Ein seltenes Urteil zu § 1a KSchG

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 27.10.2015

Der "gesetzliche Abfindungsanspruch" in Form des § 1a KSchG steht zwar inzwischen seit mehr als 10 Jahren im Gesetz. Größere praktische Bedeutung hat er bislang allerdings im Arbeitsrecht nicht erlangt. Anders im Sozialrecht, wo das BSG sich diese Norm zunutze gemacht hat, um die Verhängung von Sperrzeiten durch die Arbeitsagenturen deutlich einzuschränken (BSG, Urt. vom 12.7.2006 - B 11a AL 47/05 R, NZA 2006, 1359; Urt. vom 2.5.2012 - B 11 AL 6/11 R, NZS 2012, 874).

In einem jetzt veröffentlichten Urteil hatte das LAG Berlin-Brandenburg über das Verhältnis einer betriebsverfassungsrechtlichen Abfindung zur Kündigungsabfindung nach § 1a KSchG zu befinden. Aufgrund eines mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleichs hatten alle Arbeitnehmer, die im Zuge einer Betriebsänderung entlassen wurden, Anspruch auf eine Abfindung in Höhe eines halben Monatsgehalts pro Beschäftigungsjahr. Gleichwohl formulierte der Arbeitgeber im Kündigungsschreiben:

Hinweise

(...) Lassen Sie diese Frist verstreichen, ohne eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht zu erheben, haben Sie nach § 1a KSchG Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe eines halben Monatsverdienstes für jedes volle Beschäftigungsjahr. (Hervorhebung diesseits)

Der Arbeitnehmer erhob keine Kündigungsschutzklage und erhielt vom Arbeitgeber anschließend die im Interessenausgleich vereinbarte Abfindung von rund 86.000 Euro. Mit seiner Zahlungsklage verlangt er denselben Betrag nun noch einmal, diesmal gestützt auf das arbeitgeberseitige Angebot im Kündigungsschreiben i.V. mit § 1a KSchG. Völlig zu Recht, wie das LAG Berlin-Brandenburg erkennt:

Aus dem Kündigungsschreiben ergibt sich der Wille der Beklagten, dem Kläger ein von den gesetzlichen Vorgaben abweichendes Angebot unterbreiten zu wollen, nicht eindeutig und unmissverständlich. (...) Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers auch nicht bereits durch tatsächliche Leistung erfüllt, denn sie hat die an den Kläger geleistete Zahlung ausdrücklich auf die Erfüllung des Anspruchs aus dem Interessenausgleich und nicht auf eine mögliche Forderung aus § 1a KSchG gerichtet. Dementsprechend hat der Kläger seine Klage - hilfsweise - auf die Forderung aus § 1a KSchG gestützt. Soweit die Beklagte meint, dem Kläger nur eine Abfindung versprochen zu haben, so könnte sie allenfalls von einer Anrechnung des Anspruchs aus dem Interessenausgleich auf den Anspruch nach § 1a KSchG ausgehen, da der gesetzliche Anspruch nicht disponibel ist (vgl. BAG, Urteil vom 19.06.2007 - 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357 Rn. 34). Für eine solche Anrechnung fehlt es aber an einer Anrechnungsklausel im Interessenausgleich.

Das LAG hat der Frage der Anspruchskonkurrenz grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

LAG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 10.7.2015 - 8 Sa 531/15, BeckRS 2015, 72004

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

4 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Wenn das zutrifft, könnte man aus Arbeitnehmersicht nicht auch den umgekehrten Weg gehen?

Ich hatte vor einigen Jahren den arbeitgeberseitigen Auftrag, eine Kündigungsschutzklage abzuwehren gegen eine Kündigung aufgrund der Steillegung eines Betriebsteils mit den Maschinen X. Es gab einen Sozialplan mit Abfindungsansprüchen. Die Klägerin machte geltend, sie gehöre zu Unrecht zu der Gruppe der Gekündigten, da diese Gruppe danach ausgewählt worden sei, dass wegen Vorbildung und Ausbildung ein Einsatz an den verbleibenden Maschinen Y in einem anderen Betriebsteil ausscheide - ein Motiv, das der von mir vertretene Arbeitgeber als zumindest mitkausal auch einräumte. Die Klägerin machte aber geltend, sie könne auch die Maschinen Y problemlos bedienen.

Die Kritik an diesem "Auswahlfehler" war für meine Partei überzeugend. Im Kammertermin wurde ein Vergleich geschlossen, wonach die Arbeitnehmerin gegen eine leicht höhere als die Sozialplanabfindung Abfindung ausscheidet, also 10.000,00 € statt 9.000,00 €.

Eine zusätzliche Sozialplanabfindung (9.000,00 € aus dem SP zu den 10.000,00 € aus dem Vergleich, also in summa 19.000,00 €) hatte die Frau damals natürlich nicht geltend gemacht. Auf die Idee ist niemand gekommen. Liest man jetzt den von Herrn Prof. Rolfs hier vorstellten Berlin-Brandenburger Fall, wird man nachdenklich.

Herr Bender:

Da sehe ich rechtlich einen Unterschied. Im Ausgangsfall hat der Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen, die als solche nicht angegriffen wurde. Das heisst, das zweifellos die Kündigung unter den zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarten Bedingungen zustande gekommen ist.

 

Wenn die Kündigung allerdings angegriffen wird, endet das Arbeitsverhältnis durch den Vergleich - und damit dürfte schon der Anwendungsbereich des Sozialplans nicht mehr automatisch gegeben sein. Auch steht dann nicht mehr nur eine auslegungsbedürftige Aussage des Arbeitgebers im Raum, sondern der Vergleich als eine Verständigung der Parteien, bei dem ggf. sogar der Richter als Zeuge aussagen könnte, ob zum Thema "zusätzlich oder anstelle des Sozialplananspruchs" ebenfalls Einigkeit bestand.

 

Der Arbeitgeber(vertreter) kann trotzdem bei Kündigungen bei bestehendem Sozialplan oder vergleichbaren Vereinbarungen darauf achten, dass der Vergleich sauber formuliert wird. Also in den Vergleich die Abfindungssumme "anstelle der Abfindung gemäß Sozialplan".

Das ist natürlich falsch; wenn dem SP ein Anspruch innewohnt, dann ist dieser nicht verzichtbar. Ein Vergleich mit "anstelle" wäre also das glatte Gegenteil von "sauber formuliert" - es müsste heissen "unter Anrechnung auf etwaige Ansprüche aus Sozialplan, Tarifvertrag " und nun auch "oder §1a KSchG"

5

Kommentar hinzufügen