die Zeitungszusteller (vgl. § 24 Abs. 2 MiLoG). So erhält ein Teil von ihnen den gesetzlichen Mindestlohn für eine Übergangszeit nicht: Im Jahr 2015 darf der Botenlohn 25 Prozent unter dem Mindestlohn liegen, 2016 noch 15 Prozent darunter. Erst ab 2017 sollen sie 8,50 Euro brutto bekommen – also zwei Jahre später als Angestellte in anderen Branchen. Zeitungszusteller sind nach der Legaldefinition in § 24 Abs. 2 S. 3 MiLoG Personen, die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen und Zeitschriften an Endkunden zustellen. Umfasst sind auch Anzeigenblätter mit redaktionellem Inhalt. Schon bald nach Inkrafttreten des MiLoG ist die Frage aufgekommen, wie diese weit diese Ausnahme reicht. In einem jetzt in erster Instanz vom ArbG Nienburg (Urteil vom 14. August - 2 Ca 151/15) entschiedenen Fall stellte sich genau diese Frage. Der klagende Zeitungszusteller musste hin und wieder Werbeprospekte mit der Hand in die Zeitung einlegen. Er bekam dafür nur einen Stundenlohn von 6,38 Euro brutto. Der beklagte Zeitungsverlag hatte argumentiert, die Tätigkeit des Arbeitnehmers falle unter die Ausnahmevorschrift des Mindestlohngesetzes. Der Kläger hatte argumentiert, dass die Beilagen kein körperlicher Teil der Tageszeitung mehr sind. Dann aber müsse der Arbeitgeber den vollen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro brutto zahlen. Das hat nun auch das Gericht so gesehen. § 24 Abs. 2 MiLoG sei als Ausnahmevorschrift restriktiv auszulegen. Unter das Zustellen iSd. § 24 Abs. 2 MiLoG fielen zwar Hilfs- und Nebentätigkeiten, die unabdingbar zum Zustellen des Anzeigenblatts und der Tageszeitung gehören. Hierzu zählten das Bepacken des Transportmittels und die Überwindung der Distanz von Kunde zu Kunde. Das händische Einsortieren sei dagegen nicht mehr Teil der Zustelltätigkeit. Denn es könne von dieser getrennt werden und durch dritte Personen ebenso ausgeübt werden. Erstinstanzlich wurde entschieden, dass der klagende Zeitungszusteller den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto beanspruchen kann. Der Arbeitgeber muss ihm den Differenzlohn ab Januar 2015 zahlen. Quintessenz: Zeitungszusteller können den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto schon vor dem Jahr 2017 beanspruchen, wenn sie auch Werbeprospekte zustellen, die nicht in der Druckerei maschinell, sondern zumindest teilweise händisch von ihnen in die Zeitung eingelegt werden.

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Was "ausschließliche" Zusteller angeht, ist 1 BVR 20/15 ja vorerst "nur" an einem unzureichend substantiierten Vortrag gescheitert.
Wie ist Ihre Ansicht zur Vorgehensweise? Wäre eine substantiierte Verfassungsbeschwerde erfolgversprechend oder wäre eine Klage auf 8,50 Mindestlohn mit Hoffnung auf konkrete Normenkontrolle mit Richtervorlage der "Rechtsweg der Wahl"?

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