Typischer Strafzumessungsfehler: Wer § 56 Abs. 2 StGB verneint, muss trotzdem was zu § 56 Abs. 1 StGB schreiben!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 14.06.2016
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3063 Aufrufe

Der BGH musste sich mal wieder mit einem Revisionsklassiker im Rahmen der Strafzumessung befassen. Dabei geht es um die Prüfung der Bewährungsaussetzung. Das Gesetz sieht hier in § 56 Abs. 1 u. 2 StGB so aus:

§ 56
Strafaussetzung

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

Beim BGH ging es um Abs. 2. Das LG hatte eine Bewährungsaussetzung versagt, weil es die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht festzustellen vermochte. Leider hatte es aber vergessen, Abs. 1 auch noch zu prüfen. Der BGH hat da der Einfachheit halber die Stellungnahme des Generalbundesanwalts eingerückt:

a) Grundsätzlich gilt, dass - wie überhaupt bei der Rechtsfolgenbemessung
- dem Tatrichter für die Entscheidung über die Strafaussetzung
ein weiter Beurteilungsspielraum zuerkannt ist, in dessen Rahmen
das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung
hinzunehmen hat (BGH, Urteil vom 13. Februar 2001, 1 StR 519/00
= NStZ 2001, 366). Hat das Gericht die für und gegen eine Aussetzung
sprechenden Umstände gesehen und gewürdigt und ist
- namentlich aufgrund seines in der Hauptverhandlung gewonnenen
persönlichen Eindrucks - zu dem Ergebnis gekommen, dass die
Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens nicht größer ist
als diejenige neuer Straftaten (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August
1997, 2 StR 363/97 = NStZ 1997, 594), so ist dessen Entscheidung
grundsätzlich auch dann hinzunehmen, wenn auch eine andere Bewertung
denkbar gewesen wäre.
b) Erforderlich ist aber - wie der BGH in ständiger Rechtsprechung immer
wieder betont hat (BGH, 1 StR 519/00, aaO; Beschluss vom
10. Januar 2007, 5 StR 542/06) -, dass das Gericht die für und gegen
eine Aussetzung sprechenden Umstände vollständig erfasst und
würdigt und dabei - was vorliegend angesichts der bisherigen Unbestraftheit
von besonderer Bedeutung ist - auch und gerade die Wirkung
einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe auf den Angeklagten
in den Blick zu nehmen hat. Gerade weil die Kammer ihre
negative Sozialprognose entscheidend auf die ungünstigen Lebensverhältnisse
stützt, war es unabdingbar zu erörtern, ob eine Strafaussetzung
zur Bewährung mit entsprechender Begleitung durch
einen Bewährungshelfer und eventuelle weitere Weisungen (§ 56c
StGB) nicht eine stabilisierende Wirkung auf das Leben des Angeklagten
haben könnte.
Da die Kammer dies nicht erkennbar berücksichtigt hat, ist ihre Würdigung
unvollständig und deshalb ermessensfehlerhaft.
c) Zwar vermochte die Kammer auch keine ‚besonderen Umstände‘ im
Sinne des § 56 Abs. 2 StGB festzustellen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen,
dass die Kammer auch insoweit ‚besondere Umstände‘
namentlich in der Person des Angeklagten festgestellt hätte, wenn
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sie die möglichen Auswirkungen einer unter strengen Auflagen zur
Bewährung ausgesetzten Strafe bedacht hätte, zumal das Gericht
seine negative Wertung insoweit ganz entscheidend auf die unver-
änderten Lebensumstände gestützt hat (UA S. 25). Es ist anerkannt,
dass zu den nach § 56 Abs. 2 StGB zu berücksichtigenden Umständen
auch solche gehören können, die schon für die Prognose nach
Abs. 1 zu berücksichtigen waren (BGH, Beschluss vom 16. Dezember
2009, 2 StR 520/09 m.w.N.) und die Erwartung, der Angeklagte
werde sich künftig straffrei führen, auch für die Beurteilung, ob ‚besondere
Umstände‘ vorliegen, von Bedeutung ist (Senat, Beschluss
vom 21. September 2006, 4 StR 323/06).
Über eine eventuelle Aussetzung der verhängten Strafe zur Bewährung
ist daher neu zu befinden.

BGH, Beschluss vom 10.5.2016 - 4 StR 25/16

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