Gestückelte Anklageerhebung wegen angeblich gestückelter Parteispenden?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 12.03.2019
Rechtsgebiete: StrafrechtStrafverfahrensrecht20|6906 Aufrufe

Juristisch äußerst spannend macht es derzeit die Justiz in Regensburg. Mit (bisher) an die 50 Verhandlungstagen ist der Strafprozess um den Oberbürgermeister u.a. wegen Vorteilsannahme/Vorteilsgewährung und Verstoß gegen das PartG (früherer Beitrag im Beck-Blog) wohl jetzt schon einer der längsten, wenn nicht der längste und aufwändigste Strafprozess, den das LG Regensburg überhaupt je geführt hat. Und er droht jetzt noch länger zu werden.

Hintergrund ist, dass die Staatsanwaltschaft neben mehreren Komplexen um Spenden und anderen angeblichen Vorteilen aus dem Umkreis des mitangeklagten Immobilienunternehmers T. auch noch weitere Sachverhalte, in denen es um Spenden anderer Unternehmer geht, ermittelt hat, und nun drei weitere Anklagen erhoben hat. Die erste dieser Anklagen wurde soeben von einer anderen Kammer des LG Regensburg aus rechtlichen Gründen nicht eröffnet. Die Begründung (Pressemitteilung des Gerichts) klingt plausibel: Dieser neue angeklagte Sachverhalt stelle keinen eigenen Prozessgegenstand dar, sondern bilde mit dem vor dem LG bereits verhandelten Sachverhalt eine einheitliche prozessuale Tat. Deshalb bestehe das Verfahrenshindernis der „anderweitigen Rechtshängigkeit“. Dies ist letztlich dem grundgesetzlichen Gebot „ne bis in idem“ (Art. 103 III GG) geschuldet. Ob auf – mittlerweile eingelegte – Beschwerde der Staatsanwaltschaft das OLG Nürnberg dies genauso sehen wird, ist noch offen. Zwar sind die Sachverhalte verknüpft durch die (angeblich nach § 31d PartG rechtswidrigen) Spendenmitteilungen, doch betreffen sie im Übrigen getrennte Lebenssachverhalte, nämlich andere Zeitpunkte, Beteiligte und Motive.

Abgesehen davon muss man wohl festhalten, dass eine Anklageerhebung schon aus Fairnessgründen (Art. 6 EMRK) ebenso wenig „gestückelt“ werden sollte wie etwa Parteispenden. Ein Beschuldigter hat auch ein Recht darauf, sich in EINEM Verfahren gegen sachlich zusammenhängende Vorwürfe verteidigen zu können.

Wenn aber diese verschiedenen Sachverhalte (einschließlich der beiden weiteren Anklagen) tatsächlich EINE prozessuale Tat zusammen mit den bereits verhandelten Sachverhalten darstellen sollten, dann stellt sich die Frage, wie es weitergeht in diesem (für Regensburger Verhältnisse) „Mammutprozess“, den man ja schon fast auf der Zielgeraden sah.

Rein theoretisch, also ohne Berücksichtigung der inhaltlichen Einzelheiten des konkreten Falls, ergeben sich hier schon abstrakt spannende strafprozessrechtliche Fragen, deren Beantwortung auch für andere Verfahren relevant sein könnte.

Falls das Gericht die bisher nicht berücksichtigten Sachverhalte (in Anwendung von § 265 II Nr.3, IV StPO bzw. § 154a III S.1, 2 StPO analog) einbezieht, müsste der Verteidigung auch Gelegenheit zur Vorbereitung gegeben werden. Zumindest eine mehrwöchige Unterbrechung des Verfahrens ließe sich wohl kaum vermeiden. Je nach Komplexität der Angelegenheit könnte hier nach § 265 IV StPO aber „zur genügenden Vorbereitung der Verteidigung“ möglicherweise sogar die Aussetzung der Hauptverhandlung, also deren vollständige Neuansetzung, notwendig werden.

Man kann wohl davon ausgehen, dass die Verfahrensbeteiligten, v.a. Staatsanwaltschaft und Gericht eine Aussetzung vermeiden wollen. Dann stellt sich die Frage, ob das Gericht den bisher nicht in der Anklageschrift erwähnten Verfahrensstoff mit dem Hinweis auf dessen „nicht beträchtliches Gewicht“ oder mangels Erwartung eines Urteils „in angemessener Frist“ nach § 154a II 1,2 StPO (möglicherweise iVm § 154 I Nr.2 StPO) ausscheiden könnte. Dazu wäre allerdings die Zustimmung der Staatsanwaltschaft erforderlich. Ob sie diese Zustimmung unter dem Eindruck einer (drohenden) Unterbrechung oder gar Aussetzung der Hauptverhandlung erteilt, wird man abwarten müssen. Hier geht es auch darum, wie weit (oder eng) das Opportunitätsprinzip im Sinne des Beschleunigungsgebots und der Konzentrationsmaxime ausgelegt bzw. verstanden wird.

Wenn auch spekulativ, könnte auch ein weiteres Problem noch in den Blick geraten: Während in der derzeitigen Verhandlung laut Eröffnungsbeschluss nur Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung verhandelt werden, lautet der bereits rechtskräftige Strafbefehl gegen einen Unternehmer in der „neuen“ Sache auch auf Bestechung (§ 334 StGB). Käme dementsprechend spiegelbildlich für das Gericht hinsichtlich des angeklagten OB auch Bestechlichkeit (§ 332 StGB) in Betracht, dürfte die Anwendung von § 154a II StPO zumindest in der Variante § 154 I Nr.1 StPO ausscheiden. Eine Aussetzung nach § 265 III StPO wäre im Falle dieses Vorwurfs des Verstoßes gegen ein „schwereres Strafgesetz“ dann auch kaum mehr zu vermeiden.

Update (13.03.2019): Die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde eingelegt, wie das Wochenblatt berichtet.

Update (17./18.04.2019): Das OLG Nürnberg hat der Beschwerde der StA Regensburg stattgegeben. Damit wurde die zweite Anklage gegen den OB zugelassen.

Bericht Mittelbayerische Zeitung

Bericht Regensburg Digital

Bericht Süddeutsche Zeitung

Pressemitteilung OLG Nürnberg

Pressemitteilung der Verteidigung des OB

Kommentar (18.04.2019) Eine Stückelung der Anklage (angeblich sind noch zwei weitere Vorwürfe im Köcher der Staatsanwaltschaft) kann konkret als "unfair" empfunden werden, da der Verteidigungsaufwand dadurch erheblich erhöht wird. Folgt man insoweit  der Entscheidung des OLG Nürnberg, dann betreffen die Vorwürfe keinen identischen Prozessgegenstand. Die Sachen hätten meines Erachtens aber ursprünglich doch verbunden gehört (§§ 2, 3 und 4  StPO). Eine solche Verbindung geschieht regelmäßig, wenn gegen ein und dieselbe Person wegen verschiedener Straftaten gleichzeitig ermittelt wird (vgl. § 3 StPO). Es könnte auf Antrag des Angeklagten oder der StA sogar immer noch eine Verbindung der beiden nun rechtshängigen Sachen stattfinden. Vgl. dazu den Aufsatz von Meyer-Goßner NStZ 2004, 353 (Beck-Online Link, ggf. kostenpflichtig), der ausführt, dass § 4 StPO auch für verschiedene Spruchkörper innerhalb desselben Gerichts gelte (Erst-Recht-Schluss). Allerdings fragt sich, ob dies "zweckmäßig" wäre, denn das erste Verfahren steht ja schon kurz dem Abschluss. Einen Anspruch auf eien Verbindung hat der Beschuldigte nach st. Rspr. nicht. Allerdings könnte hier der "Fair-Trial"-Grundsatz zumindest einer willkürlichen Trennung entgegenstehen.

Wenn die Verteidigung (Erklärung) nun sagt, man halte an der "doppelten Rechtshängigkeit fest" und wolle dies bis zum Bundesgerichtshof "unverändert verfolgen", dann heißt das, dass man den Einwand des Strafklageverbrauchs ("ne bis in idem")  im zweiten Verfahren, sollte es dort zu einer Verurteilung kommen, als Revisionsgrund geltend zu machen gedenkt. Das ist vollkommen konsequent, da der Eröffnungsbeschluss nach § 210 Abs.1 StPO unanfechtbar ist, und allenfalls eine Verfassungsbeschwerde des Inhalts, die Eröffnung verstoße gegen "ne bis in dem" (Art. 103 Abs.3 GG) zulässig wäre (vgl. BverfG v. 03.09.2004 - 2 BvR 2001/02).

Im ersten Verfahren, in dem derzeit die Hauptverhandlung läuft, kann der Einwand "ne bis in idem" keine Rolle spielen.

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Zu diesem Strafprozess sind schon zwei Beiträge im Beck-Blog erschienen:

1. September 2018

2. November 2018

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20 Kommentare

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Das mit der ggf. notwendigen Aussetzung sehe ich in dieser konkreten Konstellation einer nicht zugelassenen weiteren Anklage eher nicht. "Ungenügende Vorbereitung" der Angeklagten/Verteidiger dürfte kaum plausibel begründbar sein, wenn man in dem anderen Verfahren involviert war, Akteinsicht hatte, eine abschließende BV erfolgt ist, man die Anklage von der 5. Kammer zugestellt bekommen hat und sich innerhalb einer gesetzten Frist dazu äußern konnte... Eher ist die 6. Kammer ungenügend vorbereitet, wenn sie bisher diese Tatkomplexe nirgendwo erkennen konnte...

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@Gast:

Ja, da haben Sie womöglich Recht. Von der evtl. schon erfolgten Vorbereitung der Verteidigung auf die weiteren Vorwürfe weiß ich allerdings nichts, insofern betrifft die Darstellung den "worst case", dass eine Verteidigungs-Vorbereitung bislang nicht erfolgt ist und betrifft auch bzw. vor allem  - wie oben schon dargestellt -  "abstrakt" die Situation in derartigen Konstellationen unabhängig von den Einzelheiten des hiesigen konkreten Falls.

Für den Fall, dass Ihr letzter Satz einen Vorwurf an die 6. Kammer enthält (klingt ein bisschen so): Es bestand bisher keinerlei Anlass für die 6. Kammer, diese Tatkomplexe zu beachten, da sie offenbar in der Anklage nicht genannt wurden und seitens der Staatsanwaltschaft auch offenkundig als "andere" Fälle behandelt wurden/werden sollten.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller
 

Der letzte Verhandlungstag brachte hervor: Löschung des Telefonats mit der Verteidigung. Zwei Tage später Verfügung der U-Haft. Laut Verteidiger Peter Witting war dieses Telefonat Ende 2016 maßgeblich für verhängte U-Haft. Fragen tun sich auf:

Die – verfassungskonforme – Vorschrift des § 100a StPO ermächtigt zur Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, wie das BVerfG befand.

Katalogstraftat mit zweistufigem Schutzkonzept

1. Stufe

Es genügt nicht allein der konkrete Verdacht, dass jemand eine Tat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO begangen hat. Hier Buchstabe u (Bestechlichkeit bzw. Bestechung nach § 332 bzw. 334 StPO). Bereits insoweit stellen sich Fragen, ob des Tatbestandsmerkmals der (fehlenden?) Dienstpflichtverletzung, zumal das Regensburger Gericht die Anklage der StA insoweit bekanntlich gar nicht zuließ; mithin die Katalogstraftat nach § 100a Abs. 2 Ziffer 1 Buchstabe u StPO nicht Gegenstand des Strafprozesses ist. Es bleibt daher (gegen das Regensburger Gericht) fraglich, ob bereits auf dieser Stufe die gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen, in den von Artikel 10 GG geschützten Bereich via TKÜ einzudringen.

2. Stufe

§ 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO verlangt vielmehr, dass die zur Überwachung der Telekommunikation Anlass gebende Katalogtat auch im Einzelfall schwer wiegt. Hinzu kommt das Erfordernis, dass die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten – ohne die Überwachung der Telekommunikation – wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre (§ 100a Abs. 1 Nr. 3 StPO). Damit hat der Gesetzgeber ein Schutzkonzept geschaffen, das dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, so das BVerfG.

Siehe dazu: Entscheidung des BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 – 2 BvR 236/08 – Randziffer 207 ff, 214.

Es ist darauf hinzuweisen, dass das vom BVerfG erwähnte Verwertungsverbot seit 8/2017 in § 100 d Abs. 2 StPO normiert ist.

Bei der Anordnung der TKÜ ist (seit 8/2017) nach § 100e StPO zu verfahren. Insbesondere ist Absatz 4 zu beachten, wonach die “bestimmten Tatsachen, die den Verdacht begründen” aufzuführen sind (u.a. im Hinblick auf eine Dienstpflichtverletzung im Rahmen der Bestechungsdelikte, siehe eingangs).

Es fragt sich daher u.a., ob die TKÜ über Buchstabe U rechtens war. Ich habe im Rahmen der Berichterstattung nirgendwo gelesen, ob und ggf. wie die StA bestimmte Tatsachen zur angeblichen Dienstpflichtverletzung des suspendierten OB vortrug.

Und es drängt sich die Annahme auf, dass das vorstehende unzulässig abgehörte Telefonat im Ergebnis inhaltlich VERWERTET wurde (nach Löschung), um auch damit die U-Haft zu begründen.

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Sehr geehrter mkv,

Sie schreiben:

Löschung des Telefonats mit der Verteidigung. Zwei Tage später Verfügung der U-Haft. Laut Verteidiger Peter Witting war dieses Telefonat Ende 2016 maßgeblich für verhängte U-Haft.

Ich war zwar nicht in der Verhandlung, aber nach meinen Informationen ist der von Ihnen mitgeteilte Zusammenhang SO nicht geschildert worden. Bei dem am Nachmittag des 30.12.2016 geführten Telefongespräch des Angeklagten W. mit seinem Verteidiger, das dann am 9.1.2017 gelöscht wurde (das ist gesetzlich so vorgesehen!), handelte es sich eben NICHT um das Gespräch, das nach Meinung der Verteidigung maßgeblich zum Haftbefehl (Antragstellung am 11.1.2017) führte - Haftgrund Verdunkelungsgefahr. Im Gegenteil: Dieses Gespräch hätte nach Behauptung der Verteidigung  vielmehr entlastend gewirkt, wenn es nicht vorher gelöscht worden wäre.  Die Löschung hängt aber damit zusammen, dass Verteidigungsgespräche insgesamt nicht der TKÜ unterfallen dürfen. Das gilt auch bei (nachträglich) als entlastend anzusehenden Gesprächen. Darin liegt ja eine crux der Löschungspflichten und Verwertungsverbote: Sie werden gelöscht (und nicht verwertet) ganz unabhängig davon, ob sie belastend oder entlastend wirken.

Soweit ich das beurteilen kann, wurden bei der TKÜ und ihrer Verschriftlichung von Polizei und Staatsanwaltschaft schwerwiegende Fehler gemacht, die auch vom Gericht gesehen werden. Die Verteidigung hat dies - völlig zu recht! - aufgegriffen, um entweder Beweisverwertungsverbote (hins. der gesamten TKÜ) zumindest wegen eines Verstoßes gegen das fair-trial-Gebot zu generieren. Ich hätte mir gewünscht, dass in einem solchen prominenten Prozess das Gericht sich einmal dazu durchringt, ein Verwertungsverbot anzunehmen. Das hätte auch ein Signal an künftige Ermittlungen gesendet, denn die TKÜ ist zu einem echten Problrem geworden in vielen Fällen. Es wird sicherlich auch Thema der Revision sein.  Sie wissen aber auch, dass fair-trial-Verstöße im Ermittlungsverfahren in der Hauptverhandlung auch geheilt oder minimiert werden können. Das Gericht versucht dies, in dem viele Gespräche im Saal angehört werden, so dass nicht deren fehlerhafte Verschriftlichung zum Beweismittel werden kann. Zudem, das vermute ich stark angesichts diverser Äußerungen des Gerichts, werden wohl die möglicherweise rechtswidrigen Belastungen des Ermittlungsverfahrens bei der Strafzumessung eine Rolle spielen. Es ist ja - auch wenn ich das nicht gutheiße - ständige Praxis (auch des BGH), dass Ermittlungsfehler nicht in Verwertungsverboten münden, sondern nur zu milderer Strafe führen (sollen).

Wenn solche Fehler auch bei der Haftbefehlsbegründung ausschlaggebend waren, wie es die Verteidigung behauptet (da ich die Akten nicht kenne, kann ich das weder bestreiten noch substantiieren), dann wäre dies in der Tat skandalös und müsste auch zu einer Entschädigungszahlung an die betr. Angeklagten führen.

Zur Frage, ob der (später nicht in der Eröffnung bestätigte) Vorwurf der Bestechlichkeit als Grundlage der TKÜ und des Haftbefehls zutreffend war: Ich bin hinsichtlich des Umfangs des Katalogs in § 100a StPO sehr skeptisch. Da ich andererseits die um sich greifende Korruption im Kommunalbereich als eine sehr problematische Entwicklung ansehe, geeignet dazu, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu unterminieren, sehe ich es nicht per se als verfassungswidrig an, dass auch die in § 100a Abs. 2 Nr.1 u) StPO genannten Straftaten in diesen Katalog aufgenommen wurden.

Dass dies immer aus der Sicht zum Zeitpunkt der Maßnahme zu beurteilen ist, ist allgemeine Auffassung. Wenn der Katalogvorwurf sich später nicht bestätigt, resultiert daraus nicht eine quasi rückwirkende Rechtswidrigkeit der Ermittlungsmaßnahme.

Auch ob ein Vorwurf "schwer wiegt", ist ex ante zu beurteilen. Und da würde ich - in der Rolle als normaler Bürger  - sagen: Fast eine halbe Million Euro Spenden anzunehmen, um im Gegenzug Diensthandlungen zugunsten des Spenders vorzunehmen - das ist ja bzw. war z.Zt. der TKÜ und des Haftbefehls der Vorwurf der Anklage - ist (hypothetisch) ein schwer wiegender Vorwurf, dessen ex ante (hypothetisches) "Schwerwiegen" sich nicht dadurch ändert, dass sich der Vorwurf im Zuge der Ermittlungen oder der Hauptverhandlung nicht bestätigt. Selbst wenn Angeklagte (auch ganz unabhängig vom konkreten Fall) freigesprochen werden, werden allein dadurch nicht die Ermittlungsmaßnahmen rückwirkend rechtswidrig oder unverhältnismäßig. Die Rechtmäßigkeit von Ermittlungsmaßnahmen ist generell und selbstverständlich nicht vom Erfolg der Ermittlungen oder von der Bestätigung des ermittlungsauslösenden Verdachts abhängig.

Falls Sie identisch sind mit "mkv" in den Kommentarspalten des Blogs Regensburg-Digital, noch etwas. Dort schreiben Sie bzw.  "mkv":

Erst nach potentieller Revisionsentscheidung des BGH (2020 f) und eingetretener Rechtskraft (auch zweite Verfahrensrunde Regensburg/Karlsruhe denkbar) dürfte dann die StA in der Lage sein, den weiteren Komplex zur Anklage zu bringen (Frage der Umgrenzung), wobei u.U. Verjährung droht, je nach Zeitablauf.

Das ist NICHT der Fall. Wenn das OLG Nürnberg das LG Regensburg bestätigt und es sich also um dieselbe Tat handelt, dann würde mit Rechtskraft der Entscheidung im jetzigen Verfahren bei allen weiteren damit zusammenhängenden (noch nicht angeklagten bzw. noch nicht eröffneten) Vorwürfen die Strafklage verbraucht. So steht es im Grundgesetz (Art. 103 Abs.3 GG "ne bis in idem"), jedenfalls in meiner Ausgabe. Und das ist auch nicht umstritten.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Vielen Dank für Ihr Feedback, Herr Professor Müller

§§ 332,334 StGB verlangten im Zusammenhang mit der von mit zitierten Entscheidung des BVerfG einen doppelstufigen Schutz der Betroffenen auch und gerade im Zusammenhang mit dem Antrag der StA auf Durchführung von TKÜ-Maßnahmen.

Mit dem BVerfG war die StA gehalten, Tatsachen etc. vorzutragen, die den "konkreten Verdacht" einer Diensthandlung des OB begründeten, wodurch er eine Dienstpflichtverletzung(!) begangen haben soll.

Nichts ist mir darüber bekannt. Nur, dass die WStK die angeklagten Delikte der Bestechung/Bestechlichkeit nicht (!) zuließ. Die offene Frage ist, ob die Voraussetzungen zur Durchführung der TKÜ überhaupt vorlagen.

Ist nicht Folgendes (auch für weitere Verfahren anderer Betroffener) zu besorgen?

Die Anklagebehörde holt sich über eine vermeintlich vorliegende Katalogstraftat (hier Buchstabe U) einen Zugriff über 1000e von Telefonaten; die Verschriftung schlägt in nicht mehr überschaubarer Weise fehl. Die Regeln hierfür werden verletzt. Die Verfassung gebrochen. In den Kernbereich eingegriffen. Wer bitte kontrolliert? Die falsche Verschriftung wird (wie hier aus Sicht der Vert.) auch Grundlage eines Haft-Befehls etc. Es folgt Freiheitsentzug. Suspendierung. Gehaltskürzungen. Aus diesem Zauberpot werden Pressemitteilungen, Pressekonferenzen, ein entsprechendes Bild wird in der Öffentlichkeit gezeichnet. (Pressesprecher der StA sinngemäß: "Die Inhaftierten kommen nur wieder frei, wenn sie umfänglich gestehen", wie zu lesen war).

Als wohl alleinige Grundlage und Ausgangsursache eines solchen Szenarios wäre dann die Nicht-Umsetzung des Schutzes, den das BVerfG in seiner von mir zitierten Entscheidung gefordert hat. Ja, man müsste Einblick haben in den Wortlaut des Antrags der StA, mit dem sie die Anordnung von TKÜ nach Buchstabe U beantragte; ebenso in den der Verfügung des Ermittlungsrichters:

WIE WURDE DIE KONKRETE GEFAHR EINER MIT EINER PFLICHTVERLETZUNG EINHERGEHENDEN DIENSTHANDLUNG BEGRÜNDET?

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Ihre anfänglichen Karstellungen sind wichtig; die waren mir neu. Sollte im Rahmen einer systematischen Auslegung bei der Frage der Löschung/Nichtverwertung einer entlastenden Aufzeichnung (TKÜ) nicht das Legalitätsprinzips berücksichtigt werden, wonach die StA verpflichtet ist, Entlastendes für den Betroffenen zu ermitteln (Widerspruch zu anderen Normen)?

Ihren Ausführungen a.E. stimme ich zu; mit der Gefahr der Verjährung habe ich einen weiteren Komplex (Bauanfrage im Westen) jenseits der einheitlichen Prozesstat gemeint, und mich in der Kürze missverständlich ausgedrückt.

Ende des Monats plädiert die StA. Darauf bin ich gespannt.

Seien Sie gegrüßt.

mkv

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@ Prof.Dr.Henning Müller:

Ich bewundere Ihr Bemühen, die Aufstückelung der Vorwürfe auf verschiedene Anklagen auch noch wissenschaftlich anhand der StPO erläutern zu wollen. Oder aber vielleicht bin ich nur erstaunt, dass Sie mit einer gewissen Naivität die sich aufdrängenden Begründungen hierfür ausblenden.

Ein derartiges Vorgehen ist losgelöst bar jeglicher Wissenschaft und bar jeglicher Gesetzeskonformität schlichtweg die klassische Fußspur der bayerischen Justiz.

Der Regensburger OB bekommt jetzt einfach das zu spuren, was alle anderen Angeschuldigten eines Strafverfahrens in Bayern auch zu spüren bekommen. Der OB setzt sich zur Wehr gegen die Vorwürfe und jetzt wird versucht, ihm die Luft abzuschnüren und ihn mundtot zu machen, indem man ihn mit immer neuen Anklagen überzieht. Man weiß doch auf Seiten der bayerischen StA ganz genau, dass niemand derartige kumuliert auftretende Verfahrensbelastungen auf Dauer aushalten kann. Dies ist weder aus finanziellen, noch gesundheitlichen bzw. psychischen Gründen möglich. Die bayerischen Strafverfolger quälen ihn jetzt in rechtsmissbräuchlicher Art und Weise, weil das Ziel nicht erreicht wurde, was mit der Einleitung dieses Ermittlungsverfahrens bezweckt wurde. Den Regensburger OB konnte man weder durch U-Haft, noch durch den Mediendruck, noch durch die Anklagen zum Rücktritt bewegen, was das Ziele der bayerischen Strafverfolger waren. Die bayerischen Staatsanwaltschaften sind nun einmal von der CSU unterwandert und da ist ein SPD-Oberbürgermeister in Regensburg ein Dorn im Auge. Es ist Zeit, dass die Bundesrepublik endlich aufwacht und die Missstände in Bayern schonungslos aufarbeitet.

Bayern würde nach heutigem Stand die EU-rechtlichen Standards von Rechtsstaatlichkeit nicht erfüllen. Das hat sogar ein bekannter Kolumnist der SZ beschrieben, der selbst mal in der Justiz tätig war. Richter werden in Bayern durch Ministerialbeamte ernannt und befördert. Wer sitzt wohl im Ministerium? Bayern hat diesbezüglich dasselbe rechtsstaatliche Problem wie Polen. Nur kann sich Bayern derzeit diesbezüglich noch hinter der Bundesrepublik verstecken. 

Bezogen auf den hiesigen Fall. Die StA Regensburg wird den OB solange mit schikanösen Strafverfahren überziehen, bis er entweder aus wirtschaftlichen oder gesundheitlichen Gründen einbricht. 

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Die bayerischen Staatsanwaltschaften sind nun einmal von der CSU unterwandert und da ist ein SPD-Oberbürgermeister in Regensburg ein Dorn im Auge.

Die Regensburger Staatsanwaltschaft wird von einem SPD-Mitglied geführt, der Ltd. OSTA'in Ulrike Paukstadt-Maihold, vgl. hier und hier. Außerdem wurde die ganze Affäre durch einen SPD-Staatsanwalt (Thomas Goger) aufgedeckt und ins Rollen gebracht, vgl. hier. So viel zur behaupteten Unterwanderung durch die CSU...

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Sehr geehrtes Gästchen,

ich habe hier versucht, die juristischen Folgen möglichst neutral zu schildern, ja.

Ich habe meine Skepsis im Hinblick auf das  staatsanwaltliche Vorgehen auch deutlich gemacht, indem ich schrieb:

Abgesehen davon muss man wohl festhalten, dass eine Anklageerhebung schon aus Fairnessgründen (Art. 6 EMRK) ebenso wenig „gestückelt“ werden sollte wie etwa Parteispenden. Ein Beschuldigter hat auch ein Recht darauf, sich in EINEM Verfahren gegen sachlich zusammenhängende Vorwürfe verteidigen zu können.

Dass ein Strafverfahren äußerst belastend ist für Beschuldigte, daran gibt es keinen Zweifel. Das übersehen häufig sowohl Presse als auch Staatsanwaltschaften und Gerichte. Manch braver Bürger, der auch mal gern: "Hängt ihn höher" ruft, merkt dies meist erst, wenn er selbst mal auf der Anklagebank sitzt. Ob es in Bayern (dahingehend) schlimmer ist als anderswo in Deutschland, weiß ich nicht.

Für Ihre phantasievollen parteipolitischen Ausführungen sehe ich keinerlei Anhaltspunkte.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof.Dr. Henning Müller,

die Tatsache, dass in Bayern die Richter durch Ministerial-Beamte ernannte werden, ist ein Fakt. Halten Sie das etwa unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten für korrekt? Die Exekutive ernennt die Judikative?

Wollen Sie bestreiten, dass ein Parteibuch der CSU den Weg eines Richters zu den bayerischen Obergerichten ebnet.

Als Exekutive würde ich doch auch lieber diejenigen im Richteramt sehen, die meine Gesinnung teilen. Nur dann krankt eben das System. Fällt Ihnen denn nicht auf, dass zwischenzeitlich der Regensburger OB für jeden Angriff gegen die StA eine neue Anklage auf den Tisch bekommt?

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@gästchen:
Sie werden sich wundern, auch in anderen Teilen Deutschlands werden die Richter durch "Ministerialbeamte" ernannt,korrekterweise zB  in Bayern sogar durch den Minister himself und in NRW ab R3 aufwärts durch die Landesregierung

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Sehr geehrtes Gästchen,

Sie schreiben:

die Tatsache, dass in Bayern die Richter durch Ministerial-Beamte ernannte werden, ist ein Fakt. Halten Sie das etwa unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten für korrekt? Die Exekutive ernennt die Judikative? Wollen Sie bestreiten, dass ein Parteibuch der CSU den Weg eines Richters zu den byerischen Obergerichten ebnet.

Die Auswahl und Ernennung von Richtern ist insbesondere  in Bundesländern, in denen eine Partei langjährig strukturell die Mehrheit hat, problematisch. Aber mit diesem Fall hat dies gar nichts zu tun. Eine Staatsanwaltschaft unter Leitung einer SPD-Oberstaatsanwältin ermittelt auf Anzeige eines SPD-Staatsanwalts hin, und zwar gegen einen (bisher) SPD-Oberbürgermeister. Und eine LG-Kammer, deren Richter von CSU-Ministerialbeamten ernannt wurden, fährt eben dieser Staatsanwaltschaft bei ihrer zweiten Anklage in die Parade. Gerade dieser Fall ist ein Gegenbeispiel zu Ihrem schlichten Weltbild, in dem Justizangehörige je nach ihrer Parteizugehörigkeit gegen Politiker der anderen Partei ermitteln und urteilen. So einfach ist Bayern (und die Welt insgesamt) nicht gestrickt. Und selbst wenn die CSU-Mitgliedschaft eine Justizkarriere "erleichtern" mag ("ebnen" tut dies allenfalls die Examensnote, die überwiegend in einem anonymen Verfahren ermittelt wird), sagt dies nur wenig darüber aus, wie ein Richter das Gesetz dann anwendet.  Aber wie gesagt, ich würde mir auch ein anderes Richterauswahlverfahren wünschen.

Als Exekutive würde ich doch auch lieber diejenigen im Richteramt sehen, die meine Gesinnung teilen. Nur dann krankt eben das System. Fällt Ihnen denn nicht auf, dass zwischenzeitlich der Regensburger OB für jeden Angriff gegen die StA eine neue Anklage auf den Tisch bekommt?

Sie verwechseln offensichtlich Richter und Staatsanwälte. Regensburger Richter (ich kenne deren Parteizugehörigkeit nicht, aber nach Ihrer Ansicht müssten sie CSU-hörig sein) haben die erste Anklage gegen den SPD-OB deutlich reduziert, die zweite gar nicht zugelassen. Dass die weiteren Anklagen Reaktionen auf Angriffe des Angeklagten gegen die StA waren, halte ich für wenig schlüssig, denn die Ermittlungen liefen hier schon lange vorher. Im Übrigen steht es mir (und Ihnen) nicht gut an, die Klugheit der Aktivitäten eines Angeklagten in der Hauptverhandlung zu beurteilen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Prof.Dr. Henning Müller,

ich denke wir haben uns in einem gewichtigen Punkt missverstanden. Ich bin ein großer Freund der Vorgehensweise des Regensburger OBs. Er soll sich wehren und nicht den sprichwörtlichen "Schwanz" einziehen vor der Staatsgewalt. Seine Vorwürfe gegen das Vorgehen der StA sind ja (jedenfalls teilweise) berechtigt

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Wie das OLG Nürnberg heute in einer Pressemitteilung kundgibt, wurde aufgrund der Beschwerde der Staatsanwaltschaft nun doch die zweite Anklage gegen den OB der Stadt Regensburg zugelassen.

Das OLG argumentiert damit, dass die Verknüpfung über die (möglicherweise fehlerhafte) Parteispendenmitteilung nicht so stark sei wie die Würdigung, dass es sich um getrennte Sachverhalte handelt (andere Spender mit anderen Motiven und potentielle anderer Unrechtsvereinbarung).

Nach Ansicht des 2. Strafsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg handelt es sich bei den Vorwürfen in der neuen Anklageschrift vom 4. Oktober 2018 um eigenständige prozessuale Taten. Der Senat legt u. a. dar, dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in der ursprünglichen Anklageschrift mit denjenigen in der weiteren Anklageschrift nicht durch - so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft - unrichtige Deklarierung der Spenden in Rechenschaftsberichten so miteinander verknüpft seien, dass eine getrennte Aburteilung zu einer Aufspaltung eines zusammengehörigen Geschehens führen würde. Im Gegenteil: Es würden unterschiedliche Lebenssachverhalte mit anderen Tatzeiten, Tatorten und Tatgegenständen unnatürlich vereinigt, wenn man der Ansicht des Landgerichts Regensburg folgen würde. Nach den Anklagevorwürfen handle es sich um verschiedene Vorteilsgeber, von denen der Angeklagte jeweils Zuwendungen gefordert habe bzw. sich habe versprechen lassen.

Da in dieser zweiten Anklage auch der Vorwurf der Bestechlichkeit erhoben wurde, wurde zugleich der hinreichende Tatverdacht der Bestechlichkeit bejaht - anders als im noch laufenden Verfahren, in dem es um Spenden aus dem Umkreis eines anderen Bauunternehmers geht. 

Gegenüber der Mittelbayerischen Zeitung hat sich der nun erneut Angeklagte so geäußert:

Er bedauere diese Entscheidung, „weil damit das eintritt, was von der Staatsanwaltschaft mit der künstlichen Trennung von Verfahren beabsichtigt war und ist, nämlich den Versuch zu unternehmen, mich über rein zeitliche Abläufe und eintretende materielle Schwierigkeiten ins Abseits zu stellen.“ Er weist sämtliche Vorwürfe zurück und kündigte an, zeitnah alles öffentlich zu machen, was er zu den Anklagevorwürfen wisse. Er bleibe dabei, dass für seine politische Zukunft das Urteil in dem seit September 2018 laufenden Korruptionsverfahren entscheidend sei. Nur davon werde abhängen, ob er wieder für das OB-Amt kandidiere oder nicht. Er werde weiter für seine volle Rehabilitierung kämpfen. Seine materiellen Möglichkeiten seien erschöpft, aber seine Verteidigung in dem neuen Verfahren werde er „irgendwie regeln“ können, erklärte Wolbergs.

Damit wird quasi der Vorwurf erhoben, den ich auch oben in meinem Beitrag schon angemerkt habe: Eine Stückelung der Anklage (angeblich sind noch zwei weitere Vorwürfe im Köcher der Staatsanwaltschaft) kann auch konkret als "unfair" empfunden werden, da der Verteidigungsaufwand dadurch erheblich erhöht wird. Die Sachen gehören meines Erachtens zwar (folgt man insoweit  der Entscheidung des OLG) nicht als identischer Prozessgegenstand, aber doch als "verbundene" zusammen (§§ 2, 3 und 4  StPO). Eine Verbindung geschieht ja üblicherweise, wenn gegen ein und dieselbe Person (§ 3 StPO) wegen verschiedener Straftaten gleichzeitig ermittelt wird.

Es könnte nach den Vorschriften über die Verbindung (§ 4 StPO) auf Antrag des Angeklagten auch eine Verbindung der beiden Sachen stattfinden. Vgl. dazu den Aufsatz von Meyer-Goßner NStZ 2004, 353, der ausführt, dass § 4 StPO auch innerhalb desselben Gerichts gelten müsse (Erst-Recht-Schluss).

Was in den bisherigen PMs etwas wenig herüberkam ist mE der Gesichtspunkt, der bei der Kognitionspflicht neben der Frage, ob es dieselbe Tat iSd 264 StPO sein kann, ja auch immer eine gewisse Rolle spielt: die Vorwürfe müssen vom Verfolgungswillen der StA erfasst sein. und wenn die StA von vorneherein erklärt, diesen und jenen Tatkomplex wollen wir weiter ermitteln und (noch) nicht angeklagt haben, fehlt der wohl, wie hier in Regensburg. 

Das ist natürlich nur ein Nebenaspekt (denn wenn es glasklar dieselbe Tat ist, kann die StA durch mangelnden Verfolgungswillen und Aufspaltung natürlich keinen Strafklageverbrauch herbeiführen, siehe die berühmten "Trunkenheitsfahrt mit Handeltreiben BtM"- Fälle zB BGH 3 StR 109/12 und hierzu beck-blog "Glück gehabt: Sufffahrt verhindert Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln" ), aber spielt anscheinend doch eine gewisse Rolle in manchen weniger eindeutigen Fallkonstellationen.

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Sehr geehrter Gast, vielen Dank für Ihren Kommentar.

meines Erachtens kann es bei "derselben Tat" auf den unterschiedlichen (getrennten) Verfolgungswillen der Staatsanwaltschaft hinsichtlich einzelner rechtlich untrennbarer Sachverhalte nicht ankommen (so haben Sie es ja auch schon angedeutet).

Aber für die von mir schon angesprochene Frage, ob Sachen "verbunden" werden oder nicht, kann es sehr wohl darauf ankommen, d.h. die Staatsanwaltschaft kann, wenn dies nicht willkürlich ist (Fair-Trial-Grundsatz  ist zu beachten!) durchaus erst eine anklagereife Tat anklagen und wegen anderer noch weiter ermitteln.

Allerdings: Wenn zwei von der Staatsanwaltschaft bislang getrennt ermittelte Tatvorwürfe gegen denselben Beschuldigten - wie hier - gleichzeitig rechtshängig werden, dann spricht viel für eine "Verbindung" gemäß § 4 StPO.  Diese kann auch der Angeklagte in der laufenden Verhandlung beantragen, allerdings wird die Entscheidung auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhen, d.h. grundsätzlich hat niemand  "Anspruch" auf eine Verbindung oder Trennung. Auch das BVerfG hat sich schon einmal damit befasst (allerdings in einem Fall mit umgekehrter Konstellation): BVerfG, Beschluss vom 12. August 2002 - 2 BvR 932/02.

Möglicherweise ist aber im konkreten Fall (aus Verteidigersicht) ein solcher Verbindungsantrag gar nicht sinnvoll und möglicherweise spricht auch die Zweckmäßigkeit dagegen, die neue Anklage dem inzwischen fast abgeschlossenen Verfahren hinzuzuverbinden.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller, ist denn ein zweiter Prozess durch die Entscheidung des OLG nun definitiv oder gibt es z.B. für die Verteidigung ihrerseits noch einmal die Möglichkeit, Beschwerde einzulegen? Herzlichen Dank. 

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Sehr geehrter Herr Liese,

ein Eröffnungsbeschluss (und das ist die Entscheidung des OLG Nürnberg) ist nach § 210 Abs.1 StPO für den Angeklagten grundsätzlich  unanfechtbar. Allenfalls eine Verfassungsbeschwerde des Inhalts, die Eröffnung verstoße gegen "ne bis in dem" (Art. 103 Abs.3 GG) wäre wohl zulässig (BverfG v. 03.09.2004 - 2 BvR 2001/02). (Im Vergleich mit dem dort entschiedenen Fall sind aber Zweifel an der Begründetheit einer solchen Verfassungsbeschwerde angebracht.)

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

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