"Sitzstreik" zur Durchsetzung einer Vertragsänderung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 05.10.2015
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtKündigungSitzstreik1|2809 Aufrufe

Das kommt sicher auch nicht alle Tage vor: Die Klägerin, seit immerhin 22 Jahren in dem Unternehmen beschäftigt und in der höchsten Tarifgruppe mit rund 4.800 Euro brutto monatlich eingruppiert, verlangt seit längerem ihre Beförderung zur AT-Angestellten. Das wird von den Vorgesetzten abgelehnt. Anlässlich eines erneuten Personalgesprächs greift die Klägerin zu einer drastischen Maßnahme: Als ihr Vorgesetzter das Gespräch gegen 16.50 Uhr mit einer erneuten und endgültigen Ablehnung der begehrten Beförderung beendet, verweigert diese das Verlassen des Büros mit dem Hinweis, sie gehe erst, wenn ihre Bedingungen erfüllt seien. Die Hinzuziehung ihres Ehemannes oder eines Betriebsratsmitglieds als Vermittler lehnt sie ab. Auch im Folgenden bleibt sie bei ihrer Haltung, obgleich sie der Niederlassungsleiter darauf hinweist, dass sie eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begehe, sie das Hausrecht verletze, was strafrechtliche Konsequenzen haben könne, sie den Ausspruch einer Kündigung riskiere und ihr androhte, die Polizei zu rufen. Schließlich rief die Arbeitgeberin die Polizei, der es um 18.45 Uhr gelang, die Klägerin in ein zur Verfügung gestelltes Besprechungszimmer zu geleiten. Dort wurden ihr gegen 19.30 Uhr ein schriftliches Hausverbot und eine Freistellung von der Arbeitsleistung überreicht; gegen 19.40 Uhr verließ sie schließlich in Begleitung der Polizisten das Betriebsgelände.

Früh am nächsten Morgen versandte die Klägerin an zahlreiche Mitarbeiter der Niederlassung sowie den „Produktionschef Brief Deutschland“ eine E-Mail, in der sie sich ohne Schilderung ihrer eigenen Vorgehensweise als Bauernopfer bezeichnete und u.a. schrieb: „Wer solche Vorgesetzten hat, benötigt keine Feinde mehr“. Daraufhin bot die Arbeitgeberin ihr an, sich von der Betriebsärztin untersuchen und beraten zu lassen sowie die betriebliche Sozialberatung in Anspruch zu nehmen. Dies lehnte die Klägerin ab.

Die anschließende außerordentliche Kündigung (§ 626 BGB) hat das LAG Schleswig-Holstein in Anbetracht der langjährigen, bis zu diesem Vorfall ungestörten Zusammenarbeit der Vertragsparteien für unwirksam erachtet. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung war demgegenüber trotz fehlender vorheriger Abmahnung sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG):

Anders als das Arbeitsgericht meint, wäre nach der Überzeugung der Berufungskammer vorliegend eine Abmahnung nicht ausreichend gewesen. Sie ist bereits am 28.05.2014 von Herrn B. in dem Gespräch mündlich abgemahnt worden, in dem dieser ihr unstreitig mitgeteilt hat, dass sie eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung begehe und eine Kündigung riskiere. Sie hatte hinreichend Zeit, sich diese Abmahnung zu Herzen zu nehmen. Gleichwohl hat die Klägerin noch eine volle Stunde lang das Dienstzimmer des Niederlassungsleiters blockiert und es auch danach nicht freiwillig, sondern erst mittels Staatsgewalt geräumt. Angesichts dessen sowie angesichts der Tatsache, dass die Klägerin dann am folgenden Morgen noch mit bewusst lückenhafter Sachverhaltsdarstellung Betriebsöffentlichkeit hergestellt und unkorrekte Anschuldigungen erhoben hat, gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine Abmahnung zur Wiederherstellung des für die Fortsetzung des Vertrages notwendigen Vertrauens ausreicht, um einen künftig wieder störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken. Das Vertrauensverhältnis ist durch das hartnäckige Verhalten der Klägerin nachhaltig und unwiederbringlich zerstört.

LAG Schleswig-Holstein, Urt. vom 6.5.2015 – 3 Sa 354/14, BeckRS 2015, 71248

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Da hat die Dame ein Hausverbot kassiert und ist freigestellt. Und selbst in diesem Moment ist das Kind wohl noch nicht in den Brunnen gefallen. Aber anstatt jetzt zum Rechtsanwalt zu gehen oder auch nur auf Tauchstation zu bleiben, schreibt sie am nächsten Morgen E-Mails und besiegelt ihren Rausschmiss.

Im Prozess geht es starrsinnig weiter: "Sie hat sich weder auf eine Affekthandlung gestützt noch auf medizinische Entschuldigungsgründe."

Da ist sie am Ende auch berechtigt draußen.

5

Kommentar hinzufügen