Reform des § 238 StGB - "Stalking", eine gute Idee?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 17.02.2016

Der erst 2007 ins StGB eingefügte Tatbestand der Nachstellung, § 238 StGB, soll nun, wie schon in der GroKo-Koalitionsabrede vereinbart, verschärft werden. Der vorgestern veröffentlichte Referentenentwurf des BMJV geht auf Anregungen der Gesetzesanträge der Länder Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen (Bundesratsdrucksache 193/14 und 193/1/14) zurück. Die nun eingebrachte Reform ist aber auch angestoßen bzw. beschleunigt worden durch eine Petition der Bloggerin/Autorin Mary Scherpe, die ihre eigene Geschichte als Opfer eines Stalkers in einem Buch (Mary Scherpe: An jedem einzelnen Tag. Mein Leben mit einem Stalker ISBN 978-3-404-60829-4), öffentlich machte.

§ 238 Abs.1 StGB soll nun so lauten:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einer anderen Person in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen, indem er beharrlich  
1. die räumliche Nähe dieser Person aufsucht,  
2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu dieser Person herzustellen versucht,  
3. unter missbräuchlicher Verwendung von personenbezogenen Daten dieser Person  
a) Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für sie aufgibt oder   
b) Dritte veranlasst, Kontakt mit ihr aufzunehmen, oder  
4. diese Person mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit ihrer selbst oder einer ihr nahestehenden Person bedroht.“  

Bisher verlangt der Tatbestand, dass der Täter durch sein Verhalten die Lebensgestaltung seines Opfers tatsächlich schwerwiegend beeinträchtigt. Dieser vom Tatbestand vorausgesetzte Erfolg ist in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen. Mangels anderer Nachweismöglichkeiten  wird eine aus dem Stalkingverhalten resultierende Erkrankung oder Aktivität (Umzug, Geheimhaltung von Kommunikationsdaten etc.) verlangt. In der Folge ist die Erfüllung des Tatbestandes von der Sensibilität bzw. Robustheit des Opfers abhängig.

Zwar hat § 238 StGB bewirkt, dass ansonsten tatbestandsloses Stalking inzwischen zumindest überhaupt strafrechtlich verfolgt werden kann, doch die genannte Erfolgsbedingung hat Anklage bzw. Verurteilung häufig verhindert. Das Delikt soll aus diesem Grunde in ein Eignungsdelikt umgestaltet werden, d.h. es kommt für die Verurteilung dann nur noch auf die objektive Eignung zur scherwiegenden Lebensbeeinträchtigung an, nicht mehr darauf, dass das Opfer tatsächlich (schon) schwerwiegend beeinträchtigt worden ist.

Als zu Beginn der großen Koalition eine Verschärfung des § 238 StGB vereinbart wurde, habe ich mich hier im Blog sehr skeptisch dazu geäußert.

Soweit berichtet wird, dass hartnäckige Stalker eine Verfahrenseinstellung bzw. einen Freispruch quasi als Aufforderung verstehen, ihr Verhalten fortzusetzen, kann ich allerdings die Umstellung zum Eignungsdelikt durchaus befürworten, zumal die objektiven Kriterien weiterhin Bestand haben sollen.

Weiterhin kritisch: Jens Ferner, Detlef Burhoff

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28 Kommentare

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MT schrieb:

Tilman schrieb:

Sind die Nummern 1, 2, 3 und 4 mit "und" oder mit "oder" verknüpft?

Mit "oder". Steht doch da.

 

Nö. Nur zwischen 3 und 4.

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Noch ein möglicher Missbrauch, der in den USA so tatsächlich praktiziert wurde:

 

Jemand demonstriert gegen scientology. Und zwar nicht nur einmal, sondern täglich von 9 bis 17. Ein Mitarbeiter meint nun, er fühle sich durch den Demonstrant in seinem Leben eingeschränkt.

 

Es gibt auch Leute die sowas gegen irgendwelche Bankfilialen machen über längere Zeit.

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Falls ein Stalkingopfer nach dem Stalking ein Schwerbehinderter mit 80 GdB wurde , würde das mit dem Gesetzentwurf abgedeckt sein ?   ( Schwere psychische Störungen )

 

 

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Sehr geehrter Tilman,

Sie schreiben:

Sind die Nummern 1, 2, 3 und 4 mit "und" oder mit "oder" verknüpft?

Sie sind mit "oder" verknüpft. Bei einer nur mit Kommata verknüpften Aufzählung entscheidet im Deutschen die Konjunktion zwischen den letzten beiden aufgezählten Einheiten über die Verknüpfung aller vorangehenden Einheiten. Beispiel: "Ich  trinke heute Wein, Bier, Schnaps oder Cola" und  im Vergleich dazu: "Ich trinke heute Wein, Bier, Schnaps und Cola". Nur im zweiten Fall müsste man sich über den Sprecher Sorgen machen.
Abgesehen davon würde es wohl auch inhaltlich nicht sinnvoll sein, wenn jeweils alle genannten ganz verschiedenen Stalking-Arten kumulativ zusammentreffen müssten, bevor es strafbar wäre.

Meine Hauptsorge wäre dass Journalisten oder Journalisten-ähnliche Leute beeinträchtigt werden. Der bestehende stalking Paragraf wurde schon mal (vergeblich) verwendet um einen bekannten Hamburger Gerichtsberichterstatter zu stoppen.

Bei der erwähnten Auseinandersetzung zwischen  RA Schertz und R. Schälike ging es um die Anwendung des (zivilrechtlichen) Gewaltschutzgesetzes, nicht um § 238 StGB. Man kann aber natürlich nicht verhindern, dass abwegige Strafanzeigen erstattet werden, selbst von Juristen. Das ist aber in der Regel kein Problem des Straftatbestandes, sondern meist das des Anzeigeerstatters.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

 

Es ist nicht zu begreifen wenn Stalkingopfer Schwerbehinderte werden, dass § 238 nicht greift, obwohl

der Tatbestand erfüllt sein soll, wenn die Tat eine schwerwiegende

Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers verursacht hat.

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Gast schrieb:

Es ist nicht zu begreifen wenn Stalkingopfer Schwerbehinderte werden, dass § 238 nicht greift, obwohl

der Tatbestand erfüllt sein soll, wenn die Tat eine schwerwiegende

Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers verursacht hat.

Wie kommen Sie darauf? Eine Quelle wäre hilfreich.

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Sehr geehrter gast,

Sie schreiben:

Es ist nicht zu begreifen wenn Stalkingopfer Schwerbehinderte werden, dass § 238 nicht greift, obwohl

der Tatbestand erfüllt sein soll, wenn die Tat eine schwerwiegende

Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers verursacht hat.

Wahrscheinlich handelt es sich um einen ganz bestimmten Fall, den sie ansprechen. Generell würde man sicherlich eine schwerwiegende Lebensbeeinträchtigung bejahen, wenn  das Stalking-Opfer "durch" das Stalking eine psychische Erkrankung davonträgt. In der Praxis wird jedoch das "durch" problematisch sein, also die konkrete Verursachung der Erkrankung gerade durch das Stalking. Dieses Problem kann bei der vorgeschlagenen Neuerung nicht mehr eintreten, da mit dem neuen Tatbestand weder ein Erfolg noch (selbstverständlich) dessen Verursachung gerade durch das Stalking bedeutsam ist. Es kommt dann nur noch auf die Schwere des Stalking-Angriffs selbst an.

Mit freundlichen Grüßen

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Prof. Mülller,

gehe ich Recht in der Annahme, dass " die Schwere des Stalking-Angriffs" ein dehnbarer Begriff ist.

60 überwiegende beleidigende nötigende Briefe über ein ganzes Jahr bis das Opfer selber in die Psychiatrie läuft, brauchen nicht gelesen werden laut eines leitenden Oberstaatsanwaltes.

Viele abartige / belästigende Telefonate reichen nicht aus für eine Schwere.

Unerwünschte Besuche mit nötigender schriftlicher Aufforderung eines 70 Jährigen "Sektenführers" , der 50 Jahre verheiratet ist ,an die Eltern , das 20 jähriges Opfer zu heiraten, sind kein Stalking.

Stinkende Pakete reichen für eine Schwere nicht auf.

Und Anzeigen wegen einer Sexualstraftat wurden mangels Beweisen nicht weiterverfolgt

Juden als Parasiten zu bezeichnen, interessiert die Strafverfolgungsbehörden nicht.

 

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Generell stehe ich der z.T. überbordenden Sucht, wann immer möglich mit dem scharfen Schwert des Strafrechts zu drohen, oder gar dessen zusätzliche Schärfung zu verlangen, kritisch gegenüber. Der bestehende Stalking-Paragraph ist aber aus Sicht der Praxis seit jeher ein untauglicher Versuch des Gesetzgebers gewesen. Die vorausgesetzte erzwungene Veränderung der äußeren Lebensumstände des Opfers führte zu der Feststellung des 3. Strafsenats des BGH (NStZ 2010, 277 ff., m.w.N.), dass der Tatbestand weder "Überängstliche, noch besonders Hargesottene" schütze.

Also: wenn schon Stalking als Straftatbestand, dann richtig, nämlich als Eignungsdelikt, wie im Gesetzentwurf vorgesehen. Konsequenterweise soll übrigens § 238 StGB aus der Liste der Privatklagedelikte (§ 374 Abs. 1 Nr. 5 StPO) gestrichen werden.

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Der Weiße Ring schrieb:

Die Bundesgeschäftsführerin fordert den Gesetzgeber zudem auf, Stalking in den Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) aufzunehmen: „Stalking ist psychische Gewalt und führt oft zu schweren seelischen Belastungen und Erkrankungen. Wir treten daher dafür ein, dass der Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes auf Fälle psychischer Gewalt erweitert wird.“ Anspruch auf OEG-Leistungen hat bisher nur, wer infolge eines vorsätzlichen und rechtswidrigen Angriffs einen gesundheitlichen Schaden erleidet.

 

https://www.weisser-ring.de/internet/verwaltung/news/details/article/290...

 

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Henning Ernst Müller schrieb:
Soweit berichtet wird, dass hartnäckige Stalker eine Verfahrenseinstellung bzw. einen Freispruch quasi als Aufforderung verstehen, ihr Verhalten fortzusetzen, kann ich allerdings die Umstellung zum Eignungsdelikt durchaus befürworten, zumal die objektiven Kriterien weiterhin Bestand haben sollen.

 

Das Argument ist nicht unplausibel, aber m. E. auch nicht zwingend:

Die Einstellung mag bedingt sein durch Beweisschwierigkeiten oder eine gewisse Unbestimmtheit des Tatbestandes. Die Einstellung mag auch schädlich sein, da sie zu weiteren Taten ermutigt.

Die Verschärfung der Strafnorm ist nicht die einzige Reaktionsmöglicheit.

Alternativ könnten bspw. auch

- Maßnahmen auf Gerichts- und Verwaltungsebene gelöst werden, bspw. die Qualität der Anklagen zu steigern,

- der Straftatbestand wieder entfernt werden, wenn er denn - wie unterstellt wird - nicht abschreckt, sondern sogar ermutigt.

Ist die Verschärfung wirklich die beste aller Möglichkeiten? Wurde das ausreichend geprüft? Mir scheint die Gefahr einer Verschärfungsspirale zu bestehen, die zu einer ungewollten Ausdehnung führen kann. Denn was, wenn die "Eignung" in der Rechtsprechung auch auf erhebliche Beweisprobleme stößt, und wenn nur in einem einzigen prominenten Fall? Wird dann diese Schwelle weiter gesenkt?

 

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Ob eine Verschärfung die "beste aller Möglichkeiten" ist, kann man schlecht beantworten, wenn man den Maßstab dafür nicht hat. Dieser Maßstab ist aber von z.T. gegensätzlichen Interessen her zu bestimmen: Einerseits vom Interesse, das Strafrecht als ultima ratio auf wirklich den Kern sozial nicht hinnehmbarer schädlicher Verhaltensweisen  zu beschränken, andererseits vom Interesse der (potentiellen) Opfer von Stalkern, die möglichst umfassenden polizeilichen Schutz vor Belästigungen begehren. Der Entscheidungsprozess, welcher Maßstab letztlich angewendet wird, ist ein komplexer - Rechtswissenschaft und Kriminologie können da beratend agieren, sind jedoch weder einhellige Ratgeber noch ausschlaggebend. In der Demokratie ist es die Parlaments- (Parteien-)Mehrheit. Diese hat zunächst vor ca. 10 Jahren den § 238 StGB geschaffen und dieser erweist sich jetzt als nicht ausreichend, gemessen an dem von der Mehrheit angenommenen Maßstab.

§ 238 StGB ist nicht völlig wirkungslos, denn anders als früher kann man nun bei der Polizei auch Verhaltensweisen anzeigen, die für sich im Einzelfall nicht strafbar sind. Allein die polizeilichen Ermittlungen sorgen in vielen Fällen dafür, dass das Stalking aufhört. Damit ist ganz unabhängig von einer Verurteilung das Ziel der meisten Stalkingopfer schon erreicht.

Aber gerade besonders hartnäckige Stalker, die sich nicht von Ermittlungen einschüchtern lassen, profitieren davon, dass § 238 StGB bisher als Erfolgsdelikt so ausgestaltet ist, dass eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Opfers eingetreten sein muss. Diese Abhängigkeit davon, dass schon etwas "passiert" sein muss, schafft in der Praxis die beschriebenen Probleme. Insofern könnte die neue Formulierung eine Verbesserung sein.

Zuständig ist natürlich der Bundestag. Aber das heißt leider nicht, dass seine Beschlüsse immer den klügsten Weg darstellen - oder auch nur abbilden, was die Mehrheit der Bevölkerung sich wünschen würde. Das mag in vielen Fällen sogar etwas gutes haben. Aber bei diesem Straftatbestand fürchte ich, dass die vielleicht übersteigerte Sorge einiger weniger für uns alle eine Strafnorm bringen wird, die über das Ziel hinausschießt.

Die Gefahr einer Pönalisierung journalistischer Tätigkeit wurde bereits angesprochen. Dasselbe mag bei politischen Aktivisten passieren.

Wie ist es zu bewerten, wenn ein Journalist einem Minister/einer Ministerin vor seinem Büro, bei seinem Dienstwagen, auf Parteiveranstaltungen usw. auflauert, um ein Interview zu ergattern oder im Fernsehen vorzuführen, dass Herr bzw. Frau Minister sich für eine Stellungnahme zu fein ist?

Wo liegt der Unterschied, wenn ein Ausländerfeind einer in seinen Augen zu einwanderungsfreundlichen Bürgermeisterin nachstellt (was wir dann vielleicht bestrafen wollen) oder wenn ein Kriegsgegner einer Verteidigungsministerin täglich Aufforderungen hinterlässt, die Freiheit Deutschlands zukünftig nicht mehr am Hindukusch zu verteidigen (was wir vielleicht nicht bestrafen wollen)?

Bisher hätte in den vorgenannten Fällen die Betroffene offen erklären müssen, deswegen schlaflose Nächte zuzubringen. Eine Bürgermeisterin traut sich das vielleicht, eine Verteidigungsministerin hingegen müsste sich dann vielleicht Zweifel an ihrer Stressresistenz vorhalten lassen. Die angedachte Verschärfung behebt das Problem.

In den letzten Jahren waren sehr viele Gesetze zu sehen, die vielleicht von guten Wünschen getragen waren, aber ganz zufällig und nebenbei die Tätigkeit von Rechtsanwälten, Journalisten, politischer Opposition oder anderen Elementen einschränken, die für den reibungslosen Ablauf der Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte hinderlich sein können. Mich beunruhigt das.

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leser schrieb:

Zuständig ist natürlich der Bundestag. Aber das heißt leider nicht, dass seine Beschlüsse immer den klügsten Weg darstellen - oder auch nur abbilden, was die Mehrheit der Bevölkerung sich wünschen würde. Das mag in vielen Fällen sogar etwas gutes haben. Aber bei diesem Straftatbestand fürchte ich, dass die vielleicht übersteigerte Sorge einiger weniger für uns alle eine Strafnorm bringen wird, die über das Ziel hinausschießt.

Die Gefahr einer Pönalisierung journalistischer Tätigkeit wurde bereits angesprochen. Dasselbe mag bei politischen Aktivisten passieren.

Wie ist es zu bewerten, wenn ein Journalist einem Minister/einer Ministerin vor seinem Büro, bei seinem Dienstwagen, auf Parteiveranstaltungen usw. auflauert, um ein Interview zu ergattern oder im Fernsehen vorzuführen, dass Herr bzw. Frau Minister sich für eine Stellungnahme zu fein ist?

Wo liegt der Unterschied, wenn ein Ausländerfeind einer in seinen Augen zu einwanderungsfreundlichen Bürgermeisterin nachstellt (was wir dann vielleicht bestrafen wollen) oder wenn ein Kriegsgegner einer Verteidigungsministerin täglich Aufforderungen hinterlässt, die Freiheit Deutschlands zukünftig nicht mehr am Hindukusch zu verteidigen (was wir vielleicht nicht bestrafen wollen)?

Bisher hätte in den vorgenannten Fällen die Betroffene offen erklären müssen, deswegen schlaflose Nächte zuzubringen. Eine Bürgermeisterin traut sich das vielleicht, eine Verteidigungsministerin hingegen müsste sich dann vielleicht Zweifel an ihrer Stressresistenz vorhalten lassen. Die angedachte Verschärfung behebt das Problem.

In den letzten Jahren waren sehr viele Gesetze zu sehen, die vielleicht von guten Wünschen getragen waren, aber ganz zufällig und nebenbei die Tätigkeit von Rechtsanwälten, Journalisten, politischer Opposition oder anderen Elementen einschränken, die für den reibungslosen Ablauf der Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte hinderlich sein können. Mich beunruhigt das.

Könnte die Problematik nicht im Wege der Auslegung des Merkmals 'unbefugt' gelöst werden?

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Ein_Laser schrieb:
Könnte die Problematik nicht im Wege der Auslegung des Merkmals 'unbefugt' gelöst werden?

Ja und nein. Natürlich ist das die Schaltstelle - und damit zugleich das Problem. Was befugt ist und was nicht, klärt das Gesetz nicht. Faktisch entscheidet das der jeweilige Polizist, Staatsanwalt und schließlich Richter. Solche "Gummiparagraphen" setzen auch Personen einer Verfolgungsgefahr aus, die wir wohl eigentlich gar nicht verfolgen wollen (oder sollten) wie den Aktivisten oder Journalisten.

Was ist denn noch "befugte" Werbung um einen Partner in spe, was schon "unbefugt"? Was ist berechtigte Kritik an Politik, was unberechtigte Belästigung eines Politikers?

Es liegt auf der Hand, dass das nicht jeder Polizist, Staatsanwalt und Richter gleich sehen wird. Und Angst haben muss man vor dem einen, der "falsch" entscheidet, auch wenn 99 "richtig" entscheiden. Der eine könnte der sein, der für den eigenen Fall zuständig ist.

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Der existierende Straftatbestand ist (subjektiv aus Opferperspektive) nicht wirklich gut, aber (objektiv) wohl ausreichend.

Wo der existierende Straftatbestand nicht durchgreift, sollte es dem Opfer erleichtert werden, zivilrechtliche Abwehransprüche geltend zu machen und durchzusetzen.

Der Rechtsgüterschutz, der das Strafrecht rechtfertigt, ist oft auch durch Poizei- und Ordnungsrecht oder durch Zivilrecht möglich.

Strafrecht sollte nur die ultima-ratio sein, wenn eine effektiver Rechtsgüterschutz auf andere Art und Weise nicht erreichbar ist.

Auf Erziehungsdefizite von unangenehmen Zeitgenossen muss nicht immer zwingend gleich mit der Keule des Strafrechts reagiert werden.

Auch wenn man preußische Oberlehrer und Oberlehrerinnen sich das vielleicht wünschen.

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Quote:

DAV-Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen

Der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins (DAV) begrüßt die geplante Änderung des Gewaltschutzgesetzes, sieht aber keinen Bedarf für die Umwandlung des § 238 Absatz 1 StGB von einem Erfolgs- in ein Gefährdungsdelikt.

[...]

Im Konkreten unterstütze er die beabsichtigte Änderung des Gewaltschutzgesetzes, mit der nun auch in Gewaltschutzverfahren geschlossene Vergleiche strafrechtlichen Schutz erführen. Anstatt eine Änderung der Rechtsnatur des Straftatbestandes des § 238 Abs. 1 StGB von einem Erfolgs- in ein Gefährdungsdelikt vorzunehmen, sollte allerdings eine Novellierung an einem Erfolgserfordernis festhalten – und hierbei allenfalls die Voraussetzungen für dessen Eintritt durch eine andere Formulierung herabsetzen. Dies setze jedoch eine kritische Prüfung voraus, dass trotz einer Herabsetzung des Erfolgserfordernisses tatsächlich noch ein strafwürdiges Unrechturteil vertretbar sei. Der DAV sieht auch keine Notwendigkeit für die Streichung der Norm aus der Liste der Privatklagedelikte, da der Staatsanwaltschaft die Einstellung unter Verweis auf den Privatklageweg bei Bejahung des öffentlichen Interesses bereits verwehrt ist.

http://www.juris.de/jportal/portal/t/tyg/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUN...

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Schönen guten Tag,
wie sieht es denn jetzt entgültig mit dem Gesetz aus.

Ist die Generalklausel §238 Abs. 1 Nr 5 StGB aus dem Gesetz gestrichen worden oder ist sie doch wieder mit aufgenommen worden? Über eine schnelle Antwort würde ich mich freuen.

 

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Wissenschaft und Lehre gehen einmütig davon aus, daß staatliche strafrechtliche Bestrafungen bzw. die Strafgesetze nur zu rechtfertigen sind, wenn sie die Verletzung von Rechtsgütern verhindern sollen bzw. die Rechtsgüter schützen sollen.

Geschützte Rechtsgüter der bisherigen Fassung des § 238 StGB waren wohl die Leib und Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit (einschließlich dem Schutz vor krank machendem oder die Gesundheit beeinträchtigendem Psyschoterror) des Opfers. 

Bei der neuen Fassung des § 238 StGB, die gar nicht mehr auf eine Verletzung oder Beeinträchtigung des Opfers abstellt,  stellt sich aber die Frage,  ob die Strafbarkeit bzw. der Starftatbestand wirklich noch durch Rechtsgüterschutzgrundsatz gerechtfertigt wird, oder ob die neue Fassung nicht in vielen Fällen lediglich "erzieherische" Funktionen haben soll, und zwar unabhängig davon, ob in dem konkreten Fall der Rechtsgüterschutz eine erzieherische Bestrafung des Beschuldigten wirklich erfordert und eine staatliche Bestrafung des Bürgers im konkreten Fall wirklich nötig ist.

Ich habe Zweifel, ob es legitim ist, die Strafbarkeit derart weit zu fassen, wie dies mit der Ausdehnung des Straftatbestands bzw. mit seiner Umwandlung von einem Erfolgsdelikt in ein Begehungsdelikt geschah.

 

   
 

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Im Straftatbestand der Nötigung ist als Korrektiv gegen eine ausufernde Anwendung das Tatbestandsmerkmal der Verwerflichkeit eingefügt. Fehlt ein solches Korrektiv bei § 238 StGB, oder ist es vielleicht quasi ungeschrieben darin enthalten?

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Die Neufassung des Straftatbestandes geht wohl sehr weit, vielleicht zu weit.

Kann bzw. darf man es Menschen, die mit einem anderen Menschen als Paar zusammgelebt haben, wirklich mit Androhungen durch Strafgesetze verbieten, sich nach einer Trennung noch um eine Versöhnung zu bemühen, bloß weil bei der Trennung einer der beiden Partner dem anderen mitteilte, er wolle ihn nicht mehr wiedersehen und nichts mehr von ihm hören und sehen?

Greift eine solch weite Strafbarkeit nicht zu sehr in die Grundrechte ein?

Insbesondere, wenn die Versuche der sich um eine Versöhnung bemühenden Kontaktaufnahme in keiner Art und Weise bedrohlich sind, und zum Beispiel etwa nur mit korrekter Absenderkennung versehene Liebesbriefe geschickt werden (die ein Empfänger also auch einfach ungeöffnet in den Papierkorb werfen könnte, wenn er wollte),  oder es sich bloß um um Versöhnung bemühte mit korrekter Absenderangabe versehene e-mails handelt (die der Empfänger auch automatisch in seinen Spam-ordner leiten oder ungeöffnet löschen könnte, wenn er wollte), erscheint die Beeinträchtigung des Adressaten nicht so erheblich, daß sie eine Strafbarkeit des Absenders rechtfertigt.

Einem Ex-Partner durch Strafgesetze zu verbieten sich um eine Versöhnung zu bemühen greift wohl in dessen Grundrechte zu sehr ein und dürfte wohl verfassungswidrig sein.

In einem juristischen Kommentar wurde die Auffassung vertreten, daß mit korrekter Absenderkennung abgeschickte Liebesbriefe und E-Mails die sich um eine Versöhnung bemühen jedenfalls zumindest in den ersten 6 Wochen nach der Trennung des Paares nicht tatbestandsmäßig wären.

Der Gesetzgeber hat jedoch zumindest in den Wortlaut der Tatbestandsfassung keine "Karenzzeit" für die Zeit nach der Trennung eingebaut.   

All dies führt zu Härten, deren Vertretbarkeit zweifelhaft erscheint.

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Eine Körperverletzung wird gemäß §§ 223, 230 StGB nur auf Antrag verfolgt.

Wenn Täter und Opfer sich versöhnen oder zivilrechtlich vergleichen und der Antrag zurückgenommen wird, endet dann normalerweise auch die staatsanwaltschaftliche Strafverfolgung.

Bei § 238 StGB fehlt jedoch ein solches Korrektiv.

Dies kann eine Versöhnung oder einen Vergleich erschweren, und dazu führen, das eine einseitige oder streitige Trennung nicht durch auf Entspannung gerichtete Kommunikation zu einer versöhnlich-einvernehmlichen Trennung wird, sondern daß die als Belastung empfundenen Umstände der Trennung und die damit verbundene Anspannung zementiert wird.

Zwischen Staaten versucht man Belastungen und Spannungen durch Kommunikation und Diplomatie zu vermeiden, aber Menschen die einander sehr nahe stehen oder sich sehr nach standen erschwert man so eine Entspannung ihres Verhältnisses und ihrer Gefühle zueinander.

Vielleicht wäre es besser bzw. menschlicher bzw. den menschen und ihren gefühlen gerechter werdender, bevor die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen einen der beiden Partner bzw. Ex-Partner einleitet, ähnlich wie im Nachbarrecht zunächst einen Schiedsmanntermin vorzuschalten, oder wie bei Bagatellsachen im Zivilrecht eine Güteverhandung vorzuschalten, oder ein Mediationsgespräch vorzuschalten.

Manche Menschen denen Nachstellung vorgeworfen wird verfolgen ja keine bösen Absichten, sondern meinen es gut, und da könnte ein Schiedsmann oder ein Mediator oder Paarberater oder ein Gericht vielleicht beiden Ex-Partnern etwas sagen und ihnen Gelegenheit geben sich zu besinnen statt sich weiter gegenseitig zu belasten und in Abspannung zu verkrampfen.     

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Tippfehler: Anspannung sollte es heißen.

Manche Menschen denen Nachstellung vorgeworfen wird verfolgen ja keine bösen Absichten, sondern meinen es gut, und da könnte ein Schiedsmann oder ein Mediator oder Paarberater oder ein Gericht vielleicht beiden Ex-Partnern etwas sagen und ihnen Gelegenheit geben sich zu besinnen statt sich weiter gegenseitig zu belasten und in Anspannung zu verkrampfen. 

Beiden beteiligten eine Chanche auf Seelenfrieden zu geben sollte das Ziel sein.

Wenn diese Chanche dann nicht genutzt wird, kann dann immer noch ein Strafgericht den aktiven Ex-Partner bestrafen.

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