EGMR schränkt Überwachung privater Internetnutzung ein – Entlassung nicht rechtens

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 06.09.2017
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|4549 Aufrufe

Fragen der Nutzung des Internets und der Mitarbeiterüberwachung beschäftigten zunehmend die Gerichte. Zuletzt hatte das BAG die Überwachung mittels verdeckter Spähprogramme (Keylogger) grundsätzlich für unzulässig erklärt (Urteil vom 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 -, PM 31/17, hierzu Blog-Beitrag vom 28.7.2017). Eine neue Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 5.9.2017 (Beschwerde-Nr. 61496/08, derzeit nur in englischer Sprache verfügbar) zeigt nun, dass nicht nur das Datenschutzrecht, sondern auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) der Mitarbeiterüberwachung Grenzen zieht.

Im gerade entschiedenen Fall ging es um einen rumänischen Vertriebsingenieur, Herrn Barbulescu, der in Rumänien bei einem privaten Unternehmen beschäftigt war. Auf Bitten seines Arbeitgebers richtete er einen Yahoo-Messenger-Account ein, um Anfragen von Kunden zu beantworten. 2007 wurde Herrn Barbulescu gekündigt, weil er den Messenger-Dienst auch privat genutzt hatte, obwohl eine interne Unternehmensregel es verbot, Unternehmensressourcen zu privaten Zwecken zu nutzen. Zwar versuchte Herr Barbulescu, die privaten Unterhaltungen abzustreiten. Aber sein Arbeitgeber hatte seine Messenger-Kommunikation überwacht und legte ihm ein 45-seitiges Transkript seiner privaten Chats mit seinem Bruder und seiner Verlobten vor. Nachdem er ohne Erfolg vor den rumänischen Gerichten gegen seine Kündigung vorgegangen war, legte er Beschwerde beim EGMR ein. Anfang 2016 verneinte eine kleine Kammer des Straßburger Gerichts eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz (Art. 8 EMRK), da der Ingenieur über die Regeln informiert gewesen sei. Herr Barbulescu beantragte anschließend die Verweisung an die Große Kammer.

Die 17-köpfige Große Kammer stellte nun eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens und der Korrespondenz (Art. 8 EMRK) fest. Der EGMR nennt eine Reihe von Kriterien, die bei der Beurteilung der Frage, ob die Überwachung der Kommunikation von Beschäftigten durch den Arbeitgeber verhältnismäßig ist, zu berücksichtigen sind. So rügt er in seinem Urteil, dass die rumänischen Gerichte nicht geprüft hätten, ob Barbulescu von seinem Arbeitgeber über die Möglichkeit, die Art und das Ausmaß von Kontrollen vorab informiert wurde. Ferner hätten sie nicht geklärt, ob ein legitimer Grund für die Kontrollmaßnahmen vorlag und ob nicht mildere Überwachungsmethoden möglich gewesen wären. Auch hätten sie die Schwere des Eingriffs in Art. 8 EMRK nicht geprüft und die Konsequenzen der Überwachung (hier: Kündigung) nicht berücksichtigt.

Die strenge Ausrichtung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dürfte künftig auch die deutsche Rechtsprechung beeinflussen. Zulässig dürfte allerdings weiterhin ein grundsätzliches Verbot der privaten E-Mail- und Internetnutzung, z.B. in einer Betriebsvereinbarung sein.  

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