Strafzumessungsrecht: Rücktritt vom Versuch...aber ein bisschen Vollendung. Strafschärfung wegen des Versuchs?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.06.2016
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Schwierig, die Überschrift knackig in so einem Fall hinzubekommen. Der BGH musste sich damit befassen, ob bei anwendbarem Jugendstrafrecht Teile des durch Rücktritt straflosen Versuchs strafschärfend berücksichtigt werden dürfen, wenn es wegen eines gleichzeitig verwirklichten harmloseren Deliktes zu einer Verurteilung kommt. "Nein!", so der BGH.

Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Es begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass die Jugendkammer
die Schwere der Schuld auch damit begründet hat, dass der Angeklagte
mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt habe, ohne zugleich zu berücksichtigen,
dass der Angeklagte vom Versuch des Tötungsdelikts freiwillig zurückgetreten
ist.

a) Ist der erwachsene Täter vom Versuch einer Straftat strafbefreiend zurückgetreten,
gleichwohl aber wegen eines zugleich verwirklichten vollendeten
anderen Delikts zu bestrafen, so darf der auf die versuchte Straftat gerichtete
Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden
(Senat, Beschluss vom
4. April 2012 – 2 StR 70/12, NStZ 2013, 158; Beschluss vom 7. April 2010
2 StR 51/10, NStZ-RR 2010, 202; Beschluss vom 14. Mai 2003 – 2 StR
98/03, NStZ 2003, 533; Beschluss vom 13. Mai 1998 – 2 StR 172/98, BGHR
StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 30; BGH, Beschluss vom 8. Januar 2014
3 StR 372/13, StV 2014, 482; Beschluss vom 20. August 2002 – 5 StR
338/02, StV 2003, 218; Urteil vom 14. Februar 1996 – 3 StR 445/95, BGHSt 42,
43, 44 ff.; Beschluss vom 14. November 1995 – 4 StR 639/95, StV 1996, 263;
Beschluss vom 16. April 1980 – 3 StR 115/80, MDR 1980, 813; st. Rspr.). Dies
trägt dem Grundgedanken des § 24 StGB Rechnung, der im Interesse des Opferschutzes
einen persönlichen Strafaufhebungsgrund für Fälle vorsieht, in denen
ein Täter freiwillig die weitere Tatausführung aufgibt oder ihre Vollendung
aktiv verhindert. Dieser Gesetzeszweck würde unterlaufen, wenn der auf die
Verwirklichung des weitergehenden Delikts gerichtete Vorsatz strafschärfend
berücksichtigt würde.

b) Zwar ist der Schuldgehalt der Tat bei der Deliktsbegehung durch jugendliche
und heranwachsende Täter jugendspezifisch zu bestimmen
(MüKo/Radtke, 2. Aufl., § 17 JGG, Rn. 58, 70). Die „Schwere der Schuld“ im
Sinne des § 17 Abs. 2 JGG wird daher nicht vorrangig anhand des äußeren
Unrechtsgehalts der Tat und ihrer Einordnung nach dem allgemeinen Strafrecht
bestimmt.
In erster Linie ist vielmehr auf die innere Tatseite abzustellen (Senat,
Urteil vom 19. Februar 2014 – 2 StR 413/13, NStZ 2014, 407, 408). Der äußere
Unrechtsgehalt der Tat und das Tatbild sind jedoch insofern von Belang, als
hieraus Schlüsse auf die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit und die
Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden gezogen werden können
(BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – 3 StR 521/14, NStZ-RR 2015,
155, 156; Beschluss vom 6. Mai 2013 – 1 StR 178/13, NStZ 2013, 658, 659;
Beschluss vom 14. August 2012 – 5 StR 318/12, StraFo 2012, 469, 470). Entscheidend
ist, ob und in welchem Umfang sich die charakterliche Haltung, die
Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Täters vorwerfbar in der Tat mani-
festiert haben (BGH, Urteil vom 11. November 1960 – 4 StR 387/60, BGHSt 15,
224, 226).
Auch unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten kann aber der Umstand,
dass der jugendliche oder heranwachsende Täter zunächst mit bedingtem
Tötungsvorsatz handelte, im Falle eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch
des Tötungsdelikts nicht ohne Weiteres zur Begründung der Schwere der
Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG herangezogen werden
.

aa) Die Schuld des jugendlichen oder heranwachsenden Täters wird
nach der in § 24 StGB zum Ausdruck kommenden, nicht auf das Erwachsenenstrafrecht
beschränkten, sondern auch im Jugendstrafrecht zu beachtenden
gesetzgeberischen Wertung nicht durch den Umstand erhöht, dass er zunächst
mit Tötungsvorsatz handelte, wenn er vor Erreichen dieses tatbestandlichen
Zieles die weitere Tatausführung aus autonomen Gründen freiwillig aufgegeben
oder die Tatvollendung aktiv verhindert hat. Mit dem freiwilligen Rücktritt vom
Versuch hat er vielmehr dokumentiert, dass sein „verbrecherischer Wille“ nicht
ausgeprägt genug gewesen ist, um sein deliktisches Ziel zu verwirklichen (vgl.
BGH, Urteil vom 28. Februar 1956 – 5 StR 352/55, BGHSt 9, 48, 52). Die in
dem Versuch zunächst zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit des jugendlichen
oder heranwachsenden Täters erweist sich nachträglich als „wesentlich
geringer“ (BGH, aaO; Roxin, 2003, Strafrecht, Allgemeiner Teil Band II, S. 478).
bb) Die auf der Tatbestandsebene auch im Jugendstrafrecht uneingeschränkt
geltende Regelung des § 24 Abs. 1 StGB zwingt daher dazu, den Umstand
des strafbefreienden Rücktritts vom Versuch in die unter jugendstrafrechtlichem
Blickwinkel erfolgende Berücksichtigung des Tatbilds einzustellen, wenn
der auf den weitergehenden Erfolg gerichtete Tatvorsatz schulderhöhend berücksichtigt
werden soll. Erst beide Gesichtspunkte gemeinsam ergeben das
Tatbild, welches in der spezifisch jugendstrafrechtlichen Beurteilung der
Schuldschwere zu bewerten ist. Die einseitig schulderhöhende Berücksichtigung
allein des zunächst vorliegenden Vollendungsvorsatzes bei der Beurteilung
der Schwere der Schuld erweist sich demgegenüber als rechtsfehlerhaft.

cc) Die Frage, ob die Annahme erheblicher Anlage- und Erziehungsmängel
(vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2015 – 3 StR 581/14, NStZ-RR
2015, 154) im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG auch auf den Umstand gestützt werden
könnte, dass ein jugendlicher oder heranwachsender Täter zunächst zu
einem Angriff auf das Leben eines anderen bereit gewesen ist, bedarf vorliegend
keiner Entscheidung, weil die Jugendkammer das Vorliegen schädlicher
Neigungen verneint und Jugendstrafe allein wegen Schwere der Schuld verhängt
hat. Der Senat neigt jedoch der Ansicht zu, dass die Bewertung insoweit
keinen anderen Grundsätzen folgen kann.
3. Der Senat kann ein Beruhen des Strafausspruchs auf dem festgestellten
Rechtsfehler nicht ausschließen, zumal die Jugendkammer auch im Rahmen
der Strafzumessung im engeren Sinne „strafschärfend“ auf den bei Tatbeginn
bestehenden bedingten Tötungsvorsatz abgestellt hat. 

BGH, Urteil vom 20.4.2016 - 2 StR 320/15 

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