Kriminologie im US-Wahlkampf: Stop & Frisk und die Kriminalstatistik

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 29.09.2016
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologie1|6874 Aufrufe

In Deutschland wird der Wahlkampf in den USA intensiv verfolgt, so auch die Debatte am Dienstagmorgen. Kriminologisch interessant war der Austausch über Stop & Frisk, also das Anhalten und Durchsuchen von (verdächtigen) Personen. In Rechtsstaaten setzt diese polizeiliche Maßnahme üblicherweise konkrete Verdachtsmomente im Verhalten der angehaltenen Person voraus. In New York City wurde von 2002 bis 2013 Stop & Frisk als eine zentrale Polizeistrategie propagiert, bei der Polizisten ohne Verdachtsgründe Personen stoppen und durchsuchen durften, ja auf Anweisung des Bürgermeisters und des Polizeichefs dies sogar möglichst häufig tun sollten, um Straßenkriminalität effektiv zu bekämpfen. In diesem Zeitraum wurden in mehr als 4 Millionen Fällen Personen auf der Straße von Polizisten angehalten und durchsucht, in den allermeisten Fällen ohne dass dabei ein Straftatverdacht entstand.

Ein Gericht stoppte im Jahr 2013 diese Praxis als verfassungswidrig (Quelle: Spiegel Online) und ordnete an, dass die Polizei für ein solches Vorgehen jeweils im Einklang mit der Rechtsprechung des Supreme Court einen konkreten Anlass benötige. Grund für diese Entscheidung war, dass die Stop & Frisk Praxis kombiniert mit „racial profiling“ zu einer deutlichen Diskriminierung von Minderheiten geführt hatte: Offenbar war die Hautfarbe maßgeblicher Anlass polizeilicher Intervention (Quelle: NYT Opinion).

In der Debatte stellte Präsidentschaftskandidat Donald Trump einige kriminologische Behauptungen auf:

1. In Chicago hätten im Jahr 2016 tausende Schießereien stattgefunden, 4000 Menschen seien seit Obamas Amtsantritt getötet worden.

Beide Behauptungen treffen zu: In Chicago gab es bis zum September im Jahr 2016 bereits fast so viele Schießereien wie im gesamten Vorjahr (Quelle: CNN). Seit 2009 (Obamas Amtsantritt) sind tatsächlich knapp 4000 Menschen in Chicago getötet worden. Allerdings ist die Verknüpfung mit Obama unfair, denn in den Jahren vor seinem Amtsantritt waren die Zahlen nicht geringer, vor 2004 waren sie sogar noch wesentlich höher, und der Einfluss des US-Präsidenten auf städtische Kriminalitätspolitik ist ohnehin kaum messbar.

2. Stop & Frisk habe in New York City sehr gut funktioniert, die Kriminalitätsrate sei dadurch sehr weit gesenkt worden. Hier das Original-Transkript aus der Debatte:

I think maybe there's a political reason why you can't say it, but I really don't believe -- in New York City, stop-and-frisk, we had 2,200 murders, and stop-and-frisk brought it down to 500 murders. Five hundred murders is a lot of murders. It's hard to believe, 500 is like supposed to be good? But we went from 2,200 to 500. And it was continued on by Mayor Bloomberg. And it was terminated by current mayor. But stop-and- frisk had a tremendous impact on the safety of New York City. Tremendous beyond belief. So when you say it has no impact, it really did. It had a very, very big impact.

(Quelle: Washington Post)

Die oben geschilderte Stop & Frisk-Taktik wurde in NYC allerdings erst 2002 (Bürgermeister Bloomberg) eingeführt. Die Anzahl der Tötungen/Jahr war schon vorher von ca. 2200 im Jahr 1990 auf ca. 600 im Jahr 2002 gefallen. Während der Zeit des Stop & Frisk fielen die Werte weiter(auf ca. 500/Jahr), aber auch noch bis 2014, nachdem Stop & Frisk vom neuen Bürgermeister abgestellt worden war.

(Quelle: NYC Gov).

Im vergangenen Jahr (2015) gab es dann einen mäßigen Anstieg der Gewaltdelinquenz in New York City, seither ist die Rate aber wieder rückläufig (Quelle: NYPD). Ein Zusammenhang zwischen Stop & Frisk und Kriminalitätsrate ist nicht erkennbar (Vgl. Washington Post).

In den USA ist nach wie vor eine weit höhere Kriminalitätsrate zu verzeichnen als in Europa, das gilt auch und insbesondere für Gewaltdelinquenz. Allgemein haben die USA – in etwas geringerem Umfang auch Europa – in den vergangenen 25 Jahren einen erheblichen Rückgang der Gewaltdelinquenz zu verzeichnen. Die Gründe dafür sind unter Kriminologen umstritten (hier mein Beitrag zu diesem Thema). Die Entwicklung in den USA ist allerdings von Stadt zu Stadt, sogar von Viertel zu Viertel sehr unterschiedlich, auch lässt sich in jüngster Zeit wieder ein Anstieg feststellen (Quelle: Spiegel Online). Ein Zusammenhang mit der Polizeistrategie in New York City, bei der von 2002 bis 2012 anlasslos Personen angehalten und durchsucht wurden, ist nicht erkennbar. Allerdings lässt sich zeigen, dass die Anwesenheit von Polizisten auf der Straße und deren Eingreifen bei konkretem Verdacht durchaus einen gewissen kriminalitätssenkenden Effekt hat.

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Wie schon im verlinkten Beitrag stützt auch die neuere Entwicklung das Erklärungsmodell von Levitt: von 1993 bis 2013 wurden konstant etwa 4 Millionen Lebendgeborene in den USA verzeichnet, im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Abtreibungen von 1,5 auf 1 Million pro Jahr. Der Siegeszug der religiösen Rechten, der die Abtreibung in vielen Staaten erheblich erschwert hat, zeigt sich auch in diesen Zahlen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass aufgrund besserer Lebensverhältnisse weniger Abtreibungen stattfinden, so wurden doch in vielen Staaten deutlich mehr Nicht-Wunschkinder geboren.

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