Die Wirtschaftlichkeit der Psychosomatik

von Dr. Michaela Hermes, LL.M., veröffentlicht am 06.09.2019
Rechtsgebiete: Weitere ThemenMedizinrecht|6552 Aufrufe

Ärztliches Handeln unterliegt dem ökonomischen Minimal-Prinzip: Erreiche einen gegebenen Zweck mit dem geringsten Aufwand. Die Abrechnungen der Ärzte werden diesbezüglich regelmäßig überprüft. Das SG Marburg, Urteile vom 19.06.2019 - S 17 KA 476/17 (BeckRS 2019, 16265) und S 17 KA 409/17 (BeckRS 2019, 16250) machte deutlich, dass bei psychosomatischen Erkrankungen Besonderheiten gelten.

Der Fall

Eine Ärztin für Allgemeinmedizin rechnete in den Jahren 2012 bis 2014 die „verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen“ (EBM 35110) im Vergleich zu anderen Hausärzten um ein Vielfaches mehr ab. Die Kassenärztliche Vereinigung fand das unwirtschaftlich und kürzte ihr Honorar. Gegen die Honorarkürzung in Höhe von 31.0430,10 € und 21.432,40 € wehrte sie sich vor Gericht. Mit Erfolg.  

Sie erklärte, dass sie besonders viele junge Menschen versorge. Viele der von ihr behandelten Schüler und Studenten litten unter den typischen Problemschwerpunkten dieser Lebensphase, wie  z.B. Identitätskrisen, Selbstwertzweifel, Ängsten, Depressionen, Arbeitsstörungen, Prüfungsstress. Auch sexuelle Minderheiten, die überdurchschnittlich oft psychosomatische Krankheiten entwickelten, gehörten unverhältnismäßig oft zu ihren Patienten. Ihre Fallkosten seien aber insgesamt unterdurchschnittlich; auch bei den Arzneimittelkosten bleibe ihre Praxis erheblich unter dem Durchschnitt.

Die Entscheidung

Das Sozialgericht Marburg hob die Bescheide über „Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise“ auf und verpflichtete den Beschwerdeausschuss, die beanstandeten 12 Quartale neu zu bescheiden.

Die Sozialrichter entschieden, die Prüfmethode nach statistischen Durchschnittswerten sei hier unzureichend. Bei der Frage der Wirtschaftlichkeit müssten von Amts wegen relevante medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte, wie das Behandlungsverhalten oder Praxisbesonderheiten berücksichtigt werden. Zwar wären die Prüfgremien nicht verpflichtet „ins Blaue“ hinein zu ermitteln. Doch die Ärztin habe schon im Verwaltungsverfahren viele Beispiele aus ihrer Praxis vorgetragen. Blieben den Prüfgremien dennoch Zweifel, müssten sie auf die Patientendokumentation zurückgreifen.

Hinsichtlich der Abrechnungsmodalitäten stellten die Richter klar, dass bei einer psychosomatischen Interventionsbehandlung keine Diagnoseziffer mit anzugeben sei, die die mindestens 15minütige Arzt-Patienten-Interaktion rechtfertige.

Ob das Hessische Landessozialgericht das genauso sieht, wird sich herausstellen. In beiden Fällen wurde Berufung eingelegt.

Praxishinweise

Ärzte versorgen die Mitglieder der Krankenkassen mit Behandlungsleistungen. Sie unterfallen damit dem Gebot, sämtliche Leistungen im Rahmen des Wirtschaftlichen zu erbringen. Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, dürfen sie nicht erbringen. Das fordert § 12 Abs. 1 SGB V. Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird durch Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten beurteilt. Die statistische Vergleichsprüfung ist die Regelprüfmethode. Die Abrechnungs- bzw. Verordnungswerte des Arztes werden mit denjenigen seiner Fachgruppe bzw. mit denen einer nach verfeinerten Kriterien gebildeten engeren Vergleichsgruppe im selben Quartal verglichen.

Je ausführlicher der von der Honorarkürzung betroffene Arzt zu seinen Praxisbesonderheiten vorträgt, desto größer sind die Chancen, dass diese Besonderheiten bereits zu Anfang berücksichtigt werden. Eine gute Dokumentation der Behandlungen ist da hilfreich.

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