Loveparade Duisburg 2010 - Fahrlässigkeiten, 21 Tote, keine Hauptverhandlung?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 05.04.2016

Wie soeben berichtet wird (Spiegel Online), hat das LG Duisburg im Zwischenverfahren die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in der Sache Loveparade Duisburg 2010 abgelehnt. Diese Entscheidung kann zwar noch angefochten werden, bedeutet aber erst einmal einen Schlag ins Gesicht der vielen Opfer und Angehörigen. Meines Erachtens gibt es genug Anhaltspunkte für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit (siehe die Links unten) für fahrlässiges Verhalten bzw. Versagen auf allen drei Ebenen - Veranstalter, Genehmigungsbehörden, Polizei. Und aus meiner Sicht hätte es auch eine hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit gegeben. Allerdings zielte schon der Auftrag für das Gutachten von Keith Still, das als entscheidendes Beweismittel betrachtet wurde (und offenbar jetzt vom Gericht verworfen wird) in eine falsche Richtung. Auch dass die Staatsanwaltschaft sehr frühzeitig alle Polizeibeamten aus der Reihe der Verdächtigen ausschloss, war kaum zu vereinbaren mit den zu beobachtenden Fakten am Tag der Katastrophe (siehe ebenfalls die Links zu meinen früheren Beiträgen, die unten angehängt sind).

Nach einer Presseerklärung des LG Duisburg (Link) waren die entscheidenden Gründe für die Nichteröffnung:

1.  Inhaltliche und methodische Mängel des Gutachtens - die in der Erklärung im Einzelnen konkretisiert werden

2.  Besorgnis der Befangenheit gegen den Gutachter Keith Still

3.  Zweifel an den der Anklage zugrundeliegenden Kausalitätserwägungen

Nach der Anklageerhebung hatte ich am 9.9.2014 schon ungute Vorahnungen geäußert:

"Wenn die Staatsanwaltschaft (in der Pressekonferenz zur Anklage, ich denke das ist so auch in der Anklage enthalten) nun sagt: "Insbesondere die polizeilichen Maßnahmen waren nach den Feststellungen eines international anerkannten Sachverständigen weder für sich genommen noch insgesamt ursächlich für den tragischen Ausgang der Loveparade", dann wird m. E. erstens das Gutachten nicht zutreffend wiedergegeben. Und zweitens widerspricht diese Aussage (was das Errichten der Kette 3 angeht) eklatant dem, was jeder mit offenen Augen erkennen kann: Ohne diese Kette wäre der konkrete Erfolg an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt  nicht eingetreten. Die Kette 3 war erkennbar ursächlich für die Menschenverdichtung im unteren Drittel der Rampe zu diesem Zeitpunkt. Das entlastet nicht diejenigen, die bei der Planung und Genehmigung der Veranstaltung fahrlässig gehandelt haben und die mit ihren Handlungen eben auch wichtige Ursachen gesetzt haben für die Katastrophe. Das bedeutet auch nicht notwendig, dass einzelne Beamte "schuld" sind, denn dafür müssten auch noch subjektive Merkmale nachgewiesen werden.

Aber die Polizeiketten ganz herauszulassen aus der Erklärung des Unglücks kann schlimme Folgen haben, denn dann bleibt der konkrete Erfolg letztlich unerklärlich."

Das scheint jetzt zumindest einer der wesentlichen Gründe zu sein, weshalb das LG die Eröffnung ablehnt: Die Kausalität der (möglichen) Planungsfehler zum konkreten Unglücksgeschehen bleibt in der Anklage offen. Ein Vorwurf, der sowohl der Staatanwaltschaft als auch dem Gutachter recht deutlich gemacht wird, neben anderen Erwägungen zu den (vorgeworfenen) Pflichtverletzungen der Angeschuldigten.

Die soeben beendete Pressekonferenz des LG Duisburg hat über die Presseerklärung hinaus keine wesentlich neuen Erkenntnisse gebracht. Natürlich war man seitens des Gerichts vorsichtig, was die Bewertung der Staatsanwaltschaft oder die Prognose eines evtl. OLG-Beschlusses angeht. Momentan wird m. E. etwas einseitig allein dem Gutachter die Schuld am Scheitern der Anklage zugewiesen. Dahinter steht aber klar der Vorwurf an die Staatsanwaltschaft, nicht rechtzeitig erkannt zu haben, dass es mit diesem Gutachten nicht möglich sein würde, die Verantwortlichkeit nachzuweisen. Die Staatsanwaltschaft hätte also ggf. noch einen weiteren Gutachter beauftragen müssen. Da m. E. kein Weg daran vorbeiführt, den konkreten Taterfolg (auch) mit dem Verhalten der Mitarbeiter des Veranstalters und der Polizei am Tag der Loveparade zu erklären, war es letztlich fatal für die Anklage, die polizeilichen Maßnahmen als Ursache auszuschließen.

(Update, 16.00 Uhr):

Die Staatsanwaltschaft hat sofortige Beschwerde eingelegt!

Einige strafprozessuale Erwägungen:

Die strafprozessuale Streitfrage wird sich u.a. zu § 202 StPO ergeben. Danach kann das Gericht durchaus "ergänzende" "einzelne" Beweiserhebungen im Zwischenverfahren anordnen. Die Rechtsprechung sieht dies aber als Ausnahme an - nur Lücken in der Beweisführung der Staatsanwaltschaft dürfen geschlossen werden. Darauf wird sich das LG Duisburg berufen. Udo Vetter meint dennoch:

"Zwar wird immer betont, das Gericht dürfe natürlich nicht das komplette Ermittlungsverfahren neu aufrollen. Aber spätestens nachdem der Sachverständige sich durch seine Auftritte auch noch der Besorgnis der Befangenheit ausgesetzt hat, hätte es nach meiner Meinung juristisch ausreichend Spielraum gegeben, um auch nach Erhebung der Anklage ein vernünftiges Gutachten einzuholen."

(Quelle: Law Blog)

Das Gericht wird sich demgegenüber darauf berufen, man habe ja in diesem Sinne den Gutachter umfassend ergänzend befragt. Ein neues Gutachten einzuholen, sei auf Grundlage des § 202 StPO nicht zulässig gewesen, da es eine so zentrale Rolle in der Anklage gespielt habe.

Auch ist zu erwägen, ob das Gericht die Sache frühzeitig an die Staatsanwaltschaft informell zurückgeben hätte können. Solche Fälle sind in der Praxis bekannt. Aber ob so ein "großer" Strafprozess eine solche informelle Behandlung vertragen hätte?

Zu  211 StPO: Ja, ein neues Gutachten kann als neues Beweismittel eine neue Anklageerhebung stützen. So z.B.  das OLG Köln.

Update (06.04.2016)

Drei Fragen

Bei der Beurteilung der derzeitigen Situation sind m.E. drei Fragen zu unterscheiden. Ich habe diese Fragen einmal zusammengestellt und ein paar mögliche Antworten formuliert. 

1. Wer bzw. was ist die Ursache des Anklage-Dilemmas? 

a) Die Staatsanwaltschaft, die eine unschlüssige Anklage formuliert hat und als zentrales Beweismittel ein nicht tragfähiges Gutachten präsentierte

b) Ein Gutachter, der methodisch/inhaltlich fehlerhaft gearbeitet hat und noch dazu sich unprofessionell verhalten hat (in Bezug auf Auslösen einer Besorgnis der Befangenheit)

c) Eine Kombination von a) und b)

d) Keine dieser Möglichkeiten, das LG Duisburg liegt falsch, die Anklage hingegen  ist plausibel genug, um das Hauptverfahren zu eröffnen.

2. Konnte das LG Duisburg (und prognostisch: kann das OLG Düsseldorf) das Anklagedilemma selbst lösen?

a) Ja, die Anklage hätte einfach zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet werden können. Streitfragen hätte man im Hauptverfahren klären können.

b) Ja, die Strafkammer hätte - nach § 202 StPO - selbst ergänzende Beweiserhebungen durchführen können, um sodann auf besserer Grundlage zu eröffnen.

c) Ja, die Kammer hätte die Staatsanwaltschaft rechtzeitig veranlassen müssen, ein besseres Gutachten vorzulegen und die Anklage besser zu konkretisieren, um sodann auf besserer Grundlage zu eröffnen.

d) Nein, das Gericht konnte nicht selbst die Anklage verbessern oder die Staatsanwaltschaft von ihrem falschen Pfad abbbringen, die Nichteröffnung war konsequent/richtig, da die Anklage grundlegend verfehlt war.

3. Was folgt nun für die weitere strafrechtliche Aufarbeitung der Loveparade 2010?

a) Das OLG wird das LG Duisburg korrigieren und doch noch das Hauptverfahren eröffnen

b) Die Staatsanwaltschaft wird ein neues Gutachten vorlegen (§ 211 StPO), erneut anklagen, und dann kann eröffnet werden.

c) Die strafrechtliche Aufarbeitung ist voraussichtlich völlig gescheitert und wird auch nicht wieder aufgenommen.

Vielleicht möchten Sie in der Diskussion Ihre Auffassung dazu bzw. Ihre weiteren Antwortmöglichkeiten darlegen.

_________________________________________________________________________________________

Wer sich über die bisherigen Diskussionen informieren möchte, kann sie hier finden - unmittelbar darunter einige Links zu den wichtigsten Informationen im Netz.

Juli 2015: Fünf Jahre und kein Ende – die Strafverfolgung im Fall Loveparade 2010 (98 Kommentare, ca. 9000 Abrufe)

Februar 2015: Was wird aus dem Prozess? (72 Kommentare, ca. 5900 Aufrufe)

August 2014: Zweifel am Gutachten (50 Kommentare, ca. 6900 Abrufe)

Februar 2014: Anklageerhebung (50 Kommentare, ca. 12300 Abrufe)

Mai 2013: Gutachten aus England (130 Kommentare, ca. 14200 Abrufe)

Juli 2012: Ermittlungen dauern an (68 Kommentare, ca. 11600 Abrufe)

Dezember 2011: Kommt es 2012 zur Anklage? (169 Kommentare, ca. 26000 Abrufe)

Juli 2011: Ein Jahr danach, staatsanwaltliche Bewertung sickert durch (249 Kommentare, ca. 36000 Abrufe)

Mai 2011: Neue Erkenntnisse? (1100 Kommentare, ca. 28000 Abrufe)

Dezember 2010: Fünf Monate danach (537 Kommentare, ca. 21500 Abrufe)

September 2010: Im Internet weitgehend aufgeklärt (788 Kommentare, ca. 35000 Abrufe)

Juli 2010: Wie wurde die Katastrophe verursacht - ein Zwischenfazit (465 Kommentare, ca. 42000 Abrufe)

Ergänzend:

Link zur großen Dokumentationsseite im Netz:

Loveparade2010Doku

speziell: Illustrierter Zeitstrahl

Link zur Seite von Lothar Evers: DocuNews Loveparade Duisburg 2010

Link zur Prezi-Präsentation von Jolie van der Klis (engl.)

Weitere Links:

Große Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag NRW

Kurzgutachten von Keith Still (engl. Original)

Kurzgutachten von Keith Still (deutsch übersetzt)

Analyse von Dirk Helbing und Pratik Mukerji (engl. Original)

Loveparade Selbsthilfe

Multiperspektiven-Video von Jolie / Juli 2012 (youtube)

Multiperspektiven-Video von Jolie / September 2014 (youtube)

Interview (Januar 2013) mit Julius Reiter, dem Rechtsanwalt, der eine ganze Reihe von Opfern vertritt.

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252 Kommentare

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Wenn Sie sich schon die Mühe machen, Links auf Aufsätze im Netz zu den §§ 172 ff StPO zu legen, dann legen Sie die Links lieber auf die drei Aufsätze zum Thema in Wikipedia, die da heißen

Klageerzwingungsverfahren

Ermittlungserzwingungsverfahren und

Anspruch auf Strafverfolgung Dritter

Danke für den Hinweis.
Dort finde ich:

Quote:
Das Verfahren einer Ermittlungserzwingungsklage entspricht der einer Klageerzwingung gem. § 172 StPO. Es ist grds. nur zulässig, wenn die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einstellt bzw. erst gar keine Ermittlungen anstellt. Antragsberechtigt ist der Verletzte, gem. § 172 Abs. 2 StPO beträgt die Klagefrist zum zuständigen OLG einen Monat.

Da müssen die Anwälte aber Gas geben. der Gerichtsbeschluss ist vom 30.03.2016 und bald haben wir den 1. Mai
Meines Wissens hat die Sta die Ermittlungen auch nicht eingestellt, sondern das Landgericht hat den Beschluß gefasst die Anklage nicht zu zulassen.
Greift §172 auch als Einspruch gegen einen Gerichtsbeschluss?

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M.E. ist die Monatsfrist, die Sie ansprechen, bereits gewahrt durch die rechtzeitige Einlegung der Beschwerde. M.E. sollte eben jetzt das Beschwerdeverfahren qua Klageänderung übergeleitet werden in ein Verfahren nach den §§ 172 ff StPO. Damit ist auch bezüglich des Verfahrens gem. §§ 172 ff StPO die Frist gewahrt.

Schauen Sie, die Überlegung ist doch nicht so schwierig: Die bestehende Anklageschrift der StA ist, sagen wir mal, alles andere als genial. Zudem hat sich der Gutachter - in Unkenntnis des deutschen Prozessrechts - der Besorgnis der Befangenheit ausgesetzt. Zudem wird  - zu Recht - allgemein gefordert, dass die StA endlich ihre Hausaufgaben macht. Die Anträge der "Verletzten" (so heißt die Prozesspartei nach den §§ 172 ff StPO nun mal) vor dem OLG, die mir vorschweben, zielen eben gerade darauf, dass das OLG die StA verpflichtet, endlich ihre Hausaufgaben zu machen. Das ist doch nicht so schwierig zu verstehen.     

Noch ein paar Sätze zum Stichwort "Hausaufgaben der StA": Lesen Sie im Netz bitte unbedingt die Tennessee Eisenberg-Entscheidung des BVerfG vom 26.6.2014 nach, dort insbesondere die Rn. 11 der Entscheidung. Lassen Sie sich die zentrale Begründung für den Rechtsanspruch, die in Rn. 11 der Entscheidung gegeben wird, auf der Zunge zergehen. Das ist die "Zeitenwende"! Seit dem 26.6.2014 kann eben die StA nicht mehr nach Gutdünken ermitteln oder nicht ermitteln, sondern seit dem 26.6.2014 gibt es den Rechtsanspruch des Verletzten, den es eben vorher nicht gab. D.h., der Verletzte hat eben justament seit dem 26.6.2014 ein subjektiv-öffentliches Recht, das er notfalls auch vor Gericht einklagen kann, dass die StA ihre Hausaufgaben macht!   

Sehr geehrter Herr Kollege Würdinger,

die Zeitenwende - das erscheint für die lediglich geleistete verfassungsrechtliche Verortung des einfachgesetzlichen Legalitätsprinzips vielleicht doch ein wenig hoch gegriffen.....

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Werter Herr Würdinger,

 

vielleicht ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen?

Die Sta hat mit Formulierung und Einreichen der Anklage Februar 2014 das Ermittlungsverfahren beendet.

Die Anklage liegt vor.

Was wollen Sie jetzt erreichen?

Das Gericht hat doch eindrucksvoll ausgeführt, dass die Tatvorwürfe gegen die Angeschuldigten einer juristischen Prüfung nicht standhalten.

Es liegt gegen keinen der Angeschludigten ein ausreichender Tatverdacht vor, von etwaigen Beweisen war gar nicht die Rede.

Das Gutachten ist als Beweismittel nicht verwendbar.

Bitte was sollte eine Staatsanwaltschaft jetzt nach fast 6 Jahren noch für neue Erkenntnisse ermitteln?

Es scheint doch so zu sein, dass die Richter in den Ermittlungsunterlagen keine Hinweise auf Strafvergehen der Angeschludigten gefunden haben.

Gegen Herrn Schaller und den OB von Duisburg ist nie ermittelt worden, damit greift für diesen Personenkreis die Verjährung.

Mir ist völlig unklar , was Ihre Ausführungen für Potentiale haben könnten.

Was einer möglichen Aufklärung dienlich sein könnte , wäre meines Erachtens eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt gegen die Staatsanwälte, die das Verfahren geführt haben.

 

 

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Triple X schrieb:

[...] Das Gericht hat doch eindrucksvoll ausgeführt, dass die Tatvorwürfe gegen die Angeschuldigten einer juristischen Prüfung nicht standhalten.

Mit allen Verlaub und Respekt gegenüber den Kollegen, aber wo hat das Gericht das denn getan? Eine überzeugende (oder zumindest "eindrucksvolle") Begründung habe ich an keiner öffentlich zugänglichen Stelle gefunden.

Ich will hier nicht nur schelten, aber weder das Argument

"nach der Anklage ist nicht auszuschließen, dass auch andere Ursachen (sprich: z.B. das Handeln der Polizeibeamten und weiterer Beteiligter) für das Unglück denkbar sind", noch jenes

"das Gutachten ist als Beweismittel untauglich, und die Befangenheit des Sachverständigen ist nicht auszuschließen"

schließen den Tatverdacht aus, und zwar aus rein prozessualen bzw. rechtlichen Gründen.

Nur um das klarzustellen: Ich will nicht trollen. Ich lasse mir vielmehr gerne erklären, weshalb die Begründung der Kammer doch überzeugt.

Aber ich halte es für verfehlt, das Gericht nur an der Menge seiner aufgewendeten Mühe zu messen. Um es plastisch zu machen: Wenn es juristisch falsch ist, hilft es auch nicht, die Nichteröffnung auf 460 Seiten zu begründen. Und wenn man meint, dass die Staatsanwaltschaft nicht alle Tatverdächtigen angeklagt hat, hilft einem das als erstinstanzliches Gericht auch nur dann weiter, wenn die "eigenen" Angeschuldigten als Tatverdächtige mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sind. Und dazu habe ich in dem gesamten Beschluss kein einziges Argument gelesen.

@Alexander Würdinger

 

Ich glaube nicht, daß es in einer Fachdiskussion guter Stil ist, auf (juristische) Wikipedia-Artikel zu verweisen. Davon abgesehen scheint es ohnehin so zu sein, daß die Wikipedia-Artikel, auf die Sie in Ihrem HRRS-Aufsatz so oft verweisen, unter Pseudonym von Ihnen geschrieben/grundlegend überarbeitet worden sind. Also, ich weiß nicht ...

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Also noch einmal ein paar Sätze, nach welchen Mechanismen sich die strafrechtliche Verjährung  gestaltet:

Die Verjährung beginnt am 24.7.2010, weil erst an diesem Tag sich die Folgen der vorangegangenen Pflichtverletzungen verwirklicht haben.

Je nach Straftat, insbesondere je nachdem, ob einem Beschuldigten ein bedingter Vorsatz nachzuweisen ist, richtet sich - zunächst - die Dauer der Verjährung. Wahrscheinlich, da hat der Herr Eßer Recht, wird die Dauer der Verjährung für alle Beschuldigten zunächst auf fünf Jahre hinauslaufen. 

Die StA kann allerdings durch alle möglichen Handlungen die Verjährung unterbrechen. Dann fängt die Fünf-Jahres-Frist wieder von vorne an.

Diese Fristverlängerungen funktionieren aber nur maximal bis zum Doppelten der ursprünglichen Verjährungsfrist, also fünf Jahre mal zwei macht zusammen zehn Jahre ab dem 24.7.2010.

Endgültiger Ablauf der strafrechtlichen Verjährungsfrist dürfte also der 24.7.2020 sein.

Deswegen lautet auch einer der Anträge zum OLG, die mir vorschweben, dass das OLG die StA dazu verpflichtet, zu retten, was in Hinblick auf die Verjährung noch zu retten ist.

 

Ich kann zur Abwechslung auch u.U. auf die aktuelle Auflage des Meyer-Goßner/Schmitt verweisen, die in diesen Tagen erscheint, ich habe allerdings die aktuelle Auflage noch nicht in meiner Kanzlei. Mal schauen, was der Meyer-Goßner/Schmitt zur Tennessee-Eisenberg-Entscheidung u.a. schreibt. Wie gesagt, das weiß ich auch noch nicht, weil ich die aktuelle Auflage noch nicht habe.

Und ja, das sehe ich auch so, wie von Triple X in dem Schlusssatz seines Kommentars schon angedeutet: Falls sich herausstellen sollte, dass die StA überhaupt nichts unternommen hat, um die Verjährung ggb. Sauerland und Schaller zu unterbrechen, und die Verjährung bzgl. Sauerland und Schaller deshalb bereits zum 24.7.2015 eingetreten ist, dann müsste man tatsächlich anfangen, über den § 258a StGB nachzudenken.

Vielleicht lesen Sie als aktiver Richter so einen Beschluss mit anderen Augen als die interessierte Öffentlichkeit.

Ich bin davon überzeugt, wenn ein Richter einer Gerichtsinstanz in Deutschland schreiben kann, dass es nach den Ermittlungsergebnissen der vorliegenden Unterlagen

weder Tatverdacht, noch etwaige Beweise gibt, dann ist das in meinen Augen eindrucksvoll.

Ich unterstelle dabei , dass ein solches Gericht juristisch einwandfrei arbeitet und nicht derartige Sachverhalte einfach so behauptet.

Da Sie selbst als Richter aktiv sind, werden Sie dem Gericht in Duisburg doch nicht eine Arbeitsweise unterstellen, die unserer Judikative unwürdig wäre.

Dann führten Sie ja ihre eigene Tätigkeit als Richter ad absurdum.

 

Da auch Sie weder die Ermittlungsunterlagen, noch die Anklage kennen werden, weiß ich nicht woher Sie die Behautung ableiten,  der Nichteröffnungsbeschluss wäre juristisch falsch.

 

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Triple X schrieb:

Da auch Sie weder die Ermittlungsunterlagen, noch die Anklage kennen werden, weiß ich nicht woher Sie die Behautung ableiten,  der Nichteröffnungsbeschluss wäre juristisch falsch.

Nun, der Beschluss ist schließlich öffentlich, siehe hier. Jeder mag sich seine eigene Meinung dazu bilden. Was Herr Prof. Dr. Müller und ich prozessual dazu meinen, haben wir weiter oben bereits dargelegt. Und auch materiell gibt es durchaus verschiedene Auffassungen.

Und zum Rest: Wieso können sich Richter nicht juristisch irren? Dann bräuchten wir doch keine mehreren Instanzen, oder? Das hat mit unwürdig oder absurd überhaupt nichts zu tun. Schließlich sind wir nicht in einer Naturwissenschaft, und selbst dort irren Menschen, ohne dass man es Ihnen als unwürdigen Fehler ankreiden könnte.

Das mache ich nur ganz selten in meinem Berufsleben, aber hier ist es angebracht: Ich schließe mich den Ausführungen des Herrn Eßer an.

An Herr Eßer,

 

vielleicht hilft das Lesen von dem  Abschnitt 1.  auf Seite 43 und Folgende.

 

Es gibt offensichtlich in unserem Land noch nichteinmal die von der Staatsanwaltschaft und dem Gutachter unterstellen Gesetze / Verordnungen und technische Regeln, gegen die Angeschuldigten verstoßen haben sollen.

 

Also ich finde das EINDRUCKSVOLL ;-)

 

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Triple X schrieb:
vielleicht hilft das Lesen von dem  Abschnitt 1.  auf Seite 43 und Folgende.

Genau den Abschnitt meine ich. Aus meiner Sicht macht die Kammer hier den entscheidenden Denkfehler.

Verkürzt zusammengefasst heisst das, was das Gericht sagt: "Es gibt keine Vorschriften, die zu besonderer (oder ganz konkret fassbarer) Sorgfalt verpflichtet hätten, keine Gesetze, Verordnungen, DIN-Normen oder was auch immer, deshalb kann das Ausmaß des Sorgfaltspflichtverstoßes nicht ermittelt werden, welches aber Voraussetzung für die Strafverfolgung ist".

Übersetzt und auf den Punkt gebracht heißt das aber: Wenn es keine konkrete Vorschrift gibt, die mir verbietet, eine Autobahn in einer Sackgasse im Tunnel enden zu lassen oder eine nur zur Hälfte gebaute Brücke freizugeben, dass handle ich nicht sorgfaltswidrig, wenn ich das trotzdem tue, obwohl abzusehen ist, dass dort Menschen zu Schaden kommen werden?

Ist es nicht vielmehr so, dass es Sorgfaltspflichten abseits von Gesetzen und Normen gibt, die ebenso beachtet werden müssen? Wenn es so offentsichtlich ist, dass an einer Planung etwas nicht stimmt, kann es dann ausreichen, dass ich sage: "Ja, aber dazu gibt es keine DIN-Norm."? Ist es nicht vielmehr so, dass ich eine Gefahr eröffne (Planung, Genehmigung und Veranstaltung der Love Parade) und dann allein deshalb schon verpflichtet bin, jegliche erkennbaren Gefährdungen abzuwenden?

Dazu finde ich im Beschluss der Kammer leider nichts. Aber vielleicht hat ja jemand anderes etwas dazu gelesen.

BB.Jan.Esser schrieb:

Aus meiner Sicht macht die Kammer hier den entscheidenden Denkfehler.

Verkürzt zusammengefasst heisst das, was das Gericht sagt: "Es gibt keine Vorschriften, die zu besonderer (oder ganz konkret fassbarer) Sorgfalt verpflichtet hätten, keine Gesetze, Verordnungen, DIN-Normen oder was auch immer, deshalb kann das Ausmaß des Sorgfaltspflichtverstoßes nicht ermittelt werden, welches aber Voraussetzung für die Strafverfolgung ist".

Übersetzt und auf den Punkt gebracht heißt das aber: Wenn es keine konkrete Vorschrift gibt, die mir verbietet, eine Autobahn in einer Sackgasse im Tunnel enden zu lassen oder eine nur zur Hälfte gebaute Brücke freizugeben, dass handle ich nicht sorgfaltswidrig, wenn ich das trotzdem tue, obwohl abzusehen ist, dass dort Menschen zu Schaden kommen werden?

Ist es nicht vielmehr so, dass es Sorgfaltspflichten abseits von Gesetzen und Normen gibt, die ebenso beachtet werden müssen? Wenn es so offentsichtlich ist, dass an einer Planung etwas nicht stimmt, kann es dann ausreichen, dass ich sage: "Ja, aber dazu gibt es keine DIN-Norm."? Ist es nicht vielmehr so, dass ich eine Gefahr eröffne (Planung, Genehmigung und Veranstaltung der Love Parade) und dann allein deshalb schon verpflichtet bin, jegliche erkennbaren Gefährdungen abzuwenden?

Dazu finde ich im Beschluss der Kammer leider nichts. Aber vielleicht hat ja jemand anderes etwas dazu gelesen.


Das ist völlig richtig. Ausserdem gab es mindestens eine Vorschrift, an die die Beteiligten gebunden waren:
Die "Verordnung über Bau und Betrieb von Sonderbauten (Sonderbauverordnung -SBau VO".
Die war Grundlage des Verwaltungshandelns aller beschuldigten MitarbeiterInnen im Baudezernat der Stadt Duisburg vom Dezernent, über Bauamtsleiterin, Abteilungsleiter und Sachbearbeiter.
Deren Kenntnis sollte man auch bei denjenigen voraussetzen, die im Auftrag der Lopavent GmbH für Veranstaltungsdesign und Veranstaltungssicherheit zuständig waren bzw am Veranstaltungstag Verantwortung trugen. Der eingezäunte ehemalige Güterbahnhof und das Straßenland ab der Einlasskontrolle an den Vereinzelungsanlagen entsprach der Definition des §1 Abs1 Ziffer 2 dieser Verordnung wonach deren Vorschriften u.a. gelten für:
"2. Versammlungsstätten im Freien mit Szenenflächen, deren Besucherbereich mehr als 1.000 Besucher fasst und ganz oder teilweise aus baulichen Anlagen besteht;"

Bei der Berechnung der Flächen und der geschätzten Besucherzahl ist von allen Beteiligten mehrfach auf die Bestimmung des § 1 wonach die Kapazität des Geländes auf "2 Besucher je m² Grundfläche des Versammlungsraumes" beschränkzt sei, Bezug genommen worden. Daher muss man davon ausgehen, dass auch die anderen Bestimmungen der SBauVO den Beteiligten des Veranstalters und der Bauverwaltung bekannt waren.

Mindestens gegen folgende Bestimmungen der SBauVo ist bei Planung und und Durchführung der Loveparade 2010 verstoßen worden:
verstoßen worden:

§ 7 Bemessung der Rettungswege
"Die Entfernung von jedem Besucherplatz bis zum nächsten Ausgang aus dem Versammlungsraum oder von der Tribüne darf nicht länger als 30 m sein."

§20 ... Alarmierungsanlagen...
"(2) Versammlungsstätten mit Versammlungsräumen von insgesamt mehr als 1 000 m² Grundfläche müssen Alarmierungs- und Lautsprecheranlagen haben, mit denen im Gefahrenfall Besucher, Mitwirkende und Betriebsangehörige alarmiert und Anweisungen erteilt werden können"

§40 Verantwortliche für Veranstaltungstechnik:

"(3) Bei Generalproben, Veranstaltungen, Sendungen oder Aufzeichnungen von Veranstaltungen auf Großbühnen oder Szenenflächen mit mehr als 200 m² Grundfläche oder in Mehrzweckhallen mit mehr als 5 000 Besucherplätzen müssen mindestens eine Verantwortliche oder ein Verantwortlicher für Veranstaltungstechnik der Fachrichtung Bühne/Studio oder der Fachrichtung Halle sowie eine Verantwortliche oder ein Verantwortlicher für Veranstaltungstechnik der Fachrichtung Beleuchtung anwesend sein.
4) 1 Bei Szenenflächen mit mehr als 50 m² und nicht mehr als 200 m² Grundfläche oder in Mehrzweckhallen mit nicht mehr als 5 000 Besucherplätzen müssen die Aufgaben nach den Absätzen 1 bis 3 zumindest von einer Fachkraft für Veranstaltungstechnik mit mindestens drei Jahren Berufserfahrung wahrgenommen werden. 2 Für Szenenflächen und Mehrzweckhallen nach Satz 1, deren bühnen- und beleuchtungstechnische Ausstattung von einfacher Art und geringem Umfang ist, genügt es, wenn während der Vorstellungen und des sonstigen technischen Betriebes eine erfahrene Bühnenhandwerkerin oder Beleuchterin oder ein erfahrener Bühnenhandwerker oder Beleuchter anwesend ist.

Zu den Strategien zwischen den Verantwortlichen des Veranstalters gehörte:
Die Filetierung des Veranstaltungsgeländes in zwei Teile. "Öffentliches Straßenland" und "in Privatbesitz befindlicher Güterbahnhof. 
So musste sich das Bauland nicht um Notausgänge im Zugangsbereich kümmern.
http://docunews.org/loveparade/analyse/tod-im-niemandsland/

Die ELA Anlage wurde vom Bauamt mehrfach gefordert, nie gebaut und daher auch nicht abgenommen:
http://docunews.org/loveparade/analyse/wo-waren-die-lautsprecher/

Die Kenntnis der Details der SBauVO kann man bei der Feuerwahr, nicht aber bei der Polizei voraussetzen.
An den Schnittstellen kommt sie und einzelne Polizisten in die Verantwortung.
Am Morgen der Loveparade kommen zwei Polizisten zu den Containern des Veranstalters. Sie sind für die Bedienung der Ela Anlage eingeteilt.
Die ist nicht da.
Stellen w9ir uns reine ähnliche Lücke oder auch nur einen Defekt in einem Bundesligastadion vor:
Keine Durchsagen des Stadionsprechersoder der Polizei möglich.
Ziemlich sicher fiele das geplante Bundesligaspiel aus.
Die Loveparade 2010 fand statt.

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Es ist ja richtig, was Sie an dem Beschluss des LG auszusetzen haben. Ich finde aber tatsächlich im Moment die Diskussion sehr viel interessanter, wie es jetzt mit dem Prozess für die Zukunft weitergehen soll. Wollen wir die Diskussion wieder mehr in die Richtung lenken, welche Verfahrensschritte jetzt als nächstes von den Prozessbeteiligten richtigerweise zu ergreifen sind?

Ich habe mir gerade die aktuelle Auflage des Standardkommentars zur StPO, den Meyer-Goßner/Schmitt, die 59. Auflage 2016, zugelegt.

 

Rn. 2 zu § 152 StPO weist (fettgedruckt) auf den verfassungsrechtlichen Anspruch auf wirksame Strafverfolgung hin. Als Belege werden angegeben die Gorch-Fock-Entscheidung sowie die Kundus-Entscheidung des BVerfG. Das sind zwei inhaltsgleiche Nachfolge-Entscheidungen zur Tennessee Eisenberg-Entscheidung. Sowie mein Aufsatz HRRS 2016, 29.

 

Rn. 1 zu § 172 StPO weist (fettgedruckt) auf das Ermittlungs-Erzwingungsverfahren hin. Es wird darauf hingewiesen, dass im Rahmen des Verfahrens nach den §§ 172 ff StPO auch möglich ist die Anweisung des OLG an die StA, Ermitlungen aufzunehmen oder durchzuführen.

 

Rn. 1 zu § 173 StPO schließlich weist darauf hin, dass der Aufsatz HRRS 2016, 29 für eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des Verwaltungsprozessrechts auf das Verfahren gem. §§ 172 ff StPO eintritt.       

Ich wiederhole noch einmal gerne Richter am Landgericht Jan Eßer:

"das ist ja eine schöne Idee, aber was hilft das bei verjährten Tatvorwürfen? Da können Sie auch bei besten Argumenten niemanden mehr zur Verfolgung zwingen. Den Kreis der Angeschuldigten werden Sie also so nicht mehr erweitern können."

Grüß Gott Herr Rohn,

auch diese Frage habe ich bereits beantwortet. Es macht in diesem Punkt durchaus Sinn, beim OLG den Antrag zu stellen, dass das OLG die StA verpflichtet, in Hinblick auf die Verjährung zu retten, was noch zu retten ist.

Hinzu kommt, dass nur auf dem Weg des Ermittlungs-Erzwingungsverfahrens durchgesetzt werden kann, dass die StA zur Einholung eines zweiten Gutachtens verpflichtet werden kann.   

Grüß Gott Herr Rechtsanwalt Würdinger,

dass das OLG D'dorf die Staatsanwaltschaft verpflichten kann - und sollte - ein Zweitgutachten einzuholen, ist diesseits unbestritten. Sicherlich ist es auch von Ihnen richtig erkannt, dass durch die jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts das OLG nach §§  172 ff. StPO ein Fürsorgepflicht hat gegenüber dem Antragsteller, auf Mängel im Vortrag hinzuweisen und nicht im Reflex die Sache in der Rundablage abzulegen. Sie bezeichnen es somit sehr richtig - als Zeitenwende, wobei die Stellung des Antragstellers im Klageerzwingungsverfahren signifikant gestärkt wird.

Schön das wir in einem Rechtsstaat leben und nicht im Imperium des Herr Würdinger.

ad. 1 die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen im Februar 2014 mit einer Anklage abgeschlossen.
ad.2 Das zuständige Landgericht hat das Zwischenverfahren im März 2016 mit dem vorliegenden Beschluss beendet.
     Aus der Anklage und den zugrundeliegenden Ermittlungsergebnissen ergeben sich weder Tatverdacht noch Tatbeweise
        schlüssig. so zumindest das Gericht.
ad.3 Die Staatsanwaltschaft hat ( was zu erwarten war) gegen diesen Beschluss beim zuständigen OLG Beschwerde eingereicht.
ad.4 Die Staatsanwaltschaft arbeite zur Zeit mit 3 Staatsanwälten aus Duisburg und einem Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft     Düsseldorf an der Begründung für diese Beschwerde.
ad.5 Das OLG wird sich erst mit dem Fall beschäftigen ,wenn alle Unterlagen vollständig vorliegen.
    Dann wird nach Aktenlage entschieden.

mögliches Ergebnis: a) Der Beschluss des Landgerichts wird bestätigt.
                    Dann kann gegen die Angeschuldigten nicht weiter ermittelt werden.
                    Das Urteil des LGs ist rechtskräftig.
                 b) Das OLG gibt das Verfahren an das Landgericht zurück mit der Beschlußfassung., dass der Prozess zu führen ist.

Realistischer Zeithorizont 1 bis 2 Jahre. Dann haben wir 2018!

Der anstehende Prozess mit dann 10 Angeklagten- und einer großen Zahl von Nebenklägern?

Bis zum 24.07.2020 sollte ein Urteil gefällt sein?
Wohl eher nicht.

Erst dann greift das Würdinger Imperium… nach diesem ganzen Prozedere.

§ 172 ist meines Erachtens eine Waffe gegen §170 im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft.
§170 ist aber bisher in diesem Verfahren nicht zur Anwendung gekommen.

Gegen alle anderen Beteiligten am Geschehen vom 24.07.2010 sind die Strafvorwürfe verjährt.

Und für die derzeit Angeschuldigten gilt in beiden Fällen

ne bis in idem

Ausserdem sind alle Angeschuldigten nach dem vorliegenden Gerichtsbeschluss als unschuldig anzusehen.
Weil in unserem System die Unschuldsvermutung vor allem steht.
Guten Morgen Herr Richter aus Neuruppin.

4

Triple X schrieb:

Guten Morgen Herr Richter aus Neuruppin.

Ist das eine Anspielung, die man kennen muss? Ich weiss nicht, was gemeint ist.

3

Triple X schrieb:

[...] ad.5 Das OLG wird sich erst mit dem Fall beschäftigen ,wenn alle Unterlagen vollständig vorliegen. Dann wird nach Aktenlage entschieden.
mögliches Ergebnis:

a) Der Beschluss des Landgerichts wird bestätigt.
Dann kann gegen die Angeschuldigten nicht weiter ermittelt werden.
Das Urteil des LGs ist rechtskräftig.
b) Das OLG gibt das Verfahren an das Landgericht zurück mit der Beschlußfassung., dass der Prozess zu führen ist.

Sie haben fast alles richtig beschrieben, nur eine kleine (aber vielleicht nicht ganz unwichtige) Abweichung: Wenn das OLG die sofortige Beschwerde verwirft, ist das Verfahren damit nicht beendet. Es liegt ja gerade kein Urteil des LG Duisburg vor, sondern ein Beschluss, das Verfahren nicht zu eröffnen (in der StPO macht das einen Unterschied). Die Staatsanwaltschaft kann dann - wie weiter oben bereits von Herrn Prof. Müller beschrieben - eine neue Anklage erheben. Das geht gemäß § 211 StPO "auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel". Ein neues Sachverständigengutachten wäre nach der bisherigen Wertung des LG Duisburg z.B. ein solcher neuer Beweis.

Sie haben aber völlig recht, dass die sich daraus ergebende Verzögerung nur noch schwer vermittelbar ist. Für die Opfer und deren Angehörige dürfte die Lage ohnehin schon extrem frustrierend sein.

Triple X schrieb:

Guten Morgen Herr Richter aus Neuruppin.

Nun wissen Sie, wer ich bin, und dass ich keine Sockenpuppe oder gar eine Katze mit einer Begabung fürs 10-Finger-Schreiben bin.

Dürfen wir denn auch erfahren, wer Sie sind?

Viele Grüße!

BB.Jan.Esser schrieb:

Die Staatsanwaltschaft kann dann - wie weiter oben bereits von Herrn Prof. Müller beschrieben - eine neue Anklage erheben. Das geht gemäß § 211 StPO "auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel".

Ganz genau gesagt müsste es doch keine neue Anklage sein, sondern die ursprüngliche Anklage wird "wieder aufgenommen", wie es in § 211 StPO heisst.

Genauso wird doch meine ich bei Verstoß gegen Auflagen und Weisungen bei vorläufiger Einstellung (§ 153a StPO) nicht neue Anklage erhoben, sondern ebenfalls die bereits vorhandene Anklage weitergeführt.

 

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... freut mich, dass Sie sich meiner Rechtsmeinung anschließen. Und ein herzliches Grüß Gott zurück ins Ruhrgebiet.

Grüß Gott Herr Triple X,

ich werde Ihnen dieselbe Sache nicht noch einmal von vorne erklären. Lesen Sie am besten die Kommentare ab Nr. 54 noch einmal nach und beantworten Sie sich Ihre Fragen selber.

Das kann ich Ihnen erklären: Gemeint ist der Herr RiLG Eßer, der sich an der Diskussion beteiligt und der ganz und gar nicht die Meinung von Herrn Triple X teilt.

Der Herr Triple X hat bei dem, was er schreibt, natürlich in einer Sache Recht: Die StA hat ganz außerordentlich viel Zeit nutzlos vertrödelt. Insbesondere hätte die StA schon vor Jahren machen sollen, was jetzt offenbar auch das LG förmlich von ihr fordert, nämlich ein zweites Gutachten einholen. Umso mehr macht es Sinn, massiven juristischen Druck auf die StA mittels des von mir vorgeschlagenen Verfahrens auszuüben.    

Meyer-Goßner/Schmitt, Kommentar zur StPO,  59. Auflage 2016, Rn. 1 zu § 173 StPO weist auf den in der Literartur unterbreiteten Vorschlag hin, wonach auf das Verfahren nach den §§ 172 ff StPO Verwaltungsprozessrecht entsprechende Anwendung findet.

Die gesetzliche Überschrift des § 173 StPO lautet "Verfahren des Gerichts nach Antragstellung". Der § 173 StPO handelt also von der prozessualen Ausgestaltung des Verfahrens nach den §§ 172 ff StPO. Für das "Verfahren des Gerichts" ist hierbei von wesentlicher Bedeutung, welchen Pflichten das Gericht gegenüber den Prozessbeteiligten unterliegt. Vor allem ist es die Pflicht des Gerichts, den Prozessbeteiligten rechtliches Gehör zu gewähren. Das gebietet Art. 103 I GG. Konkretisiert wird die Pflicht des Gerichts aus Art. 103 I GG durch die verwaltungsprozessuale Vorschrift des § 86 III VwGO. § 86 III VwGO normiert - in Konkretisierung des Art. 103 I GG - die Hinweis- und Aufklärungspflicht des Gerichts gegenüber den Prozessbeteiligten.    

Die entsprechende Anwendung von Verwaltungsprozessrecht auf das Verfahren nach den §§ 172 ff StPO bedeutet also nichts Geringeres, als dass das Verfahren nach den §§ 172 ff StPO nunmehr rechtsstaatlichen Mindestanforderungen -  insbesondere dem Anspruch des Verletzten auf ein faires Verfahren i.S.d. Art. 6 I 1 1EMRK - genügt

 

 

Sehr geehrte Kommentatoren,

mit Interesse verfolge ich die Debatte, die Herr Würdinger angestoßen hat mit seinem Plädoyer dafür, das Klageerzwingungsverfahren für die Loveparade-Angehörigen fruchtbar zu machen.

Es ist m.E. zu differenzieren zwischen drei Gruppen (potentieller) von Tatverdächtigen/Beschuldigten:

1. Ein Verfahren nach §§ 172 ff. StPO kann dem Wortlaut nach als Rechtsmittel gegen eine Einstellung des Verfahrens insb. nach § 170 Abs.2 StPO angestrengt werden. Dies bezieht sich auf die Beschuldigten, gegen die ermittelt wurde, deren Verfahren aber zum Zeitpunkt der Anklageerhebung eingestellt wurde. Jedenfalls auf den ersten Blick ist hier die Beschwerdefrist des § 172 Abs.2 StPO (ein Monat) abgelaufen, allerdings nur dann, wenn eine entspr. Belehrung erfolgt ist, worüber ich nichts weiß. Zudem könnte Verjährung eingetreten sein.

2. Die BVerfG-Rechtsprechung hat eine gewisse Erweiterung dahingehend gebracht, als das Klageerzwingungsverfahren als "Ermittlungserzwingungsverfahren" betrieben werden kann, um die Staatsanwaltschaft überhaupt zu Ermittlungen anzuhalten; insofern ist Herrn Würdinger im Grundsatz zuzustimmen. Es würde im vorl. Fall für diejenigen potentiellen Beschuldigten gelten, gegen die noch gar nicht ermittelt wurde, z. B. den OB oder den Chef der Veranstalterfirma Lopavent. Allerdings bezieht sich die Rspr. des BVerfG ausdrücklich auf Amtsträger, so dass zwar der OB (und evtl weitere Mitarbeiter der Duisburger Verwaltung), nicht aber Herr Schaller betroffen wäre. Ob ein Antrag, gegen den OB zu ermitteln, jetzt noch  Früchte trägt, ist allerdings zu bezweifeln. Nach allem, was ich derzeit weiß, ist eine Verjährung bei Personen, gegen die bislang nicht ermittelt wurde, nur dann noch nicht eingetreten, wenn ihnen vorsätzliches Verhalten vorgeworfen werden kann. Ich bin sehr skeptisch, da ich keinen Vorsatz hins. der Tötung von Loveparade-Besuchern erkennen kann.

3. Hinsichtlich der Angeschuldigten, bei denen das LG Duisburg eine Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat, ist m. E. weder § 172 StPO direkt noch in seiner Erweiterung durch die BVerfG-Rspr. einschlägig. Der Prozess ist hier schon fortgeschritten und e steht als Rechtsmittel die sofortige Beschwerde gem. § 210 Abs.2 StPO  zur Verfügung. Wenn überhaupt, könnte man darüber nachdenken, in Fortschreibung des Gedankens, der der BVerfG-Rechtsprechung zugrundeliegt, den Verletzten analog § 210 Abs.2 StPO ein eigenes Beschwerderecht einzuräumen. Aber das käme wohl nur in Betracht, wenn die Staatsanwaltschaft keine Beschwerde einlegt, also das Verfahren (aus Sicht der Verletzten) unzureichend betreibt. Im vorl. Fall hat die Staatsanwaltschaft aber Beschwerde eingelegt, so dass die Sache nunmehr beim OLG anhängig ist.

Man könnte hinsichtlich der Angeschuldigten lediglich argumentieren, dass ein Ermittlungserzwingungsverfahren  analog § 172 StPO auch bei "nicht ausreichenden" Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zulässig sein müsste und auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft bereits Anklage erhoben hat. Dafür müsste die BVerfG-Rechtsprechung aber nochmals erweitert ausgelegt werden, obwohl lt. Leitsatz etwa der Tennessee-Eisenberg-Entscheidung der Anspruch auf Strafverfolgung nur "ausnahmsweise" gelten soll.

Soweit meine Überlegungen dazu.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Grüß Gott Herr Prof. Müller,

vielen Dank für Ihren ausführlichen Text. Es sind allerdings einige Präzisierungen bzgl. folgender beider Punkte notwendig.

 

1. Präzisierung bzgl. des Punkts "Fallgruppen, in denen die Rspr. des BVerfG ein subjektiv-öffentliches Recht des Verletzten auf effektive Strafverfolgung anerkannt hat"

 

Diesen Rechtsanspruch gibt es nicht nur bei Straftaten, in die Amtsträger involviert sind, sondern jedenfalls auch - wie hier - bei Todesfällen, deren Aufklärung zusätzlich auch noch im öffentlichen Interesse liegen. Deswegen betrifft der Rechtsanspruch nicht nur den seinerzeitigen OB, sondern auch Herrn Schaller als Beschuldigte.  

 

Schauen Sie sich die vier bisher dazu ergangenen Entscheidungen des BVerfG an:

a) Ein Toter durch Schüsse von Polizisten im Fall Tennessee Eisenberg

b) Eine Tote durch Unterlassen des Schiffsarztes im Fall Gorch Fock

c) Verletzte Fußball-Zuschauer durch einen Polizeieinsatz beim Münchner Lokalderby und schließlich

d) Tote durch den Luftangriff bei Kundus.

   

2. Präzisierung bzgl. des Punkts "Reichweite des Ermittlungs-Erzwingungsverfahrens"

 

Ich hangele mich an der Kommentierung im Meyer-Goßner/Schmitt zu den §§ 172 ff StPO entlang. Es ging 1981 los mit der Entscheidung des OLG Zweibrücken GA 1981, 94 (vgl. Rn. 8 zu § 172 StPO). Besonders ausführlich war die Entscheidung des OLG München NJW 2007, 3734 (vgl. Rn. 1 zu § 172 StPO und Rn. 2 zu § 175 StPO). Zum Ermittlungs-Erzwingungsverfahren ist auch interessant der Aufsatz von Herrn Kollegen Mirko Laudon auf seiner Homepage. Das alles läuft darauf hinaus, dass ein auf Ermittlung der StA gerichteter Antrag zum OLG bereits dann zielführend ist, wenn die StA noch nicht vollständig ermittelt hat. Diesen Fall haben wir hier. Den Ermittlungen der StA fehlt in jedem Fall noch das zweite Gutachten. Solange die StA noch nicht das zweite Gutachten eingeholt hat, hat sie jedenfalls nicht vollständig ermittelt. Der Antrag zum OLG ist deshalb hier in jedem Fall zielführend.     

 

 

 

 

 

 

 

Sehr geehrter Herr Würdinger,

 

die Staatsanwaltschaft hat im Zuge ihrer Ermittlungen sehr wohl zwei Gutachten eingeholt.

Das erste Gutachten ist von Oktober 2010 und Dr. Still hat  als Zweitgutachter im März 2013 abgegeben.

Ihr Ansatz würde dann auf eine Forderung nach einem Drittgutachten hinauslaufen.

 

@Herrn Eßer,

 

klar dürfen Sie es erfahren, viel Spaß bei der Recherche.

Zu §211: Sicher kann die Staatsanwaltschaft erneut anklagen. Aber bitte, was sollte es denn nach dieser Ermittlungsdauer von 3,5 Jahren noch für

NEUE Erkenntnisse und Beweise geben, die eine erneute Anklage erlauben würden?

Selbst wenn das OLG den Beschluss verwirft und die Prozesseröffnung anordnet, wer bitte schön sollte dann ein neues Gutachten erstellen?

Und was geschieht, wenn ein neuer Gutachter  postuliert, dass die Polizeiketten ursächlich für die Todesfälle waren, die Planung bei Einhaltung  der Sicherheitsabsprachen aber nicht risikobehaftet war?

 

 

 

 

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Wenn ich flapsig "zweites Gutachten" schreibe, ist natürlich "zweiter Gutachter" gemeint. Der zweite Gutachter sollte sich unbedingt im Kommunalrecht des Bundeslandes NRW auskennen. Das trifft auf den Erstgutachter schon mal in keiner Weise zu. Es war deshalb kein Wunder, dass der Erstgutachter an der eigentlichen Problemstellung vorbeigeschrieben hat.  

Grüß Gott Herr Evers,

dann präzisiere ich: Der Zweitgutachter muss sich z.B. auch mit den Vorschriften der SBauVO auskennen, nicht nur mit dem Kommunalrecht.

Guter Beitrag.

Gestatten Sie die (Verständnis-)Nachfrage?

 

§ 7 Bemessung der Rettungswege
"Die Entfernung von jedem Besucherplatz bis zum nächsten Ausgang aus dem Versammlungsraum oder von der Tribüne darf nicht länger als 30 m sein."

Würde man eine solche Vorschrift einhalten, dürfte der Versammlungsraum in keinem Fall 60m in der Breite überschreiten?

Verstehe ich das richtig?

 

 

astroloop schrieb:

Gestatten Sie die (Verständnis-)Nachfrage?

§ 7 Bemessung der Rettungswege
"Die Entfernung von jedem Besucherplatz bis zum nächsten Ausgang aus dem Versammlungsraum oder von der Tribüne darf nicht länger als 30 m sein."

Würde man eine solche Vorschrift einhalten, dürfte der Versammlungsraum in keinem Fall 60m in der Breite überschreiten?

Verstehe ich das richtig?

Bin da kein Experte. werde aber unseren "Meister für Veranstaltungstechnik" bitten sich in die Diskussion einzuklinken.
Deshalb verzichte ich auf einen laienhafte Erklärung und alarmiere den Experten.

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Sehr geehrter herr Würdinger,

Sie schreiben:

Diesen Rechtsanspruch gibt es nicht nur bei Straftaten, in die Amtsträger involviert sind, sondern jedenfalls auch - wie hier - bei Todesfällen, deren Aufklärung zusätzlich auch noch im öffentlichen Interesse liegen. Deswegen betrifft der Rechtsanspruch nicht nur den seinerzeitigen OB, sondern auch Herrn Schaller als Beschuldigte. 

Ja, es ist theoretisch möglich, dass das BVerfG auch insoweit einen Ermittlungsanspruch bejahen würde. In den vier Fällen, die Sie zitieren und auch in Ihrem Aufsatz ist allerdings eine gemeinsame Basis (und daher auch von Ihnen als Voraussetzung genannt), dass es sich um Amtsträger handelt, gegen die sich der Verdacht richtet. Vom BVerfG wird auch in allen Entscheidungen betont, dass es um einen Anspruch geht, der "ausnahmsweise" gelten soll. Das Ermittlungserzwingungsverfahren ist also keineswegs standardmäßig  und auch hier sehe ich größere formelle und materielle Schwierigkeiten, damit durchzukommen, so sympathisch mir der Ansatz grundsätzlich auch  ist.

Das alles läuft darauf hinaus, dass ein auf Ermittlung der StA gerichteter Antrag zum OLG bereits dann zielführend ist, wenn die StA noch nicht vollständig ermittelt hat. Diesen Fall haben wir hier. Den Ermittlungen der StA fehlt in jedem Fall noch das zweite Gutachten. Solange die StA noch nicht das zweite Gutachten eingeholt hat, hat sie jedenfalls nicht vollständig ermittelt. Der Antrag zum OLG ist deshalb hier in jedem Fall zielführend.    

In keinem der von Ihnen zitierten Fälle des BVerfG war Anklage erhoben worden - schon gar nicht nach über drei Jahren tatsächlich intensiven Ermittlungen. Auch formell sind wir an einem anderen Punkt des Strafverfahrens. Ich kann mir gut vorstellen, dass der "ausnahmsweise" gewährte individuelle Ermittlungsanspruch an folgenden Punkten scheitert: a) Es wurde ermittelt, b) Es wurde Anklage erhoben c) Gegen die Nichteröffnung wurde Beschwerde eingelegt. Das OLG ist ohnehin am Zug. Allerdings können die Aspekte, die Sie darlegen (mangelnde Qualität der Ermittlungen bzw. des Ermittlungsansatzes) durchaus in einem Schriftsatz der Nebenklage im Rahmen des jetzt stattfindenden Beschwerdeverfahrens benannt werden und auf diese Weise Eingang in die OLG-Entscheidung finden.

Den Ermittlungen der StA fehlt in jedem Fall noch das zweite Gutachten. Solange die StA noch nicht das zweite Gutachten eingeholt hat, hat sie jedenfalls nicht vollständig ermittelt. Der Antrag zum OLG ist deshalb hier in jedem Fall zielführend. 

Ich bin gar nicht sicher, ob es an einem zweiten Gutachten oder an einem zweiten Gutachter fehlt. Nach der Argumentation der Staatsanwaltschaft (allein Planungsfehler sind verantwortlich für die Todesfälle) genügt ja das Gutachten. Gutachter sollen nur die mangelnde Sachkunde des Gerichts ersetzen; der hinreichende Tatverdacht kann aber auch aus den sonst vorgelegten Fakten gewonnen werden. Das Problem besteht hier eher darin, dass von der StA  der Zusammenhang zwischen den Planungsfehlern und dem Geschehen am 24.07.2010 nicht schlüssig dargestellt wurde. Hier rächt sich, worauf ich an verschiedenen Stellen schon hinwies: Wer der Meinung ist, man könne das Verhalten der Polizei am Tag der Loveparade aus der Ursachenkette ganz herauslassen, der setzt auf einen letztlich nicht beweisbaren Kausalzusammenhang. Jedoch: Ich denke, dass in den mit der Anklage vorgelegten Beweismitteln auch das Verhalten  der Polizei mit beurteilt werden kann und inwieweit es eben auch auf den Planungsfehlern beruhte. 

Der zweite Gutachter sollte sich unbedingt im Kommunalrecht des Bundeslandes NRW auskennen. Das trifft auf den Erstgutachter schon mal in keiner Weise zu. Es war deshalb kein Wunder, dass der Erstgutachter an der eigentlichen Problemstellung vorbeigeschrieben hat. 

Auch wenn es sinnvoll sein mag, dass ein Sachverständiger neben seiner eigenen Expertise auch noch Jurist ist, darf das deutsche Recht nach h.M. gar nicht Gegenstand eines Gutachtens sein - denn diesbezüglich wird die Rechtskunde der StA und des Gerichts vorausgesetzt.  Herr Still wurde für eine bestimmte Expertise angefordert und insofern hat er auch seine Aufgabe erfüllt. Ob die von ihm aufgestellten max. Zahlenwerte für den sicheren Fußgängerstrom zugleich Sorgfaltspflichten der Planer darstellten, muss das Gericht selbst prüfen und beantworten. Wer auf der Autobahn bei 200 km/h einen Unfall verursacht, kann auch bei fehlendem angeordneten Tempolimit gegen eine Sorgfaltspflicht verstoßen haben, indem er zu schnell fuhr. Wenn ein Sachverständiger zu dem Schluss kommt, an dieser Stelle habe man (aufgrund Sicht-, Verkehrs- und Streckenverhältnissen) maximal 150 km/h fahren dürfen, um noch "sicher" zu sein, dann wäre es einfach abwegig, wenn das Gericht den Sachverständigen rügt, er habe aber keine Norm genannt, nach der dort 150 km/h das Limit sei. Die Sorgfaltsorm ist bei sehr vielen Fahrlässigkeitsdelikten vom Gericht erst zu konkretisieren ggf. unter Mithilfe von Sachverstand. Darin liegt ein gravierender Fehler des LG Duisburg, das meint, die Anklageerhebung müsse ihm die ganze Arbeit abnehmen. Die Anklage ist noch nicht das Urteil, es genügt ein hinr. Tatverdacht.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

 

Henning Ernst Müller schrieb:

[...] Wer auf der Autobahn bei 200 km/h einen Unfall verursacht, kann auch bei fehlendem angeordneten Tempolimit gegen eine Sorgfaltspflicht verstoßen haben, indem er zu schnell fuhr. Wenn ein Sachverständiger zu dem Schluss kommt, an dieser Stelle habe man (aufgrund Sicht-, Verkehrs- und Streckenverhältnissen) maximal 150 km/h fahren dürfen, um noch "sicher" zu sein, dann wäre es einfach abwegig, wenn das Gericht den Sachverständigen rügt, er habe aber keine Norm genannt, nach der dort 150 km/h das Limit sei. Die Sorgfaltsorm ist bei sehr vielen Fahrlässigkeitsdelikten vom Gericht erst zu konkretisieren ggf. unter Mithilfe von Sachverstand. Darin liegt ein gravierender Fehler des LG Duisburg, das meint, die Anklageerhebung müsse ihm die ganze Arbeit abnehmen. Die Anklage ist noch nicht das Urteil, es genügt ein hinr. Tatverdacht.

Sehr geehrter Her Prof. Müller,

besser hätte ich es nicht formulieren können. Danke!

Und: Die Kammer hebt immer wieder auf ein "konkretes Maß der Sorgfaltspflicht" ab, bei dessen Nichtbeachtung die Strafbarkeit erst anfangen soll (vgl. nur Blatt 144 des Beschlusses), welches aber angeblich nicht genug ermittelt sei. 

Ein solches kennt das StGB in §§ 230, 222 StGB aber nicht. Stattdessen ist das nötige Maß der Sorgfaltsplicht abstrakt damit bestimmt, dass ich als Gefahrenverantwortlicher alle bei pflichtgemäßer Prüfung erkennbaren (und vielleicht sogar erahnbaren) Gefahren abwenden und verhindern muss. Wie diese Prüfung aussehen muss und was ich dabei zu beachten habe, ist m.E. so sehr Gemisch aus Rechts- und Sachfragen, dass eine Anklage daran eigentlich schon denklogisch nicht scheitern kann, denn das muss das Gericht selbst bestimmen, zur Not mit sachverständiger Hilfe. Aber das schrieben Sie ja oben bereits...

@Max Mustermann: Nein.

Das wäre nur dann richtig, wenn Sie zugrundelegen:  60 m breit und nur links und rechts Ausgänge.

Wenn der Raum z.b. 80 m breit ist, aber links, rechts und hinten in der Mitte ein Ausgang ist, haben die Besucher, die auf von links nachr rechts gemessen  0-30 m und  50-80 m stehen, die Ausgänge links und rechts in maximal 30 m Entfernung,  diejenigen auf  >30 <50  sind zwar mehr als 30 m von Ausgang links und rechts entfernt,  haben aber immer noch den Ausgang in der Mitte in <30m.

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@gaestchen

Ich hoffe, dass wird nicht zu Off-Topic, aber ich kann ihre Erklärung nicht nachvollziehen.

Wenn die Breite 80m ist, ist die Länge konsequenterweise >80m:

Wie jemand, der im Schnittpunkt der Längsachsen steht, dann einen Ausgang von <30m haben soll, erschließt sich mir nicht.

Eine solche Regelung würde m.E. eine Großveranstaltung wie die Love Parade unmöglich machen, ausser man griffe auf den - von Lothar Evers monierten- Kunstgriff zurück, dass man die Flächen filitiert.

astroloop schrieb:

Eine solche Regelung würde m.E. eine Großveranstaltung wie die Love Parade unmöglich machen, ausser man griffe auf den - von Lothar Evers monierten- Kunstgriff zurück, dass man die Flächen filitiert.


Die meisten Großveranstaltungen so auch die Loveparade in Duisburg finden ja im freien Straßenland statt und sind nicht eingezäunt. Oder man nimmt Stadien oder wie im Fall von "Rock am Ring" eine Rennstrecke, die öfter grössere Menschnmengen sieht.
Das man einen brachliegenden Bahnhof mehr als notdürftig aufbereitet, einzäunt und auf schmalsten Pfaden erreichbar macht ist mehr als ungewöhnlich. 
Das ist die Grundlage des strafrechtlichen Vorwurfs:
diese Veranstaltung war nicht genehmigungsfähig.

Die Vorschriften haben ja einen wichtigen Grund:
Man muss im Katastrophenfalll schnell herauskönnen. Retter müssen einen schnell ewrreichen und notfalls mit Tragen retten können. 
Als Gefahren reichen: Unwetter, Gewitter, Stromausfälle. Da haben wir von möglichen Terroranschlägen auf die Spaßgesellschaft noch gar nicht gesprochen.
Wegen dieser Gefahren schreibt die Verordnung ja gerade die Beteiligung erfahrener Berufsgruppen, die sich mit solchen Gefahren auskennen, bei Vorbereitung und am Veranstaltungstag vor.

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Grüß Gott Herr Prof. Müller,

 

es handelt sich um zwei verschiedene Problemkreise:

 

I.

 

Für die Frage, ob "ausnahmsweise" ein echter Rechtsanspruch vorliegt oder nur ein sog. "Reflexrecht", von dem die Eltern der Getöteten sich nichts kaufen können, ist natürlich die Rspr. des BVerfG maßgeblich und nicht mein Aufsatz. In meinem Aufsatz hatte ich mich lediglich auf die Amtsträger als dem praktisch wichtigsten Anwendungsfall konzentriert. Das ändert aber nichts daran, dass die juristische Aufarbeitung der Loveparade - nach der RSpr. des BVerfG! - völlig unproblematisch unter den echten Rechtsanspruch der Eltern der Getöteten auf effektive Strafverfolgung zu subsummieren ist. Bei diesem Problemkreis sehe ich also, ehrlich gesagt, im Ergebnis überhaupt keine Probleme.    

 

II.

 

Auch bei dem zweiten Problemkreis, was man alles mit dem EEV (Sie wissen schon, was gemeint ist) anstellen kann, sehe ich im Ergebnis nicht wirklich Probleme. Man muss bedenken: Das EEV ist inzwischen ein "etabliertes" Verfahren. Das EEV gibt es seit 1981. Seit 1981 haben sich im Lauf der Jahrzehnte so ziemlich alle OLGe aus der gesamten Bundesrepublik dieser Rspr. - ursprünglich des OLG Zweibrücken -  angeschlossen. Das EEV ist auch im Meyer-Goßner/Schmitt bei den §§ 172 ff StPO "passim" kommentiert. In anderen StPO-Kommentaren habe ich nicht nachgeschaut. Aber das wird im, sagen wir, Löwe-Rosenberg auch nicht anders sein.        

 

III.

 

Und das Dritte ist auch kein echter Problemkreis: In der SBauVO, die dankenswerterweise der Herr Evers angesprochen hat, geht es um Rettungswege, Alarmierungsanlagen und Veranstaltungstechnik. Das sind alles technische Fragen. Für technische Fragen brauchen Juristen immer einen technischen Sachverständigen. Also auch unproblematisch, dass man da einen geeigneten Zweit-Gutachter braucht.    

 

Viele Grüße aus München

 

 

 

Hallo Max und gaestchen,

 

um die Verwirrung zu klären.

"filetierung" von Flächen ist kein fachlich begründetes Vorgehen , sondern irgendein Erklärungsversuch von Laien.

Hier der entsprechende Passus aus der SbVo NRW.

Quote:
T

§7
Bemessung der Rettungswege von Versammlungsstaetten

(1) 1Die Entfernung von jedem Besucherplatz bis zum nächsten Ausgang aus dem Versammlungsraum oder von der Tribüne darf nicht länger als 30 m sein. 2Bei mehr als 5 m lichter Höhe ist je 2,5 m zusätzlicher lichter Höhe über der zu entrauchenden Ebene für diesen Be- reich eine Verlängerung der Entfernung um 5 m zulässig. 3Die Entfernung von 60 m bis zum nächsten Ausgang darf nicht überschritten werden.

 

60m ist die maximal erlaubte Entfernung. Insbesondere wenn es sich, wie bei der Loveparade um eine openair Veranstaltung handelt.

Abweichungen von dieser Verordnung sind  nach Gefährdungsanalyse in Absprache mit dem vorbeugenden Brandschutz (z.B. der örtlichen Feuerwehr) immer möglich.

Sonst könnte z.b. Wacken nicht stattfinden, Rock am Ring würde es nicht geben.

Die Entfernung zu den Notausgängen ist in der Verordnung für Innenräume definiert.

Bei den entsprechenden Freiluftveranstaltungen geht man von einer anderen Gefährdungslage aus.

 

Grüße

 

5

Grüß Gott Herr Evers,

da haben Sie völlig Recht. Das genau sollte Gegenstand eines weiteren Gutachtens von einem weiteren Gutachter sein. Und diesen zweiten Gutachter kriegt man her - wie vielfach beschrieben -  mittels einem EEV

Wenn der Rettungsweg maximal 30 m weit entfernt sein darf, darf der entsprechende Versammlungsraum nicht 60 m breit sein, sondern sogar nur schmaler. Bei der Bauplanung zieht man mit dem Zirkel (oder dem digitalen Werkzeug) Radien von 30 Metern um jeden Notausgang. Es darf keine Fläche im Versammlungsraum übrig bleiben, die nicht mindestens innerhalb eines dieser Kreise um die Rettungswege liegt. Falls irgendeine beliebig kleine Fläche nicht erfasst ist, müssen zusätzliche Notausgänge eingeplant werden oder die Lage passend verändert werden.

Wenn der Versammlungsraum hoch ist, darf der Rettungsweg auch weiter als 30 m entfernt sein. https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_text_anzeigen?v_id=4620100107092033646#d...

SBauVO § 7 (1) lautet vollständig (wie oben schon richtig zitiert): Die Entfernung von jedem Besucherplatz bis zum nächsten Ausgang aus dem Versammlungsraum oder von der Tribüne darf nicht länger als 30 m sein. Bei mehr als 5 m lichter Höhe ist je 2,5 m zusätzlicher lichter Höhe über der zu entrauchenden Ebene für diesen Bereich eine Verlängerung der Entfernung um 5 m zulässig. Die Entfernung von 60 m bis zum nächsten Ausgang darf nicht überschritten werden.

D.h. bei einem Versammlungsraum ohne Dach wird (siehe oben) ein Radius von maximal 60 m um jeden Notausgang gezeichnet. Das reicht wirklich für alles. Größere Versammlungsstätten bestehen aus mehreren Blöcken/ Versammlungsräumen, die unabhängige Rettungswege erhalten.

Man erkennt auch leicht den Grund für diese neue Erleichterung gegenüber der älteren Versammlungsstättenverordnung. Wenn der Versammlungsraum höher ist, dauert es länger, bis am Boden stehende Personen durch einen zuerst aufsteigenden Brandrauch gefährdet sind. Die Personen haben mehr Zeit und können deswegen mehr Strecke zurück legen. 

Es ist ein Irrglaube, man könne legal Ausnahmen von derart wesentlichen baurechtlichen Vorschriften erlangen. Das Verletzen dieser Vorschriften (egal ob mit ohne ohne amtlichem "Segen") gefährdet sofort Leben und Gesundheit der Besucher und Mitwirkenden. In vielen Berufsjahren habe ich leider immer wieder erlebt, dass Bauämter und Berufsfeuerwehr meinten, Versammlungstättenverordnung oder Sonderbauverordnung außer Kraft setzen zu können. Das ist genauso, als ob die Polizei Bankraub, Mord oder Totschlag "genehmige". Nur bei Vorschriften zu Rettungswegen, die zum Überleben der Menschen notwendig sind, finden sich immer wieder Wahnsinnige, die nicht verstehen, was sie gerade "genehmigen". Bei der Statik, also der Standfestigkeit von Bauten, kommt auch sehr selten jemand auf derart lebensgefährliche "Ideen".

Bei amtsinternem rechtswidrigem Einverständnis zwischen Berufsfeuerwehr und Bauamt, viel zu wenig Rettungswege vorzusehen, half mir in einem Fall nur noch das Einschalten der Berufsgenossenschaft. Die Rettungswege sind auch in den Unfallverhütungsvorschriften verankert. Da durch fehlende oder nicht gesetzeskonforme Rettungswege die Beschäftigten gleichermaßen gefährdet sind, kann die Berufsgenossenschaft den Betrieb einstellen lassen. Die Berufsgenossenschaft lässt bei Unfallverhütungsvorschriften nicht mit sich handeln. Die Drohung wirkte, die Versammlungsstätte bekam die notwendigen Rettungswege. Der Architekt hatte Rettungswege vorher offensichtlich nur als lästiges Übel betrachtet, die Nutzfläche wegnehmen.

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§ 1
Anwendungsbereich für Versammlungsstätten

(1) Die Vorschriften des Teils 1 gelten für den Bau und Betrieb von

2. Versammlungsstätten im Freien mit Szenenflächen, deren Besucherbereich mehr als 1 000 Besucher fasst und ganz oder teilweise aus baulichen Anlagen besteht;

 

Die Loveparade in Duisburg fand nicht ganz oder teilweise in baulichen Anlagen statt. Die Frage nach der Entfernung der Rettungswege "ins Freie" kann ich nicht nachvollziehen, da die Veranstaltung im Freien stattfand.

 

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