BAG zur Massenentlassung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 05.10.2016
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3453 Aufrufe

Lange Zeit hat die Rechtsprechung der nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderlichen Unterrichtung des Betriebsrats vor Massenentlassungen relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt und ihren Fokus auf die ordnungsgemäße Anzeige gegenüber der Arbeitsagentur (§ 17 Abs. 1 KSchG) gerichtet. Dies hat sich in der letzten Zeit, nicht zuletzt angestoßen durch den EuGH, grundlegend geändert. Inzwischen liegen mehrere Urteile des BAG vor, die die Unterrichtungspflicht konkretisieren. Veröffentlicht hat das Gericht jetzt seine Entscheidung vom 9.6.2016, die eine in mehreren „Entlassungswellen“ vollzogene vollständige Betriebsstillegung betraf. Die Betriebsschließung war von Beginn an geplant, ebenso die Abwicklung durch mehrere Kündigungswellen. Die Klägerin rügte im Kündigungsschutzprozess u.a., dass die Arbeitgeberin dem Betriebsrat entgegen § 17 Abs. 2 Nr. 2 und 3 KSchG nicht die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer und die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer mitgeteilt habe. Ihre Klage hatte im Ergebnis keinen Erfolg:

Es erscheine bereits zweifelhaft, ob eine fehlerhafte Unterrichtung bzgl. der Berufsgruppen in Fällen wie dem vorliegenden, bei denen ohnehin alle Arbeitnehmer entlassen werden sollen, für den Arbeitgeber nachteilige Rechtsfolgen nach sich zieht. Unterrichte der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht über die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer, könne dies bei der Entlassung aller Arbeitnehmer keine Folgen für die Prüfung konstruktiver Vorschläge zur Verhinderung oder Beschränkung der Massenentlassung durch den Betriebsrat haben und sich der Fehler insoweit nicht zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer auswirken. Jedenfalls werde ein etwaiger Verfahrensmangel geheilt, wenn wegen einer Betriebsstilllegung die Entlassung aller Arbeitnehmer beabsichtigt sei und der Betriebsrat hierüber ordnungsgemäß unterrichtet wurde. In einem solchen Falle könne der Betriebsrat schon wegen der offensichtlichen Betroffenheit aller Berufsgruppen zu dem Schluss kommen, ausreichend unterrichtet zu sein. Erkläre er nach der Beratung mit dem Arbeitgeber, dass er seinen Beratungsanspruch als erfüllt ansehe, bringe er damit zum Ausdruck, dass er bzgl. der beabsichtigten Massenentlassung und ihrer Folgen keine weiteren Vorschläge unterbreiten könne oder wolle und das Konsultationsverfahren als beendet ansehe. Durch eine solche Erklärung, die in einem Interessenausgleich enthalten sein könne, führe der Betriebsrat eine Heilung des Unterrichtungsmangels herbei.

BAG, Urt. vom 9.6.20166 AZR 405/15, BeckRS 2016, 72327

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