Schlechte Zeiten für anonyme Samenspender

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 29.01.2015
Rechtsgebiete: Familienrecht4|3516 Aufrufe

Die Ehe war kinderlos geblieben. Deshalb entschlossen sich die Eheleute eine Befruchtung mittels anonymer Samenspende herbeizuführen. In einer notariellen Erklärung gegenüber der Klinik verzichteten sie ausdrücklich auf Auskunft über die Identität der Samenspender.


1997 und 2002 kamen auf diese Weise zwei Mädchen zur Welt. Als rechtlicher Vater gilt der Ehemann der Mutter (§ 1592 Nr. 1 BGB).


Nun verklagten die beiden Kinder (vertreten durch ihre rechtlichen Eltern) die Reproduktionsklinik auf Auskunft über die Identität des Samenspenders. Das AG gab der Klage statt, das LG wies sie mit der Begründung ab, Auskunft könne allenfalls ab der Vollendung des 16. Lebensjahres der Kinder verlangt werden.


Die zugelassene Revision hatte Erfolg (BGH v. 28. Januar 2015 - XII ZR 201/13).


Aus der Pressemitteilung des BGH (das vollständige Urteil liegt noch nicht vor).


Ein Auskunftsanspruch der durch künstliche Befruchtung gezeugten Kinder kann sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben aus § 242 BGB ergeben. Sie sind in derartigen Konstellationen in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags zwischen der Klinik und den Eltern einbezogen. Hinzukommen muss ein Bedürfnis des Kindes für die begehrte Information, es muss also zu erwarten sein, dass die Information von dem Kind benötigt wird. Das ist immer dann der Fall, wenn die Eltern die Auskunft zum Zweck der Information des Kindes verlangen. Weder der Auskunftsanspruch noch seine Geltendmachung setzen ein bestimmtes Mindestalter des Kindes voraus.

Die Auskunftserteilung muss für den Auskunftspflichtigen zumutbar sein. Ob dies der Fall ist, ist durch eine auf den konkreten Einzelfall bezogene, umfassende Abwägung der durch die Auskunftserteilung berührten rechtlichen, insbesondere grundrechtlichen, Belange zu klären. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass der Auskunftsanspruch des Kindes Ausfluss seines verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist und dazu dient, eine Information zu erlangen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit von elementarer Bedeutung sein kann. Dieser Rechtsposition wird regelmäßig ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Abwägung zukommen. Dem stehen andererseits die (grund-)rechtlich geschützten Interessen des Auskunftsverpflichteten gegenüber. Die Berufsausübungsfreiheit des Reproduktionsmediziners hat in diesem Zusammenhang keine maßgebliche Bedeutung. Zu berücksichtigen ist aber die ärztliche Schweigepflicht, soweit sie dem Schutz Dritter (Samenspender und Kindeseltern) dienen soll.

Soweit dem Samenspender - den ärztlichen Richtlinien entsprechend - vom Arzt keine Anonymität zugesichert worden ist, hat er sich des Schutzes seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung selbst begeben. Andernfalls steht diesem Recht das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung gegenüber, dem regelmäßig ein höheres Gewicht zukommen wird. Zu berücksichtigen sind zudem mögliche Auswirkungen der Auskunft auf die private Lebensgestaltung des Samenspenders. Nicht maßgeblich sind hingegen seine wirtschaftlichen Interessen. Schließlich können auch die Interessen der Eltern dem Auskunftsbegehren des Kindes entgegenstehen, wenn sie mit der Auskunftserteilung nicht einverstanden sind. Tatsächlich wird sich insoweit aber kaum ein schützenswerter rechtlicher Belang ergeben. Denn die entsprechende Klage gegen den behandelnden Arzt kann das Kind nur dann erheben, wenn es zuvor bereits Kenntnis vom Auseinanderfallen von rechtlicher und biologischer Vaterschaft und von der Zeugung mittels Samenspende hat.

Berücksichtigungsfähige rechtliche Belange hat die Klinik im vorliegenden Fall bislang nicht geltend gemacht. Dem verfassungsrechtlich geschützten Recht der Klägerinnen auf Kenntnis von ihrer Abstammung steht damit derzeit keine Rechtsposition gegenüber, die den Auskunftsanspruch zu Fall bringen könnte. Der von den Eltern erklärte Verzicht auf die Auskunft wirkt nicht zu Lasten des Kindes.

Das Landgericht wird daher nun Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Eltern die Auskunft zum Zweck der Information der Kinder begehren. Im Rahmen der Zumutbarkeit der Auskunftserteilung wird es dann die erforderliche Abwägung der zu berücksichtigenden rechtlichen Interessen vorzunehmen haben.

Sollte die Klage letztlich erfolgreich sein, so hätte dies auf den Abstammungsstatus zunächst keinen Einfluss. Die Kinder könnten jedoch die rechtliche Vaterschaft des Ehemanns der Mutter anfechten und anschließend  den Samenspender (mit den entsprechenden unterhaltsrechtlichen und erbrechtlichen Folgen) als ihren Vater feststellen lassen.

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4 Kommentare

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So lange einem Samenspender Unterhaltsverpflichtungen drohen, so lange werden Spender und damit auch zukünftige Spendereltern versuchen, in die Anonymität zu flüchten - nach Dänemark z.B..

Im Ergebnis steht das Kind mit völlig leeren Händen da, nämlich ohne jede  Möglichkeit, den biologischen Vater zu erfahren.

Großbritannien hat hier eindeutig den besseren Weg gewählt.

www.wdr5.de/sendungen/leonardo/fortpflanzungsmedizin100.pdf

 

Anonyme Samenspende mit Auskunftsanspruch - schon sprachlich nicht sehr überzeugend.

Aus § 242 BGB als präzisester aller Normen sollte m. E. ein so schwerwiegender Eingriff nicht hergeleitet werden; für Eingriffe dieser Tragweite ist m. E. eine explizite Regelung erforderlich. Hier wird durch richterliche Rechtsfortbildung eine gesamte Branche quasi abgeschafft - und Tausende von "Spendern" werden einem Haftungsrisiko ausgesetzt, das nicht abzusehen war. Haben wir für die grundsätzlichen Entscheidungen nicht eigentlich den Gesetzgeber, nicht den BGH?

Rechtlich finde ich die Begründung geradezu lächerlich. Der Vertrag schließt einen Auskunftanspruch der (rechtlichen) Eltern doch gerade explizit aus. Wie kann vor diesem Hintergrund für einen Dritten gerade dieser Anspruch hergeleitet werden?

Ähnlich überzeugend wäre es, wenn ein gebrauchter PKW in einem Individualvertrag unter Ausschluss jeder Gewährleistung und Haftung verkauft wird, dann für spätere Fahrgäste aber ein Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter ohne o. g. Ausschlüsse hergeleitet wird. Da wird ja der Dritte stärker geschützt als die Vertragsparteien...

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@Leser

"Der Vertrag schließt einen Auskunftanspruch der (rechtlichen) Eltern doch gerade explizit aus. Wie kann vor diesem Hintergrund für einen Dritten gerade dieser Anspruch hergeleitet werden?"

Die Kinder haben ein eigenes (Menschen-)Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Die Eltern können nicht per Vertrag mit der Samenbank ihre Kinder von diesem Recht ausschließen; ein solcher Vertrag wäre ein Vertrag zu Lasten Dritter und damit per se unzulässig und unwirksam.

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