"Experteninterviews" - Was ich von der Macromedia-Hochschule lernen durfte

von Prof. Dr. Thomas Hoeren, veröffentlicht am 04.03.2016

Hin und wieder berichte ich hier gerne von den Irrungen und Wirrungen des Universitätsalltags. Daher hier eine merkwürdige Geschichte, die mich in Verbindung zur Macromedia-Hochschule (was auch immer das sein mag) brachte:

Vor einigen Wochen erreichte mich folgende Mail:

"Sehr geehrter Herr Dr. Hoeren, mein Name ist XXX und ich studiere momentan im fünften Semester Medienmanagement an der Macromedia Hochschule in Hamburg. Dieses Semester werden wir zur Vorbereitung auf die Bachelorarbeit in einer wissenschaftlichen Arbeit Primärforschung betreiben und auswerten. Meine Arbeit wird die Auswirkungen der Abhängigkeit der FAZ von Online Werbung behandeln.

Im Zuge meiner bisherigen Recherche zu dem Thema bin ich auf Ihrem Eintrag im Beck-Blog bezüglich des offenen Briefes der FAZ gestoßen, die dazu aufruft, AdBlocker auf http://www.faz.net abzustellen. Ihre Spezialisierung im Bereich des Informations- und Medienrechts und Ihre Sichtweise auf die Thematik des AdBlockers macht Sie zu einem geeigneten Kandidaten für eines von mehreren Experteninterviews, die ich für meine Arbeit durchführen möchte. Wären Sie bereit, sich von mir zu dem Thema - gern auch per Email oder Skype etc - befragen zu lassen?"

Ich sagte postwendend per Mail ab und bekam daraufhin eine Mail von einer "Vice Dean/Head of Media School": "Herr XXX soll in seiner Projektarbeit Experteninterviews führen. Für sein Thema (Adblocker – News Online Websites) kämen Sie dafür in Frage. Darf ich Sie bitten, Ihre Ablehnung ein wenig genauer zu erklären?"

Zähneknirschend erläuterte ich der "Kollegin" meine Reaktion: "Besten Dank für Ihre Anfrage. Ich bekomme fast jede Woche Anfragen für ein "Experteninterview" für Projektarbeiten. Diese beruhen typischerweise auf schlecht oder gar nicht recherchierten Grundfragen auf dem Niveau "Warum meinen Sie, dass Adblocker verboten/nicht verboten sind?" M.E. sind das nur schlecht kaschierte Täuschungsversuche; der Studierende ersetzt eigene Forschungsleistungen durch das Interview mit dem "Experten". An solchen Täuschungsversuchen darf ich mich nicht beteiligen.
Alles weitere habe ich auch noch einmal beispielhaft erläutert unter
http://blog.beck.de/2008/05/27/was-man-von-jurastudenten-so-als-umfrage-bekommt. "

Keine Reaktion der "Kollegin" - auch auf Nachfrage nicht. Dies weckt in mir einen furchtbaren Verdacht: Offensichtlich veranlassen Dozenten vornehmlich aus dem Fachhochulbereich ihre Studierende weniger dazu, zu lesen und sich in einen Thema intensiv einzuarbeiten. Stattdessen hetzen sie die verwirrten Jung-Forscher zu Interviews mit "Experten" und nennen das "Primärforschung". Liebe Macromedia-Hochschule, liebes Siebelius-Institut, liebe Hochschule der Künste Berlin, und, und, und: Stop that nonsense. Lasst den Unsinn der "Experteninterviews" bitte sein - und macht Eure Hausaufgaben in der Lehre selbst! Nervt uns nicht mit Euren verquasten Jungsemestern - bringt ihnen lieber bei, wie man ein Buch liest!

Ihr Thomas Hoeren

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16 Kommentare

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Lieber Herr Hoeren ,

Ihre Kritik ist hart ausgedrückt, aber erscheint mir nicht unberechtigt. Wissenschaftler, die sich regelmäßig in Publikationen (und manchmal auch in Blogs) äußern, müssen ja nicht noch per Interview befragt werden. Man kann davon ausgehen, dass alles Relevante und Belegbare zum Interviewthema bereits veröffentlicht wurde. Es hat auch etwas Merkwürdiges, wenn auf diese Art Expertenwissen aus einer öffentlichen Hochschule bzw. Universität gratis abgefragt/abgezapft wird, Wissen, das offenbar in den 35000 Euro, die ein Bachelor-Studium in der privaten Hochschule kostet, nicht inbegriffen ist. Oder sollten Sie etwa ein Interviewhonorar bekommen?

Experteninterviews als Primärforschung sind allerdings nicht unnötig und sind auch keine Täuschungsversuche,  wenn es z.B. um Berufsgruppen geht, die ihre praktischen Erfahrungen, Erkenntnisse und Arbeitsmethoden nicht veröffentlichen. So hat es in der Kriminologie durchaus seine Berechtigung, z. B. Polizeibeamte als Experten zu befragen.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Lieber Herr Kollege Müller,

schön, dass sich unsere Beck-Blog-Wege mal wieder kreuzen.

Ich habe mich auch gefragt, in welchen Situationen ein Experteninterview mal ausnahmsweise legitzim sein könnte.

In der Fach-Literatur setzt man beim Begriff des Experten an. Ein solcher sei nur jemand, der "Verantwortung für eine Problemlösung trägt" oder „wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse verfügt.“ ( Meuser/Nagel .ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In Garz/Kraimer(Hrsg.), Qualitativ-empirische, Sozialforschung. Konzepte, Methoden, Analysen, Opladen 1991, 441, 443).

Das erscheint mir plausibel. Ich bin aber weder für eine Problemlösung verantwortlich noch verfüge ich über einen privilegierten Zugang zu Kenntnissen über Personengruppen. Recht hat man eben zu kennen oder sich etwas mühevoll anzueignen; ich kann ja auch nicht einfach jeden Anwalt mithilfe eines angeblichen Experteninterviews (kostenlos) konsultieren. Dieses Wissen um die Grenzen des Instruments scheint an manchen Fach- und Privathochschulen vergessen worden zu sein. Und da solche Anfragen überhand nehmen (wie ich von KollegInnen weiß), mußte ich mas etwas deutlicher werden. Mal sehen, ob es hilft. Liebe Grüsse - und besten Dank für Ihre stets sehr spannenden Blogdiskussionen Ihr Th

Wenn Sie wüssten, wie oft man täglich als Nichtbewohner des Elfenbeinturmes von ärgerlichen E-Mails genervt wird, würden Sie sich nicht beschweren, dass Sie als Elfenbeinbürger "vor einigen Wochen" einmal eine ärgerliche E-Mail erhalten haben...

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@Gast: Denken Sie etwa, man werde in der Universität von Spam-Mails und allen möglichen anderen ärgerlichen Anfragen verschont? Weit gefehlt. Neben den zig E-Mails, die das Uni-Rechenzentrum herausfiltert, gibt es täglich z.B. bei mir zehn bis zwanzig weitere überflüssige oder ärgerliche Mails. Elfenbein taugt insofern gar nicht zur Spam-Abwehr, im Gegenteil, offenbar sind gerade Uni-Accounts Ziel besonders häufiger Spamattacken. Abgesehen davon hat Herr Hoeren wahrscheinlich wie fast alle Menschen neben seinem Uni-Account auch noch private E-Mail-Adressen, die genauso betroffen sind wie diejenigen der anderen "Nichtbewohner des Elfenbeinturms". Hier geht es aber um den Inhalt einer besonderen Art von Anfrage im Uni-Alltag, die auch gar nichts mit dem Typus E-Mail zu tun hat, sondern genauso auch in einer Sprechstunde gestellt werden könnte.

Hier geht es aber um den Inhalt einer besonderen Art von Anfrage im Uni-Alltag...

Auch insoweit kann ich den Ärger nicht so richtig verstehen. Es geht um ein Forschungsprojekt, zugegeben keines einer besonders anspruchsvollen Art, sondern das eines kleinen Bachelor-Studenten, aber immerhin. Es kann ja nicht immer der Bundesjustizminister sein, der um Expertenrat ersucht. Und an einem Forschungsprojekt mitzuwirken, sollte für jemanden, dessen Beruf neben der Lehre insbesondere auch die Forschung ist, nicht besonders ärgerlich, sondern selbstverständlich, sein. Der Rat an den Bachelorstudenten, sich hinzusetzen und selbst zu lesen, hilft beim Forschen auch nicht immer weiter, da Forschen ja wohl bedeutet, etwas neues zu entdecken und nicht etwas gelesenes neu durchzukauen und in erneut durchgekauter oder durchgekneteter Form neu zu präsentieren.

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Lieber Gast 6,

Sie können gewiß sein, daß ich studentische Anfragen gerne und selbstverständlich beantworte. Mit solchen Anfragen habe ich als Vertreter einer Groß-Fakultät schon einige Erfahrung. Auffällig ist nur, dass ich seit Monaten mindestens einmal in der Woche solche Anfragen externer Studierenden nach Experteninterviews erhalte - und das fast nur aus der Ecke Fachhocchschulen. Da mußte ich einmal zur Notbremse "Beck-Blog" greifen, zumal mir einige KollegInnen von ähnlichen Erfahrungen berichteten.

 

Der vorliegende Fall bot sch dazu an, weil es ja hioer nicht um den Studenten ging, sondern um die geharnischt-zickige Antwort der Betreuerin, die offensichtlich wie selbstverständlich davon ausging/ausgeht, dass ich als "Experte" die Betreuung ihrer Studenten übernehmen soll. Und was auch auffällt: Zum Thema Adblocking hatte ich schon alles aus meinerSicht Notwendige veröffentlicht und kostenlos im Netz zum Download und zum Lesen bereit gestellt. Man muß es eben nur lesen.

Siehe http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/veroeffentlichungen/hoeren_ve...

Die einfache Bitte, "Ihre Ablehnung ein wenig genauer zu erklären?" empfinde ich nicht direkt als eine besonders "geharnischt-zickige Antwort der Betreuerin", sondern als eine eher zurückhaltende Nachfrage, was man ggf. besser machen könnte. Ich finde auch nichts im Text, woraus zu entnehmen wäre, dass Sie "wie selbstverständlich als Experte die Betreuung des Studenten übernehmen" sollten; man wollte nur ein Interview. Insofern Sie schon alles aus Ihrer Sicht Notwendige veröffentlicht haben, kann es sich vielleicht doch lohnen, darüber hinaus zu dem aus fremder Sicht des forschenden Bologna-Studenten notwendigen Fragen Überlegungen anzustellen. Ich finde immer noch, dass das alles ggf. wirklich lästig ist, aber kein Anlass für moralische oder wissenschaftstheoretische bzw. wissenschaftpädagogische  Grundsatzdebatten. Eine einfach Absage, wie "ich habe bedauerlicherweise keine Zeit", sollte ausreichen.

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Ad Gast 8: "ich habe bedauerlicherweise keine Zeit" - das werde ich mir dann demnächst als Textbaustein für ähnliche Anfragen basteln. Herzlichen Gruss Th

ich finde, Herr Hoeren hat 100% recht. Man sollte solche Themen ansprechen und vor solchen Übergriffen für "Experteninterviews" warnen (die ich auch seit einigen Monaten mitbekomme). MS

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Offenbar ist ein "Experteninterview" eine gerade moderne Methode, der man als Experte kaum entkommen kann, vgl.:

Das Experteninterview ist ein häufig eingesetztes Verfahren in der empirischen Sozialforschung, kommt insbesondere zur Anwendung in der Policy- und Implementationsforschung, in der Industriesoziologie, in der Eliten- und Verwendungsforschung und in vielen Bereichen angewandter Sozialforschung. ( https://goo.gl/j2Pq0W )

Unter einem Experteninterview, auch Expertenbefragung genannt, versteht man eine Methode, die im wissenschaftlichen Kontext angewendet wird. Ziel hierbei ist es, eine Grundlage für eine wissenschaftliche Arbeit zu schaffen bzw. eine Hypothese zu belegen, die in einer wissenschaftlichen Arbeit (z. B. einer Bachelorarbeit oder einer Masterthesis) überprüft werden soll. ( https://goo.gl/Ft5NCE )

Ein Experteninterview ist „ein Interview mit einer Person, die mit Hinblick auf ihren Status als Experte oder Expertin befragt wird, also als Person, die über spezialisiertes Wissen und dadurch im Allgemeinen auch über (meist: institutionell geregelte) Entscheidungskompetenzen verfügt.“... Das Erkenntnisinteresse im Experteninterview ist auf einen „klar definierten Wirklichkeitsausschnitt“ des Expertentums gerichtet. ( http://goo.gl/u2CRHC )

 

 

 

 

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Gerade erreicht mich folgende Mail, die ich der Vollständigkeit halber nicht im Nirwana meiner Skurrilmails verschwinden lassen möchte:

"Mein Name ist XXS und ich studiere an der DHBW in Mannheim BWL.

Bis zum 21.03.2016 schreibe ich an meiner Bachelorarbeit über das Thema E-Payment.

Hierzu sollen auch grobe Rechtsgrundlagen angesprochen werden, die in dem Zusammenhang wichtig erscheinen.

Aufgrund der Vielzahl an Gesetzen und Vorschriften stellt dies eine Herausforderung für mich als Anfängerin im Gebiet des Rechts dar.

Ich konnte bereits viel Literatur finden, jedoch komme ich mit einer Struktur offen gesagt nicht zurecht.

Leider habe ich keinen Ansprechpartner –selbst innerhalb der Stadt Mannheim- gefunden, der sich mit diesem Thema gut genug auskennt, um mir in diesem Punkt Unterstützung zu bieten."

 

Gruss TH

Lieber Gast 13: Natürlich kann man die Hochschulen nicht juristisch belangen, aber moralisch.

Die in 12 erwähnte Mail machte mir noch einmal deutlich, wie trostlos die studentische Betreuung an manchen Dualen/Fach-/Privathochschulen sein muß. Der "Professor" gibt ein Thema aus und kümmert sich nicht mehr um den Studenten. Statt dessen verweist er ihn allenfalls allgemein darauf, sie mögen sich einen "Experten" für ein "Experteninterview" suchen. Die Würzel allen Übels liegt insofern bei der schlechten Qualität der Lehre an solchen "Hochschulen", die aber wie die Pilze aus dem Boden schiessen.

Deshalb ist die in Kommentar 8 und 9 angedeutete Reaktion ("Ich habe keine Zeit für Deine Anfrage") nur zynisch; sie unterstützt sogar nach falsche Denken der Studieenden und die Faulheit der FH-Verantwortlichen. Sollte ich künftig weiterhin solche Anfragen bekommen, werde ich nicht auf Zeitnöte verweisen. Ich erkundige mich nach dem betreuenden "Prof" und werde ihm direkt sagen, was in aller Deutlichkeit zu sagen ist.  Herzlichen GRuss TH

Es soll auch an Universitäten und sogar an deren rechtswissenschaftlichen Fakultäten vorkommen, dass z.B. eine interdisziplinär angelegte Dissertation Fachkenntnisse außerhalb des von dem Betreuer und dessen Fakultäts- bzw. Universitätskollegen abgedeckten Bereichs voraussetzt. Ein “Interview” mit einem “Experten” außerhalb der eigenen Institution ist in einem solchen Fall nicht die schlechteste Idee (und auch keineswegs ungebräuchlich), und dementsprechend wird man es nicht per se kritisieren können, dass einem Studenten der Medienwissenschaften hier geraten worden ist, die an der eigenen Hochschule offenbar vorhandene Lücke an medienrechtlicher Expertise andernorts zu schließen. Dass der Student dies ausnutzen wollte, um mit Hilfe des “Experten” erst einmal banale Grundfragen seines Themas vorgekaut zu bekommen, lässt sich seiner Anfrage keineswegs entnehmen; der Student hatte schlicht das Pech, an den Falschen - nämlich einen überarbeiteten und im Umgang mit Studentenanfragen offenbar tendenziell übellaunigen Großordinarius (s. “Hallöchen, Herr Professor”) - zu geraten.

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Lieber Herr Gastmann (15),

besten Dank für Ihre wichtige Rückmeldung. Aus dem universitären Kontext habe ich allerdings solche Anfragen nur einmal bekommen (siehe URL oben im Ausgangstext). Ansonsten häufen sich wöchentlich solche Expertenanfragen aus dem FH-Umfeld und beziehen sich (wie man auf Rückmeldung feststellt) tatsächlich nur auf "banale Grundfragen des Themas".

Dabei bitte ich, meine Kritik an manchen Hochschulen nicht als Gebaren eines alten "Großordinarius" zu verstehen (der ich nicht bin). Ich habe großen Respekt vor den Leistungen vieler FH-Kollegen. Dennoch muß es auch möglich sein, die strukturell auffällige Explosion solcher studentischen Hilferufe von Studierenden der Privathochschulen/Dualen Hochschulen etc. zu benennen, ohne gleich als "übellaunig" zu gelten. Auch finde ich es in diesem Zusammenhang erfreulich, dass hier eine gute Sach-Diskussion über Sinn und Unsinn solcher "Experteninterviews" begonnen hat.

Besten Dank auch für Ihre Referenz zu "Hallöchen Herr Professor". Zu finden unter http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/e-mail-gruselkabinett-halloec...

Da hat sich übrigens im Laufe der Zeit doch einiges zum Positiven hin verändert. Studierende sind heute in ihren Mails formal viel freundlicher und stilsicherer. Und dann ist es auch eine Freude, solche Mails zu beantworten (was ich gerne tue). Herzlichen Gruss TH

 

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