LAG Niedersachsen: kein Mindestlohn für Zeitungszusteller

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 27.05.2016
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht11|6316 Aufrufe

In einem Beitrag vom 3.10.2015 ist an dieser Stelle über eine Entscheidung berichtet worden, mit der das ArbG Nienburg einem Zeitungszusteller den vollen Mindestlohn zuerkannt hatte, wenn Werbeprospekte hinzukommen. Nunmehr liegt die Berufungsentscheidung in dieser Sache vor (LAG Niedersachsen, Urteil vom 27.04.2016 - 13 Sa 848/15).

Der rechtliche Hintergrund:

Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro brutto pro Stunde gilt seit Januar 2015 – allerdings mit einigen Ausnahmen. Zu diesen Ausnahmen gehören die Zeitungszusteller (vgl. § 24 Abs. 2 MiLoG). Im Jahr 2015 darf der Botenlohn 25 Prozent unter dem Mindestlohn liegen, 2016 noch 15 Prozent darunter. Erst ab 2017 sollen sie 8,50 Euro brutto bekommen – also zwei Jahre später als Angestellte in anderen Branchen. Zeitungszusteller sind nach der Legaldefinition in § 24 Abs. 2 S. 3 MiLoG Personen, die in einem Arbeitsverhältnis ausschließlich periodische Zeitungen und Zeitschriften an Endkunden zustellen. Umfasst sind auch Anzeigenblätter mit redaktionellem Inhalt.

Der Sachverhalt

Der Kläger übernahm aufgrund eines Arbeitsvertrages mit der Beklagten in einem ihm zugewiesenen Gebiet die Zustellung von Druckerzeugnissen, vornehmlich Tageszeitungen. Die von dem Kläger zuzustellenden Tageszeitungen und Anzeigenblätter enthalten als Beilagen Werbeprospekte, die regelmäßig bereits druckereiseitig maschinell eingelegt sind. Zumindest in einem Fall nach dem 31.12.2014 war dies bei dem Anzeigenblatt nicht möglich, weshalb der Kläger die zusätzlich angelieferte Beilage von Hand einlegte bzw. zusammen mit dem Anzeigenblatt verteilte.

Die rechtliche Bewertung

Das ArbG Nienburg hatte der Klage des Zeitungszustellers auf Zahlung des Mindestlohnes in Höhe von 8,50 € stattgegeben und hierfür vor allem auf das mitunter vorkommende händische Einsortieren abgestellt, das nicht mehr Teil der Zustelltätigkeit sei. Das LAG Niedersachsen hat die Klage des Zeitungszustellers auf Zahlung des Mindestlohnes in Höhe von 8,50 € hingegen nunmehr abgewiesen. Der Pressemitteilung lässt sich nicht entnehmen, auf welche Gründe das LAG seine Entscheidung gestützt hat. Denkbar ist, dass die Beweisaufnahme zur Frage des händischen Einsortierens ein abweichendes Ergebnis erbracht hat, oder aber, dass die rechtliche Bewertung dieses Vorgangs anders ausgefallen ist. Wenn die Entscheidungsgründe vorliegen, werden hier die tragenden Erwägungen nachgetragen.

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11 Kommentare

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Dass die Gerichte hier keine Normenkontrolle wegen Verstoßes gegen Art. 3 GG anstoßen, ist ein Zeichen dafür, wie tief die Moral im Justizsystem gesunken ist.

@Name:

Nein, es ist lediglich ein Anzeichen dafür, dass die Fachgerichte die Norm bislang nicht für verfassungswidrig halten. Die konkrete Normenkontrolle verlangt nämlich nicht, dass irgendjemand eine Norm für verfassungswidrig hält. Entscheidend ist, ob das zur Entscheidung berufene Gericht eine entscheidungserhebliche Norm (nicht nur möglicherweise, sondern mit Bestimmtheit) für verfassungwidrig hält (Art. 100 Abs. 1 GG). Und das liegt nicht unbedingt auf der Hand. Nicht jede Ungleichbehandlung ist ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot, nicht jede Gleichbehandlung unbedenklich.

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OStA50 schrieb:
Und das liegt nicht unbedingt auf der Hand. Nicht jede Ungleichbehandlung ist ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot

Natürlich liegt das auf der Hand, schließlich ist §24 (2) MiLoG entscheidungserheblich. Und erklären Sie mir doch bitte mal, warum Zeitungszusteller die einzige Berufsgruppe ist, die nicht unter Art. 3 GG fällt.

Es geht darum, ob die Verfassungswidrigkeit auf der Hand liegt, nicht aber darum, ob und dass § 24 Abs. 2 MiLoG entscheidungserheblich ist. Es geht auch nicht darum, ob "Zeitungszusteller unter Art 3 GG fallen", sondern ob es einen sachlichen Grund für die vom Gesetzgeber vorgenommene berufsgruppenspezifische Differenzierung gibt.  Berufsgruppenspezifische Differenzierungen kennt das Recht zu Hauf (vgl. nur § 53 StPO). Man mag die gesetzgeberische Begründung (BT-Drucksache 18/2010 (neu)) für richtig oder falsch halten, allein: sie muss von einem zur Entscheidung berufenen Gericht für sachlich nicht tragfähig gehalten werden, um den Weg zur konkreten Normenkontrolle zu öffnen.

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Was wiederum meinen Eingangskommentar bestätigt. Wer als Gesetzgeber mit dem Nullargument "nicht sachgerecht" die Tarifautonomie aushebelt, der handelt verfassungswidrig.

Darüber hinaus ist nur das Recht der freien Meinungsäußerung grundgesetzlich geschützt. Das schließt nicht den Anspruch ein, zu einer bestimmten Uhrzeit diese Meinung auch verbreitet zu haben. Somit genießt das in der BT-Drucksache erwähnte Geschäftsmodell keinen Verfassungsrang.

Ein Gericht, das dies nicht erkennt oder erkennen will, ist moralisch verkommen, weil es diese elementaren Grundsätze der Verfassung ignoriert oder nicht kennt.

was denn nun? Tarifautonomie oder Art. 3 GG? Wenn man die BT-Drucksache tatsächlich liest, geht es nicht um Meinungs-, sondern um Pressefreiheit und das hat schon etwas mit Geschäftsmodellen und Uhrzeiten zu tun. Zudem handelt es sich um eine Übergangsvorschrift, bei denen dem Gesetzgeber stets ein gewisser Spielraum zusteht. Auch mit einem gefestigten Klassenstandpunkt sollte es doch einleuchten, dass es arbeitnehmerfreundlicher ist, lieber differenzierte Übergangsvorschriften zu schaffen, als den Mindestlohn für alle an dem Bereich zu orientieren, in dem der Gesetzgeber die größten Anpassungschwierigkeiten vermutet. Man hätte auch den Mindestlohn für alle so langsam, wie für die Zusteller einführen können und das wäre in Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz, so wie er von Ihnen verstanden wird, völlig unproblematisch. 

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Auch die Pressefreiheit schließt einen besonderen Schutz von bestimmten Vertriebswegen nicht in dem Maße ein, der den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 überlagern würde. Mit Platitüden wie "das hat schon etwas damit zu tun" können Sie im Verfassungsrecht keinen Blumentopf gewinnen und ich hoffe doch sehr, dass die Richter in dieser Entscheidung differenzierter argumentieren können.

Und wenn Sie die BT-Drs. sinnerfassend lesen, werden Sie feststellen, dass mit diesem als "Pressefreiheit" falsch etikettierten Geschäftsmodell argumentiert wird, um diese einzige Branche von der Pflicht zu entbinden, für die Übergangszeit niedrigere Löhne per TV festzulegen. Begründung: weil wir es können - sonst keine.

Erklären Sie mir doch mal, warum ausgerechnet Zeitungszustellern hier das grundgesetzlich garantierte Streikrecht entzogen wird und Journalisten oder Druckereimitarbeitern nicht.

Schade, dass Sie nicht verstanden haben, welche Konsequenz §24 (2) MiLoG hat.

Solche Beiträge tragen wenig zur Diskussion bei. Die Konsequenz von der Sie da sprechen müssen Sie uns schon verraten. Sonst weiss ja kein Mensch, worauf Sie hinauswollen.

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Puh... Ich finde es gerade sehr bedenklich, "OStA50" und "?" zu unterstellen, sie würden verfassungsrechtlich nicht sauber argumentieren und seien nicht in der Lage, "sinnerfassend zu lesen" - selbst aber wild Art. 3 GG, Tarifautonomie, Moral und das Streikrecht durcheinanderzuwürfeln... Eine qualitative Auseinandersetzung mit der Thematik kann ich hier nicht erkennen.

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