Präklusion und Prüfungsumfang der Umweltverbandsklage - Fehlentwicklungen oder rechtstaatliche Voraussetzungen eines effizienten Umweltschutzes? -

von Prof. Dr. Jose Martinez, veröffentlicht am 03.01.2019

Auf ihrer Herbstkonferenz am 15.11.2018 haben die Justizminister der Länder unter TOP I.7. gefordert, die Århus-Konvention und das einschlägige Unionsrecht dergestalt anzupassen, dass die materielle Präklusion und die Beschränkung des gerichtlichen Prüfungsumfangs auf umweltbezogene Rechtsvorschriften wieder umfassend in das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz aufgenommen werden können. [1] Da diese Regelungen aber weitestgehend europarechtlich vorgegeben sind, soll die Bundesregierung sich auf der Ebene der EU hierfür einsetzen. Die Landesjustizminister werden mit ihrer Forderung auf ein politisches Wohlwollen bei der Bundesregierung stoßen, da im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom März 2018 für die 19. Legislaturperiode, Kapitel Wirtschaft / Unterkapitel Verkehr fast identisch formuliert worden ist: „Zudem wollen wir auf Grundlage europäischen Rechts das Verbandsklagerecht in seiner Reichweite überprüfen und uns auf EU-Ebene für die Wiedereinführung der Präklusion einsetzen.“ [2]

 

Durch diesen Beschluss wird insinuiert, dass es sich hierbei um Fehlentwicklungen im Umweltrecht handelt. Diese Einstellung ist subjektiv nachvollziehbar, da zumindest der Wegfall der Präklusion nicht auf der eigenen Rechtsüberzeugung der Justizminister beruht, sondern durch den EuGH vorgegeben wurde.  So entschied im Oktober 2015 der EuGH, dass die vormals in § 2 Abs. 3 UmwRG aF (alte Fassung) und  in § 73 Abs. 4 VwVfG enthaltenen Präklusionsregelungen gegen Unionsrecht verstoßen. [3] Diese materiellen Präklusionsregelungen seien unvereinbar mit dem Erfordernis eines weiten Zugangs der betroffenen Öffentlichkeit zu den Gerichten, was sowohl Artikel 11 der UVP-Richtlinie [4] als auch Artikel 25 der IE-Richtlinie [5] forderten [6]. Dem nationalen Gesetzgeber stehe es jedoch frei, zur Gewährleistung der Wirksamkeit des gerichtlichen Verfahrens spezifische Verfahrensvorschriften zu erlassen, um beispielsweise missbräuchliches oder unredliches Vorbringen auszuschließen [7].

 

Der deutsche Gesetzgeber hat im Juni 2017 mit der Novelle des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes die Vorgaben des EuGH umgesetzt und die dargelegten problematischen Präklusionsregelungen für nicht anwendbar erklärt. Zugleich wurde für das Normenkontrollverfahren die materielle Präklusion grundsätzlich durch Streichung des § 47 Abs. 2a VwGO abgeschafft und im Immissionsschutzrecht § 10 Abs. 3 Satz 5nBImSchG von einer vormals materiellen zu einer formellen Präklusionsregelung geändert. An die Stelle der ehemaligen Präklusionsregelung trat im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz die Missbrauchsklausel des § 5 UmwRG.

 

Vergleichbar ist Deutschland auch im Hinblick auf die zweite Forderung - die Begrenzung der Reichweite der Umweltverbandsklage – mehrfach auf internationaler und europäischer Ebene verurteilt worden [8], so dass das nationale Recht mit der Novelle des UmwRG im Jahr 2017 entsprechend angepasst werden musste.

 

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, Fehlentwicklungen im Recht zu korrigieren. Diese Fehlentwicklungen müssen jedoch objektiv nachgewiesen werden, wenn sie nicht nur nach innen gegenüber der Bevölkerung, sondern auch nach außen gegenüber anderen Vertragsstaaten überzeugend wirken sollen. An dieser Überzeugungskraft mangelt es den Forderungen derzeit. So muss bereits vorab festgestellt werden, dass eine Reform aus dem Jahr 2017 derzeit noch nicht seriös auf ihre Wirkungen überprüfbar ist. Es entsteht daher bereits aus dem Grunde der Eindruck, es würden die bisherigen Vorbehalte gegen die völker- und europarechtlichen Vorgaben wiederholt.

Betrachtet man die Auswirkungen der Umweltverbandsklage aus quantitativer Sicht, so liegt der Anteil der Umweltverbandsklagen verglichen mit allen verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Deutschland (ausgenommen sind Asylverfahren) konstant bei 0,04 %. Natürlich kann die qualitative Wirkung der Verbandsklage nicht an der Zahl der Verfahren gemessen werden. So lag die Erfolgsquote bei 48,5 % (Teil-)Erfolg bei einer sonstigen Erfolgsquote in umweltrechtlichen Verfahren bei ca. 12% der Fälle [9]. Von einem Missbrauch der Klageart oder gar einer Fehlentwicklung kann insoweit nicht ausgegangen werden.

Vor allem hat die Umweltverbandsklage eine kaum messbare, aber deutlich spürbare präventive Wirkung. Wenn die Verwaltung einen gerichtlichen Rechtsschutz fürchten muss, trifft sie Entscheidungen unter sorgfältigerer Abwägung der umweltrelevanten Belange, wodurch bestehende Abwägungs- und Vollzugsdefizite abgebaut werden. Das Problem überlanger Verfahren und mangelnder Realisierung von umweltrelevanten Projekten liegt mithin nicht am Rechtsschutz, sondern am defizitären Vollzug materieller Vorgaben des Umweltrechts. Zu diesen hat sich Deutschland völker- und europarechtlich verpflichtet.

Diesen Widerspruch zwischen rechtlichen Verpflichtungen und begrenztem Vollzugswillen über eine Reduktion der Rechtsschutzmöglichkeiten zu lösen, erodiert die Rechtstaatlichkeit mit weitreichenden Konsequenzen für die gesellschaftliche Akzeptanz des Rechts und die Position Deutschlands in der Völkerrechtsgemeinschaft. Da mag es nur ein schwacher Trost sein zu wissen, dass die hierfür erforderliche Anpassung der völker- und europarechtlichen Normen aufgrund der langen Verfahren der Vertragsanpassung bzw. der EU-Gesetzgebung mittelfristig nicht umsetzbar sein wird.

 

Nachweise

 

[1]       abrufbar unter https://www.justiz.nrw/JM/jumiko/beschluesse/2018/Herbstkonferenz-2018/I..., Stand 03.01.2019

 

[2]       abrufbar als Download unter https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/koalitionsvertrag-zwischen..., Z. 3422 ff., Stand 03.01.2019

 

[3]       EuGH, Urteil vom 15.10.2015, C-137/14, Rn. 75 ff

 

[4]       Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 26, S. 1)

 

[5]       Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (IE) (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), (ABl. L 334, S. 17)

 

[6]       EuGH, Urteil vom 15.10.2015, C-137/14, Rn. 78

 

[7]       EuGH, Urteil vom 15.10.2015, C-137/14, Rn. 81

 

[8]       EuGH - Trianel, Urteil vom 12. Mai 2011; EuGH – Altrip, Urteil vom 7. November 2013; Beschluss V/9h der 5. Vertragsstaatenkonferenz zur Aarhus-Konvention vom 2. Juli 2014 (Beschwerde ACCC/C/2008/31 betreffend Deutschland)

 

[9]       vgl. dazu eine Studie im Auftrag des Sachverständigenrat für Umweltfragen von Schmidt/Zschiesche, Die Klagetätigkeit der Umweltverbände im Zeitraum von 2013 bis 2016, S. 20 f., abrufbar als Download unter https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/03_Materialien/2016_202..., Stand 03.01.2019

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2 Kommentare

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Die hohe Erfolgsquote führen Sie als Argument für die Verbandsklage an. Die Gegenseite wird dieses Argument genau gegenteilig verwenden. Denn wo kommen wir denn hier, wenn dem Staat regelmäßige Verstöße gegen seine eigenen Vorschriften nachgewiesen werden? Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist doch der Anfang vom Ende. Das eine zu sagen, das andere zu tun, ist Arbeitsgrundlage guter Politik, auch und gerade in Deutschland. Wenn man sich nun an Gesetze auch noch halten muss, wie soll man dann kontroverse Themen überhaupt noch angehen? Demnächst wird noch untersagt, als grüne Ministerin einen Diesel-Dienstwagen zu fahren... ich glaub', ich spinne!

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Mir scheint: Rechtsstaat bedeutet: Maßgeblich ist das materielle Recht. Seine Durchsetzung ist zu überwachen. Prozessrecht ist Rechtsdurchsetzungsrecht. Anhörungsverfahren vor einer öff.-rechtl. Regelung ist Ausübung der Staatsget des Vlkes, und wenn Gesetzgeber , Satzungsgeber wie auch Behörden  sowoh Recht anwenden wieauch "politisch" wirken, s wirkt eben das Volk in beiden Aspekten mit. Das Kernproblem ist mE: Auch Zeit ist Faktum, Zeitverbrauch ist faktische "Regelung" der Hauptsache, des Rechts. Zeit schinden, verzögern, bis zum Exzess verkomplizieren darf keinen Erfolg  haben. Das freilich zu verhindern ist Aufabe einersets des ateriellen Gesetzgebers ( wie stets: Regelungen vor alllem so,dass sie möglichstbwenigm missbrauchsanfällig sind. D.h. etwa keine Absurditäten des Perversen etwa mit dem Stichwort "Öko" verlangen). Zum Verfahren: Anhörungen straffen, in der Regel mail /schriftlich; Pöbelsammlungen und Palavereien bis zum Mondschein mit Fensterreden und Aufpeitschereien verhindern. Und was die Instanzen angeht: eine. Mehr nicht. Zeitliche Orientierung sollte das Verfügungsverfahren in ziviler erster Instanz sein: 4 - 8 Wochen. Notfalls in Tagen. Selbst Hauptsacheverfahren über zig-millionen-Streitwerte vermochte in dogmatisch aktienrechtlich unvorgeklärter Lage eine KfH in 5 Monaten zu entscheiden, gestuft nach Zwischenurteil zur ZUständigkeit und dann zack zur Sache. Es gibt hervorragende Richter und auch im Allgemeinen sind wir in Deutschland gut bedient. Es gibt klare strukturelle Schwächen. Manches bessert sich - im übrigen muss man kämpfen, auch rechtspolitisch. Zackige Faustregel: Seit Jahrzehnten ( nicht erst seit Überlastung durch Asylsachen) haben wir in Deutschland vor allem zu Verpflichtungssachen keinen Rechtsstaat. Die Zeitdauer ist völlig unerträglich und gibt Behördenleuten üble Gelegenheit zu "Erpressungsähnlichen" Druckausübungen, teils ideologische oder geschmäcklerische Wünschbarkeiten "durchzudrücken". Hohnlächelnd gesagt zu bekommen: Na, dann klagen Sie doch, wenn Ihnen der Umfang der Genehmigung nicht passt  -in eilbedürftiger Bausache etwa - ist übel. Veröffentlicht ist LG Bochum KfH in den 1980er Jahren - konzernhaftungs- und abschlussrechtliches Neuland zu  Verlustübernahme und Deckung, Wert: zweistellig Millionen. Kammer für Handelssachen: ca 8 Wochen nach Klageeingang . Termin: Zuständigkeit, - wie alles im Fall - höchst umstritten, bejaht im Zwischenurteil.. Zack zack ab ,in weiteren ca 8 Wochen, : 2. Termin: Durchentschieden zur HAuptsache, ausgeurteilt. ( Die neu gefundene Rechtsauffassung zu den Fragen wurden in einem anderen Verfahren wenige Jahre später durch BGH ebenso gesehen und entschieden. ) Vollstreckbar. Zack. Verwaltungsgerichte  und Interessenten reden gern davon, es beschleunige sich, etwa von drei Jahren auf 18 Monate. Dann wolle Ihr Mandant einmal ein Häuschen nach vorn erweitern  für die plötzlich zugezogene körperbehinderte Oma von 84, und die Behörde willkürt herum mit der angeblichen vorderen Fluchtlinie , kann man so oder auch anders ziehen ( je nach dem, welche Nähebebauung man für maßgeblich deklariert). Ja, der "Rechtsstaat" sollte doch   binnen 6 Wochen verbindlich durch Gericht (wie KfH, dort sogar nur ein Volljurist - toller Mann !!) klären können, was gilt. Überhaupt: binnen ca 21 Tagen belegen können, warum eine begehrte Genehmigung nicht rechtens sei - und sonst gilt sie eben als erteilt! Geht im Zusammenschlussverfahren bei der EU doch auch! Das würde auch bei Behörden Dampf machen!

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