EuGH: Vergeblicher Hilferuf aus dem Kofferraum (Standortdaten)

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 05.09.2019

Der EuGH hat alle EU-Mitgliedstaaten angehalten, endlich die EU-Vorschriften vollständig umzusetzen, die Übermittlung von Standortdaten an die Einsatzzentrale verlangen: Nach dem heutigen Gerichtsurteil müssen TK-Unternehmen im Falle eines 112-Notrufs immer dann, wenn dies technisch möglich ist, direkt und kostenlos den Standort des Anrufers mitliefern. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn Anrufe von Mobiltelefonen ohne SIM-Karte entgegengenommen wurden (AZ C-417/18 – Urteil v. 05.09.19).

Fall:

Der dramatische Fall wurde dem EuGH aus Litauen vorgelegt: Eine 17-jährige Frau wurde entführt, vergewaltigt und lebendig im Kofferraum eines Autos verbrannt. Während sie im Kofferraum ihres Autos eingesperrt war, rief sie ein Dutzend Mal mit einem Handy unter der EU-weiten Notrufnummer 112 um Hilfe. Es wurden jedoch keine Standortdaten an die litauische Notrufzentrale übermittelt. Es blieb offen, ob das Handy eine SIM-Karte hatte und warum die Nummer nicht angezeigt wurde.

Der EuGH betont, dass nach der EU-Universaldienstrichtlinie 2002/22/EC in der Fassung von 2009 alle Anrufe von 112 von Standortdaten begleitet sein müssen - Notrufe von Mobiltelefonen ohne SIM-Karte bilden da keine Ausnahme. Die Genauigkeit der Standortdaten kann jedoch je nach Land und Mobilfunknetz variieren. In jedem Fall müssen aber Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen in der Lage sein, die Informationen zu nutzen.

Auswirkungen:

Diese Entscheidung ist vor allem für Mobilfunkbetreiber und Wiederverkäufer relevant. Sie ist an die EU-Mitgliedstaaten gerichtet. Die Internet-Telefonie (VoIP) muss bereits Standortdaten bereitstellen, wenn dies technisch möglich ist und wird in der Entscheidung auch nicht ausdrücklich erwähnt. Aufgrund der Entscheidung könnten die Hürden auf nationaler Ebene für VoIP-Anbieter jedoch höher werden, um nachzuweisen, dass der Endnutzer richtig informiert wurde, dass ein nomadisierender VoIP-Dienst die aktuellen Standortdaten nicht automatisch an die Einsatzzentrale sendet.

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6 Kommentare

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Grausamer Fall. Interessant auf allgemeinder Ebene  auch, ob der Litauische Staat kausal den Schaden verusacht hat: Im Urteil heißt es hierzu:

"Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats für den Eintritt der Haftung dieses Staates ausreichender mittelbarer Kausalzusammenhang zwischen einem Rechtsverstoß der nationalen Behörden und dem entstandenen Schaden auch als ausreichend dafür anzusehen ist, dass der Staat für einen ihm zuzurechnenden Verstoß gegen das Unionsrecht haftet."

Das wirft die Frage auf, was ein solcher "mittelbarer Kausalzusammenhang" nach dem anzuwendenden Äquivalenzgrundsatz ist. Aber das müssen die Gerichte in Litauen entscheiden. Es könnte teuer werden.

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Die LTO-Presseschau:

EuGH zu Standortermittlung: Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet Telekommunikationsfirmen, in jedem Fall gebührenfrei die Standortdaten eines Anrufers an die 112-Notrufstellen zu senden. Dies gelte selbst dann, wenn die Anrufe von Handys ohne SIM-Karten eingingen. Die Mitgliedstaaten müssten die Einhaltung dieser Regel sicherstellen. Es berichten lto.de und community.beck.de (Axel Spies).

Danke. Noch ein weiterführender Hinweis: Hier in den USA gibt es Kari's Law.

Hintergrund: Im Jahr 2013 wurde Hank Hunts Tochter Kari von ihrem entfremdeten Mann in einem Hotelzimmer in Marshall, Texas, angegriffen und getötet. Karis neunjährige Tochter war im Zimmer und versuchte, den Notruf über das Hoteltelefon anzurufen. Sie wählte den Notruf viermal, als ihre Mutter angegriffen wurde. Aber keiner ihrer Anrufe ging jemals durch, weil das Hoteltelefon verlangte, dass die Gäste vor dem Anruf außerhalb des Hotels eine "9" wählen - auch für den 911-Notruf. Jetzt müssen alle neue Telefonanlagen (Hotels, Büros etc) Anrufe von den Nebenbstellen ohne die zusätzliche "9" etc. ab Februar 2020 direkt durchstellen, sofern das nicht ohnehin schon passiert.

Siehe u.a. https://efficientgov.com/blog/2019/08/15/fcc-approves-direct-dial-to-911/

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