Neue Gesetze gegen Terror?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 23.12.2016

Terroranschläge können nicht absolut verhindert werden. Weder durch eine andere Flüchtlingspolitik noch durch andere Ausländer-oder Strafgesetzgebung lässt sich ausschließen, dass ideologisch oder religiös verblendete Menschen an einer der Stellen zuschlagen, die in einer freien Gesellschaft einfach nicht vollständig geschützt werden können. Ein fast vollständiger Schutz könnte allenfalls dann gelingen, wenn wir im Gegenzug unsere Lebensweise erheblich einschränkten. Wir wollen aber OpenAir-Konzerte, wir  wollen Weihnachtsmärkte, wir wollen freien Zugang zu Bahnhöfen und zu Fußgängerzonen, wir wollen draußen Silvester feiern. Das alles gehört zu unserem Lebensstil, den wir uns von Terroristen nicht verderben lassen wollen und werden.

Aber es  ist selbstverständlich richtig und legitim, alle Möglichkeiten des Rechtsstaats auszuschöpfen, um Sicherheit so weit wie irgend vertretbar herzustellen. Deshalb muss auch im Fall des Anschlags von Berlin analysiert werden, welche Maßnahmen diese konkrete Tat erschwert oder verhindert hätten, um solche zumindest künftig anwenden zu können. Nun hat sich herausgestellt, dass man den Attentäter – mit sehr großer Wahrscheinlichkeit der inzwischen in Mailand getötete Tunesier Amri –  seitens der Sicherheitsbehörden (Polizei, Verfassungsschutz) schon länger  „auf dem Schirm“ hatte, dass sein Asylantrag abgelehnt wurde, dass er ausreisepflichtig war, dass er teilweise auch überwacht wurde, dies aber nicht konsequent geschah. Das ist nicht nur ein tragischer Zufall, sondern zeigt, dass es möglich gewesen wäre, diesen mörderischen islamistischen Terrorakt zu erschweren oder ihn sogar zu verhindern.

Nun wird überlegt, mit welchen neuen gesetzlichen Maßnahmen man auf den Terrorakt reagieren kann. Aber indem man seitens der Bundesregierung und der für die Sicherheit primär zuständigen Landesinnenministerien argumentiert, gegen eine wirksamere Überwachung des als „Gefährder“ eingestuften Amri sei man rechtsstaatlich gehindert  gewesen, wird das schon vorhandene gesetzliche Arsenal verschwiegen und dem Publikum der sprichwörtliche Bär aufgebunden. Die Schuld schiebt man lieber den konkurrierenden politischen Parteien zu, die angeblich strengere Gesetze blockiert hätten oder –  noch bequemer – dem Ausland, hier also Tunesien, das nicht bereit gewesen sei, den tunesischen Staatsbürger Amri  zurück zu nehmen.

Ex-Staatsanwalt Heribert Prantl hat demgegenüber in der Süddeutschen Zeitung  zutreffend darauf hingewiesen, dass das Arsenal an Maßnahmen und rechtlichen Möglichkeiten gegen Amri offensichtlich nicht ausgeschöpft worden sei; insbesondere die Möglichkeit des Aufenthaltsgesetzes, als „gefährlich“ eingestufte und zur Ausreise verpflichtete Personen per Auflagen zu beaufsichtigen und bei Verstößen ggf. zu inhaftieren. So erlauben die §§ 56 („Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit“), 58a („Abschiebungsanordnung“) und 61 („Räumliche Beschränkung, Wohnsitzauflage, Ausreiseeinrichtungen“) des Aufenthaltsgesetzes schon nach derzeitigem Stand einschneidende und umfangreiche Maßnahmen, die bei Amri – obwohl er mit seinen Vorbelastungen auf den ersten Blick sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllte und es sogar konkrete Warnungen vor einem Terroranschlag gab  – offensichtlich nicht ergriffen bzw. nicht durchgesetzt wurden. Nach § 95 AufenthG sind Verstöße gegen entspr. Meldeauflagen strafbar.

Die nun demnächst auf neue Überwachungsgesetze pochenden Innenminister der Länder und des Bundes sollten beizeiten von der Medienöffentlichkeit daran erinnert werden, dass neue Gesetze keinen Sinn machen, wenn man die schon bestehenden nicht konsequent nutzt bzw. anwendet. Zudem: Wie soll z.B. eine Videoüberwachung aller Bürger ein Delikt verhindern, bei dem die Täter ohnehin nicht darauf setzen, unerkannt zu bleiben? Eine Überwachung macht allenfalls Sinn für die Aufklärung und Beweissicherung von Verbrechen, deren Täter typischerweise unerkannt bleiben wollen, nicht aber bei Terroristen, die ohnehin lieber sterben als sich einem Strafprozess auszusetzen und die passenderweise sogar ihre Personalpapiere und ihr Handy am Tatort zurücklassen.

Sollte  sich allerdings, wie Prantl andeutet, herausstellen, dass, wie schon im Fall des NSU, die Sicherheitsbehörden lieber eine neue „Quelle“ abschöpfen wollten als eine gefährliche Person festzusetzen, dann sollte auch hier die politische Führung konsequent reagieren. Geheimdienste, die nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit produzieren, können und dürfen wir uns nicht leisten.

Update 27.12.2016: Politiker machen nun einige Vorschläge. Aber was ist davon zu halten?

Nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein allgemeines Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des mutmaßlichen Attentäters Anis Amri bestritten.

Niemand behauptet ein "allgemeines Versagen". Meiner Meinung nach geht es um das spezielle Versagen, die gesetzlichen Möglichkeiten gegen Herrn Amri tatsächlich zu nutzen. Verantwortlich sind dafür die Personen in den Sicherheitsbehörden, die über die Anwendung des AufenthG (zB in NRW) konkret entscheiden. Die politische Verantwortung trägt der dortige Innenminister. Hier wird der einzelne Polzeibeamte in Schutz genommen - was richtig ist, und immer gut ankommt -, um die politische Verantwortung dahinter zu verstecken.

"Es gibt bisher juristisch keine ausreichende Möglichkeit, jeden dieser Gefährder rund um die Uhr überwachen zu lassen", sagte der CDU-Politiker der "Bild am Sonntag".

Das kann so sein, aber warum hat nicht stattdessen wenigstens die Möglichkeiten genutzt, die das AufenthG jetzt schon bietet (siehe oben)? Hier wird ein Strohmann-Argument aufgebaut, um die Verantwortung wegzuschieben.

Zu diesem Zeitpunkt schon ein abschließendes Fazit zu ziehen, wäre nicht seriös, betonte de Maizière. "Selbstverständlich werden wir den Fall aber bis ins Detail aufarbeiten und einen entsprechenden Bericht vorlegen."

Ja, darauf warten wir. Ich bin ziemlich sicher, dass man mit der internen Analyse so lange brauchen wird, bis kein Journalist mehr konkrete, unangenehme Fragen stellen kann, oder bis die Öffentlichkeit nicht mehr hinreichend interessiert ist.

Der nordrhein-westfälische CDU-Parteichef und Bundesvize Armin Laschet forderte rechtliche Konsequenzen nach dem Anschlag. Man müsse jetzt genau untersuchen, "was schief gelaufen ist", welche gesetzlichen Regelungen verbessert und welche Lücken in der Inneren Sicherheit geschlossen werden müssten, sagte Laschet am Samstag im "Morgenecho" auf WDR 5.

Bevor die Untersuchung beginnt, schon einmal rechtliche Konsequenzen zu fordern, nimmt das Ergebnis der Untersuchung (rechtliche Mängel) vorweg.

Tagesspiegel:

De Maizière (CDU) forderte den Berliner Senat auf, seine Haltung zur Videoüberwachung „dringend“ zu überdenken. De Maizière verwies in der „Bild am Sonntag“ auf die Linie der Bundesregierung: „Das Bundeskabinett hat am Mittwoch ein Gesetz beschlossen, das die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen erleichtert und damit einen wichtigen Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung leisten wird.“

Auch das ist eine Ablenkung. Videoüberwachung mag ja an bestimmten Stellen sinnvoll sein, um bestimmte Arten von Straftaten zu verhindern oder deren Aufklärung zu erleichtern. Jeder rational denkende Mensch weiß aber, dass Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen keine terroristischen Akte verhindern kann. Der Anschlag und seine Opfer werden hier benutzt, um alte Forderungen durchzusetzen.

Update (28.12.2016): Leyendecker in der Süddeutschen wundert sich:

Der Mann war nur einer von 549 Gefährdern, und dennoch wussten sie fast alles über ihn: mit welchen wirklich üblen IS-Sympathisanten er sprach, wen er anrief, wessen Telefone er benutzte. Alles bekannt - auch weil die Behörden in die Szene einen V-Mann eingeschleust hatten. Sie kannten die vielen Alias-Namen des Tunesiers, sie wussten, wo er welche und wie viele Moscheen (15) besucht hatte. Der Generalbundesanwalt war eingeschaltet, der Berliner Generalstaatsanwalt auch. Als sich Amri im Februar dieses Jahres in einem Chat jemandem vom IS als Selbstmordattentäter anbot, wurde seine Offerte von Sicherheitsbehörden mitgelesen.

(...)

Und dann ist doch passiert, was nie hätte passieren dürfen. Die Staatsschützer hatten keinerlei Fortune. Sie haben ihn am Ende doch falsch eingeschätzt. Vermutlich haben sie ihn doch irgendwie für einen Schwätzer gehalten, der zwar über Attentate redete, aber letztlich nur schwadronierte.

Am Ende stellt Leyendecker die richtigen Fragen:

Was bleibt, sind andere Fragen, und die meisten zielen auf die Regierenden in Nordrhein-Westfalen. Wie konnte es sein, dass es in dem Bundesland für Amri keine strengen Meldeauflagen gab? Wie konnte es sein, dass ein Gefährder wie er nach der Ablehnung seines Asylantrags ungehindert umherreisen konnte? Nordrhein-Westfalen verzichtete im Fall Amri auf alles, was gegriffen hätte. Polizei, Staatsschutz machten ihre Arbeit, aber die notwendigen Konsequenzen, die sich beispielsweise aus dem Aufenthaltsgesetz ergeben, wurden nicht gezogen: Wenn einer in Nordrhein-Westfalen gemeldet ist und sich vorwiegend in Berlin aufhält, muss ihn Nordrhein-Westfalen einsacken. Das geht. Da braucht man keine neuen Gesetze.

Update (30.12.2016): NRW-Innenminister Jäger reagiert ggü. der FAZ:

Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger hat die Arbeit der Sicherheitsbehörden im Fall des mutmaßlichen Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri verteidigt. Der Tunesier sei längere Zeit beobachtet worden. Dabei hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass er konkret einen Anschlag plante, sagte der SPD-Politiker am Freitag im „Morgenmagazin“ der ARD. Es sei nicht zulässig, jemanden präventiv in Haft zu nehmen, weil er möglicherweise gefährlich sei. Gehe es um sogenannte Gefährder, also Menschen, denen zugetraut wird, einen Anschlag zu begehen, müssten die Behörden zwischen Prahlerei und tatsächlichen Hinweisen unterscheiden. Bei der Observierung Amris vor allem in Berlin sei der Eindruck entstanden, dass er sich eher vom Salafismus weg- und zur allgemeinen Kriminalität hinbewege und ins Drogenmilieu abrutsche. „Wir diskutieren heute mit dem Wissen von heute. Mit dem Wissen von damals sieht das ein bisschen anders aus“, sagte Jäger.

Ja, es stimmt, dass man Gefährder nicht unmittelbar inhaftieren kann. Aber die Duldung des Amri galt nur für NRW. Eine Reisetätigkeit nach Berlin (und auch ein Abrutschen in allg. Kriminalität außerhalb von NRW) konnte durch konsequente Anwendung des AufenthG verhindert werden (s.o.). Nur wurde das Gesetz eben nicht angewendet. Verantwortlich: Dem Innenminister unterstellte Ausländerbehörden. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, dass man seitens der Journalisten den Innenministern, die jetzt nach neuen Gesetzen rufen, nicht immer wieder diese konkreten Fragen nach der Anwendung des AufenthaltsG stellt, solange, bis eine plausible Antwort gegeben wird.

Update (4.1.2017): Mein geschätzter Kollege Prof. Kubiciel hat auf LTO eine präventive Inhaftierung von Gefährdern in die Diskussion gebracht. Ich habe mich dort an der Diskussion beteiligt und hauptsächlich zwei Kritikpunkte angeführt:

1. Bevor nicht das Vollzugsdefizit bei §§ 56, 95 AufenthaltsG untersucht wird, halte ich die Diskussion um solche weitreichenden Eingriffsgesetze für wenig sinnvoll.

2. Selbst wenn eine solche Präventivhaft existierte, zweifle ich daran, dass sie zutreffend angewendet werden würde. Diese Zweifel beruhen gerade auf der mir fehlerhaft/ungenau erscheinenden Anwendung der bisherigen gesetzlichen Möglichkeiten.

Update (5.1.2017):

Spiegel Online berichtet einige Details zu den Ermittlungen/Überwachungen des Amri im Jahr 2016. Nachdem er schon mehrfach aufgefallen sei (u.a. wegen doppeltem Kassieren von Soziallleistungen und wegen der Suche nach Anleitungen zum Bombenbau) ist nach diesem Bericht  im "Sommer 2016" die Ausländerbehörde Kleve tätig geworden:

Sommer 2016: Die Ausländerbehörde in Kleve stellt Amri eine Duldungsbescheinigung auf den Namen Ahmed Almasri aus. Die Behörden wollen ihn so in dem Glauben lassen, dass sie seine wahre Identität nicht kennen. Im Juli 2016 soll er nach Informationen eines Undercover-Agenten damit geprahlt haben, ein Blutbad anrichten zu wollen.

Einem Ausländer eine falsche Identität zu verschaffen ist eigentlich keine Aufgabe der Ausländerbehörde. Man kann - wenn die Darstellung von SPON stimmt -  hier nur vermuten, dass damit eine verdeckte Überwachung von Geheimdienstseite aufrechterhalten  werden sollte. 

Das würde die auch schon von Heribert Prantl angestellte Vermutung stützen, Amri sei behördlicherseits ganz bewusst nicht mit Meldeauflagen am Verlassen von NRW gehindert worden. Vielleicht, weil man annahm, so auf die Spur noch gefährlicherer Personen zu kommen (?). Dass man bei der sinnvollen und wichtigen geheimdienstlichen Terrorbekämpfung auch einmal unabsichtlich falsch liegen kann, ist mir bewusst. Daraus allein würde ich auch noch keinen Vorwurf formulieren. Aber ich zweifle daran, dass dieselben Behörden, die nach der Spiegel-Meldung Amri mit einer falschen Identität ausgestattet haben statt Meldeauflagen durchzusetzen,  Amris präventive Inhaftierung veranlasst hätten, selbst wenn sie die (jetzt von einigen geforderte) gesetzliche Möglichkeit dazu gehabt hätten.

Update (11.01.2017):

Der Bundesinnen- und der Justizminister haben einige Gesetzesvorschläge gemacht, die wohl schon recht bald umgesetzt werden sollen. Es geht v.a. um eine erleichterte Abschiebehaft und um die Ermöglichung (präventiver) Fußfesselüberwachung für "Gefährder".

„Dies zeigt, dass wir in sehr kurzer Zeit imstande sind, vernünftige Ergebnisse zu erzielen, die die Sicherheit der Bürger erhöhen, ohne Freiheiten einzuschränken“, kommentierte de Maizière.

Eine Folge schneller Gesetzesänderung ist, dass damit die harten Nachfragen der Journalisten gezielt abgelenkt werden können. Die Verantwortung der Exekutive für die Behandlung Amris wird dann leicht vergessen. Es ist nach wie vor nicht geklärt, warum Amri nicht mit den bisher schon geltenden gesetzlichen Maßnahmen bedacht wurde.  Dies weckt meinen Zweifel am Sinn von schnellen Neuregelungen. Insbesondere wirft dies die Frage auf: Werden denn diese neuen Regeln in vergleichbaren Fällen auch angewendet? Die Einstufung als "Gefährder" hängt bislang von polizeilichen/geheimdienstlichen Erwägungen ab. Sobald daran harte Rechtsfolgen geknüpft werden, muss die Gefährdereigenschaft aber gerichtsfest belegt werden können. Wird man, um "Quellen nicht zu verbrennen", doch wieder Gefährder lieber an der langen Leine "führen" wollen?

Zudem: Die Abschiebehaft gilt nur für einen Teil der Gefährder. Ca. die Hälfte der so eingeschätzten Islamisten haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Eine Abschiebehaft kommt für sie gar nicht in Betracht.

Und bei allem sollte man auch rechtsterroristische Gefährder nicht aus den Augen verlieren.

Update 20.01.2017

Ich habe heute ein im Auftrag der FDP-Landtagsfraktion NRW erstelltes Gutachten zu den ausländerrechtlichen und strafprozessualen Möglichkeiten im Fall Anis Amri in Düsseldorf vorgestellt.
Hier ein Pressebericht dazu: Welt.
Noch einer: Westdeutsche Zeitung
Hier ein kurzes Video-Interview dazu: YouTube.

Mein Gutachten ist jetzt von der FDP-Fraktion Online gestellt worden: Link

Update 28.01.2017:

In einem Interview mit dem Spiegel bestätigt nun Bundesinnenminister de Maiziere meine im Gutachten vertretene Auffassung:

"Im Oktober 2016 hat Tunesien einem Verbindungsbeamten des BKA mitgeteilt, dass Amri sein Staatsbürger ist. Spätestens da hätte auf Basis des geltenden Rechts ein Antrag auf Abschiebehaft gute Erfolgsaussichten gehabt."

(Kostenfreie) Quelle: T-Online

Update 26.03.2017: Heute berichten die Medien (zB BamS  RP-Online) verstärkt darüber, das Innenministerium sei schon Anfang 2016 gewarnt worden, Anis Amri plane einen Anschlag. Das ginge aus einem damals überwachten Chat hervor. Allerdings waren ähnliche Informationen schon im Dezmeber 2016/Januar 2017 verfügbar. Es war schon Grundlage meines Gutachtens, dass Anfang 2016 vor Anis Amri gewarnt wurde, weil er sich offenbar damit gebrüstet hatte, er wolle einen Anschlag mit Schnellfeuerwaffen begehen. Was heute (erneut und zutreffend) Innenminister Jäger vorgeworfen wird, ist also m.E. weniger neu als es manchem Journalisten erscheint (anders  Miriam Hollstein auf Twitter). Es bestätigt aber das Ergebnis  meines Gutachtens: Jäger ist keineswegs bis an die "Grenzen des Rechtsstaats" gegangen. Er hat nicht mal versucht, bei den Gerichten anzuklopfen.

Update 28.03.2017: Mein Kollege Bernhard Kretschmer hat gestern sein Gutachten (105 Seiten) vorgelegt, mit dem er im Ergebnis Fehler der nordrheinwestfälischen Exekutive im Fall Amri verneint. Zu seinem Gutachten haben ihm die Akten der Strafverfahren und der ausländerrechtlichen Verfahren vorgelegen, so dass seine Datenbasis umfangreicher ist als diejenige, die ich im Januar für mein Gutachten (25 Seiten) zur Verfügung hatte. Seine rechtlichen Bewertungen sind aber auch unabhängig davon in einigen Punkten abweichend. Teilweise mag das mit dem Wortlaut des Gutachtenauftrags zusammenhängen. Ich wurde beauftragt, die rechtlichen Möglichkeiten im Fall Amri zu begutachten, ob Behörden "Fehler" gemacht haben, sollten andere erst auf Grundlage des Gutachtens beurteilen. Derzeit wird darüber gestritten, ob Herr Kretschmer tatsächlich so unabhängig ist, wie die Landesregierung behauptet, da er derzeit über eine Position an der Uni Bielefeld verhandelt.

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173 Kommentare

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RA Würdinger schrieb:

 ..... in dem dieser die Verschärfung der Sicherheitsgesetze durch die Berliner Koalition kritisiert.

Wobei er aber die rot-rot-grüne Koalition des Landes Berlin meint.

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"LKA-Chef Steiof - Werden so ne Tat () nie verhindern können, unsere Polizeiarbeit führt dazu, dass wir Wahrscheinlichkeiten verschiebn ......

Amri wurde am 28.11., 10.12., 13.12. und am 19.12. von 18.38-19.07 Uhr in der Fussilet-Mosche vom LKA gefilmt."

Dazu passend aus dem News-Ticker:

"Berlin (dpa) - Der Berliner Moschee-Verein «Fussilet 33», wichtige Anlaufstelle für den Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri, soll verboten werden. Der Antrag solle bis zum Monatsende fertig sein, sagte Innen-Staatssekretär Torsten Akmann im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhaus. Maßgeblich für den Verbotsantrag sei auch, dass Amri in der Moschee in Moabit ein- und ausgegangen sei. Amri hatte sich laut Videoaufnahmen der Polizei in den Wochen vor dem Terroranschlag immer wieder Bereich der Moschee aufgehalten."

Aber auch dazu noch eine Anmerkung:

"Es ist nahezu völlig egal, wie streng die Gesetze zur Terrorbekämpfung auf dem Papier sind, solange die erlaubten bzw. in den Normen geforderten Maßnahmen nicht umgesetzt werden."

Auch eine reine Erhöhung eines Strafrahmens, oder von Auflagen innerhalb bestehender Normen, würde doch schon etwas wirken können. Es wird eine ganz mühselige Puzzle-Arbeit nötig sein mit vielen Teilen, da soll sich niemand darüber täuschen.

Wer das aber auch schon mal früher bereits erkannt hatte, war Horst Herold gewesen, der "letzte Gefangene der RAF".

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Zu dem Aspekt "Sammelabschiebungen" steht heute morgen in der LTO zu lesen:

"Angesichts der umfassenden Kritik von Flüchtlingsorganisationen im Vorfeld der zweiten Sammelabschiebung nach Afghanistan, die am Montagabend stattfinden sollte, hat Schleswig-Holsteins Innenminister Studt einen Abschiebestopp für das Land gefordert. Auch mehrere Grünen-Politiker hätten darauf gedrängt, schreibt die taz (Daniel Bax). Heribert Prantl (SZ) kritisiert, dass die Praxis Flüchtlinge zu Wahlkampfobjekten macht."

Die LTO schreibt über den Bericht zum längst vergessenen Fall Albakr:

"Polizei und Justiz haben erhebliche Fehler im Fall Albakr gemacht. Zu diesem Ergebnis kommt der Bericht der unabhängigen Kommission zur Untersuchung des Falles, mit dem sich die SZ (Bernd Kastner), die FAZ (Stefan Locke) und die taz (Michael Bartsch) befassen. Bundeskriminalamt und Generalbundesanwalt hätten den Fall übernehmen müssen; Gerichte und Staatsanwaltschaften hätten Informationen nicht schnell genug weitergegeben.

Wer den Sicherheitsföderalismus behalten und stärken will, der müsse den Informationsfluss verbessern, meint Reinhard Müller (FAZ). Es gelte nun, "Zöpfe abzuschneiden, für die es keine sachliche Begründung gibt".

Könnte oder hätte können?

Hätte man die GSM- und GPS-Positionsdaten der Handys von Amri und dem polnischen Fahrer für diie Zeit ab 15 Uhr am 19.12.2016 auswerten können? Beide waren ja zunächst an dem Tötungsverbrechen beteiligt. Die Ermordung des LKW-Fahrers weist natürlich darauf hin, dass dieser unfreiwillig am Anschlag beteiligt wurde, also Opfer und nicht Mittäter war. Trotzdem war es sein LKW, der als Mordmittel missbraucht wurde. Wäre bei dieser Sachlage eine Auswertung seiner digitalen Bewegungsdaten rechtlich zulässig? 

GSM-Daten (Mobilfunkzelle) fallen beim lokalen Mobilnetz immer an, auch wenn ein ausländischer Vertrag genutzt wird. Gerade in diesem Fall, müssen die Daten beim lokalen Roomingpartner und auch im heimischen Vertragsnetz registriert werden, um die Erreichbarkeit und Abrechnung zu gewährleisten. Die GPS-Positionsdaten werden häufig in Apps auf dem Telefon, in den sozialen Netzwerken, sowie bei Google oder Apple gespeichert. Das Gerät ist in diesen Datensätzen durch eine weltweit eindeutige Adresse (Mac-Adresse) identifizierbar, die zu jedem Gerät sehr leicht festzustellen ist.     

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Das alles wurde mit Sicherheit bereits von den Ermittlungsbehörden inzwischen gemacht.

Aber als Plädoyer für die Ausweitung der Überwachung der Telekommunikation und Speicherung der Daten dabei werden Sie das doch nicht gemeint haben, denn so kommt das bei mir jetzt an.

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Gast schrieb:

Das alles wurde mit Sicherheit bereits von den Ermittlungsbehörden inzwischen gemacht.

Haben Sie dazu Quellen, die Sie verlinken könnten?

Gast schrieb:

Aber als Plädoyer für die Ausweitung der Überwachung der Telekommunikation und Speicherung der Daten dabei werden Sie das doch nicht gemeint haben, denn so kommt das bei mir jetzt an.

Eine Ausweitung von Überwachung und Vorratsdatenspeicherung ist selbstverständlich damit gar nicht angesprochen. Meine Frage bezog sich auf die rechtlichen Grundlagen einer Auswertung der GSM- und GPS-Daten eines Opfers in einem eng eingegrenzten Tatzeitraum, die unmittelbar danach erfolgen könnte. Selbst die notwendige Speicherung zu Abrechnungszwecken beim Provider müsste im konkreten Fall für eine Auswertung reichen. Darauf möglicherweise zu verzichten, würde die anlasslose und vorrätige Überwachung und Speicherung sogar als besonders absurd erscheinen lassen.

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Gast schrieb:

Haben Sie dazu Quellen, die Sie verlinken könnten?

Nähere Anfragen dazu bitte an:
https://www.berlin.de/polizei/dienststellen/landeskriminalamt/
https://www.bka.de/DE/Home/home_node.html
Oder Sie warten weitere Veröffentlichungen in der Presse ab, die aber auch nicht immer stimmen müssen.
Bei der Tagesschau wurde z.B. der Name von Bilal B. ja schon falsch wiedergegeben, dort wurde er noch zum Bilel B. gemacht.

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Notfalls müßten die deutschen Ermittler mal bei der NSA nachfragen, die haben vermutlich alle diese Daten.

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Heute morgen findet sich in der LTO eine Berichterstattung zu mehreren Teil-Aspekten des Themas:

"Petry zu Asylgrundrecht: Die Zeit (Matthias Geis/Tina Hildebrandt; zeit.de-Zusammenfassung) hat am 9. Januar mit Frauke Petry (AfD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) gesprochen. Dabei ging es um Währungs- und Wirtschaftspolitik, die Anfänge von AfD und Grünen, Utopien und Realpolitik, Gleichberechtigung und Gleichstellung sowie Sicherheit und Migrationspolitik. Zur Frage der Reichweite des Asylrechtes äußerte sich Petry dahingehend, "dass das Asylrecht nach Artikel 16a geändert (...) und dass es in ein Gnadenrecht des Staates umgewandelt werden muss".

Sonderbeauftragter im Fall Amri: Die nordrhein-westfälische Landesregierung will einen "regierungsparteiunabhängigen" Sonderbeauftragten zur Klärung möglicher Behörden-Fehler im Umgang mit dem späteren Berlin-Attentäter Amri einsetzen. Beauftragt werden solle der Gießener Strafrechtsprofessor Bernhard Kretschmer, so die FAZ (Reiner Burger), der gegebenenfalls notwendige Gesetzänderungen vorschlagen soll.

Interview Landau/Fall Albakr: Die FAZ (Reinhard Müller) spricht mit Herbert Landau, Rechtsprofessor und ehemaliger Bundesverfassungsrichter. Landau ist Vorsitzender der Expertenkommission im Fall des mutmaßlichen Terroristen Albakr, der sich in seiner Haftzelle in Sachsen selbst töten konnte. Landau spricht über die Arbeit und mögliches Versagen der Behörden bei der Festnahme, den Föderalismus, zögerliches Agieren von Bundeskriminalamt und Generalbundesanwalt, Trennungsgebot bei Polizei und Geheimdiensten, Menschenwürde und den Umgang mit Flüchtlingen."

Zur juristischen Aufarbeitung eines Anschlags schreibt die LTO heute morgen:

"OLC Celle verurteilt Safia S.: Das Oberlandesgericht Celle hat die 16-jährige Safia S. wegen versuchten Mordes und Unterstützung der terroristischen Vereinigung IS zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Sie hatte bei einer provozierten Polizeikontrolle einem Polizisten ein Messer in den Hals gerammt. Prozess und Urteilsbegründung fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. In der Berichterstattung – u.a. von FAZ (Reinhard Bingener), SZ (Wiebke Ramm) und taz (Andreas Wyputta) – spielt die Frage eine große Rolle, ob die Tat vermeidbar gewesen wäre, wenn die Polizei ein beschlagnahmtes Handy der Täterin schneller ausgewertet hätte. Der Anwalt des Mädchens hat Revision angekündigt.

Annette Ramelsberger (SZ) sieht die Haftstrafe für Safia S. als "Chance", wenn sie im Gefängnis vom Einfluss von Islamisten abgeschirmt werde."

Heute morgen in der LTO zur Anti-Terror-Politik:

"Der wissenschaftliche Mitarbeiter Timo Schwander prüft auf juwiss.de die von Bundesinnenminister de Maizière und Justizminister Maas angekündigten Anti-Terror-Gesetzänderungen, insbesondere zur Verschärfung der Abschiebehaft und zur Anwendung der elektronischen Fußfessel bei Gefährdern. Die Vorschläge seien überwiegend überflüssig und teilweise rechtswidrig."

Ein mutmaßlicher Bekannter von Amri, Bilel B. der noch mehr Scheinidentitäten als Amri benutzte, sitzt jedenfalls in der Berliner Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit ein. Nicht etwa, weil man ihm etwas über eine Beteiligung am Attentat nachweisen kann, das für einen Haftbefehl reicht, sondern wegen Sozialhilfebetrugs. Bilel B. verwendete 18 Scheinidentitäten. Jetzt steht er kurz vor der Abschiebung.

Jedenfalls wurde das so von der Tagesschau berichtet am 27.01.2017. Eine Meldung, die jedenfalls hier bisher noch nicht zu lesen war.

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Diese beiden Notizen, die heute morgen auf LTO zu lesen sind, sind für das vorliegende Thema relevant:

"EuGH zu Asylrecht für Terrorunterstützer: Am gestrigen Dienstag hat der Europäische Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsverfahren geurteilt, dass für Terrorhelfer ein Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling möglich ist, wenn diesem Handlungen vorzuwerfen sind, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen widersprechen. Dies könne auch der Fall sein, wenn der Person nicht selbst terroristische Handlungen oder eine Anstiftung oder Beihilfe vorzuwerfen ist, sie aber Mitglied in einer terroristischen Vereinigung sei. Im konkreten Fall hatte ein marokkanischer Staatsangehöriger, Mostafa Lounani, Freiwilligen geholfen, zur Vorbereitung von Terrorhandlungen in den Irak zu reisen, auch habe er Pässe gefälscht. 2006 war Lounani in Belgien u.a. wegen Beteiligung als führendes Mitglied an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung, Bildung einer kriminellen Vereinigung und Urkundenfälschung verurteilt worden; sein 2010 gestellter Asylantrag wurde abgelehnt, dagegen hatte er geklagt. Dazu berichten lto.de (Tanja Podolski)SZ (Wolfgang Janisch), FAZ und taz.

Abschiebehaft/Fall Amri: Dass der mutmaßliche Berlin-Attentäter Anis Amri im vergangenen Juli nicht in Abschiebehaft genommen wurde, lag, so die taz (Christian Rath), gerade nicht an einer diesbezüglichen Gesetzeslücke, sondern an einer Fehleinschätzung der Gefährlichkeit Amris. Eine mehr als sechsmonatige Abschiebehaft wäre auch in Einklang mit BGH-Rechtsprechung möglich gewesen, da Amri falsche Identitätsangaben gemacht hatte."

Und hier ist das Originalurteil des EuGH vom 31. Januar 2017 in der Rechtssache C-573/14 [Lounani].

Und das steht in der Presseschau der LTO heute morgen zum Thema:

"BKA-Gesetz/Elektronische Fußfessel: Die Bundesregierung hat auch den Gesetzentwurf für eine Änderung des BKA-"Gesetzes beschlossen. Der Entwurf sieht zum einen Änderungen vor, die das Bundesverfassungsgericht im April 2016 in seinem Urteil zum BKA-Gesetz verlangt hat. Zum zweiten soll die Informationszusammenarbeit der Polizei modernisiert werden. Und schließlich wurde kurzfristig noch eine Regelung eingefügt, die den Einsatz von elektronischen Fußfesseln zur Kontrolle von Aufenthaltsverboten bei "Gefährdern" ermöglicht. Es berichten die SZ (Ronen Steinke) und lto.de.

Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) hält den geplanten Einsatz der elektronischen Überwachung bei Gefährdern für verfassungsrechtlich problematisch. Außerdem werde es wenig geeignete Anwendungsfälle geben."

Da ich noch heute einen neuen Beitrag zum Thema einstellen werde, habe ich die hiesige Diskussion geschlossen. Beim neuen Beitrag hoffe ich dann wieder auf interessante Diskussionsbeiträge.

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