Bewährungswiderruf: Dafür braucht es keine Rechtskraft

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.08.2016
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Der Angeklagte steht unter laufender Bewährung und wird wieder verurteilt. Nicht rechtskräftig. Aber immerhin! Da stellt sich immer wieder die Frage: Darf das die Bewährungsaufsicht führende Gericht eigentlich schon die Bewährung wiederrufen? Oder steht dem die Unschuldsvermutung entgegen? Die strafgerichtliche Rechtsprechung ist hier im Laufe der Jahre mit Recht vorsichtig geworden. Dazu gibt es zahlreiche Aufsätze, etwa von Peglau oder auch schon mal von mir (liegt aber schon zurück: Krumm Bewährungswiderruf trotz Unschuldsvermutung? NJW 2005 1832). Hier hat das OLG Hamm aber einmal wieder bei einem Widerruf "mitgemacht":

1.

Der Umstand, dass die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten zum Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen der Begehung neuer Straftaten nicht (schrift-lich) angehört hat, zwingt nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache. Der Senat hat die entsprechende Anhörung nach § 308 Abs. 2 StPO selbst nachgeholt und kann nach § 309 Abs. 2 StPO selbst in der Sache entscheiden. Eine Zurückweisung der Sache an das untere Gericht kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, zu denen in der herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung das Unterlassen einer zwingend vorgeschriebe-nen mündlichen Anhörung gerechnet wird, nicht aber das Unterlassen einer – wie hier lediglich gebotenen (vgl. § 453 Abs. 1 StPO) – schriftlichen Anhörung (vgl. nur: Meyer-Goßner in. Meyer-Goßer/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 309 Rdn. 7 m.w.N.).

2.

Der vorliegende Fall gibt dem Senat – einmal mehr – Anlass, darauf hinzuweisen, dass das Abwarten bis zum Eintritt der Rechtskraft (des Schuldspruchs) hinsichtlich der Verurteilung wegen der neuen Straftat in einem Widerrufsverfahren nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB regelmäßig nicht erforderlich, ja sogar untunlich ist.

Es entspricht (jedenfalls in den letzten Jahren) ständiger Rechtsprechung der Mehrzahl der Strafsenate des hiesigen Oberlandesgerichts, dass ein Widerruf nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung (Art. 6 EMRK) schon dann in Betracht kommt, wenn der Verurteilte entweder wegen der neuen Tat (erstinstanzlich) verurteilt worden ist oder ein glaubhaftes, prozessordnungsgemäßes Geständnis abgelegt hat (OLG Hamm, Beschl. v. 14.06.2016 – 4 Ws 156/16; OLG Hamm, Beschl. v. 01.04.2014 – 3 Ws 67/14 – juris; OLG Hamm NStZ 2013, 174; OLG Hamm, Beschl. v. 30.04.2012 – 3 Ws 101/12 – juris; anders allerdings noch: OLG Hamm, Beschl. v. 03.02.2010 – 2 Ws 24-25/10 – juris). Ob dann auf dieser Grundlage ein Widerruf ausgesprochen wird, ist dann eine Frage der richterlichen Überzeugungsbildung. Hat das über den Widerruf befindende Gericht Zweifel an der Richtigkeit der neuen Verurteilung oder des Geständnisses, so empfiehlt sich zur Vermeidung von dann schon absehbaren divergierenden Entscheidungen (Widerruf hier – Freispruch dort) ein weiteres Abwarten. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass insoweit nur die Schuldfrage selbst von Relevanz ist – nicht hingegen die Rechts-folgenseite. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB verlangt als Widerrufsgrund nur die Begehung einer neuen Tat, nicht eine bestimmte Ahndung derselben. Ein Widerruf kann grds. auch erfolgen, wenn die neue Tat lediglich mit einer Geldstrafe geahndet wurde (vgl. z. B. OLG Hamm, Beschl. v. 04.12.2008 – 3 Ws 484/08 – juris) oder eine verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde (vgl. z. B. OLG Hamm NStZ-RR 2014, 206). Ob die Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen ist, muss das Vollstreckungsgericht eigenverantwortlich unter Berücksichtigung aller Umstände entscheiden.

Hat das Widerrufsgericht hingegen auf der Grundlage der (nicht rechtskräftigen) Aburteilung der neuen Tat oder des Geständnisses des Verurteilten keine Zweifel hinsichtlich der Schuldfrage (vgl. zu entsprechenden Konstellationen: KG Berlin, Beschl. v. 18.08.2015 – 5 Ws 103/15 - juris), so ist ein weiteres Zuwarten nicht angezeigt, denn dies würde gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen. Die Beschleunigung im Vollstreckungsverfahren ist bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich geboten. Eine funktionstüchtige Strafrechtspflege erfordert die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs innerhalb eines so bemessenen Zeitraums, dass die Rechtsgemeinschaft die Strafe noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen kann (BVerfG, Beschl. v. 08.04.2013 – 2 BvR 2567/10 –juris m.w.N.). Auch die § 258 Abs. 2 StGB erkennbare gesetzgeberische Wertung zeigt, dass das Beschleunigungsgebot auch im Vollstreckungsverfahren gilt. Danach kann eine Vollstreckungsvereitelung auch in einer nicht unerheblichen Verzögerung der Vollstreckung liegen (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 258 Rdn. 30). Ein frühzeitiger Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung kann – abhängig von den konkreten Umständen - auch im Interesse des Verurteilten liegen, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass der neue Tatrichter unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich infolge des Widerrufs erlittenen Strafhaft und der dort vollzogenen Entwicklung zu einer Strafaussetzung im neuen Verfahren kommt.

Hier ist das Vollstreckungsgericht erkennbar (und nicht unvertretbar) der teilweise von anderen Obergerichten und auch zum Teil in der Literatur vertretenen Ansicht gefolgt, dass die neuen Taten rechtskräftig abgeurteilt sein müssen (vgl. Fischer a.a.O. § 56f Rdn. 6 m.w.N.), und ist deswegen erst im April 2016, nach Eintritt der Rechtskraft hinsichtlich Schuldspruchs bzgl. der neuen Taten, zum Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gelangt, während es unter Zugrundelegung der jetzt deutlich gemachten Rechtsauffassung des Senats nach Aktenkundigwerden der erstinstanzlichen Verurteilung im Mai 2014 zum Widerruf hätte schreiten können, zumal er bereits zu dieser Zeit jedenfalls einen Teil der neuen Taten eingeräumt hatte.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 16.6.2016 - 4 Ws 173, 174/16

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1 Kommentar

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Hallo ich bin derzeit Auf bewährung, 3Jahre.. Hab allerdings wieder mist gebaut um meine drogen zu finanzieren.

Alles zu beschaffung für geld meiner drogen. 

ich bin selber auf entgiftung gegangen 5 wochen war ich dort, nun bin ich schon 2monate auf reha, 

mein anwalt ist auch eingeschaltet trotzdem stellt sich mir die frage. Wie entscheidet das gericht `? 

ich hab ziemlich angst gerade weil alles so gut anläuft

ps: für eine nachsorge ín form einer adaption ist auch schon gesorgt

mfg strempel felix

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