Verwerfung des Einspruchs wegen Nichterscheinens: Falsch, wenn vernünftiges Attest vorliegt...echt toll muss es aber nicht sein!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.09.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3221 Aufrufe

Der Betroffene erscheint im OWi-Verfahren nicht. Er legt ein Attest vor: "Verhandlungsunfähig, da krank, Unterschrift: Facharzt". Echt detailliert ist das Attest nicht. Der Einspruch wird verworfen. Die Rechtsbeschwerde dagegen hat Erfolg:

Die Verfahrensrüge ist auch begründet, denn die Einspruchsverwerfung gem. § 74 Abs. 2 OWiG im Hauptverhandlungstermin vom 30. Januar 2017 war rechtsfehlerhaft. Zwar hat das Amtsgericht das Entschuldigungsvorbringen des Betroffenen zur Kenntnis genommen und sich in dem Verwerfungsurteil mit dem vorgebrachten Entschuldigungsgrund auseinandergesetzt. Dabei hat das Amtsgericht jedoch zu hohe Anforderungen an den Begriff der genügenden Entschuldigung gestellt, denn tatsächlich war der Betroffene ausreichend entschuldigt. Der Verteidiger des Betroffenen hat vor dem Hauptverhandlungstermin ein fachärztliches Attest vom 30. Januar 2017 vorgelegt, das dem Betroffenen aufgrund einer orthopädischen Erkrankung die Fähigkeit, den Termin wahrzunehmen, abspricht, und um Verlegung des Termins gebeten. Das Attest bildet grundsätzlich eine genügende Entschuldigung, auch wenn in ihm keine genaue Diagnose angegeben ist und Angaben zu Dauer und Schweregrad der Erkrankung fehlen. Sollte das Amtsgericht aufgrund der fehlenden näheren Angaben im Attest Zweifel am Krankheitszustand des Betroffenen gehabt haben, wäre es verpflichtet gewesen, sich durch telefonische Nachfrage die volle Überzeugung davon zu verschaffen, ob der Betroffene verhandlungsunfähig ist bzw. ob ihm ein Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar war. Aus dem vorgelegten Attest ergab sich auch die konkrete Möglichkeit, eine erfolgversprechende Abklärung bei den behandelnden Ärzten durchzuführen. Eine solche zumutbare und mögliche Nachfrage hätte nach dem Inhalt der Begründungsschrift zu dem Ergebnis geführt, dass der Betroffene einen sog. Hexenschuss erlitten hatte, der ihm sein Erscheinen im Hauptverhandlungstermin unmöglich machte (OLG Stuttgart, 4. Dezember 1995 – 1 Ss 572/95, juris). Die bestehenden Zweifel an der genügenden Entschuldigung durfte das Amtsgericht nicht zu Lasten des Betroffenen übergehen (Senat, Beschluss vom 6. Juli 2004 – 3 Ss OWi 401/04, juris; Beschluss vom 1. März 2012 – III-3 RBs 55/12; Beschluss vom 16. Juni 2016 – III-3 RBs 203/16; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2006 – 1 Ss Owi 621/05, juris; Göhler-Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 74, Rdnr. 29 m.w.N.).

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 8.8.2017 - 3 RBs 106/17

Also: Das Attest muss nachvollziehbar sein, aber nicht so detailliert, wie das Gericht sich dies manchmal wünschen würde....es muss sich dann eben selbst kümmern und nachfragen. 

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