BAG: Im Kündigungsschutzprozess keine Bindung an Freispruch im Strafverfahren

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 15.08.2017
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|4183 Aufrufe

"Die Gerichte für Arbeitssachen sind bei der Entscheidung über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung an einen rechtskräftigen Freispruch des Arbeitnehmers im Strafverfahren nicht gebunden. Sie haben vielmehr alle relevanten Umstände eigenständig zu würdigen. Das kann je nach Streitstoff des arbeitsgerichtlichen Verfahrens die Prüfung erfordern, ob im strafgerichtlichen Urteil Tatsachen festgestellt worden sind, die geeignet sind, den Verdacht gegenüber dem Arbeitnehmer abzuschwächen." Das hat das BAG entschieden.

Der Kläger ist als Lehrer an einer von der Griechischen Republik getragenen Schule in Deutschland tätig. Ihm wird vorgeworfen, mehrfach Schülerinnen sexuell belästigt zu haben. Eine Schülerin habe er auf seinen Schoß genommen und sie unterhalb der Kleidung im Gesäßbereich sowie zwischen den Beinen gestreichelt, eine andere habe er umarmt. Im Strafverfahren war er erstinstanzlich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, das Landgericht hat ihn aber rechtskräftig vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen freigesprochen.

Gegen die fristlose Kündigung seines Arbeitsverhältnisses hat der Kläger Klage erhoben. Das LAG Düsseldorf hat die Kündigung als Verdachtskündigung für berechtigt gehalten und die Klage abgewiesen. Die Revision hatte beim Zweiten Senat des BAG Erfolg. Zwar sei das LAG nicht an den Freispruch im Strafverfahren gebunden. Es müsse aber selbst alle Tatumstände, auch die den Kläger entlastenden, selbständig bewerten. Ob angesichts des unstreitigen Verhaltens des Klägers eine Abmahnung ausgereicht hätte, das Risiko künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden, könne das Revisionsgericht nicht selbst beurteilen. Dem LAG komme bei dieser Prüfung ein tatrichterlicher Beurteilungsspielraum zu. Entsprechendes gelte für die Prüfung, ob der Beklagen jedenfalls die Einhaltung der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht.

BAG, Urteil vom 2.3.2017 - 2 AZR 698/15, BeckRS 2017, 118992

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