Tötungsversuch mit Auto: Rücktrittsprüfung auch noch nach Unfall nötig!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.11.2015
Rechtsgebiete: RücktrittshorizontStrafrechtVerkehrsrecht3|2746 Aufrufe

Da scheint mir der BGH aber recht weit gegangen zu sein. Der Angeklagte wollte die nicht angeschnallte Beifahrerin bei einem bewusst herbeigeführten Unfall töten. Mit noch 60 km/h knallt er deshalb in ein abgeparktes Auto rein....die Beifahrerin stirbt aber nicht wie gewollt.  Zeugen alarmieren die Polizei. Das war es dann auch schon. Manch ein Blogleser mag nun denken: "versuchter Totschlag - fehlgeschlagener Versuch - alles klar!" Das LG hatte das wohl auch so gesehen. Der BGH vermisste aber eine Rücktrittsprüfung:

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen
versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Stra-
ßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer anderweit
verhängten Geldstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren drei
Monaten und einer Woche verurteilt; ferner hat es Maßregeln nach §§ 69, 69a

StGB angeordnet. Die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts geführte
Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit
dieser verurteilt worden ist.
I.
Nach den dem Schuldspruch zugrunde liegenden Feststellungen beschleunigte
der Angeklagte seinen Pkw VW Sharan auf öffentlichen Straßen in
Mönchengladbach auf eine Fahrtgeschwindigkeit von mindestens 99 km/h. Neben
ihm saß die nicht angegurtete Nebenklägerin auf dem Beifahrersitz. Im weiteren
Verlauf der Fahrt bremste der Angeklagte sein Fahrzeug heftig ab und
steuerte es im Wege einer kontrollierten Lenkbewegung leicht nach rechts. Er
fuhr gezielt auf das Heck eines am Straßenrand geparkten anderen Autos auf.
Hierbei verfolgte er die Absicht, die Nebenklägerin zu töten. Die Kollisionsgeschwindigkeit
betrug mindestens 60 km/h. Die Front des Fahrzeugs des Angeklagten
und das Heck des am Straßenrand abgestellten Pkw überdeckten sich
zu ca. 70 %, sodass im Wesentlichen die Beifahrerseite des VW Sharan von
der Kollision betroffen war. Während der Angeklagte nur geringfügige Verletzungen
erlitt, war die Nebenklägerin unmittelbar nach dem Aufprall eine Zeit
lang nicht ansprechbar, wenn auch durchgängig bei Bewusstsein. Mehrere
durch die Kollisionsgeräusche auf das Geschehen aufmerksam gewordene
Zeugen alarmierten die Polizei. Eine dem Angeklagten knapp eine Stunde nach
der Tat entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von
0,97 ‰.

II.
Die – ersichtlich nur gegen die Verurteilung gerichtete – Revision des
Angeklagten hat Erfolg.
1. Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten
Totschlags gemäß §§ 212, 22, 23 Abs. 1 StGB kann nicht bestehen bleiben,
weil das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch nicht geprüft
hat, obwohl die getroffenen Feststellungen hierzu drängten.
Zwar wären Erörterungen zum Rücktritt entbehrlich, wenn ein fehlgeschlagener
Versuch vorliegen würde. Die Feststellungen tragen indes eine solche
Annahme nicht.
a) Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst
vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden
Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter
dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält.
Maßgeblich dafür ist nicht der ursprüngliche Tatplan, dem je nach Fallgestaltung
allerdings Indizwirkung für den Erkenntnishorizont des Täters zukommen
kann, sondern dessen Vorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung
(sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015
– 4 StR 560/14, Rn. 6, vom 22. März 2012 – 4 StR 541/11, NStZ-RR 2012, 239,
240, und vom 2. November 2007 – 2 StR 336/07, NStZ 2008, 393). Ein Fehlschlag
liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von
seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Hält er die Vollendung
der Tat im unmittelbaren Handlungsvorgang noch für möglich, wenn auch
mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger

Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH, Beschlüsse vom
21. April 2015 – 4 StR 92/15, NJW 2015, 2898, 2899, vom 22. März 2012, aaO,
und vom 26. September 2006 – 4 StR 347/06, NStZ 2007, 91). Fehlgeschlagen
ist der Versuch erst, wenn der Täter erkennt oder die subjektive Vorstellung hat,
dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte,
etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren
Handlungsfortgangs, sodass sich das Geschehen aus der Perspektive
eines Dritten nicht mehr als ein einheitlicher Lebenssachverhalt darstellen würde
(BGH, Beschlüsse vom 4. August 2015 – 1 StR 329/15, vom 21. April 2015,
aaO, vom 9. September 2014 – 4 StR 367/14, NStZ 2015, 26, und vom 19. Mai
1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 232; Urteile vom 8. Februar 2007 – 3 StR
470/06, NStZ 2007, 399, und vom 30. November 1995 – 5 StR 465/95, BGHSt
41, 368, 369).

b) Zu der Vorstellung des Angeklagten nach dem Misslingen des zunächst
ins Auge gefassten Tatablaufs – nach der Kollision mit dem am rechten
Fahrzeugrand abgestellten Pkw – enthält das Urteil keine konkreten Feststellungen.
Der Senat kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe
nicht entnehmen, dass der Angeklagte im Rücktrittshorizont eine Vollendung
der Tat mit anderen Mitteln nicht mehr für möglich hielt.
Zwar hatten mehrere
Zeugen infolge des Kollisionsgeräuschs die Polizei gerufen. Wie der Generalbundesanwalt
in seiner Antragsschrift indes mit Recht ausführt, muss davon
ausgegangen werden, dass eine gewisse Zeit bis zum Eintreffen der Polizei
verstrich. In Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt hält es der Senat
daher nicht für fernliegend, dass der Angeklagte seinen Tötungsvorsatz noch
hätte weiterverfolgen können, wenn er dies noch gewollt hätte.

2. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
Die Aufhebung betrifft auch die tateinheitlich erfolgten Verurteilungen wegen
gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung
(vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 3 StR 231/11, NJW
2012, 325, Rn. 25; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12). Sie zieht zudem
die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs und der auf §§ 69, 69a StGB gestützten
Maßregelanordnung nach sich.

BGH, Beschluss vom 22.9.2015 - 4 StR 359/15

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3 Kommentare

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Wer nicht aufgehoben werden möchte, sollte den Rücktritt immer prüfen, wenn das Opfer überlebt hat. Häufig wird zu früh ein fehlgeschlagener Versuch angenommen. Das dürfte daran liegen, dass man vom objektiv fehlgeschlagenen Tatbestand(Opfer ist einfach nicht Tot zu kriegen etc.) gerne auf den subjektiven Horizont des Täters("wird nix mehr heute") schließt.

Da der Täter sich aber alle möglichen (kruden) Vorstellungen gemacht haben könnte, muss man dazu eben etwas ausführen.

Schließlich hätte der Täter ja dazu übergehen können, dass Opfer zu erwürgen.

Der BGH bleibt mit dem Urteil mE jedenfalls auf seiner Linie.

 

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Definiert man "Fehlgeschlagener Versuch" als Nich-Mehr-Vollendbarkeit des Tatplans mit eingesetzten oder naheliegenden Mitteln nach Vorstellung des Täters, so ist die Annahme dessen für den "gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr", sowie die KV evident, nicht hingegen für das Tötungsvorhaben. Richtig liegt der BGH damit also nicht nur in klausurtaktischer Hinsicht @ Vorposter,

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Die Körperverletzung und der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr sind natürlich "evident" vollendet. Meine Empfehlung, den Rücktritt besser stets zu prüfen, war eigentlich nicht als Klausurenhinweis gedacht.^^

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