Abkürzung des Fahrverbotes ist auch eine Form des "Absehens"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 26.11.2017
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3601 Aufrufe

Die Anforderungen der Rechtsprechung an ein Absehen von einem Regelfahrverbot sind hoch. "Zu hoch!", hört man oft aus der Anwaltschaft. Drohen längere Fahrverbote, so sind Amtsgerichte häufig deutlich großzügiger, wenn nur eine Verkürzung erstrebt wird. Kann man irgendwie auch verstehen. Dass 2 oder 3 Monate Fahrverbot nicht mehr so einfach abzubüßen sind, liegt ja auf der Hand. Das bedeutet aber nicht, dass man einfach ungeprüft und ohne Feststellungen als Tatrichter verkürzen darf. Die OLGe sehen nämlich in einem Verkürzen ein teilweises Absehen und messen die Verkürzung so an den Grundsätzen, die auch für das Absehen vom Fahrverbot entwickelt wurden. Verteidiger sollten also auch hier dringend darauf achten, gut vorbereitet in eine Hauptverhandlung zu gehen, um auch einer/m gutwilligen Amtsrichter/in eine rechtsbeschwerdefeste Urteilsbegründung zu ermöglichen:

Das AG hat den Betr. wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 65 km/h (§§ 3 III Nr. 2c; 49 I Nr. 3 StVO) zu einer Geldbuße von 440 Euro verurteilt und - abweichend von Nr. 11.3.9 BKat, der ein Fahrverbot von zwei Monaten vorsieht - ein Fahrverbot lediglich für die Dauer eines Monats verhängt. Einen Ausspruch über den Vollstreckungsaufschub nach § 25 IIa StVG hat es nicht getroffen. Zur Begründung für die Abkürzung der Regelfahrverbotsdauer auf einen Monat hat das AG ausgeführt, dass der Betr. in der Hauptverhandlung „Schuldeinsicht“ gezeigt habe, die Tat auf „Unaufmerksamkeit“ des Betr. beruhe und er „Besorgungsfahrten für seinen herzkranken Vater“ leiste. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten - Rechtsbeschwerde rügt die StA die Verletzung materiellen Rechts; sie beanstandet, dass das AG nicht ein (Regel-) Fahrverbot für die Dauer von zwei Monaten verhängt hat. Das Rechtsmittel erwies sich als erfolgreich.

Gründe

I.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der StA, die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, ist begründet.

1. Das AG hat zutreffend erkannt, dass gemäß §§ 24, 25 I 1 1. Alt., 26a StVG i.V.m. § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.9 der Tab. 1 zum BKat neben der Anordnung einer Geldbuße in Höhe von 440 Euro die Verhängung eines Regelfahrverbots für die Dauer von zwei Monaten wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in Betracht kam.

2. Allerdings hält die Begründung, mit der das AG abweichend von dem an sich verwirkten Regelfahrverbot von zwei Monaten ein Fahrverbot für die Dauer lediglich eines Monats verhängt hat, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Aufgrund der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 I BKatV ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung i.S.d. § 25 I 1 StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme bedarf (BGHSt 38, 125; 231; BayObLG VRS 104, 437/438; stRspr. des Senats). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284; OLG Zweibrücken DAR 2003, 531; KG NZV 2002, 47). Hierzu zählt jedoch nicht nur die Frage, ob gegen einen Betr. ein Fahrverbot zu verhängen ist (§ 4 I 1 BKatV), sondern auch - wie sich aus § 4 I 2 BKatV ergibt – die „in der Regel“ festzusetzende Dauer des verwirkten Fahrverbots (vgl. nur OLG Bamberg Beschluss vom 18.03.2014 – 3 Ss OWi 274/14 = DAR 2014, 332 = VM 2014, Nr 36 = ZfS 2014, 471 = OLGSt StVG § 25 Nr. 57 m.w.N.).

b) Ebenso wie von der Verhängung eines Regelfahrverbots nur dann gänzlich abgesehen werden kann, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betr. anzunehmen sind und deshalb der vom BKat erfasste Normalfall nicht vorliegt, ist der Tatrichter vor einer Verkürzung der im BKat vorgesehenen Regeldauer des Fahrverbots gehalten zu prüfen, ob der jeweilige Einzelfall Besonderheiten aufweist, die ausnahmsweise die Abkürzung rechtfertigen können und daneben eine angemessene Erhöhung der Regelbuße als ausreichend erscheinen lassen. Hier wie dort können dabei sowohl außergewöhnliche Härten als auch eine Vielzahl minderer Erschwernisse bzw. entlastender Umstände genügen, um eine Ausnahme zu rechtfertigen (OLG Bamberg a.a.O. m.w.N.). Auch die Frage der Dauer eines zu verhängenden Fahrverbots liegt hierbei grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Tatrichters, der innerhalb des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen hat. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob er sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat (st.Rspr. des Senats, vgl. zuletzt OLG Bamberg, Beschluss vom 22.07.2016 – 3 Ss OWi 804/16 [bei juris]).

c) Diesen Maßstäben genügt das angefochtene Urteil nicht. Einen Ausnahmefall für ein Absehen vom Fahrverbot können zwar Härten ganz außergewöhnlicher Art wie z.B. drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage begründen (vgl. hierzu zuletzt OLG Bamberg, Beschluss vom 17.01.2017 – 3 Ss OWi 1620/16 = ZfS 2017, 233). Derartige Umstände zeigt das angefochtene Urteil aber gerade nicht auf.

aa) Der Hinweis des AG, bei der Tat handle sich um eine „Unaufmerksamkeit“ des Betr., ist von vornherein nicht tragfähig, weil es darauf abstellt, dass dem Betr. lediglich fahrlässiges Verhalten zur Last fällt, dabei aber übersieht, dass die Regelgeldbuße und das Regelfahrverbot gerade für fahrlässiges Verhalten vorgesehen sind. Der Umstand, dass eine „Unaufmerksamkeit“ vorliegt, ist Prämisse des zweimonatigen Fahrverbots und kann deshalb nicht gleichzeitig dazu führen, dieses auf einen Monat herabzusetzen (vgl. hierzu schon OLG Bamberg, Beschluss vom 27.01.2017 – 3 Ss OWi 50/17 [bei juris]).
9bb) Ebenso wenig stellt die vom AG angesprochene „Schuldeinsicht“ einen ausschlaggebenden Grund dar, die Regelfahrverbotsdauer auf einen Monat abzukürzen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den bereits erwähnten Grundsatz der Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer. Einen außergewöhnlichen Umstand, der eine Abweichung von der Regelrechtsfolge rechtfertigen könnte, stellt dieser Gesichtspunkt gerade nicht dar.
10cc) Soweit das AG darauf abhebt, der Betr. leiste „Besorgungsfahrten für seinen herzkranken Vater“, leidet das Urteil an grundlegenden Darstellungsmängeln. Zu einen wird bereits die genaue Erkrankung des Vaters nicht mitgeteilt und auch nicht aufgezeigt, ob und welche Fahrten überhaupt erforderlich sind. Zum anderen stellt das AG auch nicht im Ansatz fest, ob die „Besorgungsfahrten“ ggf. durch andere Personen oder notfalls mittels öffentlicher Verkehrsmittel und dergleichen durchgeführt werden können.

dd) Schließlich werden die aus den dargelegten Gründen nur gänzlich unzulänglich festgestellten Umstände zu der Herzerkrankung und den „Besorgungsfahrten“ auch nicht belegt. Nachdem das AG hierzu jede Beweiswürdigung vermissen lässt, kann der Senat nur erahnen, dass es seine Erkenntnisse aus der Einlassung des Betr. erlangt hat. Es entspricht allerdings gefestigter Rechtsprechung des Senats, dass die Einlassung eines Betr. kritisch zu hinterfragen ist (vgl. hierzu zuletzt OLG Bamberg, Beschluss vom 17.01.2017 – 3 Ss OWi 1620/16 = ZfS 2017, 233 und v. 08.12.2015 - 3 Ss OWi 1450/15 = BA 53, 192 = ZfS 2016, 290). Das Unterlassen entsprechender Aufklärung ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil es bei einer derartigen Vorgehensweise in der Hand des Betr. läge, durch Schilderung entsprechender Fakten, die der Tatrichter ungeprüft übernimmt, die Rechtsfolgenentscheidung zu seinen Gunsten zu beeinflussen.

II. 
Auf die Rechtsbeschwerde der StA ist daher das Urteil des AG im Rechtsfolgenausspruch mit den diesbezüglichen Feststellungen aufzuheben (§ 79 III OWiG i.V.m. § 353 StPO). Nachdem zwischen Fahrverbot und Geldbuße eine Wechselwirkung besteht, erfasst die Aufhebung den gesamten Rechtsfolgenausspruch. Da die Sache weiterer Aufklärung bedarf, wird sie zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat (§ 79 Abs. 6 OWiG).

III. 
Für die neue Hauptverhandlung wird auf die vom AG bislang nicht erörterte Bestimmung des § 25 IIa Satz 1 StVG hingewiesen.

IV. 
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 V 1 OWiG. Gemäß § 80a I OWiG entscheidet der Einzelrichter.

OLG Bamberg Beschl. v. 4.5.2017 – 3 Ss OWi 550/17, BeckRS 2017, 127405

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen