Sportwetten - Faktische Legalisierungswirkung nach HessVGH Beschluss

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 06.11.2015

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat im Eilrechtsverfahren (Beschluss vom 16.10.2015 - 8 B 1028/15) die Vergabe von 20 Konzessionen an Sportwettenanbieter gestoppt. In der Beschlussbegründung wird vom 8. Senat zunächst das institutionelle Konstrukt der Glücksspielkommission (GK), welches u.a. über die Vergabe von Sportwettenlizenzen entscheidet, als grundgesetzwidrig angesehen (ebenso etwa Kirchhof, ZfWG 2015, 301 ff.). Begründet wird dies damit, dass durch die GK eine grundgesetzlich nicht vorgesehene "dritte Ebene" der Staatsgewalt geschaffen werde, welche weder Bund noch Land zugerechnet werden könne und überdies auch nicht die an die Entscheidungen gebundenen Länder vertrete. In diesem Zusammenhang wird auch eine Unvereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip angenommen. Welche Auswirkungen dies möglicherweise auf die anderweitige staatsvertragliche Etablierung von Kommissionen (z.B. die ZAK nach § 36 Abs. 2 S. 1 RStV oder die KJM nach §§ 14, 16 JMStV) hat, ist noch zu prüfen.

Schließlich sieht der 8. Senat des HessVGH auch das konkret durchgeführte Verfahren zur Vergabe der auf 20 limitierten Sportwettenkonzessionen als rechtswidrig an. Ungeachtet der im Einzelnen diskutablen Aspekte der rechtlichen Argumentation des Gerichts, das etwa von der Entscheidung des BayVerfGH vom 25.9.2015 (Vf. 9-VII-13) abweicht, ergeben sich faktisch weitreichende Auswirkungen gerade dieses Eilrechtsbeschlusses. Denn zunächst ist das Eilrechtsverfahren mit der obergerichtlichen Entscheidung abgeschlossen und bis zu einer rechtskräftigen Überprüfung im Hauptsacheverfahren - möglicherweise bis hin zum BVerwG - würden Jahre verstreichen. Was aber ist mit der Faktizität eines bereits in Deutschland seit Jahren etablierten Sportwettenmarktes?

  • Zunächst erscheint es ausgeschlossen, dass die Glücksspielaufsichtsbehörden gegen die 20 Unternehmen, denen eine Konzession zugedacht war und die bereits Sportwetten anbieten, aufgrund von § 4 Abs. 1 oder Abs. 4 GlüStV ordnungsrechtlich - etwa durch Untersagungsverfügungen - vorgehen. Denn insoweit sind die Voraussetzungen einer Konzessionsvergabe bereits festgestellt worden.
  • Doch auch die weiteren Konzessionsbewerber, welche in der 2. Stufe des Verfahrens das Nachsehen hatten, dürften aufgrund des Beschlusses des HessVGH nun kaum Aufsichtsmaßnahmen zu gewärtigen haben. Insoweit stünde auch die Frage im Raum, wer hierüber befinden sollte, wo doch die GK gerade aufgrund des Beschlusses im Zweifel der Verfassungswidrigkeit steht.
  • In letzter Hinsicht ist weiterhin fraglich, mit welcher Bestandsaussicht aktuell Aufsichtsmaßnahmen gegen andere Sportwettenanbieter ergehen könnten, welche sich gar nicht an dem Konzessionsvergabeverfahren beteiligt hatten oder bereits in der 1. Stufe des Verfahrens ausgeschieden sind. Denn nachdem das aktuelle Konzessionsvergabeverfahren nun (vorläufig) für rechtswidrig erklärt worden ist, ließe sich durchaus die Ansicht hören, dass die Uhren wiederum auf null stünden und eine Konzessionsvakanz bzw. -offenheit für alle Sportwettenanbieter bestünde. Eingedenk des verfassungsrechtlichen Zweifel am Konstrukt der GK wäre insoweit auch denkbar, dass Anbieter nun direkt bei dem Hessischen Innenministerium einen Konzessionsantrag stellen bzw. auch nur behaupten, dass sie die Konzessionsvoraussetzungen (nach den Altvorgaben) ebenfalls erfüllten. Auch insoweit äußern Oberverwaltungsgerichte Zweifel, ob Sportwettenanbietern der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV entgegengehalten werden kann, wenn sich das Erlaubniserteilungsverfahren seit Jahren als dysfunktional erweise (vgl. VGH Mannheim,  Urt. vom 8.9.2015 – 6 S 1426/14). Insoweit könnte allein die bloße Erlaubnisfähigkeit eines Sportwettenangebotes genügen, ungeachtet dessen, ob der Anbieter tatsächlich einen Erlaubnisantrag gestellt hat (VGH Mannheim aaO.).
  • Überlagert wird diese Situation zudem von den nach dem Glücksspielgesetz Schleswig-Holstein mit Wirkung bis 2018 erteilten Sportwettenlizenzen, welche derzeit im Grunde das „Legalste“ darstellen, was man als Sportwettenanbieter in den Händen halten kann.
  • Schließlich sind auch die von der EU-Kommission in Schreiben an Vertreter der Bundesregierung und in einem Pilotverfahren (EU Pilot Nr. 7625/15/GROW vom 30.6.2015 „German Gambling legislation“) geäußerten Bedenken an der Unionsrechtskonformität des aktuellen Glücksspielrechts von Gewicht.

Vor diesem Hintergrund hat die Hessische Landesregierung am 8.10.2015 auf den bestehenden erheblichen Handlungsdruck hingewiesen und eigene Eckpunkte für eine Neugestaltung des Glücksspielrechts vorgeschlagen. Die Vorschläge sehen unter anderem eine Aufhebung der Zahl der zu vergebenden Sportwettkonzessionen vor, aber auch die Etablierung eines Erlaubnisverfahrens für Online-Casinospiele. Eine schnelle gesetzgeberische Umsetzung erscheint möglich, sofern sich die anderen Bundesländer den Vorschlägen nicht verweigern. Insoweit steht auch die Handlungsfähigkeit der Länder zur Regelung eines funktionierenden bundeseinheitlichen Glücksspielrechts auf dem Prüfstand. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG würde es auch dem Bund erlauben, im Wege der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen (vgl. Maksit, Auswirkungen des Föderalismus im Glücksspielrecht, 2015, S. 209 ff.). Am 12.11.2015 werden die Chefs der Länderstaatskanzleien über regulatorische Lösungen für einen derzeit faktisch liberalisierten Sportwettenmarkt weiter diskutieren.

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