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BGH: Keine Verwirkung des Anspruchs auf Elternunterhalt BGH, Beschl. v. 12. Febr. 2014 – XII ZB 607/12 - Entscheidungskritik -

Matthe-Siegfried

2014-02-13 19:18

Der BGH hat mit Beschl  v. 12. Febr. 2014 – XII ZB 607/12 ( = Pressemitteilung  des BGH Nr. 27 v. 12. Febr. 2014 ) entschieden, dass ein vom Unterhaltsberechtigten ausgehender einseitiger Kontaktabbruch gegenüber seinem volljährigen Sohn für eine Verwirkung seines Anspruchs auf Elternunterhalt allein regelmäßig nicht ausreicht und daher die Geltendmachung des übergeleiteten Unterhaltsanspruchs durch das zuständige Sozialamt der Freien Hansestadt Bremen zur Tilgung von Heimkosten aus der Heimpflege des Vaters rechtmäßig ist. Der Kontakt zwischen Vater und Sohn bestand bis zum Tode des Vaters im Jahre 2012 über 40 Jahre nicht mehr und der Vater hatte den Sohn auch im notariellen Testament aus dem Jahre 1998 bis auf den Pflichtteil enterbt. Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner im Hinblick auf die seinem Vater in der Zeit von Februar 2009 bis Januar 2012 nach dem Sozialgesetzbuch erbrachten Leistungen nun auf Zahlung eines Gesamtbetrages von 9.022,75 Euro in Anspruch ( zu den Einzelheiten des Sachverhalts s. http://rsw.beck.de/cms/?toc=njw.root&docid=355291 ).

Der BGH geht von der gesetzlichen Unterhaltspflicht aus §§ 1601 ff. BGB aus = Unterhaltspflicht des Sohnes an den Vater. Eine Beschränkung nach § 1611 Abs.1 S.1 BGB käme in Betracht durch sittliches Verschulden des Unterhaltsberechtigten, gröbliche Vernachlässigung der eigenen Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen oder vorsätzliche Schuldigmachung einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen. Alles im vorliegenden Fall nicht gegeben. Nach § 1611 Abs.1 S.2 BGB könnte die Unterhaltspflicht des Sohnes ganz wegfallen, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre. Der vom Vater gewollt ausgefallene Kontakt über 40 Jahre und die Enterbung des Sohnes dokumentieren völlig unzweifelhaft den bekundeten Willen des Vaters, keinerlei kommunikative Beziehungen und insofern auch Rechtsbeziehungen mehr zum Sohn betreiben bzw. unterhalten zu wollen. Daher bleibt auch § 1618 a BGB ohne Auswirkung, wonach Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig sind. Denn der Vater hat solcherart Beistand und Rücksicht seit über 40 Jahren und auch dauerhaft und auch zukünftig nicht mehr gewünscht. Eine Inanspruchnahme des Sohnes könnte nach diesem Befund von daher schon als grob unbillig angesehen werden.

Der Unterhaltsanspruch des Vaters ist aber sicher verwirkt aus dem Grundsatz „ venire contra factum proprium “ = Widersprüchliches Handeln, Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten ( § 242 BGB; s. auch Internationales Recht, Völkerrecht  „ Estoppel “ etc.). Die Verwirkung, bei der der andere Teil durch Zeitablauf und Verhalten des Berechtigten nicht mehr damit rechnen musste, dass ein Anspruch gegen ihn ( oder gegen sie ) noch geltend gemacht werden würde, ist ein besonderer Unterfall des selbstwidersprüchlichen Handels. Der Vater hatte durch Kontaktabstinenz über 40 Jahre und Enterbung dem Sohn klar und dauerhaft zum Ausdruck gebracht, dass ihre Beziehung de facto und auch de jure so weit als möglich nicht mehr bestehen soll und der Vater auch ganz sicher jegliche Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs gegen den Sohn nicht mehr gewollt bzw. angestrengt hätte. Der Sohn musste auch damit in keinster Weise mehr rechnen. Der väterliche Anspruch ist verwirkt und kann nicht mehr erhoben und dementsprechend auch nicht mehr gerichtlich geltend gemacht und durchgesetzt werden. Das zuständige Sozialamt konnte im gegebenen Fall daher auch nicht den Unterhaltsanspruch des Vater auf sich überleiten, rechtswidrige Rechtswahrungsanzeige, rechtswidrige Überleitungsanzeige  nach § 93 f., § 94 SGB XII ( öffentlich- rechtlicher Verwaltungsakt ), gesondert anzugreifen vor den Sozialgerichten ( § 51 Abs.1 Nr. 6 a SGG ).

Die sehr zweifelhafte Entscheidung des BGH könnte nur noch vor dem BVerfG angegriffen werden, die Überleitungsanzeige müsste nach § 44 SGB X usw. zurückgenommen werden.

 

Matthias Siegfried ( Bremen )

Rechtsassessor, freier Fachautor

 

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