BSG: Kein "Streikrecht" für Kassenärzte

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 01.12.2016
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3280 Aufrufe

Dürfen Kassenärzte sich zusammentun und ihre Praxen schließen, um ihrer Forderung nach einer höheren Vergütung gegenüber den Krankenkassen und der kassenärztliche Vereinigung Nachdruck zu verleihen? Bislang sind solche „Streikmaßnahmen“ stets als rechtswidrig qualifiziert worden. Ein zugelassener Facharzt für Allgemeinmedizin aus Stuttgart wollte diese tradierte Rechtsansicht auf den Prüfstand stellen und klagte bis zum Bundessozialgericht (BSG).

Der Fall nahm seinen Ausgang im Herbst 2012. Damals informierte der Kläger die beklagte Kassenärztliche Vereinigung darüber, dass er zusammen mit fünf anderen Vertragsärzten "das allen Berufsgruppen verfassungsrechtlich zustehende Streikrecht" ausüben und deshalb am 10. Oktober sowie am 21. November 2012 seine Praxis schließen werde. Die Beklagte erteilte dem Kläger einen Verweis als Disziplinarmaßnahme, da er durch die Praxisschließungen seine vertragsärztlichen Pflichten schuldhaft verletzt habe.

Seine dagegen gerichtete Klage wies das BSG (vom 30.11.2016 - Az.: B 6 KA 38/15 R) nun ab. Der Kläger habe seine vertragsärztlichen Pflichten schuldhaft verletzt. Vertragsärzte müssten während der angegebenen Sprechstunden für die vertragsärztliche Versorgung ihrer Patienten zur Verfügung stehen (sogenannte "Präsenzpflicht"). Dem Kläger stehe kein durch die Verfassung oder die Europäische Menschenrechtskonvention geschütztes "Streikrecht" zu. Ein Recht der Vertragsärzte, Forderungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen im Wege von "Arbeitskampfmaßnahmen" durchzusetzen, sei mit der gesetzlichen Konzeption des Vertragsarztrechts nicht vereinbar. Der Gesetzgeber habe durch die Ausgestaltung des Vertragsarztrechts die teilweise gegenläufigen Interessen von Krankenkassen und Ärzten zum Ausgleich gebracht, um auf diese Weise eine verlässliche Versorgung der Versicherten zu angemessenen Bedingungen sicherzustellen. Die gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen besitze ein hohes Maß an Autonomie bei der Regelung der Einzelheiten der vertragsärztlichen Versorgung. Dem entsprechend werde die ärztliche Vergütung zwischen Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen ausgehandelt. Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung sei den Kassenärztlichen Vereinigungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts übertragen worden. In diesen Sicherstellungsauftrag sei der einzelne Vertragsarzt aufgrund seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung und seiner Mitgliedschaft bei der KÄV eingebunden. Konflikte mit Krankenkassen um die Höhe der Gesamtvergütung würden in diesem System nicht durch "Streik" oder "Aussperrung" ausgetragen, sondern durch zeitnahe verbindliche Entscheidungen von Schiedsämtern gelöst. Die Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs werde im Streitfall durch unabhängige Gerichte überprüft.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen