„Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und NS-Zeit“

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 01.11.2016
Rechtsgebiete: Strafrecht28|8020 Aufrufe

Viel zu spät, aber vielleicht braucht es auch den zeitlichen Abstand, begann man in den vergangenen Jahren damit, die Rolle einzelner Ministerien und Behörden im Umgang mit dem Erbe des NS-Regimes in der Nachkriegszeit zu erforschen. Zum Auswärtigen Amt liegt seit 2010, zum Bundeskriminalamt seit 2011 und für das Bundesamt für Verfassungsschutz seit 2015 eine entsprechende Studie vor. Eine entsprechende Untersuchung zum Bundesnachrichtendienst ist in Vorbereitung. Vor wenigen Wochen erschien im Verlag C.H. Beck „Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und NS-Zeit“ von Manfred Görtemaker und Christoph Safferling, wer alles im Ministerium unterkam und welchen Einfluss dies auf die Rechtspraxis hatte.

Die ebenso sehr lesenswerte wie gründliche Untersuchung behandelt aufschlussreich die Rolle des BMJ (jetzt: BMJV) u.a. bei der Amnestierung von NS-Tätern und ihrer vorzeitigen Haftentlassung. Bereits bis 1958 waren fast alle Verurteilten freigekommen. – Die älteren Strafrechtler unter uns werden noch mit dem Standardkommentar zum StGB von „Dreher“ – jetzt „Fischer“ – gearbeitet haben. Für diese aber auch insbesondere für Studierende (!) empfehle ich das Kapitel „Die `kalte Amnestie`: Parlamentarische Panne oder perfider Plan?“ (S. 399 – 420; zusammenfassend in der Rezension von Fritz Ullrich Fack in der FAZ vom 22.10.2016 S. 10, kostenpflichtig abrufbar). Daneben finden sich aber zahlreiche sehr aufschlussreiche Darstellungen mit aktuellen Bezug wie auf den Eichmann-Prozess, Fritz Bauer und die Auschwitz-Prozesse, das Staatsschutzstrafrecht seit 1949 oder das „Versagen des BMJ als Hüter der Verfassung“ (S. 421 – 435).

Für mich ein wichtiges Buch für jeden Juristen, das ich persönlich in engem Zusammenhang mit Bernd Rüthers „Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat“, 2. Auflage, 2016, gelesen habe. Dazu und den Zusammenhängen, die ich sehe, in meinem nächsten Blogbeitrag.

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28 Kommentare

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Das Buch handelt von nichts weniger als von dem Thema, auf welche Weise die alten NS-Seilschaften in den 1950er und 1960er Jahren hinter den Fassaden die Grundlagen der Bundesrepublik legten. Die bitterlichen Krokodilstränen, die jetzt, im Jahr 2016, über die Weichenstellungen von damals vergossen werden, tun schon längst niemandem mehr weh.   

Mit den Verstrickungen von Richtern mit dem NS-System beschäftigt sich auch der ehemalige RiOlG Braunschweig Helmut Kramer, der den  Fritz-Bauer-Preis 2010 erhalten hat:
 
http://kramerwf.de/Fritz-Bauer-Preis-2010.260.0.html

Neben Zivilrichtern haben ja  auch  Militärrichter nahezu nahtlos nach dem Krieg in zivilen Ämtern weitergemacht:

http://kramerwf.de/Karrieren-und-Selbstrechtfertigungen.196.0.html

Die gesamte deutsche Justiz ist mir also nicht unbekannt, falsches Pathos inbegriffen.
Beim  "Nürnberger Juristenprozess" waren 16 hohe Justizbeamte und Richter angeklagt, am längsten in Haft war Herbert Klemm, Staatssekretär im RMJ.
In den Urteilsbegründungen hieß es: "Der Dolch des Mörders war unter der Robe des Richters verborgen"

Der frühere Präsident des LG Nürnberg-Fürth Prof. Dr. Klaus Kastner  schrieb auch zum Nürnberger Juristenprozeß 1947.
(in Juristische Arbeitsblätter Jahrgang 1997, S. 699-706, auch als PDF im Internet abrufbar)

DER SPIEGEL schrieb am 11.09.1967
"ZEITGESCHICHTE / NS-JUSTIZ
Von Natur defekt"
Zitat Anfang:

"Spitzbubenmäßig" sei ihre Erziehung, niemandem kämen sie "naher als dem Verbrecher", sie gehörten auf den "Schindanger" -- so dachte Adolf Hitler von Deutschlands Juristen. "Alle die Rechtsfragen, die von den Juristen erfunden sind, spielen für die Natur keine Rolle", dozierte er in trauter Tischrunde und lobte Dietrich Eckart, den ersten Herausgeber des "Völkischen Beobachters", weil der sein Jurastudium abgebrochen habe, "um nicht ein vollendeter Trottel zu werden". Für den Tischherrn waren alle Juristen "von Natur defekt".

Und dennoch: Sie funktionierten fast alle -- für Hitler. Das war der Erfolg einer erprobten Technik der Macht, der "Gleichschaltung". Durch Gesetze, Erlasse und Führerbefehle, durch Schulungskurse und schließlich sogar durch Urteilskorrekturen ließ sich die deutsche Justiz von der Machtübernahme an bis Kriegsende vom nationalen auf nationalsozialistischen Kurs trimmen, ließen sich biedere Richter zu fanatischen NS-Rechtswahrerm [Schreibfehler] formen.


Zitat Ende
Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46462445.html

Auch da kommt wieder der  Staatssekretär Herbert Klemm vor, aber auch Dr. Curt Rothenberger in Hamburg mit Zitat aus dem SPIEGEL-Artikel:
"Und der zierte sich nicht länger. Es gelte, "den Nationalsozialismus in der hanseatischen Justiz fest zu verankern", bekannte Rothenberger unverblümt bei seiner Amtseinführung."
 

     

Sehr geehrter Herr Kollege Würdinger,

da ich für Ihr großes Interesse an unserem Blog und Ihre Beiträge sehr dankbar bin, kann ich mir auch längerem Überlegen keine Meinung dazu bilden, wie Sie die Untersuchung insgesamt finden.

Natürlich geht es auch um reine Historie bestimmter Juristen im öffentlichen Dienst, aber doch auch um viel mehr. Vielleicht folgt mein großes Interesse aus meiner früheren Tätigkeit in der Justiz. Aber wann bekommt man solche Einblicke wie Justiz und Justizpolitk "arbeiten". Für folgende Juristengenerationen würde ich mir wünschen, dass solche Einblicke bereits im Studium gegeben werden, damit die notwendige Sensibilität und eigenes kritisches Nachdenken gefördert wird. Dann wird das Jurastudium hoffentlich wirklich spannend und macht viel mehr Freude als sich etwa mit den gekreuzten Mordmerkmalen bei § 28 StGB abzuquälen.

Beste Grüße

Bernd von Heintschel-Heinegg

Grüß Gott Herr Kollege,

die Untersuchung ist ganz sicher fundiert und ganz sicher sowohl aufschlussreich als auch lehrreich. Gar keine Frage. Und ich weiß jetzt schon, dass das Buch eines der zahlreichen Bücher sein wird, deren Lektüre eigentlich notwendig und wichtig wäre, ich aber mangels Zeit nie dazu kommen werde, das Buch auch nur ansatzweise zu lesen. Auch gar keine Frage. Meine Kritik ist eine ganz andere: Das Buch kommt viel zu spät. Es kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem politisch schon seit Jahrzehnten längst alles passiert ist. Zu dem sich die alten NS-Seilschaften schon längst gegenseitig ihre Persilscheine ausgestellt haben. Zu dem politisch nichts mehr wiedergutzumachen ist. Das ist meine Kritik.

Viele kollegiale Grüße nach Straubing bzw. Regensburg     

Noch ein emotional gefärbter Nachtrag: Ich denke tatsächlich, dass die Aufarbeitung der NS-Zeit genau im Jahr 1979 endgültig gescheitert ist. Im Jahr 1979 ertrank Josef Mengele bei einem Badeunfall in Brasilien. Seit 1979 steht also fest, dass es der Bundesrepublik nicht gelungen ist, Josef Mengele zu fangen, abzuurteilen und aufzuhängen. Ich bin also tatsächlich der Meinung, dass man exakt seit dem Jahr 1979 aufhören sollte, noch irgendein Wort über die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zu verlieren.     

RA Würdinger schrieb:

..... nicht gelungen ist, Josef Mengele zu fangen, abzuurteilen und aufzuhängen.  

Auch er hatte sich gut tarnen können und hatte auch viele Helfer und Mitwisser gehabt.

Josef Mengele war leider auch nicht unter den 23 Angeklagten beim Nürnberger Ärzteprozeß 1947/48 als KZ-Lagerarzt in Auschwitz, von den 23 Angeklagten wurden 7 hingerichtet, die längste Haftstrafe hatte bis 1955 gedauert.
 

DIE WELT am 27.12.2011:
Ärzte im KZ 
"Versuche, die sonst nur an Kaninchen möglich sind"

Quelle: https://www.welt.de/kultur/history/article13782072/Versuche-die-sonst-nu...

Auch da sind die NS-Seilschaften und Hintermänner aus der ideologisierten Medizin weitestgehend auch später noch unbehelligt geblieben und haben sich auch da gegenseitig dann Persilscheine ausgestellt.

Wie bei den meisten Juristen / Richtern, die Mediziner als die "Halbgötter in Weiß", oder die Juristen / Richter als die "Halbgötter in Schwarz". Dröhnendes Pathos fehlte meistens auch da noch nach dem Krieg sehr selten.

Sehr geehrter Herr Kollege Würdinger,

besten Dank für ihre Einschätzung!

Natürlich erfolgt die Aufarbeitung mit unangemessener zeitlicher Verzögerung undpolitisch nicht mehr viel gut zu machen. Da gebe ich Ihnen völlig recht.

Aber solange die Aufarbeitung nicht erfolgt ist, kann nicht abgeschlossen werden. Denn sonst lernen wir nicht für die Zukunft, dass sich so etwas nicht wiederholen darf und worauf politisch zu achten ist, dass dies nicht eintritt.

Mit besten kollegialen Grüßen

Bernd von Heintschel-Heinegg

Grüß Gott Herr Kollege,

ich habe u.a. den Ehrgeiz, nie in der Schachtel mit den Hochstaplern zu landen. D.h. für mich in diesem Fall, dass ich nie rumlaufen und behaupten werde, ich hätte die betreffende umfangreiche Untersuchung auch nur ansatzweise gelesen. Im übrigen haben Sie natürlich völlig Recht: Man sollte, zumal angehenden Juristen, die Lektüre der Untersuchung wärmstens ans Herz legen. Die Untersuchung hat ganz sicher so viele Leser wie möglich verdient.

Viele kollegiale Grüße

 

   

Es gibt eben tatsächlich - und nicht nur im Fernsehen - Fälle, in denen der Staat schlicht und ergreifend und ganz offensichtlich Unrecht begeht.

Der verlinkte Artikel ist absolut lesenswert. Der dort beschriebene Sachverhalt ist schlichtweg ein politischer und juristischer Skandal. Aber dieser Rechtsfall wird wegen seiner "Komplexität" wohl genauso wenig die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit finden wie der Rechtsfall, den ich in meinem Profil und in meinem Manuskript beschreibe.  

Der verlinkte Artikel ist absolut lesenswert. Der dort beschriebene Sachverhalt ist schlichtweg ein politischer und juristischer Skandal

Starke Worte - nichts dahinter. Als Anwalt sollte man das Wort "Skandal" erst dann in den Münd nehmen, wenn man seiner Sache sicher ist. Und diese Sicherheit vermittelt der verlinkte Artikel gerade nicht. Dort heisst es:
"Köhlers Klage stützt sich auf Dokumente aus der Vor- und Nachkriegszeit. Aus der NS-Zeit selbst hat er nur ein schriftliches Indiz finden können, das die Bedrohung seiner Großtante zeigen soll."
Auf ein solches einziges "Indiz" stützt man weder eine Klage noch das Terrorwort "Skandal".

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Obwohl im Grundbuch immer nur Bormann eingetragen war, habe der Freistaat Bayern das Areal als Parteivermögen der NSDAP umdeklariert. So konnte das künftige BND-Gelände in seinen Besitz gelangen. Dabei - das zeigen Unterlagen - hatte bereits 1947 der Treuhänder über Bormanns Vermögen amtlich vermerkt, dass der Verkauf unter Zwang und unter Wert stattgefunden habe. Er notierte auch, dass es Vorbesitzer mit Rückgabeansprüchen geben könnte, die man besser nicht ansprechen sollte, um sie nicht auf Ideen zu bringen. Margarethe Pauckner und andere ehemalige Besitzer erfuhren von all dem nichts.

Also der politische Skandal wäre allein damit ja wohl schon gegeben, wenn nach dem Artikel tatsächlich im eigenen Bereicherungsinteresse vom Freistaat und dem BND-Vorläufer so gehandelt wurde. Dazu wohl auch das streng vertrauliche Dokument aus der "Operation Gehlen", das offensichtlich erst später verfügbar wurde. Wenn das alles Falschmeldungen sein sollten, dann ist es eben ein medienpolitischer Skandal des ÖR. Das hat Herr Würdinger denke ich allein schon als aufmerksamer Bürger vollkommen richtig eingeschätzt.

Ihren kleinen persönlichen Skandal (als möglicherweise Anwalt?) liefern Sie mit

Auf ein solches einziges "Indiz" stützt man weder eine Klage noch das Terrorwort "Skandal".

1. "Köhlers Klage stützt sich auf Dokumente aus der Vor- und Nachkriegszeit." haben Sie zwar offensichtlich wahrgenommen, verleugnen diese Tatsache dann jedoch in Ihrem "Terrorwort"-Fazit. Sollten Sie sich vielleicht nicht so sehr an der gängigen Methodik in gerichtlichen Urteilsbegründungen orientieren?

2. Sie unterstellen, dass Herrn Würdinger Ihr willkürlich selektiertes "einziges "Indiz" als Beleg des juristischen Skandal erhebt, obwohl dieser sich gar nicht auf Ihre Selektion festgelegt hatte. Sie schieben das manipulativ aber sehr schlicht unter. Dass ein Anwalt ja auch nicht einen allgemeinen Medienartikel als Klage einreicht, sondern rechtliche Ansprüche und Sachverhalte möglichst konkret und beweisbar aufzubereiten hat, versteht sich ja eigentlich von selbst. Ich gehr davon aus, dass die Klage anwaltspflichtig ist. Was unterstellen Sie implizit den unbekannten Berufskollegen? Oder wissen Sie mehr. 

3. In welchem Umfang der Anwalt als juristisch ausgebildetes Mitglied des Rechtsorgans Anwaltschaft mit dem Mandanten und dann auch mit dem Gericht klärende Rechtsgespräche zu führen hat, ist zumindest in der Praxis umstritten. Nicht Wenige halten ihren "Münd", egal was das Gericht mit der vertretenen Klage, den Tatsachen und den Gesetzen anstellt. Halte ich schlichtweg auch für skandalös. 

3. "Skandal bezeichnet ein Aufsehen erregendes Ärgernis" (Wikipedia)

schon sprachlich fest mit dem Merkmal des "Terror (lat. terror „Schrecken“) ist die systematische und oftmals willkürlich erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt, um Menschen gefügig zu machen."

zu verbinden ist "mit Verlaub absolut fernliegender" Blödsinn.

Dem Kläger geht es jedenfalls nach eigener Aussage um juristische Klärung, historische Aufarbeitung und um Moral. Terrorisiert der Kläger nach Ihrer Meinung die Justiz damit nur zu früh? Sollte er mögliche Ansprüche und Schuldigkeit von Verantwortlichen erstmal verjähren lassen?            

    

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Wenn man bei der Google-Suchfunktion "Grundstück in Pullach Martin Bormann" eingibt, erhält man eine ganze Reihe Treffer zu dieser Angelegenheit. Ich habe zur Einführung in das Thema jetzt nur die kürzeste Fundstelle verlinkt: 

http://www.woellner.cc/woellner.cc/Martin_Bormann_-_Liegenschaftsverkauf...

Jede historische Aufarbeitung der NS-Zeit ist von Wert, v.a. wenn sie uns als Rechtskundigen vor Augen führt, was nie wieder geschehen sollte. Zu lange hat man in der Ausbildung den Eindruck erweckt, als sei ab 1949 ein neues Deutschland entstanden, das personell und sachlich mit der NS-Zeit keine Berührungspunkte gehabt hätte.

Besonders heroisch mag eine solche Aufarbeitung nicht mehr sein, man hätte sie sich lieber vor 10, 20 oder 30 Jahren gewünscht.

Deutlich mehr Missbehagen bereitet mir die Rechtsprechung zum NS-Unrecht. Das gestern vom BGH veröffentlichte Urteil zum "Buchhalter von Auschwitz" korregiert zwar zu Recht die Fehler der bundesdeutschen Justiz bis 1989, insbesondere nach den Frankfurter Auschwitzprozessen. Aber diese Urteile kommen 50 Jahre zu spät. Und sie sind angesichts nur noch weniger Überlebender auch nicht besonders herorisch. Nein, dazu ist maximal Vernunft, aber kein Mut notwendig. Richtiggehend feige ist die o.g. Entscheidung, weil sie kein Wort darüber verliert, wie der BGH jahrzehntelang die Verfolgung von NS-Tätern hintertrieben hat. Stattdessen: Business as usuall. Kurze geschäftsmäßige Erwähnung des angeblich anderen Falles von 1969, das war es dann. Mutig wäre es zudem gewesen, ein paar Worte darüber zu verlieren, warum nur das hohe Alter des Verurteilten ihn vor Gericht geführt hat und ob hier eine Strafe gefällt wurde, die tatsächlich noch etwas mit Schuld zu tun hat. Bei jedem anderen Delikt wäre vermutlich Verhandlungsunfähigkeit festgestellt worden. Doch es galt nochmals, ein Zeichen zu setzen.

War auch das vernünftig? Oder opportunistisch? Dem Zeitgeist folgend?

Die heute Nachgeborenen scheinen sich mir zu gerne in der Pose zu gefallen, es sei selbstverständlich sei, solche Urteile zu fällen oder Bücher zu schreiben. Aber noch in den 1980er Jahren hatten Historiker, die NS-Geschichte aufarbeiten wollten, die größten Probleme. Wenn wir uns heute als demokratische, rechtsstaatliche, antinazistische und rationale Juristen fühlen, so möchte ich nicht wissen, was passiert, wenn sich die Winde drehen. So etwas wie 1933 wird nicht mehr passieren, aber der Irrsinn grasiert da draußen in der Welt und ich bin mir der Resistenz unseres Standes höchst unsicher.

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Unter der Überschrift "Wenn aus Recht Unrecht wird" findet sich in der aktuellen NJW (S. 3698 ff) sozusagen der "Nachklapp" zum Buch "Die Akte Rosenburg". Mir sind an zwei Stellen Äußerungen der BGH-Präsidentin Frau Limperg aufgefallen, die ich nicht unwidersprochen lassen möchte:

1) Zum einen stoße ich mich an dem Satz (S. 3699, linke Spalte, Kursivsetzung von mir): "Ich widerspreche Herrn Rüthers insofern, als es nicht nur der Positivismus war, der den Nationalsozialisten den Weg geebnet hat." Damit kolportiert Frau Limperg genau das von den NS-Juristen zu ihrer Verteidigung nach 1945 erzählte Märchen: Das Positivismus-Märchen besagt ja gerade, die NS-Juristen seien für nichts verantwortlich zu machen, weil sie durch die Bank im Sinne des Positivismus erzogen gewesen seien und sie doch nur im Sinne des Positivismus die Gesetze des NS-Staates vollzogen hätten. Das ist aber ein bereits x-mal wiederlegtes Märchen. Es ist eine Zumutung, dieses Märchen auch noch im Jahre 2016 lesen zu müssen.  

2) Zum anderen kommt in ihrer Schilderung der Reichsgerichtspräsident Erwin Bumke viel zu gut weg (S. 3702, linke Spalte).

  https://de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Bumke

Die Schilderung hat an dieser Stelle sehr viel von einem Blick durch eine Weichzeichnerlinse.

Zum einen stoße ich mich an dem Satz (S. 3699, linke Spalte, Kursivsetzung von mir): "Ich widerspreche Herrn Rüthers insofern, als es nicht nur der Positivismus war, der den Nationalsozialisten den Weg geebnet hat."

Sie sollten Zitate nicht aus dem Zusammenhang reissen! Frau Limperg fährt nämlich unmittelbar anschließend fort: "Wir sehen, dass die Juristinnen und Juristen ganz freiwillig und ganz frühzeitig alkle Gesetzesbindungen von sich aus verlassen habe..."

Frau Limperg sieht den Positivismus (zu Recht) als etwas, das die Entwicklung hätte aufhalten können. Vielmehr war es das unpositivistische nationalsozialistische Geschwurbel, das das Ende jeder Gesetzesbindung bedeutete, wie auch heute noch jedes (übergesetzlich-moralische-Gerechtigkeits-) Geschwurbel der Feind jeglicher Arbeit am Recht ist.

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Nach 1933 und der sog. "Machtergreifung" der Nationalsozialisten hätte der Positivismus schlimmste Auswüchse der NS-Gesetzgebung vermutlich verhindern können, wenn sich die Juristen dem Recht und den Gesetzen der Weimarer Republik weiter verpflichtet gefühlt hätten.

Nach 1945 aber hatten sich Juristen auf diese NS-Gesetzgebung mit Berufung auf den Positivismus bezogen gehabt.

Siehe auch noch Hans Karl Filbinger, vor 1945 ein Marinerichter, mit Zitat: „Was damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein!"

 

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Der alte Streit, ob das Konzept des Positivismus den NS-Staat ermöglicht hat - oder hätte verhindern können, ist m.E. ziemlicher Nonsens. Verursacht worden ist die Diskussion freilich durch jene NS-Juristen, die den Anschein erweckt haben, als sei der NS-Staat eine rechtmäßige Veranstaltung gewesen, die lediglich durch die bedingungslose Kapitulation ihr Ende gefunden habe. Wer sich darauf positiv oder negativ einlässt, geht ihnen auf den Leim, auch wenn die Legitimationskette "Weimarer Reichsverfassung" -> "Stellung des Reichspräsidenten" -> "Ernennung des Kanzlers" und "Notverordnungsrecht" -> "Ernennung Hitlers" -> "Erlass der Reichstagsbrandverordnung" -> "Ermächtigungsgesetz" -> Legalität aller Rechtsakte des NS-Staates so schön eingängig erscheint.
Aber wie Rüthers ja nachgewiesen hat, war das NS-Recht nicht positivistisch. Seine Legitimation entstammte einer "nationalen Revolution", dem "Deutschtum" und dem Führerprinzip. Der Führer repräsentierte das deutsche Volk, er kannte seine Natur, seine Bedürfnisse und er setzte das Recht. Im Grunde stützte sich das Recht allein auf eine Ideologie. Der Führerwille war verbindlich, es gab keine korrigierenden Kräfte mehr.
Den Positivismus dafür verantwortlich machen zu wollen, ist so verfehlt, wie das Naturrecht dafür verantwortlich zu machen. Die Weimarer Republik scheiterte, weil die Kräfte zu schwach waren, die Freiheit und Rechtsstaat hätten verteidigen wollen. Sie scheiterte, weil den Nazis die staatliche Gewalt vor die Füße gelegt wurde und sie eine Herrschaft der Gewalt errichteten. Sie scheiterte, weil sich Bevölkerung und Eliten im Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus suhlten, weil sie sich blenden ließen und weil ihnen die Emotion näher war als die Vernunft.
Letzteres lässt sich auch haute wieder beobachten.

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Der Art.20 Abs. (4) GG ist ja auch ein Ergebnis aus diesen Erfahrungen. Einen vergleichbaren Passus enthielt die Weimarer Verfassung nicht, der Art. 48 spielte dort eine besondere Rolle.

Eine absolute Garantie mit dem Art.20 allerdings ist im GG m.E. jedoch nicht enthalten.

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Sie meinen vermutlich die Auslegungsmethoden zum kleinen Zusatz in Absatz 3 "Recht". Mit Recht ist vermutlich das Natur- und/oder Gewohnheitsrecht gemeint. Das Naturrecht verlangt für eine Rechtsordnung geordnete Rechtsverhältnisse (Vorhersehbarkeit), das Gewohnheitsrecht (der Richterschaft) wird scheinbar auch heute von der herrschenden Rechtsmeinung in einer Gewohnheit aufgefasst, die mit der Akte Rosenburg dokumentiert wurde. Dazu mein jüngster Kommentar zum Thema Richterrecht vs. Rechtsstaat / Rechtsbeugung hier.

In der dort dargestellten Konsequenz (Aushebelung der richterlichen Unabhängigkeit) könnte man aus Absatz 4 das Eintreten eines Widerstandsrechts annehmen. Nur was bedeutet das historisch, heute und zukünftig ganz konkret?    

  

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Lutz Lippke schrieb:

In der dort dargestellten Konsequenz (Aushebelung der richterlichen Unabhängigkeit) könnte man aus Absatz 4 das Eintreten eines Widerstandsrechts annehmen. Nur was bedeutet das historisch, heute und zukünftig ganz konkret?    

 

Wer kennt eine höchstrichterliche Entscheidung, die einen aktiven Widerstand gemäß Art.20 Abs. (4) in der BRD ausdrücklich gebilligt hatte?

Als ich danach suchte, fand ich diesen Satz: "Über die Wertlosigkeit des Widerstandsrechts (Art. 20 Abs. 4 GG)"

Aber vielleicht finden andere ja noch mehr als ich.

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Tip für den schmalen studentischen Geldbeutel : es gibt jetzt eine günstige Lizenzausgabe der "Akte Rosenburg"  bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

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