Weingesetz im Wandel: bald Spätburgunder oder Riesling GRAND CRU aus Deutschland?

von Michael Else, veröffentlicht am 03.06.2019

Vielleicht nicht unbedingt „Grand Cru“, aber das Pendant „Grosses Gewächs“ könnte durchaus Einzug in das deutsche Weingesetz finden. Dem deutschen Weingesetz von 1994 steht nämlich eine umfassende Reform bevor. Ein Schwerpunkt der Neuregelung soll auch die Berücksichtigung des sogenannten romanischen Weinqualitätssystems („je kleiner die Herkunft, desto höher die Qualität“) im deutschen Weinbezeichnungsrecht sein, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Weinbranche zu stärken. Ein Gesetzentwurf wird noch für 2019 erwartet, ein vor wenige Tagen veröffentlichtes Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung soll als Grundlage für einen Referentenentwurf dienen.

Weinrecht ist primär Unionsrecht. Das Unionsrecht geht dem nationalen Recht vor, nationales Recht kann Unionsrecht nur ausführen und es dort ergänzen, wo dies ausdrücklich vorgesehen ist. Das deutsche Weinrecht führt also im Wesentlichen nur die Regelungen des europäischen Weinrechts aus und kann eigene Regelungen nur in einem vorgesehenen Bereich treffen*.

Genau hier liegt das bestehende Problem: das Weingesetz in der aktuellen Fassung datiert aus dem Jahr 1994 und wurde seither nur an sich änderndes Unionsrechts angepasst, seine Struktur und Gliederung blieb aber gleich. Das Unionsrecht hingegen ist seit 1994 gleich mehrfach grundlegend überarbeitet worden. Ganz salopp formuliert, hinkt das deutsche Weingesetz schlicht der Entwicklung hinterher. Die Folgen sind nicht nur eine allgemeine Schwäche des deutschen Weinrechts in Lesbarkeit und Auslegung (hauptsächlich aufgrund der Verweise in EU-Recht), ganze Regelungsbereiche gehen mit aktuellen Anforderungen nicht mehr konform oder geben schlicht unzureichende Antworten. 

Während sich die Weinbranchen in anderen Mitgliedstaaten schon neu aufgestellt haben, diskutiert man in Deutschland noch darüber, wie Weine zukünftig bezeichnet werden sollen, damit deutsche Weine auch weiterhin im Wettbewerb auf dem internationalen Markt bestehen können. Anstelle einer weiteren Anpassung an Unionsrecht soll das deutsche Weingesetz von 1994 nun einer umfassenden Reform unterzogen werden. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat nach vorbereitenden Gesprächen am 27.5.2019 ein Eckpunktepapier veröffentlicht, auf dessen Grundlage ein Referentenentwurf erstellt werden soll. Der Beginn des Gesetzgebungsverfahrens soll noch 2019 erfolgen.

Im Folgenden wird der Inhalt des Eckpunktepapiers in Auszügen wiedergegeben und mit Anmerkungen versehen.

Das Eckpunktepapier kann hier eingesehen werden (Quelle BMEL)

Die Mitteilung des BMEL ist hier nachzulesen

Eckpunktepapier (Auszüge in Zitaten, Anmerkungen im Text)

1. Geschützte Herkunftsbezeichnung und Qualitätspolitik

A. Herkunftsprofilierung

Zur Erhaltung der besonderen Merkmale von Erzeugnissen mit geschützter Ursprungsbezeichnung oder geschützter geografischer Angabe sollte das Bundesministerium Mindestanforderungen hinsichtlich bestimmter charakteristischer Merkmale dieser Erzeugnisse festlegen können (z. B. betreffend den Hektarertrag, Mindestalkoholgehalte oder önologischer Verfahren). Diese Anforderungen wären von den Erzeugern bei der Festlegung der Produktspezifikationen zu beachten.

Des Weiteren sollte das Bundesministerium gemäß dem im Unions-recht verankerten Grundsatz, dass geografische Angaben bei Wein nicht lediglich auf die Herkunft verweisen, sondern auch mit einem Qualitätsversprechen verbunden sind, auch im Hinblick auf die Verwendung kleinerer geografischer Einheiten strengere Kriterien (z. B. Hektarertrag, Mindestalkoholgehalte, Keltertraubensorten, önologische Verfahren, Mindestpunktzahl in der Qualitätsweinprüfung, Ernte-verfahren) vorschreiben können als für die Verwendung des Namens des Anbaugebietes gelten. Dabei sollen die Erzeuger entscheiden können, welche Kriterien in ihrem Anbaugebiet zur Anwendung kommen. Die Kriterien sind in das Lastenheft aufzunehmen. Näheres sollte im Rahmen der Überarbeitung der Weinverordnung geregelt werden.

Das Bundesministerium prüft, welche bezeichnungsrechtlichen Anpassungen an die Verwendung der Namen kleinerer geografischer Einheiten im Sinne einer Vereinfachung und transparenteren Regelung aus Verbrauchersicht vorgenommen werden könnten.

Hintergrund

Mit der Verordnung (EU) 1308/2013 wurde das System der geografischen Herkunftsbezeichnungen auch auf die Erzeugnisse der Kategorie Wein ausgeweitet. Seitdem entspricht jedes deutsche Anbaugebiet einer geschützten Ursprungsbezeichnung (g.U.). In sogenannten Produktspezifikationen wird festgehalten, welche Eigenschaften ein Erzeugnis einer bestimmten g.U. aufweisen muss. Über die Spezifikationen soll aber nicht mehr das Auge des Gesetzgebers wachen, er legt die Verantwortung in die Hände der Erzeuger. In Form von Branchenverbänden oder Erzeugergemeinschaften sollen sie die Spezifikationen selbst verwalten, können diese also auch erweitern oder weiter einengen – im Rahmen der gesetzlichen Regelungen. Mittlerweile besteht für jedes Anbaugebiet ein solcher Verband, neue geschützte Ursprungsbezeichnungen (oder auch geschützte geografische Angaben g.g.A.) sind aber denkbar, es können also auch neue Gemeinschaften oder Verbände hinzutreten.

Auf eine Eigenverwaltung der bestehenden Produktspezifikationen, wie auch auf die Errichtung neuer Schutzgemeinschaften ist das WeinG 1994 nur unzureichend oder gar nicht vorbereitet. Mit der Weinrechtsreform soll der Rahmen geschaffen werden, innerhalb dessen sich die Gemeinschaften und Verbände bewegen und eigene Regelungen treffen können. Die Gemeinschaften und Verbände wohlgemerkt, nicht der Gesetzgeber – ein Novum schlechthin.

B. Hektarertragsregelung

Die Hektarertragsregelung sollte an Unionsrecht angepasst und zugleich zur Sicherung der Weinqualität und des Weinangebotes flexibler gestaltet werden.

Das Bundesministerium erarbeitet eine bundeseinheitliche Regelung, die eine Beibehaltung bewährter Elemente des Einwertmodells und des Qualitätsgruppenmodells sicherstellt.

C. Schutzgemeinschaften/Branchenverbände

Seit 2017 können die Länder Organisationen zur Verwaltung herkunftsgeschützter Weinnamen (so genannte "Schutzgemeinschaften") anerkennen. Erste "Schutzgemeinschaften" sind 2018 anerkannt worden. Derzeit wird kein weiterer Regelungsbedarf hinsichtlich der Aufgaben und Finanzierung der "Schutzgemeinschaften" bzw. Branchenverbände gesehen.

Das Antragsverfahren zum Schutz geografischer Angaben hat sich grundsätzlich bewährt und sollte weitgehend unverändert fortgeführt werden. Das Bundesministerium prüft in Abstimmung mit der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung Möglichkeiten zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verwaltungverfahrens bei „Standardänderungen“ und „Vorübergehenden Änderungen“ einer Produktspezifikation.

2. Genehmigungssystem für Rebpflanzungen

Die Begrenzung der Genehmigung von Neuanpflanzungen auf 0,3 Prozent der Rebfläche sollte bis 2023 verlängert werden. Vorbehaltlich der Ergebnisse laufender Gerichtsverfahren wird der Vorwegabzug von fünf Hektar beibehalten. Auch die Möglichkeit der regionalen Begrenzung durch die Landesregierungen wird fortgeführt.

Hintergrund*

Ein Neuanpflanzungsverbot für Reben lief zum 31.12.2015 aus und ist zum 1.1.2016 durch ein neues Genehmigungssystem für Rebpflanzungen ersetzt worden. Die Geltungsdauer des neuen Systems wurde zunächst zeitlich befristet vom 1.1.2016 bis zum 31.12.2030. Ein Zuwachs der Rebflächen soll nicht ungeordnet erfolgen, so dass unionsrechtlich die jährlichen Neuanpflanzungen auf maximal 1% der Gesamtfläche begrenzt worden ist. Der deutsche Gesetzgeber hat sich für einen niedrigeren Zuwachs von zunächst nur 0,3% der Gesamtfläche entschieden, was aber nach einer individuellen Prüfung jeweils neu festzusetzen ist. An diesem jährlichen Flächenzuwachs soll nun offensichtlich weiter festgehalten werden, auch wenn sich der Bundesverband der deutschen Weinkellereien und des Weinfachhandels eine Ausschöpfung von 1% wünscht.

0,3% klingt zunächst nicht viel, stellt aber knapp 300 Hektar neue Rebfläche dar, die jährliche hinzutreten kann. Mit Blick auf die in den vergangenen Jahren durchschnittliche erzeugte Weinmenge kann so jährlich bis zu 2,7 Millionen Liter Wein zusätzlich erzeugt werden.

Der erwähnte Vorwegabzug von fünf Hektar bezieht sich auf den nach § 7 Abs. 2 WeinG vorgesehenen Vorabzug im Verteilungsverfahren für Anträge auf Neuanpflanzungen, wonach für jedes Bundesland (bis auf die Stadtstaaten) mindestens 5 Hektar an neuen Flächen garantiert  werden – unabhängig von der Anzahl der gestellte Anträge. Damit sollte sichergestellt werden, dass auch jenseits der klassische weinbautreibenden Länder Neuanpflanzungen durchgeführt werden können. Während sich neue Erzeuger in bspw. Mecklenburg-Vorpommern noch relativ leicht über neue Rebflächen freuen können, so fehlen diese in umkämpften Anbauregionen. Dies stößt nicht überall auf Gegenliebe, was an dem Hinweis auf laufende Gerichtsverfahren abzulesen ist.

3. Traditionelle Begriffe

Die nationalen Anforderungen an die Verwendung der traditionellen Begriffe sind an die unionsrechtlich hinterlegten Kriterien anzupassen. In diesem Zusammenhang prüft das Bundesministerium eine inhaltliche Aufwertung noch bedeutsamer traditioneller Begriffe einerseits sowie eine Löschung kaum oder nicht mehr genutzter Begriffe andererseits.

Aus Gründen der Vereinfachung, Gleichbehandlung und Transparenz prüft das Bundesministerium, inwiefern die Kriterien (z. B. vorhandener Alkoholgehalt, Mindestmostgewichte, önologische Verfahren, Ernteverfahren) für die Verwendung traditioneller Begriffe, die anzeigen, dass das Erzeugnis eine geschützte Ursprungsbezeichnung oder geschützte geografische Angabe hat, bundeseinheitlich geregelt werden sollten.

Hintergrund*

Die Verwendung traditioneller Begriffe ist nach Maßgabe des Art. 112 der Verordnung (EU) 1308/2013 zulässig. Diese sind im Register „E-Bacchus“ (link) eingetragen, aus dem sich auch die jeweiligen Beschreibungen der Begriffsbestimmungen/ Verwendungsbedingungen (Beschaffenheit) und die Zuordnung zur Qualitätsspezifikation (Ursprungsbezeichnung oder geografische Angabe) ergibt.

Für Deutschland zulässige traditionelle Begriffe sind Qualitätswein, Landwein, Prädikatswein, Qualitätslikörwein, Qualitätsperlwein, Sekt bA; vor allem aber die Prädikatsbegriffe Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese sowie Eiswein, neben weiteren Begriffen wie Affentaler, Winzersekt, Classic, Ehrentrudis, Federweißer, Hock, Liebfrau(en)milch, Riesling-Hochgewächs, Schillerwein, Weißherbst, Badisch Rotgold.

Gerade angesichts der letzten Begriffe liegt der Gedanke nicht fern, hier eine künftige Verwendung zu überdenken. Dennoch sollte man mit Bedacht vorgehen und nicht vorschnell Begriff aus dem Register streichen, denn in einmal gestrichener traditioneller Begriff scheidet für eine künftige exklusive Verwendung für deutsche Weine aus. Als Beispiel sei nur der traditionelle Begriff „Gemischter Satz“ erwähnt, der bei der Überleitung der traditionellen Begriffe nicht für Deutschland geschützt worden ist (nicht in die Datenbank „E-Bacchus“ eingetragen wurde) und seither nur Weinen aus Österreich vorbehalten ist. (Anm.: Was gerade auch deshalb bedauerlich ist, da derzeit eine wachsende Rückbesinnung auf alte Anbauformen und historische Rebsorten zu verzeichnen ist. Solche Weine haben es aber schwer auf dem Markt, wenn man das Erzeugnis mit einem (beschreibenden) traditionellen Begriff wie "Gemischter Satz" nicht beim Namen nennen darf.)

4. Absatzförderung

2015 bis 2018 konnten durchschnittlich 3,5 Millionen Euro Fördermittel aus dem nationalen Stützungsprogramm Wein nicht abgerufen werden. Bund und Länder prüfen, wie eine höhere Mittelausschöpfung im Rahmen der jetzigen Mittelaufteilung sichergestellt werden kann. Gelingt dies nicht, wird eine Anhebung des Mittelansatzes der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung für Absatzförderung auf dem Binnenmarkt und in Drittlandmärkten von derzeit 1,5 Millionen auf 2,5 Millionen Euro angestrebt.

Dass auch diese Weinrechtsreform nicht ausreichen wird, haben die am Verfahren beteiligten Personen bereits anklingen lassen (letzte Absatz des Eckpunktepapiers):

BMEL, Länder und Verbände sind sich darin einig, dass infolge einer Verabschiedung der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2020 ggf. weitere Änderungen an Weingesetz und Weinverordnung vorzunehmen sind (u. a. in Bezug auf den Gesamtalkoholgehalt angereicherter Landweine, die Säuerung, entalkoholisierte Weine, Rebsortenklassifizierung, Nährwertkennzeichnung).

Das Weinrecht ist und bleibt ein besonders dynamisches Rechtsgebiet. Gerade die drohende Nährwertkennzeichnung oder ein Zutatenverzeichnis für Weine wird noch für einigen Diskussionsbedarf sorgen und sicher auch zu Überraschungen führen. Und von einer begleitenden Änderung der Weinverordnung sowie der Ausführungsgesetze der Länder haben wir noch gar nicht gesprochen.

 

*Auszüge aus: Düsing/Martinez/Else Weingesetz (WeinG) Vorbemerkung, § 7 Rn.1 ff und § 17 Rn.3, § 20 Rn.3 ff

(Kommentar in beck-online) - (Kommentar in beck-shop)

 

 

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