Neues zu Widerrufsvorbehalten vom BAG

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 03.07.2017
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3890 Aufrufe

Eine neue Entscheidung des 1. Senats des BAG (24.01.2017 - 1 AZR 772/14, BeckRS 2017, 112013) belebt die Diskussion um arbeitsvertraglich verankerte Widerrufsvorbehalte. Angesprochen werden mehrere interessante Aspekte, die sich in den unten wiedergegebenen Orientierungssätzen widerspiegeln. Ich möchte vor allem einen Punkt herausgreifen, der mir besonders bemerkenswert erscheint: Seit der Entscheidung des 5. Senats vom 21.1.2005 ist geklärt, dass Widerrufsvorbehalt nur wirksam sind, wenn sie den Grund für die Ausübung des Widerrufs im Klauseltext aufführen. Seit diesem Urteil streitet man sich darüber, wie konkret diese Widerrufsgründe angegeben werden müssen. Reicht es beispielsweise aus, dass lediglich „aus wirtschaftlichen Gründen“ angeführt wird? Deutlich enger ist demgegenüber die Formulierung „im Falle einer wirtschaftlichen Notlage“, wie sie der jetzt ergangenen BAG-Entscheidung zugrunde liegt. Das BAG äußert sich hierzu wie folgt:

„Ein Widerrufsvorbehalt muss den formellen Anforderungen von § 308 Nr. 4 BGB gerecht werden. Bei den Widerrufsgründen muss zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, zB wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers (BAG 21. März 2013 - 5 AZR 651/10 - Rn. 16 mwN; 12. Januar 2005 - 5 AZR 364/04 - zu B I 5 b der Gründe, BAGE 113, 140). Dabei ist zu beachten, dass der Verwender vorgibt, was ihn zum Widerruf berechtigen soll. Diesem Transparenzgebot wird die Widerrufsklausel gerecht. Der Grad der wirtschaftlichen Störung, die einen Widerruf ermöglichen soll, wird darin konkretisiert. Die Klausel stellt ausdrücklich klar, dass der Arbeitnehmer im Fall der wirtschaftlichen Notlage mit dem Widerruf der zugesagten Zahlung eines Weihnachtsgelds rechnen muss. Angesichts der Vielzahl der möglichen wirtschaftlichen Entwicklungen ist es nicht erforderlich, die „wirtschaftliche Notlage“ näher zu konkretisieren, etwa durch die Angabe eines Zeitraums, in dem Verluste vorliegen müssen, wie es die Revision beispielhaft meint. Der Anwendungsfall ist schon auf Ausnahmesituationen beschränkt und damit klar genug umrissen.“

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen erscheint es zweifelhaft, ob die verbreitete Formulierung „aus wirtschaftlichen Gründen“ vor dem BAG bestehen könnte. Denn hier wird weder der Grad der wirtschaftlichen Störung näher angegeben, noch wird der Anwendungsfall auf Ausnahmesituationen beschränkt. Wer nicht nur für wirtschaftliche Notlagen Vorsorge treffen möchte, sondern sich die Möglichkeit einer flexiblen Anpassung je nach wirtschaftlicher Lage des Unternehmens sichern möchte, wird wohl zu einseitigen Leistungsbestimmungsrechten greifen müssen.

Die Orientierungssätze dieser Entscheidung lauten:

1. Die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten.

2. Bei einer unter Verstoß gegen das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb bestehenden Entlohnungsgrundsätze kann der Arbeitnehmer eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern.

3. Widerruft der nicht tarifgebundene Arbeitgeber lediglich gegenüber Teilen der Beschäftigten einzelne Entgeltbestandteile und bleibt die im Betrieb bestehende Vergütungsstruktur im Übrigen unverändert, hat der Betriebsrat aufgrund des damit veränderten relativen Abstands der jeweiligen Gesamtvergütungen bei dieser Maßnahme nach § 87 Absatz 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen.

4. Ein in einer allgemeinen Geschäftsbedingung enthaltener Widerrufsvorbehalt unterliegt neben einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB der Ausübungskontrolle nach § 315 Abs. 1 BGB.

Ein weiteres Urteil des 1. Senats vom selben Tag ist bereits in NZA 2017, 777 abgedruckt. Es liegt auf einer Linie mit der hier vorgestellten Entscheidung, ist allerdings thematisch enger zugeschnitten und knapper gehalten.  

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