AG Landstuhl: Passfotos routinemäßig anfordern und ohne Rücksicht auf Verluste = Einstellung nach § 47 OWiG

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 26.11.2015
Rechtsgebiete: EinstellungStrafrechtVerkehrsrecht3|4424 Aufrufe

Die Rechtsprechung hat sich schon häufiger mit der Praxis vieler Behörden befasst, einfach mal am EMA des mutmaßlichen Täters oder seiner Angehörigen die hinterlegten Passfotos anzufordern. Richtig ist das nicht - führt aber auch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Das AG Landstuhl hat sich mit dieser wenig zufriedenstellenden Lage befasst und einfach nach § 47 OWiG eingestellt:

Das Verfahren war hier aus Gesichtspunkten des Opportunitätsgrundsatzes einzustellen.
Denn vorliegend liegt ein erheblicher Verfahrensverstoß der Bußgeldbehörde gegen
datenschutzrechtliche Vorschriften vor, der zwar den staatlichen Strafanspruch im konkreten
Fall nicht an sich beseitigt, jedoch so erheblich im Sinne vorsätzlichen Vorgehens ist, dass 
vorliegend eine Sanktionierung mittels der Rechts- und Regelfolgen der BKatV nicht
vereinbar wäre.

II.
Am 08.09.2014 um 11:11 Uhr wurde auf der BAB6, bei km 629,3, Gemarkung Ramstein,
Fahrtrichtung Saarbrücken, das Fahrzeug der Halterin ........, Kz. ....,
von einer männlichen Person geführt, was aus dem Messbild unweigerlich zu entnehmen
war. Der Fahrer hielt bei einer Geschwindigkeit von 141 km/h den erforderlichen Abstand
von 70,5 m zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht ein, sondern hielt mit 12,93m weniger als
2/10 des halben Tachowerts ein, wobei Toleranzen bereits berücksichtigt waren.
Anstelle nunmehr z.B. die Adresse der Halterin anzufahren und sich nach männlichen
Fahrern zu erkundigen bzw. zunächst einmal lediglich die Anschriften der im Anwesen der
Halterin lebenden männlichen Verwandten beim Einwohnermeldeamt zu erfragen, hat die
Zentrale Bußgeldbehörde sofort Lichtbilder bei der Passbehörde angefordert. Zuerst vom
Ehemann der Halterin, danach vom Sohn der Halterin, dem Betroffenen des jetzigen
Verfahrens. Nachdem das vorhandene Passbild des Betroffenen diesen aber als sehr
jungen Mann zeigte, wurde die örtlich zuständige Polizeiinspektion beauftragt, den
Betroffenen anzuhören. Auch dort wurde, allerdings nach verstrichener
Anhörungseinladung, das Passbild beigezogen, das diesmal ein neueres Datum trug und
den Betroffenen jedenfalls als ähnlicher zum Fahrer erkennen ließ
. Mit Schreiben vom
20.11.2014 wurde das Bild an die ZBS Speyer zurückgesandt. Von dort wurde am
28.11.2014 ein Anhörungsbogen an den Betroffenen übersandt.
Noch vor der Übersendung des Anhörungsbogens erging ein internes Rundschreiben in der
ZBS, in welchem auf die Rügen des Landesdatenschutzbeauftragten aufmerksam gemacht
wurde. Dieser rügte das oben beschriebene und bereits in mehreren Verfahren auffällig
gewordene und seitens der jeweiligen Verteidiger beanstandete Vorgehen, sich ohne
vorhergehende und ergebnislos gebliebene Ermittlungen die Passbilder der potentiellen
Betroffenen zu verschaffen. Von einer Beanstandung nach dem LDSG sah der
Landesdatenschutzbeauftragte nur ab, weil die ZBS zugesichert hatte, die Mitarbeiter intern
noch einmal auf die Rechtslage und die einzuhaltenden Vorgaben hinzuweisen (vgl. As82-
84).
Obwohl dieses Vorgehen einen Verstoß gegen §§ 22 Abs. 2 und 3 PassG bzw. § 24 Abs. 2
und 3 PAuswG beinhaltet und obwohl es diverse veröffentlichte Rundschreiben des 
Ministeriums des Innern und für Sport gibt, die ebendiese Problematik betreffen, wurde nach
der Belehrung der Mitarbeiter, die laut Auskunft der beigeladenen Vertreterin der ZBS im
November 2014 und damit vor der Absendung des Anhörungsschreibens erfolgte, der
Anhörungsbogen abgeschickt und noch dazu auf eine spätere Rüge des Verteidigers hin
das Vorgehen mit der Berufung auf die Rechtsprechung des BayObLG (NJW 2004, 241)
und des OLG Bamberg (DAR 2006, 336) legitimiert (AS69), und zwar mit dem Argument,
dass weder ein Verfahrenshindernis noch ein Verwertungsverbot bestehe.

III.
Der weiteren Durchführung des Verfahrens stand hier ein vorsätzlich begangener
erheblicher Verfahrensverstoß entgegen, der unter dem Gedanken des
Opportunitätsgrundsatzes die Einstellung des Verfahrens gebietet.
Hier kann mit den Mitteln eines Beweisverwertungsverbots dem begangenen Verstoß nicht
begegnet werden. Bei willkürlichen und vorsätzlichen Verstößen gegen gesetzliche
Vorschriften, zu denen die oben genannten datenschutzrechtlichen Bestimmungen
unweigerlich gehören, kann, ähnlich der bewussten oder willkürlichen Umgehung des
Richtervorbehalts in § 81a StPO, ein Beweisverwertungsverbot bezüglich des betroffenen
belastenden Beweismittels angedacht werden. Hier wäre davon aber allenfalls das
beigezogene Passbild betroffen, das aber für die Beweisführung des Gerichts ohnehin keine
Rolle spielt, sondern nur der anwesende Betroffene und das ihm zugewiesene Messbild.
Auch kann nicht hypothetisch der Eintritt der Verfolgungsverjährung angenommen werden.
Denn es fand, insbesondere nach weiteren Ermittlungsmaßnahmen der örtlich zuständigen
Polizeiinspektionen eine Unterbrechungshandlung in Form der Anhörung statt, sodass es
nicht nur auf das rechtswidrig beigezogene Passbild ankam.
Ebenfalls kann hier nicht damit argumentiert werden, der Betroffene sei aufgrund eines
eklatanten Verfassungsverstoßes gegen Art. 20, 103 GG freizusprechen, da die Behörde
durch ihr Vorgehen ihren Strafanspruch verwirkt habe. Denn die Behörde hätte hier, indem
sie einfach nach Übersendung der Daten durch die örtlich zuständige Polizeiinspektion aber
auch nach Erhalt der neuen Belehrung durch die Behördenleitung, die notwendigen
Ermittlungsschritte einfach noch einmal durchführen und damit legalisieren können. Kritisch
wäre nur das Erreichen der Dreimonatsfrist zur Verfolgsverjährung geworden, was aber
lediglich ein technisches bzw. organisatorisches Problem gewesen wäre, nicht aber eine
rechtliche Hürde.
Nachdem aber für das Handeln der Behörde die Einstellung nach § 47 OWiG schon dann
anerkannt ist, wenn Richtlinien nicht beachtet werden (vgl. Göhler/Seitz, § 47 OWiG, Rn. 9),
muss erst recht die Einstellung des Verfahrens erfolgen, wenn wie hier ein Gesetzesverstoß
vorliegt. Das bewusste Handeln entgegen der datenschutzrechtlichen Vorgaben bei
gleichzeitiger Kenntnis der neuen Belehrung und unter Berufung auf die oben zitierte
Rechtsprechung kann hier zu keinem anderen Ergebnis führen, als die Verfolgung der
begangenen Ordnungswidrigkeit zu beenden.

AG Landstuhl, Beschl. v. 26.10.2015 - 2 OWi 4286 Js 7129/15

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3 Kommentare

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Wäre es nicht sinnvoll auch das Kfz-Kennzeichen unkenntlich zu machen?

Passend zum Thema aus datenschutzrechtlichen Gründen?!

5

Der Verstoß gegen die zitierten Bestimmungen des Datenschutzrechts liegt in der Anforderung der Passphotos und damit VOR der in der Entscheidung angeführten "Belehrung" der handelnden Behördenmitarbeiter. Der o.a. Beschluss leidet daher, indem er tragend auf einen "vorsätzlich begangenen
erheblichen Verfahrensverstoß" abstellt, seinerseits an einem vorsätzlich begangenen erheblichen Verstoß gegen Gebote der Logik.

3

Die Entscheidung zeigt wieder einmal, welche Blüten der Datenschutz in Deutschland treibt. Natürlich ist es sinnvoll, erst einmal Lichtbilder anzufordern. Das ist für alle Betzeiligten am wenigsten belastend. Wenn Polizisten erscheinen oder gar in de Nachbarschaft herumfragen, ist das erheblich belastender. Aber in Deutschland reitet man lieber oft Prinzipien...

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