Betriebsratsmitglied warnt vor Entwicklungen wie vor 70 Jahren –außerordentliche Kündigung unwirksam

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 11.03.2016

Der Vergleich gegenwärtiger Zustände mit den Verhältnissen während der NS-Zeit, entsprechende Anspielungen oder gar direkte Personenvergleiche haben schon manchen Politiker das Amt gekostet. Bezogen auf die betrieblichen Verhältnisse oder die Vorgesetzen handelt es sich regelmäßig um erhebliche Pflichtverletzungen, die entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen können. So ist es beispielsweise anerkannt, dass ein Vergleich betrieblicher Verhältnisse mit dem nationalsozialistischen Terrorregime in der Regel ein Grund für eine fristlose Kündigung darstellt (vgl. etwa BAG NZA 2011, 1412). Das LAG Düsseldorf (4.3.2016 – 10 Ta BV 102/15 – PM 4.3.2016) hatte es kürzlich mit einem Fall zu tun, der ausnahmsweise eine mildere Beurteilung verdient. Der betroffene Arbeitnehmer war bei einem Senioren- und Pflegezentrum beschäftigt und seit 20 Jahren auch Mitglied des Betriebsrats. Ferner ist Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Klinikgruppe, der die Arbeitgeberin zugehörig ist. In einer E-Mail an den Einrichtungsleiter und Aufsichtsratsmitglieder, schrieb er u.a.:

„…wie ich von mehreren Mitarbeitern erfahren habe, beabsichtigen Sie wöchentlich eine Überwachungskontrolle, mit technischen Gerätschaften, der Mitarbeiter in der Pflege durchzuführen. Es soll damit festgestellt werden, wie viel Zeit der Mitarbeiter benötigt, bis er dem Klingelruf des Mitarbeiters nachkommt. Hier findet eine einseitige Maßnahme des Arbeitgebers statt, die einen dringlichen Handlungsbedarf des Betriebsrats vorsieht gemäß einer einstweiligen Verfügung. Die Überwachung in einem totalitären Regime haben wir vor 70 Jahren hinter uns gebracht, auch wenn hier im Kleineren gehandelt wird, so ist dies der Anfang von dem was dann irgendwann aus dem Ruder laufen kann. …“

Der Betriebsrat erteilte die von der Arbeitgeberin beantragte Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Betriebsratsmitglieds nicht. Die Arbeitgeberin begehrt die Ersetzung der Zustimmung. Diesen Antrag hat LAG Düsseldorf ebenso wie die Vorinstanz zurückgewiesen. Ein Grund zur fristlosen Kündigung des Betriebsratsmitglieds liege nicht vor. Eine solche Gleichsetzung mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem sei in der E-Mail nicht enthalten. Das Betriebsratsmitglied warne vielmehr vor einer möglichen künftigen Entwicklung und knüpft damit allenfalls an die Verhältnisse der Weimarer Republik an. Es gehe ihm darum, dass man Entwicklungen von Beginn an beobachten muss „bevor etwas aus dem Ruder läuft.“ Eine solche Äußerung sei von der Meinungsfreiheit geschützt. Die übrige Kritik des Betriebsratsmitglieds, u.a. an der von diesem behaupteten und von der Arbeitgeberin bestrittenen Unterbesetzung im Tages- und Nachtdienst enthalte zulässige Werturteile, die sich im Rahmen seiner Funktionen als Betriebsrats- und Aufsichtsratsmitglied halten.

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