Tayyip Erdogan versus Jan Böhmermann wegen Beleidigung

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 11.04.2016

In den nächsten Tagen will die Bundesregierung „sorgfältig und so zügig wie möglich“ das Verlangen der türkischen Regierung vom vergangenen Wochenende nach einer Strafverfolgung des Satirikers Jan Böhmermann prüfen. Gegen ihn waren bereits in der vergangenen Woche mehrere Strafanzeigen nach § 103 StGB „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ bei der Staatsanwaltschaft Mainz eingegangen. Das ZDF hat die ZDFneo-Sendung mit dem als „Schmähkritik“ annoncierten Spottgedicht Böhmermanns zwischenzeitlich aus der Mediathek entfernt.

Man darf gespannt sein, wie die Bundesregierung, die sich in einer Zwickmühle befindet, entscheidet. Darüber wurde gestern Abend intensiv bei Anne Will diskutiert.

Das Spottgedicht isoliert betrachtet, erfüllt in meinen Augen den Tatbestand der Beleidigung. Allerdings stellte Böhmermann das Gedicht in den Zusammenhang von Satire einerseits und strafbarer Schmähkritik andererseits. Nach seinen Worten wollte er gerade belegen, was in Deutschland strafbare Schmähkritik wäre. Was da in der Gesamtschau noch straflose Satire oder schon strafbare Schmähkritik war, ist alles andere als einfach zu beantworten. Der subjektive Tatbestand des § 103 StGB erfordert jedenfalls ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln.

Ich vermute, dass die Bundesregierung – schon um den schwarzen Peter auf die Strafverfolgungsorgane weiterzuschieben– dem Verlangen der türkischen Regierung nachgeben und nach § 104a StGB die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilen wird. Dann muss sich die Staatsanwaltschaft Mainz endgültig mit der im vorliegenden Fall rechtlich schwierigen Grenzziehung zur Strafbarkeit bei Satire befassen.

Zum aktuellen Stand hier.

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342 Kommentare

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Es gibt dazu noch einen Aufsatz: Oglakcioglu, Mustafa Temmuz/Rückert, Christian: Anklage ohne Grund – Ehrschutz contra Kunstfreiheit am Beispiel des sogenannten Gangsta-Rap, ZUM 2015, 876.

 

Die Autoren argumentieren für eine extensive Auslegung der Kunstfreiheit. Ihr Argument läuft im Prinzip auf folgendes hinaus: Gansta-Rap zeichnet sich gerade durch die Verwendung ehrverletzender Aussagen aus. Würde man die Grenze der Kunstfreiheit bei ehrverletzenden Äußerungen ziehen, käme das einem Totalverbot von Gangsta-Rap gleich.

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Ich meine Gangsta-Rap balanciert in aller Regel noch auf dem Drahtseil zwischen Kunstfreiheit und Schmähkritik.

Das zeigt aber auch, dass Böhmermann heftig überziehen musste um - isoliert betrachtet - klar im Bereich Schmähkritik zu landen.

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MT schrieb:

Das zeigt aber auch, dass Böhmermann heftig überziehen musste um - isoliert betrachtet - klar im Bereich Schmähkritik zu landen.

Wenn man Oglakcioglu/Rückert folgt, käme man ja zu dem Ergebniss, dass zumindest ein "Gangsta-Rapper" das Böhmermanngedicht in einem Song hätte verwenden können - und zwar ohne Disclaimer.

 

Ich bin einfach zu alt... ;-)

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Sehr interessant. Die "Bundesregierung" entscheidet in einem lächerlichen Fall die Strafverfolgung zu ermöglichen und macht sich dabei am GG "zu schaffen", handelt illegal, unrechtmässig, verfassungswidrig. Das muss man einfach mal für sich stehen lassen, zeigt es doch, wie abgehoben- mir kann Keiner was-  Politiker sind. Wurde dabei nicht auch das Parlament belogen, wenn verschwiegen wurde, dass der Beschluss ohne die erforderliche Teilnehmerzahl zustande gekommen ist? Ich denke, wenn man aus einer Satire eine weltweit beachtete und mehrheitlich wohl auch kopfschütteln auslösende Angelegenheit machen kann, gereicht der wohl verfassungswidrige Vorgang zur Ermächtigung der Strafverfolgung zur Staatskrise.

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Gast schrieb:

Gast schrieb:

Hat dieser deutsch israelische Bürger Sonderrechte, wenn er die Bundeskanzlerin von Israel aus beleidigt ?

 

https://charismatismus.wordpress.com/2016/03/15/appell-eines-deutsch-israelischen-publisten-und-judenchristen-an-die-csu/

Wo ist die Beleidigung?

 

Für mich ist das eine Beleidigung. Für mich ist das keine freie Meinungsäußerung mehr.

 

"Diese Frau ist vorzeitig gealtert, was man an ihrem Altersstarrsinn erkennen kann.

Aber mit solchen diktatorischen Allüren wird Frau Merkel zur Totengräberin der CDU."

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Gast schrieb:

Für mich ist das eine Beleidigung. Für mich ist das keine freie Meinungsäußerung mehr.

 

"Diese Frau ist vorzeitig gealtert, was man an ihrem Altersstarrsinn erkennen kann.

Aber mit solchen diktatorischen Allüren wird Frau Merkel zur Totengräberin der CDU."

Das ist doch eindeutig vom Verfassungsgericht gedeckt. Gut finden muss man es ja nicht. Aber dem einen den Mund verbieten kann nach hinten losgehen, wenn man selber mal die Meinung sagen will. Sollte man im Hinterkopf behalten.

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Einfach nur peinlich, dass ein Justizminister Sinn und Zweck des fraglichen Paragraphen nicht zu kennen scheint.

 

Weiss er es wirklich nicht - dann ist er als Justizminster völlig ungeeignet.

 

Wenn er es aber weiss und trotzdem wider besseres Wissen davon spricht, dass die Ehre eines Staatsoberhauptes stärker geschützt werde als die eines Normalbürgers, dann ist er ein (-) und Populist.

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Da ich auf Zeit.de nicht kommentiere, möchte ich hier etwas zu Thomas Fischers Kolumne anmerken:

Bei der Frage des edukatorischen Gesamtkontexts macht Herr Fischer es sich zu einfach, indem er schreibt:

"Wenn ich es richtig verstanden habe, soll Herr B. versucht haben, den Eindruck zu erwecken, als wolle er Herrn E. beleidigen. Kaum hatte er das getan, indem er Herrn E., einen insoweit unbescholtenen Mann, als perversen, zoophilen Kinder- und Ziegenschänder bezeichnete, versuchte er, den Eindruck zu erwecken, er habe keinen rassistischen Dreckkübel über Herrn E. ausgeschüttet, sondern ein mildes Werk der Aufklärung vollbracht, welches dem Herrn E. und dessen ziegenhütenden Landsleuten nahebringen sollte, dass man in Deutschland nicht öffentlich Menschen als perverse Ziegenficker bezeichnen darf, ohne dafür bestraft zu werden. Das hätte der Spaßmacher B. dem Herrn E. eigentlich gar nicht erklären müssen, denn dieser wusste es schon: Bei ihm zu Hause ist es auch strafbar."

Der edukatorische Gesamtkontext muss jedoch nicht an dem Punkt enden, wo der Empfänger etwas weiß. Belanglos ist in dem Zusammenhang auch, was bei Herrn E. zu Hause strafbar ist, da zum einen Herr E. sich einen Kehricht darum kümmert, was bei ihm zu Hause nicht strabar ist und es zum anderen Herrn B. darum ging, Herrn E. darüber zu belehren, ab wann etwas bei ihm (Herrn B.) zu Hause strafbar wäre.

Eine edukatorische Intention kann auch darin bestehen, jemanden aus gegebenem Anlass an etwas zu erinnern, was er bereits weiß bzw. wissen müsste.

Nun kann ich allerdings darüber rätseln, wie ernst Herr Fischer überhaupt genommen werden möchte.

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Die Erdogan - Satire scheint nach einem ähnlichen Muster gestrickt zu sein wie die Nummer mit dem mittlerweile berühmten "Finger des Varoufakis". Der imposante Finger war echt, die Behauptung, er sei gefälscht, falsch.

 

Jetzt haben wir es sogar mit einem Strafverfahren zu tun, wegen einer Norm, von der klar ist, dass sie demnächst wegfällt. Das ist vermutlich verboten. Was ist Satire, was ist ernst? 

 

Wirklich beeindruckend ist, wie eine eher unbedeutende Nachtsendung , blitzartig gelöscht, beziehungsweise teilweise gelöscht,  von ein paar 10.000 Zuschauern (?) gesehen,  in einem fast unglaublichen Tempo zum Gegenstand einer Staatsaffäre und dem "Bewunderungsobjekt" eines Millionen - Publikums geworden ist. Vielleicht sollte man einen Psychologen konsultieren , und sich die Frage stellen, warum die dumme Sache mit den getretenen Christen und den geprügelten Kurden, beziehungsweise umgekehrt, in der aufgeregten Debatte irgendwie untergegangen ist. 

 

Wie viele Kopien von dem inkriminierten Gedicht mittlerweile durch das Internet geistern, ist wohl nicht mehr feststellbar.

 

So sind aus ein paar Zuschauern Millionen Konsumenten geworden, und die Sache ist bei der New York Times, bei der Washington Post und sogar   Al-Jazeera gelandet.

 

Die Regierung erteilte eine Ermächtigung  zum  Nichtstun, unglaublich.  

Und das auch noch wegen eines marginalen Delikts, das bald sowieso nicht mehr verfolgt werden soll. Geschätzte Zeitachse: Herbst 2016.

 Das wirkt wie ein hinein kopierter ermahnender Zeigefinger, den es gar nicht gibt. 

 

 

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Gast schrieb:

 

Regierung will sich bei Straftaten gegen ausländische Staaten heraushalten

 

http://www.tagesspiegel.de/politik/boehmermann-und-die-folgen-regierung-...

Quote:

2007 gab es ein Urteil wegen Beleidigung der damaligen Schweizer Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey, 2008 wegen Verbrennung der chinesischen Flagge.

Das Verfahren wegen Beleidigung der ehemaligen Schweizer Bundespräsidentin wurde per Strafbefehl erledigt. Der Täter musste 50 Tagessätze zahlen. Zwar ist der genaue Inhalt der beleidigenden Internetveröffentlichung nicht bekannt, sie soll aber überschrieben gewesen sein mit "Die Folterschlampe zu Bern".

http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/schweizer-bundespraesidenti...

Wenn der Text nur die Hälfte von dem hält, was die Überschrift verspricht, dürfte Böhmermann - angenommen Rechtfertigung wird verneint -  nicht schlechter wegkommen als der damalige Täter.

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Könnte man nicht in diesem Fall die Radbruch'sche Formel anwenden?

 

Das Gedicht war sicherlich kein Kavliersdelikt, aber Erdogan ist ein Despot. Daher wollte ich mal nachfragen.

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Durch die gekonnte Vermarktung und Skandalisierung des Vorgangs ist jetzt eine durchaus ungewöhnliche Verbreitung eingetreten, weltweit, mit Millionen von Konsumenten. So etwas kommt bei Strafanzeigen gelegentlich heraus. Auch bei sinnlosen Strafanzeigen. Ein weiterer Effekt ist, dass jetzt verschiedene Akteure scharfe Meinungsäußerungen benutzen, die sich im Grenzbereich der Strafbarkeit bewegen. Viel Arbeit also für halb gebildete Gesinnungskontrolleure. So wurde Erdogan im Telegraaf als ein Primat dargestellt, der zoologisch noch nicht katalogisiert ist. Ein bisschen Gorilla, ein bisschen Schimpanse. Heute geisterte durch die Journaille, er sei der " Irre vom Bosporus ".

 

Merkel wurde zwischenzeitlich mit einem Nasenring abgebildet, an dem Erdogan zieht. Der Kopp - Verlag lancierte  böse Geschichten über angebliche Ölgeschäfte der Familie Erdogan. 

 

Ein weiterer Aspekt des Böhmermann - Effekts  ist die Darstellung von Merkel als "Auspuffmutter" in der Heute Show, einer gebührenfinanzierten Sendung im deutschen Staatsfernsehen. 

 

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Sind Ermittlungen, die auf der Basis eines in wenigen Monaten wohl nicht mehr existenten Gesetzes - Paragraf 103 StGB - durchgeführt werden, überhaupt zulässig? Im Extremfall müsste sogar gegen die Staatsanwaltschaft ermittelt werden, was dazu führen könnte, dass man entgegen der expressis verbis getätigten Ankündigung, diesen Paragraphen wegfallen lassen zu wollen, ihn eben nicht wegfallen lässt, was der Logik des Geschehens entsprechen würde. 

 

 

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Die Biegungen und Schleichwege der Argumentation hier irritieren mich.

Was man von Erdogan politisch hält, ist strafrechtlich irrelevant. Allein aus rechtsstaatlichen Gründen muss man ggf. auch bösartigen Zeitgenossen gleiche Rechte zugestehen. Der Einwand einer ironischen Überzeichnung, wie ja häufig bei Satire zu deutschen oder befreundeten Politikern zu sehen, kann wohl nicht geltenDie Schmähkritik oder Satire bestand in weiten Teilen aus billiger Herabwürdigung und rassistische Stereotypen ohne Bezug zu einem Sachthema. 

Der Kontext der Belehrung soll die Beleidigung nun nur als belehrendes Negativ-Beispiel für Schmähkritik rechtfertigen. Da wird jetzt PI x Daumen gerechnet, wieviel Negativ-Beispiel-Schmähung noch der Veranschaulichung dienen. Immer mit Blick auf den ungeliebten Erdogan.

Vielleicht genügt aber ein einfacher Testfall zur Probe:

Ein Kind kommt aus der Schule und erzählt den Eltern, dass der Lehrer vor der Klasse den Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik anhand einer ausufernden Schmähung der Eltern des Kindes erklärt habe. Also in der Machart des Böhmermann-Gedichts.

Stellen Sie sich jetzt vor, selbst diese Eltern zu sein. Es stünde Ihnen doch wohl frei den Vorfall als Beleidigung anzuzeigen und nicht ernsthaft mit Meinungsfreiheit oder die Freiheit der Lehre abgespeist zu werden. Gilt das für die Eltern von Kevin, Amelie und Friedrich auch? Also unabhängig von sonstigen Vorbehalten gegen den Betroffenen? Ein möglicher Verzicht auf ein solches Anzeigerecht liegt wohl allein im Ermessen des Betroffenen und steht nicht unter einem subjektiven Vorbehalt von Anderen.

Sind Ermittlungen, die auf der Basis eines in wenigen Monaten wohl nicht mehr existenten Gesetzes - Paragraf 103 StGB - durchgeführt werden, überhaupt zulässig? Im Extremfall müsste sogar gegen die Staatsanwaltschaft ermittelt werden, was dazu führen könnte, dass man entgegen der expressis verbis getätigten Ankündigung, diesen Paragraphen wegfallen lassen zu wollen, ihn eben nicht wegfallen lässt, was der Logik des Geschehens entsprechen würde.

Mich interessiert 103 StGB wenig, es gibt andere viel wirksamere Paragraphen, mit dem der Staat per Auslegung und Verfahrenssteuerung die Unterdrückung von Rechten und Meinungen bewerkstelligt. Von mir aus kann er AUCH weg. Aber bisher ist der 103 StGB noch da und wird doch erst irrelevant, wenn der Gesetzgeber ihn tatsächlich gestrichen hat oder eine Nichtanwendung wegen Verfassungswidrigkeit von einem Gericht begründet wurde. Dass eine Ankündigung des Wegfalls (von wem?) bereits Gesetze formal außer Kraft setzt, wäre mir neu. Praktisch ist es in Gerichten allerdings tägliche Übung, Recht und Gesetz per stummer Ankündigung außer Kraft zu setzen. Da kann man als RA schon mal die übliche Praxis mit der Norm verwechseln. Aber so etwas bringt uns als Gesellschaft letztlich dorthin, wo Erdogan geistig vermutlich schon ist. Schade, dass den Böhmermann's und Kollegen zu diesem auch sehr deutschen Phänomen in Sachen Rechtstaatsgarantie selten etwas so Wirkungsvolles einfällt.               

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Lutz Lippke
Das Schulbeispiel ist nicht einschlägig, weil
der Lehrer eine besondere Verantwortung gegenüber den Schülern hat und mit dem Beispiel einer "Schmähkritik über die Eltern" den Schüler in eine Situation bringen würde, die andere Schüler als Anlass für Mobbing ausnutzen könnten. Ausserdem ist er verpflichtet, alle Schüler angemessen gleich zu behandeln und Schaden und mögl. Schäden von ihnen abzuwenden. Es besteht auch nicht entferntest ein Anlass, die Eltern eines bestimmten Schülers "educativ" heranzuziehen. Anders wäre es, wenn die Eltern den Lehrer in eine besondere Situation gebracht hätten, bspw. Lügen über ihn verbreiteten etc. Aber auch dann müsste der Schüler aussen vor bleiben, denn ihm gegenüber gilt nach wie vor die besondere Pflicht, Schäden von ihm abzuwenden.
Ansonsten stimme ich ausserordentlich zu: "Praktisch ist es in Gerichten allerdings tägliche Übung, Recht und Gesetz per stummer Ankündigung außer Kraft zu setzen"
 

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Gast schrieb:

 

Deutschland und die Türkei: Realsatire à la Böhmermann

 

https://gabrielewolff.wordpress.com/2016/04/29/deutschland-und-die-tuerk...


Ein Aspekt, der mir so noch nicht aufgefallen war:
Quote:
Denn das soll das Fazit sein, nachdem zuvor bereits diverse Sexualpraktiken angesprochen worden waren; die dargebotenen Zuschreibungen sind völlig wahllos (und sich gegenseitig ausschließend) aneinandergereiht. Sie reichen von Impotenz bis zum Gangbang, von „Verklemmtheit“ bis zu einem ausschweifenden Sexualleben, von Sodomie über Homosexualität sowie Kinderporno-Konsum & Gummifetischismus bis zum „Mädchen-Schlagen“, selbst Fritzl und Prikopil werden assoziiert. Kurz und gut: ein Lehrbeispiel für Schmähkritik, die ersichtlich mit Erdogan selbst – bis auf zwei pflichtschuldig eingestreute politischen Vorwürfe – absolut nichts zu tun hat.

Gerade die Widersprüchlichkeit spricht weiter für einen primär edukativen Ansatz.

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#33: es gibt bereits mehrere Initiativen, den praktisch kaum bedeutsamen Paragrafen 103 StGB so schnell wie möglich abzuschaffen. Zu den Initiatoren gehören das Land Nordrhein-Westfalen oder auch der Bundesjustizminister. In einer Pressekonferenz wurde von der Bundeskanzlerin das Jahr 2018 genannt. 

 

Dieses Gesetz hätte dann also nur noch in einem einzigen Fall eine gewisse Bedeutung. 

 

Nun sind die in dem Gedicht aufgezählten Aktivitäten biologisch kaum möglich, es sei denn wir haben einen Mutanten oder eine Kreatur des Doktor Frankenstein von uns. Da sie offensichtlich nicht real und grellst übersteigert  sind, können sie auch nicht als Beleidigung gedacht sein, was den Vorsätz entfallen lässt. Da sind Sie dann wohl alle ein wenig reingefallen. Ha ha. 

 

Und, zum Abschluss: das wesentliche Merkmal einer Satire ist zwar die Überzeichnung und Übertreibung, meistens stellen aber satirische Darstellungen im Verhältnis zur Realität Untertreibungen dar. Ein Nebeneffekt der effizienten Friedenspolitik der Türkei ist die sogenannte Flüchtlingskrise, von der kolportiert wird, sie sei ein Instrument, um gezielt die EU zu destabilisieren. Man könnte also noch ganz andere Töne anschlagen. 

 

 

 

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2007 gab es in Regensburg schon einmal einen Fall des § 103 StGB wegen einer Beleidigung der seinerzeitigen Schweizer Bundespräsidentin, der mit einem Strafbefehl über 50 TS endete. Aus dem Regensburger Wochenblatt vom 27.4.2016:

Ausgerechnet ein Strafbefehl, den das Regensburger Amtsgericht ausgestellt hatte, könnte nun zur Blaupause für das Böhmermann- Verfahren werden. Denn 2007 bestrafte das Gericht auf Antrag der Regensburger Staatsanwaltschaft einen schweizer Staatsbürger, der damals in Regensburg lebte - und die schweizer Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey beleidigte. Pikant ist das vor allem deshalb, weil die Schweiz gemeinhin nicht als autoritärer Staat gilt - das Strafrecht aber schlecht differenzieren kann, ob man nun eine schweizer Bundespräsidentin beleidigt oder einen unzweifelhaft umstrittenen Autokraten wie Recip Erdogan, den türkischen Staatspräsidenten.

Die Regensburger Behörde bestätigt dem Wochenblatt jedenfalls, dass es diesen Strafbefehl gab: „Ich kann bestätigen, dass im Jahr 2007 das Amtsgericht Regensburg gegen einen damals in Regensburg wohnhaften schweizer Staatsbürger wegen Beleidigung der damaligen schweizerischen Bundespräsidentin gemäß Paragraph 103 Strafgesetzbuch einen Strafbefehl über 50 Tagessätze zu je zehn Euro erlassen hat“, teilte Oberstaatsanwalt Theo Ziegler dieser Zeitung mit.

Das Wochenblatt hatte angefragt, ob der Strafbefehl aufgrund der Tatsache, dass es sich bei einem solchen Delikt um ein zeitgeschichtlich historisches Ereignis handeln könnte, geschwärzt heraus gegeben werden kann. Das lehnte die Regensburger Staatsanwaltschaft aber ab: „Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes des Opfers geben wir den Wortlaut der Beleidigungen nicht wieder.“ Und weiter: „Die Beleidigungen hatte der Angeklagte in das Internet eingestellt.“

Das Kanzleramt bestätigte gegenüber Medien, dass der Präzedenzfall aus Regensburg Grundlage für die Entscheidung Kanzlerin Angela Merkels mit einer Mehrheit der Bundesregierung war, der Strafverfolgung Böhmermanns wegen eines Gedichts über den türkischen Präsidenten (u.a. nannte der Satiriker ihn „Ziegenficker“) zuzustimmen. Denn die Staatsanwaltschaft darf das Delikt nur verfolgen, wenn die Bundesregierung zustimmt - wie bereits 2007 geschehen. Was genau der Schweizer damals über die Bundespräsidentin schrieb, ist nicht bekannt - Oberstaatsanwalt Ziegler wollte dazu keine näheren Angaben machen. Schweizer Medien spekulierten allerdings, dass der Text im Internet die Überschrift „Die Folterschlampe zu Bern“ hatte.

http://www.wochenblatt.de/epaper/epa1254,5325

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Keine Ermittlungen der STA Mainz wegen Hakenkreuz-Schnitzel in einem facebook-post der heute show.

http://www2.mjv.rlp.de/icc/justiz/nav/634/broker.jsp?uMen=634b8384-d698-...

U.A. wird der Volksverhetzungstatbestand als von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt angesehen, weil es sich um eine geschützte zulässige Meinungsäußerung zu tagespolitischem Geschehen handele.

Es bleibt abzuwarten, ob die ebenfalls mit dem Fall Böhmermann betraute STA Mainz der Meinungs- und Kunstfreiheit dort ebenfalls den Vorzug gibt.

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Ungeachtet dessen ist aber auch der objektive Tatbestand eines Beleidigungsdeliktes zum Nachteil etwa der österreichischen Bevölkerung oder der Wählerinnen und Wähler des Kandidaten der „FPÖ“ bei der genannten Wahl nicht verwirklicht. Zwar ist die Beleidigung einer Mehrheit einzelner Personen unter einer Kollektivbezeichnung grundsätzlich möglich, wenn mit der Bezeichnung einer bestimmten Personengruppe alle ihre Angehörigen getroffen werden sollen. Allerdings muss feststehen, welche einzelnen Personen beleidigt sind; die bezeichnete Personengruppe muss sich auf Grund bestimmter Merkmale so deutlich aus der Allgemeinheit herausheben, dass der Kreis der Betroffenen klar umgrenzt und damit die Zuordnung eines einzelnen zu ihr nicht zweifelhaft ist. Zudem muss der fragliche Personenkreis zahlenmäßig überschaubar sein. 

 

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt:

 http://www2.mjv.rlp.de/icc/justiz/nav/634/broker.jsp?uMen=634b8384-d698-...

 

Da hat das Gericht wohl vergessen, dass der eigentlich angegangene Personnenkreis über das Mitgliederverzeichnis der FPÖ sehr leicht bestimmbar ist.

Meine Hervorhebung:

astroloop schrieb:

Ungeachtet dessen ist aber auch der objektive Tatbestand eines Beleidigungsdeliktes zum Nachteil etwa der österreichischen Bevölkerung oder der Wählerinnen und Wähler des Kandidaten der „FPÖ“ bei der genannten Wahl nicht verwirklicht. Zwar ist die Beleidigung einer Mehrheit einzelner Personen unter einer Kollektivbezeichnung grundsätzlich möglich, wenn mit der Bezeichnung einer bestimmten Personengruppe alle ihre Angehörigen getroffen werden sollen. Allerdings muss feststehen, welche einzelnen Personen beleidigt sind; die bezeichnete Personengruppe muss sich auf Grund bestimmter Merkmale so deutlich aus der Allgemeinheit herausheben, dass der Kreis der Betroffenen klar umgrenzt und damit die Zuordnung eines einzelnen zu ihr nicht zweifelhaft ist. Zudem muss der fragliche Personenkreis zahlenmäßig überschaubar sein. 

 

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt:

 http://www2.mjv.rlp.de/icc/justiz/nav/634/broker.jsp?uMen=634b8384-d698-...

 

Da hat das Gericht wohl vergessen, dass der eigentlich angegangene Personnenkreis über das Mitgliederverzeichnis der FPÖ sehr leicht bestimmbar ist.

Die STA weiter:

Quote:

Sowohl die österreichische Gesamtbevölkerung von etwa 8,7 Millionen Einwohnern als auch die Gruppe der Wählerinnen und Wähler der „FPÖ“ bei der Bundespräsidentenwahl am 24. April 2016 – nach den unter www.bundespraesidentschaftswahl.at/ergebnisse.html veröffentlichten Daten etwa 1,5 Millionen Stimmen - sind offensichtlich zahlenmäßig keineswegs überschaubar.

Die STA hat also keineswegs etwas übersehen.

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MT schrieb:
Die STA hat also keineswegs etwas übersehen.

Ich darf widersprechen.

Bei geheimen Wahlen sind die Wählerinnen und Wähler sicher nicht abgrenzbar.

Verunglimpft wurden aber nicht nur allgemein Österreicher, sondern die gewählte Partei FPÖ als implizite Nachfolgeorganisation der NSDAP.

 

Und da gibt es durchaus ein Mitgliederverzeichnis. Dass es heutzutage opportun erscheint, alles was nicht jubelnd seine Selbstbestimmungsrechte an eine Nachbildung des Moskauer ZK in Brüssel abzugeben bereit ist, als Nazi zu beschimpfen, sollte dem abwertenden Charakter nicht entgegen stehen.

 

Aber da die FPÖ keinen Antrag diesbezüglich gestellt hat, brauchen wir uns jetzt auch nicht streiten. 

astroloop schrieb:

MT schrieb:
Die STA hat also keineswegs etwas übersehen.

Ich darf widersprechen.

Bei geheimen Wahlen sind die Wählerinnen und Wähler sicher nicht abgrenzbar.

Verunglimpft wurden aber nicht nur allgemein Österreicher, sondern die gewählte Partei FPÖ als implizite Nachfolgeorganisation der NSDAP.

 

Und da gibt es durchaus ein Mitgliederverzeichnis. Dass es heutzutage opportun erscheint, alles was nicht jubelnd seine Selbstbestimmungsrechte an eine Nachbildung des Moskauer ZK in Brüssel abzugeben bereit ist, als Nazi zu beschimpfen, sollte dem abwertenden Charakter nicht entgegen stehen.

 

Aber da die FPÖ keinen Antrag diesbezüglich gestellt hat, brauchen wir uns jetzt auch nicht streiten. 

 

Reicht es nicht, wenn ein FPÖ-Mitglied einen Antrag stellt?

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Das ist schon sehr implizit, wenn man sich den Sachverhalt anschaut.

Außerdem hat die FPÖ laut wikipedia ca. 50.000 Mitglieder. Das ist ebenfalls kein "überschaubarer Personenkreis".

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MT schrieb:

Das ist schon sehr implizit, wenn man sich den Sachverhalt anschaut.

Was meinen Sie damit?

Also die Diskussion, ob der Wohnsitz in einem failed State die weltweite Visafreie Einreise in ein Sozialsystem seiner Wahl ermöglicht, sollten wir doch ganz schnell wieder schließen.

MT schrieb:

Außerdem hat die FPÖ laut wikipedia ca. 50.000 Mitglieder. Das ist ebenfalls kein "überschaubarer Personenkreis".

Auf die große Zahl kommt es m.E. nicht an. Über das Mitgliederverzeichnis sind die Personnen hinreichend bestimmbar und bilden über die Satzung der Partei, d.h. den gemeinsamen Willen zur Verfolgung politischer Ziele, auch eine hinreichend homogene Gruppe.

 

Gehen täte das. 

MT schrieb:

Das ist schon sehr implizit, wenn man sich den Sachverhalt anschaut.

Außerdem hat die FPÖ laut wikipedia ca. 50.000 Mitglieder. Das ist ebenfalls kein "überschaubarer Personenkreis".

 

Kann man nicht auch Juden kollektiv beleidigen?

Eigentlich müsste es doch darauf ankommen, ob sich jemand hinreichend sicher beleidigt fühlen kann. Und ein FPÖ Mitglied weiss ja, dass es eins ist, und dass es gemeint ist und man ihn nun quais als Nazi bezeichnet hat.

Es geht ja trotzdem um die individuelle persönliche Ehre, nicht um Gruppenehre oder sowas.

 

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Die Abbildung in Form eines Hakenkreuzes stellt auch kein strafbares Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Sinne von § 86a Strafgesetzbuch dar. Nach der Rechtsprechung ist die Verwendung solcher Symbole straflos, die dem Schutzzweck des § 86a eindeutig nicht zuwiderlaufen oder auf eine offene Gegnerschaft zu der verbotenen Organisation abzielen. Die Strafnorm schützt den demokratischen Rechtsstaat vor einer Wiederbelebung verfassungswidriger Organisationen und vor ihrer „Verharmlosung“ durch Gewöhnung an bestimmte Kennzeichen.

Also das wundert mich etwas, weil "Verharmlosung" genau der Eindruck ist, den ich bekomme.

Und das dürfte grade so ein Fall sein, wo die Gefahr am grössten ist, weil der Vergleich zwar stark übertrieben ist, aber nicht vollkommen absurd. Da kenne ich mich allerdings auch nicht aus.

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In dem facebook-post der heute show ist von Österreichern die Rede, nicht von FPÖ Mitgliedern. Da muss man schon einiges herumdeuteln.

Je größer das Kollektiv, desto schwächer ist die persönliche Betroffenheit des Einzelnen. Es geht nicht um individuelles Fehlverhalten einzelner Mitglieder, sondern um den aus Sicht des Äußernden bestehenden Unwert des Kollektivs. Bei 50.000 Personen geht die Beleidigung des Einzelnen in der Masse unter.

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