Anrechnung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf den Mindestlohn?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 28.04.2016

Stellt der Arbeitgeber anlässlich des Inkrafttretens des MiLoG am 1.1.2015 die bisherige Zahlungsweise des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes dergestalt um, dass die Arbeitnehmer nunmehr statt einer jährlichen Zahlung monatlich 1/12 der Sonderzahlung erhalten, können diese Gratifikationen auf den Mindestlohn angerechnet werden. Das hat das LAG Berlin-Brandenburg entschieden.

Die Klägerin ist seit 1992 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Mitarbeiterin in der Cafeteria in Vollzeit beschäftigt. Aufgrund des Arbeitsvertrages hatte sie Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld jeweils in Höhe eines halben Monatslohns. Im Dezember 2014 schloss die Arbeitgeberin mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung ab. Diese sieht vor, dass die Gratifikationen ab 2015 nicht mehr jährlich, sondern (wegen der Fälligkeitsregelung des § 2 Abs. 1 MiLoG) monatlich in Höhe von 1/12 gewährt werden. Zugleich verpflichtete sich die Beklagte, bis Ende 2017 keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen. Eine von der Arbeitgeberin angetragene Änderung des Arbeitsvertrages, die die Umstellung der Zahlungsweise auch vertraglich nachvollziehen sollte, lehnte die Klägerin ab.

Mit ihrer Klage macht sie Ansprüche auf den Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 MiLoG geltend. Sie ist der Auffassung, dass das zu 1/12 ausgezahlte Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht auf ihren Mindestlohnanspruch angerechnet werden dürfe. Ihre Klage blieb beim Arbeitsgericht ohne Erfolg. Das LAG hat ihre Berufung (mit Ausnahme eines Betrages von weniger als 1 Euro wegen Nachtarbeitszuschlägen) zurückgewiesen:

Die Betriebsvereinbarung sei wirksam. Sie habe die arbeitsvertragliche Vereinbarung über die Zahlungsweise der Gratifikationen wirksam abgeändert (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Der Arbeitsvertrag sei insoweit "betriebsvereinbarungsoffen" gewesen. Darauf, dass die Klägerin einer Änderung des Arbeitsvertrages nicht zugestimmt habe, komme es deshalb nicht an. Die Gratifikationen dienten auch der Erfüllung des Mindestlohnanspruchs. Sie träten nicht neben den Anspruch aus § 1 MiLoG:

Leistungen wie Weihnachtsgeld oder ein zusätzliches Urlaubsgeld sollen nach der verlautbarten Vorstellung des Gesetzgebers dann als Bestandteil des Mindestlohns gewertet werden können, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer den (…) Betrag jeweils zu dem für den Mindestlohn maßgeblichen Fälligkeitsdatum tatsächlich und unwiderruflich ausbezahlt erhält (vgl. Dt. Bundestag, Drucks. 18/1558, S. 67).

Bei der Anrechnung von Leistungen ist, wie das BAG vergleichbar schon in Zusammenhang mit einem Mindestlohn nach einem Mindestlohntarifvertrag entschieden hat, darauf abzustellen, ob die vom Arbeitgeber erbrachte Leistung ihrem Zweck nach diejenige Arbeitsleistung des Arbeitnehmers entgelten soll, die mit der tariflich begründeten Zahlung zu vergüten ist. Daher ist dem erkennbaren Zweck des tariflichen Mindestlohns, den der Arbeitnehmer als unmittelbare Leistung für die verrichtete Tätigkeit begehrt, der zu ermittelnde Zweck der jeweiligen Leistung des Arbeitgebers, die dieser aufgrund anderer (individual- oder kollektivrechtlicher) Regelungen erbracht hat, gegenüberzustellen. ...

 Bei einer als Urlaubsgeld bezeichneten Sonderzahlung des Arbeitgebers ist daher darauf abzustellen, ob das Urlaubsgeld dazu dient, erhöhte Urlaubsaufwendungen zumindest teilweise abzudecken. Dann ist es keine weitere Gegenleistung für die erbrachte normale Arbeitsleistung, sondern auf die Wiederherstellung und den Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers gerichtet. In diesem Fall ist das Urlaubsgeld nicht auf den Mindestlohn anrechenbar (Richert/Nimmerjahn, a. a. O.., Rn. 139, m. w. N.). ...

Entscheidend ist vorliegend ..., dass das in § 4 des Arbeitsvertrag geregelte Urlaubsgeld nicht an die tatsächliche Urlaubsnahme geknüpft ist; dies auch nicht nach der Veränderung der Fälligkeitszeitpunkte aufgrund der „Betriebsvereinbarung Inkrafttreten Mindestlohngesetz“.

LAG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 12.1.2016 - 19 Sa 1851/15, BeckRS 2016, 66794

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2 Kommentare

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Das spielt natürlich in Berlin......

 

ich finde es ja immer beschämend, um welche Kleinstbeträge gestritten wird. Weshalb sich der AG bei einem fast ein viertel Jahrhundert bestehenden Arbeitsverhältnis nicht ein wenig großzügiger zeigen kann? 

 

Das ist aber auch die Krux unserer Gesellschaft, dass so wenig Bereitschaft besteht für Arbeit zu zahlen - gerade in Berlin

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