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BGH-Urteil v. 7.12.2011 zur Dreiteilung bei Unterhaltskonkurrenz von geschiedener und auf gleichem Rang befindlicher neuer Ehefrau

Jan.vanEymeren

2012-01-11 16:25

BGH-Urteil nimmt erstmals Stellung zur Unterhaltskonkurrenz von geschiedener und auf gleichem Rang befindlicher neuer Ehefrau nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der Dreiteilungsmethode

BGH, Urteil v. 07.12.2011, Az. XII ZR 151/09

Der BGH hat mit Urteil vom 7.12.2011 auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25.1.2011 zur Verfassungswidrigkeit der Dreiteilungsmethode Stellung genommen und die Unterhaltskonkurrenz von geschiedener und neuer Ehefrau neu geordnet.

Auslegung des Begriffs der ehelichen Lebensverhältnisse (§ 1578 I 1 BGB)

Im ersten Teil seines Urteils (Rz. 22–29) erklärt der BGH, dass er nun wieder, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, die Auslegung des Begriffs der „ehelichen Lebensverhältnisse“ (§ 1578 Abs. 1 S. 1 BGB) an dem Stichtag der Ehescheidung orientiere und die Rechtsprechung zur „Wandelbarkeit der ehelichen Lebensverhältnisse“[1]sowie zur Dreiteilung[2]aufgebe.

Weiterhin wirkten sich alle Änderungen in den Einkommensverhältnissen vor dem Tag der Rechtskraft des Scheidungsurteiles uneingeschränkt, d.h. entweder verringernd oder erhöhend auf den Lebensbedarf aus. Dies gelte auch für das Hinzutreten von Unterhaltspflichten wegen eines vor der Ehescheidung geborenen (nichtehelichen) Kindes, namentlich der Verpflichtung zur Leistung von Kindesunterhalt und Betreuungsunterhalt (§ 1516 l BGB). Änderungen, die nach dem maßgeblichen Stichtag der Rechtskraft des Scheidungsurteils eintreten seien, könnten sich grundsätzlich ebenfalls auf die „ehelichen Lebensverhältnisse“ auswirken.

Dies galt vom Grundsatz her auch schon vor der 2008 begonnenen extensiven Auslegung von § 1578 I 1 BGB. Allerdings fasst der BGH im ersten Leitsatz seines Urteils die Abgrenzung der berücksichtigungsfähigen von den nicht zu berücksichtigenden nachehelichen Veränderungen noch einmal zusammen: Die Veränderung muss entweder auch bei (fiktivem) Fortbestehen der Ehe eingetreten sein oder „in anderer Weise in der Ehe angelegt und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten“ gewesen sein.

In Abgrenzung dazu subsumiert der BGH nun die nachehezeitlichen Ereignisse, die den Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen nicht mehr beeinflussen können. Hierzu gehören das Hinzutreten der Unterhaltsberechtigung einer neuen Ehefrau, der Splittingvorteil sowie andere Einkommenszuschläge aus der neuen Ehe. Diese Einkommensverringerungen bzw. -erhöhungen können nicht beim Fortbestehen der alten Ehe eingetreten sein und sind deswegen auch nicht bedarfsmindernd bzw. -erhöhend zu berücksichtigen.  Auch würden Unterhaltsverpflichtungen gegenüber einem nach dem Scheidungszeitpunkt geborenen Kind sowie seinem Elternteil (§ 1615 l BGB) keine bedarfsprägende Wirkung entfalten. Zwar gibt der BGH dem Argument der Literatur Recht, dass die Geburt eines außerehelichen Kindes auch bei Fortbestehen der Ehe eingetreten sein könnte, sieht die Geburt allerdings nicht als „mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartbar“ an und berücksichtigt ein nacheheliches Hinzutreten des Kindesunterhalts/Unterhalts nach § 1615 l BGB daher bei der Bedarfsbemessung nicht.

Zwischenfazit:

Der BGH folgt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und berücksichtigt die Unterhaltsverpflichtung gegenüber einer neuen Ehefrau nun nicht mehr bei der Bedarfsbemessung des Geschiedenenunterhalts. Auf der anderen Seite nutzt der die vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Spielräume bei der Interpretation des Merkmals „eheliche Lebensverhältnisse“ dennoch aus. Ob eine nachehezeitliche Veränderung bedarfsprägende Wirkung entfaltet,  entscheidet sich nach dem BGH nach der ziemlich offenen Formel, ob die Veränderung auch bei Fortbestehen der Ehe eingetreten wäre.  Damit sind eigentlich nur scheidungsbedingte nacheheliche Einkommensveränderungen von Berücksichtigung im Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen ausgenommen.

Anwendung der Dreiteilung bei Prüfung der Leistungsfähigkeit (§ 1581 BGB)

Im zweiten Teil des Urteils betont der BGH, dass die nachehelich hinzugetretene Unterhaltsverpflichtung gegenüber der neuen Ehefrau auf der Ebene der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen ist. In diesem Zusammenhang stellt der BGH zunächst fest, dass die Unterhaltsrechtsreform nichts daran geändert habe, dass das Rangverhältnis bei der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen sei.

Daher kommt es zunächst darauf an, welchen Rang die hinzutretende, mit der Geschiedenen konkurrierende Unterhaltsberechtigte hat. Steht die neue Ehefrau (z.B. wegen Kinderbetreuung) in demselben Rang wie die geschiedene Ehefrau, oder geht sie der geschiedenen Ehefrau im Rang vor, muss sich die hinzugetretene Unterhaltsverpflichtung gegenüber der neuen Ehefrau auf die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten auswirken.

Allerdings besteht das Problem, dass der Umfang der Unterhaltsverpflichtung gegenüber der neuen Ehefrau davon abhängen, wie viel der Pflichtige vorab der geschiedenen Ehefrau zahlen muss. Insofern nimmt der BGH nämlich ein Prioritätsverhältnis an. Da beide Unterhaltsansprüche vom jeweils anderen abhängen, erlaubt der BGH auf der Ebene der Leistungsfähigkeit die Anwendung der Dreiteilung des Gesamteinkommens beider Unterhaltsberechtigten und des Unterhaltspflichtigen. Ein Drittel des nach Abzug von Verbindlichkeiten und des vorrangigen Kindesunterhalts für den Pflichtigen verbleibenden Einkommens kann damit als Betrag für den Geschiedenenunterhalt zur Verfügung stehen.

Der Vorteil aus dem Zusammenleben des Pflichtigen mit der neuen Ehefrau kann kompensiert werden, wenn der Bedarf von Pflichtigem und neuer Ehefrau um 5 % gekürzt werden und der Bedarf der geschiedenen Ehefrau um 10% erhöht wird.

Urteil im Internet


[1]             BGH v. 06.02.2008 (BGHZ 175, 182 = NJW 2008, 1663 = FamRZ 2008, 968).

[2]             BGH v. 30.07.2008 (BGHZ 177, 356 = NJW 2008, 3213 = FamRZ 2008, 1911).

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1 Kommentar

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Korrektur

Der BGH ist so zu verstehen, dass der Zusammenlebensvorteil realisiert wird, indem das Einkommen des Pflichtigen und neuer Ehefrau um jeweils 10% gekürzt wird und für den Unterhalt des geschiedenen Ehegatten entsprechend - wohl um 20% (vgl dazu Riegner, FamFR 2011, 1, 4) - erhöht wird.

Nochmals ist darauf hinzuweisen, dass § 1581 BGB eine Entscheidung nach Billigkeit verlangt, so dass im Einzelfall andere Abwägungenskriterien eine Rolle spielen können.

 

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