Stellungnahme der Diplom-Psychologin verlesen und strafschärfend verwertet...Urteilsaufhebung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.11.2016
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|2863 Aufrufe

Irgendwie schon erstaunlich, was es so alles gibt. Da wird eine Stellungnahme einer Psychologin verlesen, um den Inhalt in das Verfahren einzuführen. Tatsächlich kann man ja derartiges etwa über § 251 StPO machen. Da müssen aber alle Verfahrensbeteiligte zustimmen. Nach welcher Vorschrift hier verlesen wurde, wurde nicht benannt. Ging aber auch gar nicht, da es sich bei der Beweiserhebung der Kammer wohl nur um eine "Einfach-so-mal-Verlesung" handelte. Vielleicht in der Hoffnung, der Verteidiger werde eine Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß begründen können. Jedenfalls klappte die Verfahrensrüge. Und führte zur Urteilsaufhebung:

Im Vorfeld der Hauptverhandlung ist auf Anordnung der Vorsitzenden die
Stellungnahme der Diplom-Psychologin, die als Sachverständige nicht allgemein
vereidigt war, dem Verteidiger zur Kenntnis gebracht worden. Diese Stellungnahme
befasste sich mit dem Inhalt der Behandlung der Geschädigten in
ihrer Praxis sowie den Diagnosen und Tatfolgen. Zugleich ist durch die Vorsitzende
mitgeteilt worden, dass das Gericht beabsichtige, „die Tatfolgen durch
Verlesung der beigefügten Stellungnahme festzustellen“. In der Hauptverhandlung
ist diese Stellungnahme sodann verlesen worden, ohne dass Erörterungen
hierzu stattgefunden hätten. Eine Beanstandung als unzulässig erfolgte nicht.
Von keinem Verfahrensbeteiligten ist ein Einverständnis zur Verlesung erteilt
worden. Es ist weder ein Grund für die Verlesung angegeben, noch ist ein Beschluss
hierzu gefasst worden. Die Diplom-Psychologin ist nicht in der Hauptverhandlung
vernommen worden.
Im Urteil ist ausgeführt, dass die Feststellungen hinsichtlich der belastenden
Tatfolgen für die Geschädigte auf dem Attest der Diplom-Psychologin
beruhten und diese Folgen strafschärfend zu berücksichtigen seien.

b) Die Rüge ist zulässig. Der Angeklagte hat einen Sachverhalt vorgetragen,
der es dem Revisionsgericht ohne weiteres ermöglicht, allein aufgrund
seines Vortrags zu überprüfen, ob der gerügte Rechtsfehler vorliegt, wenn die
behaupteten Tatsachen erwiesen werden (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom
14. Oktober 2014 – 3 StR 167/14, wistra 2015, 148 und vom 29. April 2015
1 StR 235/14, NStZ-RR 2015, 278; Urteil vom 15. Dezember 2015 – 1 StR
236/15). Damit sind die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erfüllt.
Insbesondere bedurfte es entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts
nicht des Vortrags, dass die vor der Hauptverhandlung erfolgte Mitteilung zur
beabsichtigten Verlesung auch an Staatsanwaltschaft und Nebenklägervertreter
erfolgt ist. Denn die Frage, ob eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes
vorlag, kann von der vor der Hauptverhandlung erfolgten und in dieser
auch nicht wieder thematisierten bloßen Ankündigung, etwas verlesen zu wollen,
nicht beeinflusst werden. Zumal diese Absichtserklärung ohne Angabe
eines Verlesungsgrundes erfolgte.

c) Die Rüge zeigt auch einen Rechtsfehler auf. Die Verlesung der Stellungnahme
im Wege des Urkundsbeweises war nicht zulässig. Die Voraussetzungen
der die vernehmungsersetzende Verlesung ausnahmsweise gestattenden
§ 251 Abs. 1 StPO oder § 256 StPO lagen nicht vor; einer Beanstandung
nach § 238 Abs. 2 StPO bedurfte es nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober
2011 – 3 StR 315/11, NStZ 2012, 585).

aa) Schon die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO liegen
nicht vor. Ein Einverständnis mit der Verlesung ist weder vom Angeklagten oder
seinem Verteidiger noch seitens der Staatsanwaltschaft ausdrücklich erteilt
worden. Eine stillschweigende Zustimmung liegt nicht vor. Eine solche kommt
überhaupt nur in Betracht, wenn auf Grund der vorangegangenen Verfahrensgestaltung
davon ausgegangen werden darf, dass sich alle Verfahrensbeteiligten
der Tragweite ihres Schweigens bewusst waren (BGH, Beschluss vom
12. Juli 1983 – 1 StR 174/83, NJW 1984, 65 f.; OLG Köln, Beschluss vom
15. September 1987 – Ss 450/87, NStZ 1988, 31; vgl. auch BGH, Urteil vom
17. Mai 1956 – 4 StR 36/56, BGHSt 9, 230, 232 f.; Löwe/Rosenberg-Sander/
Cirener, StPO, 26. Aufl., § 251 Rn. 22 mwN). Daran fehlt es hier. Zu keinem
Zeitpunkt ist eine auf § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO gestützte oder durch Einverständnis
legitimierte Verlesung thematisiert worden. Auch ist die Anordnung
entgegen § 251 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO vom Gericht nicht beschlossen und
der Grund der Verlesung nicht bekanntgegeben worden. Damit konnte dem
Angeklagten und dem Verteidiger aber unter keinen Umständen bewusst sein,
dass es entscheidend auf ihre Zustimmung ankommen könnte. Allein ihr
Schweigen auf eine Verlesung kann daher nicht dahin gedeutet werden, dass
sie mit der Verlesung einverstanden gewesen wären.

bb) Die Stellungnahme enthielt auch kein Zeugnis oder ein Gutachten
einer öffentlichen Behörde (§ 256 Abs. 1 Nr. 1 a StPO), eines allgemein vereidigten
Sachverständigen (§ 256 Abs. 1 Nr. 1 b StPO) oder eines Arztes (§ 256
Abs. 1 Nr. 1 c, Nr. 2 StPO).

BGH, Beschluss vom 9.8.2016 - 1 StR 334/16

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1 Kommentar

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"Diese Stellungnahme befasste sich mit dem Inhalt der Behandlung der Geschädigten in ihrer Praxis sowie den Diagnosen und Tatfolgen."

Nachdem die Psychologin also in ihrer Praxis "behandelt" hat, war sie offensichtlich eine zur Behandlung berechtigte Psychologin mit Approbation, die grundsätzlich approbierten Psychiatern gleichgestellt ist.

Da hätte man schon ein Auge zudrücken können und dies unter § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO subsumieren können. Die approbierten Psychologen (die übrigens sogar der KV angehören, mit den gleichen Rechten und Pflichten wie Ärzte) gibt es noch nicht so lange. Man sollte diesbezüglich vielleicht mal die StPO anpassen.

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