Verfall nach § 29a OWiG bei internationalem Transport

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.06.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3163 Aufrufe

Der BGH musste sich einmal wieder wirklich mit OWiG auseinandersetzen. Dabei ging es um den Verfall. Und dabei um ein Thema, das für Tatrichter wirklich zu Haareraufen sein könnte: Wie ist eigentlich die Verfallsentscheidung zu treffen, wenn ein Transport auch durch andere Länder führt? Ist der deutsche Teil irgendwie herauszurechnen, weil sich die "Ahndung" im Rahmen des § 29a OWiG nur hierauf beziehen darf? Nein, meint der BGH:

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Verfallsbeteiligten am 10. April 2017 beschlossen:

Bei einem unter Verstoß gegen deutsche Straßenverkehrsvorschriften
durchgeführten internationalen Transport kann – bei Vorliegen
der sonstigen hierfür erforderlichen Voraussetzungen nach
§ 29a OWiG – der Verfall in Höhe des gesamten Transportlohns
angeordnet werden.

Gründe:

I.

1. Das Amtsgericht Nordhorn hat durch Urteil vom 21. Januar 2016 gegen
die Verfallsbeteiligte den Verfall eines Betrages von 2.300 Euro angeordnet.
Die Verfallsbeteiligte ist eine juristische Person mit Sitz in Polen, welche
Speditionsleistungen erbringt. Ein Mitarbeiter der Verfallsbeteiligten befuhr am
Sonntag, den 7. Juni 2015, gegen 11:30 Uhr mit einem Fahrzeug nebst Auflieger
die BAB 30 in Fahrtrichtung Niederlande. Er führte in Ausübung seiner Tä-
tigkeit für die Verfallsbeteiligte eine Transportfahrt von C. (Polen) über
die Bundesrepublik Deutschland nach J. (Spanien) durch. Bei einer Kontrolle
in S. konnte der Fahrer eine gültige Ausnahmegenehmigung für die
Durchführung des Transports an einem Sonntag nicht vorlegen. Nach der Kontrolle
und Erbringung einer Sicherheitsleistung setzte er die Fahrt am selben
Tag fort. Die Verfallsbeteiligte vereinnahmte für den Transport von C.
nach J. einen Lohn von 2.300 Euro netto.
Gegen das Urteil hat die Verfallsbeteiligte Rechtsbeschwerde eingelegt.
Sie macht geltend, dass der Transportlohn nur teilweise im Sinne von § 29a
OWiG erlangt sei, und zwar entsprechend dem Anteil der Fahrtstrecke in der
Bundesrepublik Deutschland an der Gesamtstrecke.
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die Sache dem mit drei Richtern
besetzten Bußgeldsenat zur Entscheidung übertragen. Dieser hat die Sache
durch Beschluss vom 9. Juni 2016 dem Bundesgerichtshof vorgelegt.

2. Das Oberlandesgericht Oldenburg beabsichtigt, die Rechtsbeschwerde
als unbegründet zu verwerfen. Es ist der Ansicht, dass der gesamte Transportlohn
von 2.300 Euro durch den Verstoß gegen das Sonntagsfahrverbot unmittelbar
erlangt worden sei, da ohne diesen Verstoß der Transport – so wie
geschehen – nicht hätte durchgeführt werden können.
Das Oberlandesgericht Oldenburg sieht sich an der beabsichtigten Zurückweisung
der Rechtsbeschwerde durch den Beschluss des Oberlandesgerichts
Braunschweig vom 21. Dezember 2015 (1 Ss (OWi) 165/15, wistra 2016,
124) gehindert.

3. Das Oberlandesgericht Oldenburg hat daher die Sache durch Beschluss
vom 9. Juni 2016 dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender
Frage vorgelegt:
„Ist bei einem internationalen Transport, der unter Verstoß gegen deutsche
Straßenverkehrsvorschriften durchgeführt worden ist (hier: Bestim-
mungen über das Sonn- und Feiertagsfahrverbot), bei der Bestimmung
des Erlangten i.S. des § 29a Abs. 1 OWiG auf den gesamten Transportlohn
oder nur auf den sich rechnerisch für die inländische Fahrtstrecke
ergebenden Transportlohn abzustellen?“
4. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Vorlegungsfrage im Sinne
der Rechtsauffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts zu beantworten,
wonach auf den gesamten Transportlohn abzustellen ist.

II.

Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG in Verbindung
mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG sind erfüllt. Die Vorschrift des § 121 Abs. 2
GVG ist gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG für die Rechtsbeschwerde entsprechend
heranzuziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2013 – 4 StR
503/12, BGHSt 59, 4, 8; Göhler/Seitz, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten,
16. Aufl., § 79 Rn. 38).

a) Die vorgelegte Rechtsfrage ist von entscheidungserheblicher Bedeutung.

Da die Verfallsbeteiligte den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zulässigerweise
auf die Rechtsfolge – die Höhe des Verfallsbetrages – beschränkt
hat, steht es der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen, dass sich das erstinstanzliche
Urteil nicht zu der Frage verhält, ob einer der gesetzlichen Ausnahmetatbestände
zum Sonntagsfahrverbot nach § 30 Abs. 3 Satz 2 StVO vorlag.

Der Zulässigkeit der Vorlage steht auch nicht entgegen, dass sich das
erstinstanzliche Urteil nicht damit auseinandersetzt, inwiefern für den in Rede
stehenden Transport eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1
Nr. 7 StVO hätte erteilt werden können und inwiefern die ersparten Kosten für
das Genehmigungsverfahren als erlangtes Etwas im Sinne von § 29a OWiG in
Betracht kommen. Bei einem Verstoß gegen ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt
– ein solches stellt das Sonntagsfahrverbot dar (vgl. Janker/Hühnermann
in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht,
24. Aufl., 2016, § 46 StVO Rn. 1; König in: Hentschel/König/Dauer,
Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 30 StVO Rn. 15) – kommen die ersparten
Kosten des Genehmigungsverfahrens grundsätzlich nicht als erlangtes Etwas in
Betracht, da das bußgeldbewehrte Verhalten ohne tatsächlich erteilte Genehmigung
nicht nur formell, sondern materiell rechtswidrig ist und die hypothetische
Ermessensausübung der Verwaltungsbehörde nicht im Bußgeldverfahren
ersetzt werden kann (OLG Celle, NZV 2013, 610, 611; OLG Hamburg, NStZ
2014, 340, 342; OLG Schleswig, Beschluss vom 20. Juni 2016, 2 Ss OWi 52/16
(37/16), juris Rn. 15; Louis in: Blum/Gassner/Seith, Ordnungswidrigkeitengesetz,
§ 29a Rn. 24; Deutscher in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche
OWi-Verfahren, 4. Aufl., Rn. 4070; Labi, NZWiSt 2013, 41, 44; Pelz,
Festschrift für Imme Roxin, 2012, S. 193). Dementsprechend spielt es auch bei
einem Verstoß gegen das Sonntagsfahrverbot für den Wert des Erlangten keine
Rolle, ob eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StVO hätte
erteilt werden können (OLG Celle, NStZ-RR 2012, 151, 152; Rebmann/Roth/Herrmann,
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 18. Lfg. März 2013,
§ 29a Rn. 10).

b) Das Oberlandesgericht Oldenburg kann nicht seiner Ansicht gemäß
entscheiden, ohne von dem Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig
vom 21. Dezember 2015 abzuweichen. Zwar lag dem Beschluss dieses Oberlandesgerichts
eine andere mit Bußgeld bedrohte Handlung zugrunde, namentlich
die Inbetriebnahme einer Fahrzeugkombination unter Verstoß gegen die
höchstzulässige Fahrzeughöhe nach §§ 69a Abs. 3 Nr. 2, 31 d Abs. 1, 32
Abs. 2 StVZO. Die Identität der Rechtsfrage ist allerdings schon dann zu bejahen,
wenn wegen Gleichheit der Fragestellung die Entscheidung ohne Rücksicht
auf die Verschiedenheit der jeweils zugrunde liegenden Sachverhaltsgestaltungen
oder der anwendbaren Vorschriften nur einheitlich ergehen kann
(BGH, Beschlüsse vom 21. September 1999 – 4 StR 71/99, BGHSt 45, 197,
200; vom 22. April 1980 – 1 StR 625/79, BGHSt 29, 252, 254 und vom
1. Februar 1977 – 1 StR 741/76, BGHSt 27, 110, 112; KK-StPO/Hannich,
7. Aufl., § 121 GVG Rn. 34; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 121 GVG Rn. 64). Die
Oberlandesgerichte Oldenburg und Braunschweig haben – ausgehend davon,
dass der Transportlohn aufgrund der jeweiligen bußgeldbewehrten Handlung
grundsätzlich im Sinne von § 29a OWiG erlangt wurde – die Frage, inwiefern
bei der Bestimmung des Verfallsbetrags Streckenanteile des Transports im
Ausland zu berücksichtigen sind, allein anhand allgemeiner, nicht am jeweils
zugrundeliegenden Bußgeldtatbestand festgemachter Erwägungen beantwortet.
Der für die vorliegende Rechtsfrage maßgebliche Sachverhalt – grenzüberschreitende
Transporte, bußgeldbewehrte Handlungen auf der Teilstrecke in
der Bundesrepublik Deutschland – ist dabei identisch, so dass beide Rechtsansichten
für den jeweils anderen Entscheidungsgegenstand Geltung beanspruchen.

c) Die Vorlegungsfrage bedarf jedoch der Umformulierung und Präzisierung.

aa) Das Verfahren, welches dem Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts
Oldenburg zugrunde liegt, bezieht sich nicht auf einen Verfall nach § 29a
Abs. 1 OWiG, sondern auf einen Drittverfall nach § 29a Abs. 2 OWiG. Hierdurch
ergeben sich für die vorliegend in Rede stehende Rechtsfrage jedoch keine Unterschiede,
da § 29a Abs. 1 und Abs. 2 OWiG bezüglich der Bestimmung des
Erlangten identisch auszulegen sind (BeckOK-OWiG/Meyberg, Stand: 15. Januar
2017, § 29a Rn. 73; KK-OWiG/Mitsch, 4. Aufl., § 29a Rn. 41; Schmidt,
Gewinnabschöpfung im Straf- und Bußgeldverfahren, 2006, Rn. 1299; Deutscher,
aaO, Rn. 4067; vgl. für § 73 Abs. 1 und Abs. 3 StGB: NK-StGB/Saliger,
4. Aufl., § 73 Rn. 36b; Rönnau, Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2. Aufl.,
Rn. 108). Daher wird die Vorlegungsfrage insgesamt auf das im Rahmen von
§ 29a OWiG Erlangte erstreckt.

bb) Die Divergenz zwischen den Oberlandesgerichten Oldenburg und
Braunschweig bezieht sich indes allein auf die Frage, wie es sich auf die Bestimmung
des Verfallsbetrages auswirkt, dass ein Transport nur anteilig auf
dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wurde. Keine Divergenz
besteht hinsichtlich der vorgelagerten Frage, inwiefern infolge eines Verstoßes
gegen Straßenverkehrsvorschriften – die mit Geldbuße bedrohte Handlung
(§ 1 Abs. 2 OWiG) – überhaupt der Transportlohn als das erlangte Etwas
im Sinne von § 29a OWiG anzusehen ist. Ob und in welchem Umfang etwas im
Sinne der Verfallsvorschriften erlangt wurde, könnte auch nicht allgemein beantwortet
werden, sondern dies ist tatbestandsspezifisch danach zu bestimmen,
welche Handlung letztlich straf- beziehungsweise bußgeldbewehrt ist (vgl. BGH,
Beschluss vom 11. Juni 2015 – 1 StR 368/14, BGHR StGB § 73 Erlangtes 18;
Urteil vom 27. November 2013 – 3 StR 5/13, BGHSt 59, 80, 92; Urteil vom 19.
Januar 2012 − 3 StR 343/11, BGHSt 57, 79, 84; Beschluss vom 27. Januar
2010 – 5 StR 224/09; NJW 2010, 882, 884; Göhler/Gürtler, aaO, § 29a Rn. 6;
NK-StGB/Saliger, aaO, § 73 Rn. 9b; Deutscher, aaO, Rn. 4069; Kudlich, NStZ
2014, 343, 344).
Dementsprechend ist klarzustellen, dass sich die vorgelegte Rechtsfrage
ausschließlich darauf bezieht, wie sich ein grenzüberschreitender Transport auf
den Umfang des im Sinne von § 29a OWiG Erlangten auswirkt.

cc) Der Senat formuliert die Rechtsfrage daher wie folgt:
„Kann bei einem unter Verstoß gegen deutsche Straßenverkehrsvorschriften
durchgeführten internationalen Transport – bei Vorliegen der
sonstigen hierfür erforderlichen Voraussetzungen nach § 29a OWiG –
der Verfall in Höhe des gesamten Transportlohns angeordnet werden
oder nur in Höhe des sich rechnerisch für die inländische Fahrtstrecke
ergebenden Transportlohns?“

III.

Der Senat beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus dem Beschlusstenor
ersichtlich.

1. Nach § 29a OWiG kann der Verfall eines Geldbetrages bis zu der Hö-
he angeordnet werden, die dem Wert des Erlangten entspricht. Maßgeblich ist
daher die Bestimmung des wirtschaftlichen Wertes des Vorteils, welcher dem
Täter infolge der mit Geldbuße bedrohten Handlung zugeflossen ist. Dabei
muss – entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift („dadurch“) – eine unmittelbare
Kausalbeziehung zwischen bußgeldbewehrter Handlung und erlangtem
Vorteil bestehen; die hieran anknüpfende Abschöpfung hat spiegelbildlich dem
Vermögensvorteil zu entsprechen, welcher aus der Begehung der mit Bußgeld
bedrohten Handlung gezogen wurde (OLG Celle, NStZ-RR 2012, 151, 152;
OLG Stuttgart, wistra 2009, 167, 168; OLG Karlsruhe, ZfSch 2013, 172; Göhler/Gürtler,
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 16. Aufl., § 29a Rn. 10; Müller,
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Stand: Oktober 2012, § 29a Rn. 4; Rebmann/Roth/Herrmann,
aaO, § 29a Rn. 10; für den Verfall nach § 73 StGB:
BGH, Urteil vom 27.November 2013 – 3 StR 5/13, BGHSt 59, 80, 92; Urteil vom
19. Januar 2012 − 3 StR 343/11, BGHSt 57, 79, 82; Urteil vom 27. Januar 2010
– 5 StR 224/09, NJW 2010, 882, 884; Urteil vom 2. Dezember 2005, BGHSt 50,
299, 309; LK-StGB/Schmidt, 12. Aufl., § 73 Rn. 19; Wiedner in Graf/
Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 73 StGB Rn. 23).
Bei einem internationalen Transport wird eine solche unmittelbare Kausalbeziehung
zwischen der mit Bußgeld bedrohten Handlung und dem wirtschaftlichen
Vorteil des gesamten Transportlohns nicht dadurch in Frage gestellt,
dass nur auf einem Teilstück der Transportstrecke gegen Straßenverkehrsvorschriften
der Bundesrepublik Deutschland verstoßen wird.
Zwar stellt nicht der (Gesamt-)Transport als solcher die mit Bußgeld bedrohte
Handlung (§ 1 Abs. 2 OWiG) im Sinne von § 29a OWiG dar, sondern
Anknüpfungspunkt des Verfalls ist nur der jeweilige Verstoß gegen deutsche
Straßenverkehrsvorschriften (vgl. OLG Braunschweig, wistra 2016, 124; OLG
Schleswig, TranspR 2016, 372). Dies steht der unmittelbaren Kausalbeziehung
zwischen einem entsprechenden Verstoß und der Erlangung des gesamten
Transportlohns jedoch nicht entgegen. Vielmehr besteht eine Ursächlichkeit
auch dann, wenn mehrere Handlungen einen Erfolg erst durch ihr Zusammenwirken
– kumulativ – herbeiführen (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., Vorbemerkungen
zu den §§ 13 ff. Rn. 11; LK-StGB/Walter, 12. Aufl., Vorbemerkun-
gen zu den §§ 13 ff. Rn. 75; MüKo-StGB/Freund, 2. Aufl., Vorbemerkungen zu
den §§ 13 ff. Rn. 342; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 29. Aufl., Vorbemerkungen
zu den §§ 13 ff. Rn. 83). Ist daher die Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit
conditio sine qua non für den entstandenen Vermögensvorteil – hier den
Transportlohn –, wurde dieser aus der mit Bußgeld bedrohten Handlung „gezogen“
und kann demnach abgeschöpft werden. Entgegen der Ansicht der
Rechtsbeschwerdeführerin muss eine spiegelbildliche Entsprechung gerade
nicht zwischen bußgeldbewehrter Handlung und Vermögensvorteil bestehen,
sondern nur zwischen dem gezogenen Vermögensvorteil und dem abgeschöpften
Betrag.
Bei einem internationalen Transport kann die erfolgte Nutzung des deutschen
Verkehrsraums nicht hinweg gedacht werden, ohne dass der wirtschaftliche
Vorteil des gesamten Transportlohns entfiele (vgl. Thole, NZV 2009, 64, 67
für bußgeldbewehrte Handlungen, die sich auf Teilstrecken bei innerdeutschen
Transporten beziehen). Würde man demgegenüber – einengend – eine ausschließliche
Kausalität der bußgeldbewehrten Handlung für einen wirtschaftlichen
Erfolg fordern, würde der praktische Anwendungsbereich der Verfallsvorschriften
unsachgemäß eingeschränkt. Gerade im Wirtschaftsleben ist ein
geldwerter Vorteil in den seltensten Fällen monokausal auf eine straf- beziehungsweise
bußgeldbewehrte Handlung zurückzuführen, sondern hierfür ist
regelmäßig ein legaler Rahmen mitursächlich.
Die Annahme, bei einem internationalen Transport werde der unmittelbare
Tatvorteil nur aus dem Teil des Transportlohns gezogen, der auf den inländischen
Streckenanteil entfalle (so OLG Braunschweig und OLG Schleswig aaO),
entspricht letztlich einer Fiktion und würde zu der Abschöpfung eines Lohnanteils
führen, der tatsächlich gar nicht erwirtschaftet werden kann: Der Trans-
portunternehmer wird nicht für zurückgelegte Streckenabschnitte bezahlt, sondern
für die Ablieferung des Transportguts am Bestimmungsort (vgl. für das
deutsche Recht §§ 407 Abs. 1, 420 Abs. 1 Satz 1 HGB). Dementsprechend erfolgt
bei einem internationalen Transport die Nutzung des deutschen Verkehrsraums
nicht, um hierfür abschnittsweise entlohnt zu werden, sondern zum Verdienst
des gesamten Transportlohns aufgrund einer einheitlichen Leistung (vgl.
OLG Celle, NStZ-RR 2012, 151, 153; Thole, aaO, 68). Einer Berechnung nach
den im In- und Ausland gefahrenen Kilometern steht auch entgegen, dass in die
Preisbildung in erheblichem Umfang nicht kilometerbezogene Kosten wie die
auf das Fahrzeug entfallenden sowie die im Unternehmen allgemein entstehenden
Gemeinkosten einfließen (vgl. nur Schubert, Preisbildung im LkwLadungsverkehr,
S. 123, 126, 136, 140).

2. Dass die Abschöpfung des gesamten Transportlohns gleichermaßen
Transporte betrifft, die insgesamt, weitgehend oder nur zu einem geringen Anteil
über deutsche Straßen führen, spricht nicht für eine nur anteilmäßige Abschöpfung,
da der Verfall keine dem Schuldgrundsatz unterliegende strafähnliche
Maßnahme darstellt (Göhler/Gürtler, aaO, § 29a Rn. 1; KK-OWiG/Mitsch,
aaO, § 29a Rn. 6; Rebmann/Roth/Herrmann, aaO, 18. Lfg. März 2013, § 29a
Rn. 1; für die §§ 73 ff. StGB: BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2004 – 2 BvR
564/95, BVerfGE 110, 1; BGH, Urteil vom 21. August 2002 – 1 StR 115/02,
BGHSt 47, 369, 373; LK-StGB/Schmidt, aaO, § 73 Rn. 7 ff.).

3. Die Anordnung des Verfalls für den gesamten Transportlohn verstößt
auch nicht gegen das Territorialitätsprinzip nach § 5 OWiG. Diese Vorschrift
eröffnet in Verbindung mit § 7 OWiG lediglich in räumlicher Hinsicht den Anwendungsbereich
des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, hat jedoch keine
materielle Aussagekraft über die Bestimmung des Erlangten im Rahmen des
Verfalls nach § 29a OWiG. Die Vorschrift des § 5 OWiG ist vielmehr dem materiellen
Recht vorgeschaltet (Blum in: Blum/Gassner/Seith, aaO, § 5 Rn. 1).

4. Ebenso wenig ist die bloße Möglichkeit einer mehrfachen Abschöpfung
des Transportlohns in verschiedenen Ländern geeignet, den Begriff des
Erlangten nach § 29a OWiG inhaltlich zu bestimmen oder den Anwendungsbereich
der Vorschrift materiell zu begrenzen. Sollte eine mehrfache Abschöpfung
in Rede stehen, kann diesem Umstand jedenfalls unter Opportunitätsgesichtspunkten
im Rahmen des nach § 29a OWiG auszuübenden Ermessens Rechnung
getragen werden (vgl. zur parallelen Problematik im Fall einer im Ausland
bereits geahndeten Ordnungswidrigkeit und der gebotenen Berücksichtigung im
Rahmen der Opportunität nach § 47 OWiG: Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG,
4. Aufl., § 5 Rn. 50; Göhler/Gürtler, aaO, § 5 Rn. 9; KK-OWiG/Rogall, aaO, § 5
Rn. 39; Rebmann/Roth/Herrmann, aaO, § 5 Rn. 12).

BGH, Beschl. v. 10.4.2017 - 4 StR 299/16

 

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