AG Bautzen: "Wir finden die Verfassungsrichter im Saarland super...TraffiStar 350S aber nicht"

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.09.2019
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht21|8294 Aufrufe

Wie zu erwarten, arbeitet sich die Rechtsprechung nun an SaarlVerfGH, Urteil vom 5.7.2019 – Lv 7/17 ab. Ich habe zu der Entscheidung in NJW 2019, 2460 eine kleine Anmerkung verfasst. Gerichte, die sich dem Saarland anschließen wollen, können/müssen eigentlich nach §§ 46 OWiG iVm § 206 a StPO bzw. §§ 71 OWiG iVm § 260 III StPO einstellen. § 47 Abs. 2 OWiG klappt natürlich auch...ist natürlich unanfechtbar, was aus amtsrichterlicher Sicht ein klarer Vorteil ist. Das AG Bautzen hat sich so auch für die letztgenannte Lösung entschieden:

 

 

1. Das Verfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.

 2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Es wird davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

 Gründe: 

 Die Einstellung des Verfahrens erfolgt im Hinblick auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 05.07.2019 (Az.: Lv 7/17), wonach die Ergebnisse des Messverfahrens mit dem Messgerät TraffiStar 350S wegen einer verfassungswidrigen Beschränkung des Rechts auf eine wirksame Verteidigung eines Betroffenen unverwertbar ist. Die Beschränkung des Verteidigungsrechts wird darin gesehen, dass die Herstellerfirma „Jenoptik“ die Rohmessdaten nicht speichert und dem Betroffenen daher zur Überprüfung der Messung nicht zur Verfügung stehen.

 Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus §§ 467 Abs. 4 StPO, 46 OWiG.

AG Bautzen Beschl. v. 19.7.2019 – 43 OWi 620 Js 24643/18, BeckRS 2019, 16444

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

21 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Damit wird die Verteidgung gegen entsprechende Knöllchen außerhalb des Saarlands endgültig zum Glücksspiel. Denn es wird auch Urteile geben, die inhaltlich auf der Linie des AG St. Ingbert , Beschl. v. 08. 08. 2019 - 23 OWi 66 Js 1126/19 (1845/19) wandeln (Copy &Paste vereinfacht die Abfassung des Urteils für diese Fälle).

0

 "Ge­schwin­dig­keits­mes­sung mit Laserscanner TraffiStar S350: Update zur geplanten Umrüstung"

https://www.jenoptik.de/presse/pressemitteilungen/2019/08/01/update-traffistar-s350

Zitat aus dem Schwärzwälder Bote:

"Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs Saarland hat für Baden-Württemberg und die weiteren Bundesländer keine rechtliche Bindungswirkung, sodass sich am Verfahren nichts ändert", erklärt Vera Moßbrucker von der Pressestelle des Donaueschinger Rathauses. Gleiches bestätigt auch das baden-württembergische Verkehrsministerium: "Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte – auch in Baden-Württemberg – ist in Bezug auf die Speicherung der Rohmessdaten vielfach zu einem anderen Ergebnis als der saarländische Verfassungsgerichtshof gekommen."

https://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.donaueschingen-traffistar-s-350.ff04c901-701c-4088-aaa1-ca5e9e986201.html

Die "Ossis" vom AG Bautzen scheinen noch zu wenig Eigenständigkeit zu haben in dieser Sache.

0

Vielleicht fühlte sich der Amtsrichter ja noch dem Saarländer Erich Honecker verbunden, so dass er sich dem saarländischen Diktat beugte

0

Vielleicht liegt es aber auch nur daran,  dass der Amtsrichter Im Gegensatz zu den OLG-Richtern über die Fähigkeit des eigenständigen Denkens verfügt.

Man kann sich natürlich in bester OLG-Manier hinstellen und sich auf den aufgrund der vielen Fehler, die die Zulassungen der unterschiedlichen Messgeräte schon aufgewiesen haben zumindest für Nichtjuristen wenig überzeugenden Standpunkt zurückziehen,  dass ein Messverfahren allein wegen der Zulassung unfehlbar sei.

Wenn man das aber - wie das saarländische Verfassungsgericht und auch der Richter in Bautzen - nicht tut und sich mit den tatsächlichen technischen Gegebenheiten befasst, ist das zumindest für jemanden außerhalb der juristischen "Fachkreise" deutlich überzeugender als Ersteres.

0

Die Frage ist ja nicht, dass irgend jemand glauben würde, ein Messverfahren wäre immer unter allen Umständen unfehlbar.

Die Frage ist eine teils technische, teils eine juristische, nämlich eines wirksamen Verteidigungsrechts ohne eine Plausbilitätskontrolle eines Messwerts, der aber kein Einzelmesswert ist, sondern ein nach Algorithmen ermittelter, statistischer Wert.

0

Genaugenommen geht es um folgendes: Das Gericht kann(!) sich auf standardisiertes Messergebnis stützen, ohne die Richtigkeit zu hinterfragen. Das muss es aber nicht. Das Gericht darf das Ergebnis und Verfahren durchaus hinterfragen. Wenn das Gericht aber davon absieht, dann darf die Verteidigung nicht deswegen darauf verkürzt werden. Denn, wenn das Gericht die Richtigkeit grundsätzlich hinterfragen darf, dann muss auch der Verteidigung grundsätzlich diese Möglichkeit eingeräumt werden, anderenfalls liegt ein Verstoß gegen des Grundsatz eines fairen Verfahrens, insbesondere der Waffengleichheit.

Dazu wörtlich VerfG Saarland, Urt. v. 05.07.2019 - Lv 7/17 - unter III.2.:

"Ist ein Gericht — im Rahmen von Massenverfahren — befugt, sich auf standardisierte Beweiserhebungen zu stützen, ohne sie anlasslos hinterfragen zu müssen, so muss zu einer wirksamen Verteidigung gehören, etwaige Anlässe, sie in Zweifel zu ziehen, recherchieren zu dürfen, sich also der Berechtigung der Beweiskraft der dem Gericht vorliegenden Umstände zu vergewissern.

Hinzu kommt: Die Ergebnisse standardisierter Messverfahren erlauben einem Gericht, von ihrer regelmäßigen — nur in Ausnahmefällen bei besonderem Anlass zu hinterfragenden — Richtigkeit auszugehen. Sie zwingen ein Gericht indessen rechtlich nicht zu einem solchen Vorgehen, auch wenn es sich faktisch typischerweise anbieten wird.

Ist ein Gericht aber rechtlich nicht gehindert zu versuchen, sich möglicherweise bessere Erkenntnisse zu verschaffen, so darf dies einem Verteidiger — im Lichte des Prinzips der Waffengleichheit — nicht deshalb versagt werden, weil ein Gericht angesichts der Fülle der von ihm zu bearbeitenden Fälle und angesichts der typischerweise bestehenden Verlässlichkeit von standardisiert ermittelten Messergebnissen darauf verzichtet."

0

Genau das ist aber die Argumentation der OLG: man muss einen Messwert nicht prüfen können, weil es sich ja um eine standardisiertes Messverfahren handelt und der Messwert daher ohnehin stimmt. Und warum stimmt er immer: weil die zumindest aus Sicht der OLG unfehlbare PTB eine Zulassung erteilt hat.

Und wenn man den Messwert im standardisierten Messverfahren in Zweifel stellen will, muss man konkret vortragen. Was man aber - aufgrund fehlender Rohdaten, die allein die Prüfbarkeit einer Messung erlauben würden - mit Ausnahme von eso-Messungen nicht kann. 

Um das verstehen und für sinnvoll halten zu können, muss man wohl Jurist sein......

0

Ich halte jedenfalls die Begründung des VerfG Saarland für nachvollziehbar und überzeugend. Man wird sie auch außerhalb des Saarlandes nicht unbeachtet lassen können, auch wenn sie für die Gerichte nicht bindend ist. Das sind Entscheidungen des BVerfG ja auch nicht über den Einzelfall hinaus.

Mit den Gegenargumenten der OLGs nach der Entscheidung des VerfG Saarland habe ich mich noch nicht befasst. Ich schätze, so viele Entscheidungen der OLGs wird es noch nicht geben. Mir fällt auch nicht ein, was man gegen das VerfG Saarland zu Verfahrensfairness und Waffengleichheit vorbringen sollte. Etwa, dass die Gerichte die Ergebnisse standardisierter Messverfahren blind hinzunehmen hätten, und zwar zwingend(!), ohne wenn und aber, weil die Überprüfung wegen der konkreten und aktuellen Beschaffenheit des Gerätes technisch nicht möglich sei und rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze von den Algorithmen technischer Geräte ausgestaltet seien?

0

ME zeigt das Gutachten "Schneller dank LED" , dass es doch auch ohne Rohdaten nicht ganz so schwierig ist, den Messwert bei einem standardisierten Messverfahren in Zweifel zu ziehen. Wie die SV ausführen ist die auf den Fotos zu beiden Fahrzeugen angegebene Fahrbahnbreite bzw. der hieraus sich ergebende Seitenabstand in beiden Messungen (!!!) falsch, und dazu braucht man keine Rohmessdaten und Algorithmen und Quellcodes, sondern muss sich nur die Messstelle und die Fahrzeugbreite ansehen.
Zudem wird eingangs des Gutachtens von "pulsierenden LED bei Tagfahrleuchten" gesprochen, die Messwerte verzerren können, beide Messungen sind jedoch bei Nacht erfolgt, ob da eine (zu- bzw. eingeschaltete) Tagfahrleuchte und LED überhaupt eine Rolle spielen, wird mir jedenfalls aus dem Gutachten nicht so ganz klar.

0

Sind Sie sicher, daß nachts weder eine gepulster LED-Scheinwerfer, noch ein gepulstes anderes LED-Licht vorhanden und eingeschaltet war? Seitenabstände spielen für eine Geschwindigkeitsübertretung jedenfalls keine Rolle.

0

"Sind Sie sicher"

Nein, aber es geht aus dem Gutachten auch nicht hervor. Das ist ja auch, was zB die PTB bemängelt, dass nämlich nicht angegeben wird, welche Leuchten in den beiden Fahrzeugen verbaut (und ggf. eingeschaltet) waren.

Und das Gutachten geht sehr wohl auf die Seitenabstände ein und leitet u.a daraus eine Fehlmessung ab.

Lesen Sie doch vielleicht das Gutachten, das kann man problemlos ergoogeln.
 

0

Das hatte ich doch längst getan, werter Herr "Gast", schon vor Monaten, wie ich es hiermit auch belege:

GR kommentiert am Sa, 2019-06-22 19:40

Wenn Sie diese Stellungnahme, die ich als PDF gelesen habe, aber mal selber mit Sinn und Verstand gelesen haben sollten, dann müßte es auch Ihnen doch aufgefallen sein, daß sich alle Kritik darin nur auf LED-Pulse bezieht, denn die sollen Werte der Geschwindigkeit und des Seitenabstands verfälscht haben.

Und jetzt sollte der Herr "Gast" nun herausrücken mit genauen Links, auf welche Gutachten bzw. Stellungnahmen der PTB er sich eigentlich bezieht, um keine Phantomdebatte zu führen mit Phantomen, die sich hier nur "Gast" nennen!

Von "sogfältig erarbeiteten Unterlagen" und von "Knallchargen" wollen Sie doch als "Gast"  etwa  nicht auch noch hier schwadronieren?

Wundern würde es mich jedoch nicht mehr.

MfG von GR

0

Und wieder mal ist es gescheitert, dass ein Jurist versucht, einen Techniker zu verstehen....

Natürlich spielen die LEDs eine Rolle, sonst hätte es die Messwertverfälschung (und als Folge daraus die falsche Abstandsangabe) nicht gegeben. Es ist doch nun wirklich in epischer Breite erläutert, wie der nicht korrekte Messwert zustande gekommen ist!

Warum das Messsystem die LED-Pulse gegenüber den Signalen von der Fahrzeugkontur priorisiert, weiß man nicht. Man weiß nur, dass es das in wenigen Einzelfällen tatsächlich tut.

0

Zum Glück für alle Staatsbürger m/w/d sind Techniker nicht so vermessen und schreiben über ein Gutachten oder eine Stellungnahme:

"Dieses Gutachten / diese Stellungnahme ergeht im Namen der Wissenschaft und der Technik ......"

Denn das würde ja eine absolute Unfehlbarkeit suggerieren, denn Techniker wissen es eben längst, technische Geräte sind für bestimmte Situationen gemacht und dafür ausgelegt worden.

0

Im Ernst nun wieder weiter,

eine Meldung vom 07. Oktober 2019:

Radarkontrollen: OLG erkennt Blitzermessung auch ohne Datenspeicherung an https://www.e-recht24.de/news/verkehrsrecht/11644-radarkontrollen-olg-erkennt-blitzermessung-auch-ohne-datenspeicherung-an.html

eine Meldung vom 4. Oktober 2019 um 17:10 Uhr:

Nach Vorwürfen von Juristen : Kreis sieht kein Rechtsrisiko bei Blitzerpanzer

https://rp-online.de/nrw/staedte/wesel/kreis-sieht-kein-rechtsrisiko-bei-blitzerpanzer_aid-46283969

eine Meldung vom  27. September 2019 - 06:19 Uhr:

 Umstrittener Blitzer weiter im Einsatz

https://www.schwarzwaelder-bote.de/inhalt.horb-a-n-umstrittener-blitzer-weiter-im-einsatz.0dde0206-9fc1-48f6-a7b3-47ed4a64547f.html

GR

0

Kommentar hinzufügen