Bonn ist halt nicht Berlin

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 18.08.2016
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|4268 Aufrufe

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf leidensgerechte Beschäftigung in Telearbeit, Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Klägerin ist seit 1999 bei der Versicherungsaufsicht der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt, sie wohnt in der Nähe von Berlin. Bei ihrer Einstellung hatte das Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen (BAV) dort seinen Sitz; die Klägerin wurde aber schon damals darauf hingewiesen, dass im Zuge des Bonn-Berlin-Gesetzes ein Umzug der Behörde (jetzt: Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht - BaFin) ins Rheinland bevorstehe. Dieser erfolgte im Oktober 2002.

Die Klägerin strebte zunächst einen Referatswechsel an, dann wurde sie für die Fertigstellung ihrer Dissertation eineinhalb Jahre lang beurlaubt. Unmittelbar im Anschluss daran meldete sie sich im Oktober 2009 krank. Seit Mai 2010 bemüht sie sich um Zuweisung eine Telearbeitsplatzes. Klageweise begehrt sie nun die Zuweisung eines Telearbeitsplatzes mit stufenweiser Erhöhung ihrer Präsenzphasen in Bonn über einen Zeitraum von 12 Monaten. Sie trägt vor, der Wiedereingliederungsplan sei notwendig für die Rückkehr in die bisherige Tätigkeit. Es müsse sichergestellt sein, dass sie bei auftretenden Störungen mit der Therapeutin arbeiten könne. Um dies zu gewährleisten, müsse sie sich in Bonn einen neuen Therapieplatz und einen neuen Therapeuten suchen. Die Beziehung zu ihrem Therapeuten sei ein wesentlicher Aspekt für den Erfolg einer Psychotherapie. Daneben seien in Anbetracht der psychotherapeutischen Erkrankung die sozialen Faktoren von herausragender Bedeutung. In Bonn fehle ihr jeder sozialer Bezug. Ihr Familien- und Freundeskreis, dessen Fürsorge gar nicht hoch genug eingeschätzt werden könne, sei in und bei Berlin. Unter diesen Bedingungen könne in Bonn die Krankheit nicht geheilt werden.

Das LAG Köln hat die Klage abgewiesen:

Nach einer umfassenden Abwägung der im vorliegenden Verfahren betroffenen Interessen besteht jedenfalls kein Anspruch auf das gewünschte gestufte Telearbeitsmodell zur Wiedereingliederung. Die Klägerin kann insbesondere keinen Anspruch aus § 81 Abs. 4 SGB IX ableiten. Denn sie ist weder schwerbehindert noch gleichgestellt. Das gewünschte Telearbeitsmodell geht zudem über die Vorgaben der Dienstvereinbarung hinaus und ist auch aus sonstigen Erwägungen nicht die einzig mögliche Ausübung des Direktionsrechts durch die Beklagte für eine leidensgerechte Beschäftigung der Klägerin. Überdies ergeben sich Grenzen für das Direktionsrecht der Beklagten aus rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen: Auch wenn die Kammer einen entsprechend freien Arbeitsplatz unterstellt, besteht ein Anspruch der Klägerin mangels Zumutbarkeit des Telearbeitsmodells für die Beklagte nicht. Für diese Annahme sprechen auch die Wertungen des § 81 Abs. 4 SGB IX. Auch hier sind die Grenzen der Zumutbarkeit zu beachten. (Leitsatz 5) … Gegen einen entsprechenden Anspruch der Klägerin spricht auch, dass sie lange Zeit im Berufungsverfahren die Anwesenheit auf der Dienststelle davon abhängig gemacht hat, dass die Anreise nachvollziehbar sinnvoll sei. … Es widerspricht dem Grundgedanken des Austauschverhältnisses eines Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nachvollziehbar darlegen muss, dass er auf der Dienststelle erscheinen muss – insbesondere wenn es um vier oder sechs Stunden in der Woche geht. (Rz. 63)

Die Revision wurde nicht zugelassen.

LAG Köln, Urt. vom 24.5.2016 - 12 Sa 677/13, BeckRS 2016, 69901

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