Bild von Bildungsjurist

Asyl für deutsche Homeschooler in den USA – ein „Präzedenzfall“ für die Aufhebung der Schulpflicht in Deutschland?

Bildungsjurist

2010-03-03 14:08

1. Was ist Homeschooling?

 

Beim Homeschooling, andere sprechen synonym vom Home Education oder Hausunterricht, werden die Kinder in der Regel nicht in der Schule und auch nicht von professionellen Lehrkräften unterrichtet, sondern vielmehr zu Hause, und zwar von den eigenen Eltern. Das Homeschooling ist ein vielschichtiges Phänomen. Häufig existieren zwischen Schulunterricht, Hausunterricht und Fernlehre Mischformen:

-       Erteilung des Unterrichts ganz oder nur hinsichtlich einzelner Fächer durch Lehrer

-       Beschränkung des Homeschooling auf Fächer, die aus elterlicher Sicht eine Gefährdung ihres Kindes darstellen, zum Beispiel Sexualkunde und Religion

-       Kombination des Präsenzunterrichts daheim mit Fernlehre, insbesondere in nur schwach besiedelten Erdregionen.

 

Homeschooling ist in den meisten europäischen Ländern nicht verboten – wenngleich die nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich hohe Anforderungen an die Zulässigkeit des Hausunterrichts stellen. In den USA ist Homeschooling am weitesten verbreitet. Rund eine Millionen Schüler werden dort zu Hause unterrichtet, das ist ein Anteil von zwei Prozent der Gesamtschülerzahl. Quantitativ bedeutende Länder sind zudem Kanada und Neuseeland mit jeweils einem Anteil von einen Prozent der Kinder, die zu Hause unterrichtet werden. Großbritannien ist mit 50. 000 Kindern in Europa führend (ca. ein Prozent der Schüler insgesamt). In der Literatur ist bereits von einer globalen Homeschooling-Bewegung die Rede. Jedenfalls haben ihre Anhänger zahlreiche Initiativen gegründet und sich in Verbänden organisiert, die untereinander vernetzt sind.

 

Der elterliche Homeschooling-Wunsch hat verschiedene Gründe. Zu Hause könne individueller und effektiver auf die Lernbedürfnisse der Kinder eingegangen und bessere Lernergebnisse erzielt werden. Neben diesen pädagogischen Gründen berufen sich andere Eltern auf religiöse Gründe für ihr Homeschooling-Engagement: Sie wollen ihre Kinder von der Schule fernhalten, um ihnen eine Lebensführung in Übereinstimmung mit den elterlichen Glaubensgrundsätzen sicherzustellen. Den meisten Homeschooling-Anhängern bereitet der Schulunterricht üblichen Zuschnitts großes Unbehagen. So beeinträchtige ihrer Meinung zufolge das sozialisatorische Umfeld der Schule das Wohlbefinden der Kinder, die Pluralität der Anschauungen in der Schule verhindere eine konsistente Wertevermittlung.

 

2. Welche Homeschooling-Tendenzen gibt es in Deutschland?

 

Die Erforschung des Homeschooling steht in Deutschland erst am Anfang. Die deutsche Homeschooling-Bewegung beruft sich unter anderem auf  den Pädagogen Berthold Otto als einen ihrer Vordenker. Die Homeschooling-Bewegung entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in den 70er Jahren aus der antiautoritären Erziehungsbewegung, hat aber auch religiöse Wurzeln. Seit Ende der 90er Jahre lässt sich eine Institutionalisierung und Professionalisierung der Bewegung beobachten. Erwähnenswert sind die Philadelphia-Schule in Siegen, die auch Lernmaterial für den Hausunterricht entwickelt; der Bundesverband „Natürlich Lernen“, die Initiative für selbstbestimmtes Lernen sowie der Verein „Schulunterricht zu Hause“. Für rechtlichen Konfliktstoff sorgen seit etwa 2003 Fälle von Schulverweigerung durch Fundamentalchristen. Dabei handelt es sich überwiegend um Einwandererfamilien aus Osteuropa, die der Religionsgemeinschaft der Evangeliumschristen-Baptisten angehören.

 

Nach vorsichtigen Schätzungen sollen hierzulande etwa 1.000 Kinder daheim unterrichtet werden. Ich gehe davon aus, dass in Deutschland der Wunsch nach Hausunterricht als Abkehr vom Schulunterricht weiter wachsen wird, wenn es dem Schulsystem nicht gelingt, die Lern- und Lebensbedingungen an den Schulen nachhaltig zu verbessern. Schulen in freier Trägerschaft spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Vorreiterrolle.

 

3. Wie wird Homeschooling in Deutschland bewertet?

 

In allen Bundesländern gibt es Regelungen zur allgemeinen Schulpflicht, die eine Schulbesuchspflicht bedeutet und grundsätzlich nicht durch einen außerschulischen Unterricht, zum Beispiel durch Fernlehre, ersetzt werden kann. Jedoch enthalten diese Bestimmungen häufig Ausnahmen, soweit die Teilnahme am Schulunterricht für die Schüler und Schülerinnen unmöglich ist. So bestehen Ausnahmen etwa für Kinder bestimmter Berufsgruppen, zum Beispiel Diplomaten oder fahrendes Gewerbe, oder für Kinder mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen. Dagegen sind pädagogische und religiöse Gründe als Befreiungstatbestände von der Schulpflicht bislang nicht anerkannt worden.

 

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist die gesetzliche allgemeine Schulpflicht verfassungsgemäß. Das Bundesverfassungsgericht hat in gefestigter Rechtsprechung festgestellt, dass die Schulpflicht zur Einlösung des verfassungsrechtlichen Erziehungsauftrags des Staates verhältnismäßig ist. Dass das elterliche Erziehungsrecht insofern hinter das staatliche Erziehungsrecht zurücktreten muss, stößt verfassungsrechtlich auf keine durchgreifenden Bedenken. Zum einen verhindert die Schulpflicht das Entstehen und die Stabilisierung von Parallelgesellschaften. Die Schulpflicht erfüllt eine wichtige Integrationsfunktion. Die Kinder und Jugendlichen lernen im Umgang mit anderen Schülern die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Einstellungen, Anschauungen und Werten. Zum anderen dient die Schulpflicht dem wohlverstandenen Interesse des Kindes. Das elterliche Erziehungsrecht muss sich gegenüber dem gleichberechtigten Erziehungsrecht des Staates beugen, wenn jenes den Interessen des Kindes zuwiderläuft; dies ist etwa bei einer gezielten Abschottung der Kinder von der Lebenswelt der Schule der Fall.

 

In der öffentlichen Diskussion über das Homeschooling gibt es indessen auch Stimmen, denen ein absolutes Homeschooling-Verbot zu weit geht. Sie fordern eine Liberalisierung der Schulpflicht durch weitere Ausnahmetatbestände, insbesondere für das Recht auf Hausunterricht aus pädagogischen Gründen. Zur Ausgestaltung dieses Rechts wird teilweise vorgeschlagen, die Zulassung des Hausunterrichts im Einzelfall von einem Genehmigungsvorbehalt abhängig zu machen und das Homeschooling der staatlichen Aufsicht zu unterstellen, die die Qualität des Hausunterrichts überwacht. Die rechtliche Gestaltung des Hausunterrichts ist freilich noch nicht ausdiskutiert. Zudem sind mit dem Hausunterricht komplizierte Folgeprobleme bzw. Hürden verbunden, für die noch Lösungen gefunden werden müssten, wie etwa die Verfassungsmäßigkeit staatlicher Eingriffe in die familiäre Intimsphäre, zum Beispiel durch Hausbesuche staatlicher Inspektoren.

 

4. Wie sieht die Lage in den USA aus?

 

Im Gegensatz zu Deutschland ist der Hausunterricht in allen US-amerikanischen Bundesstaaten legal. Die amerikanische Erfolgsgeschichte des Homeschooling ist nicht ohne die Durchsetzungskraft der „Home School Legal Defense Association“ denkbar, der weltweit größten Homeschooling-Lobby, die in den USA über 80.000 Familien vertritt. Rechtsberater dieses Verbands unterstützten kürzlich auch die deutsche Familie bei ihrem erfolgreichen Asyl-Verfahren vor einem amerikanischen Gericht.

 

5. Was bedeutet die Asyl-Entscheidung des Einwanderungsgerichts in Memphis?

 

Das Einwanderungsgericht in Memphis (Tennessee) gewährte in seiner Entscheidung vom 26. 1. 2010 einer schwäbischen Familie in den USA Asyl mit der Begründung, dass die Familie durch das Homeschooling-Verbot in ihrer deutschen Heimat als soziale Gruppe politisch verfolgt werde, und erkannte darin einen Verstoß gegen die amerikanische Verfassung. Vorausgegangene Klagen der Familie in Deutschland, die auf eine Befreiung von der Schulpflicht zielten, hatten keinen Erfolg. Ob der Entscheidung für Deutschland das Gewicht eines „Präzedenzfalls“ zukommt, wie sich die Homeschooling-Bewegung erhofft, ist sehr unwahrscheinlich. Die Rechtsordnungen der USA und Deutschlands blicken auf eine unterschiedliche Verfassungstradition zurück. Die liberalen Prinzipien der individuellen Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit sind in der Rechtsordnung der USA weitaus stärker verankert als im staatsgläubigen Deutschland. Dies zeigt sich besonders auch im deutschen Schulwesen, das ganz überwiegend durch staatliche Schulen und einer restriktiven Regulierung geprägt ist. Daher verwundert es auch kaum, dass Homeschooling in den USA im Gegensatz zu Deutschland legal ist. Dann aber ist es auch nur konsequent, dass ein Homeschooling-Verbot in einem anderen Land von einem amerikanischen Gericht als Asylgrund wegen politischer Verfolgung anerkannt werden kann. So würden andererseits auch deutsche Gerichte mit Rücksicht auf die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes nicht ohne weiteres einen Häftling an die USA ausliefern, der jenseits des Atlantiks mit einem Todesurteil zu rechnen hat.

 

Gleichwohl ist die politische Wirkung der amerikanischen Gerichtsentscheidung nicht zu unterschätzen. Die Homeschooling-Verbände initiieren und nutzen geschickt die Skandalisierung des Falls in den Massenmedien und diversen Internet-Foren. Der Medienrummel aktiviert die Mitglieder und macht Stimmung in der allgemeinen Öffentlichkeit. Dadurch wächst der Druck auf die politischen Entscheidungsträger, etwas gegen den „Menschenrechtsverstoß“ zu unternehmen. Aber ob die Skandalisierung ausreicht, um die Mehrheit der Abgeordnten in den Parlamenten für die Aufhebung der gesetzlichen Schulpflicht zu gewinnen, bleibt abzuwarten.

 

Literatur:

 

Thomas Spiegler. Home Education in Deutschland. Hintergründe - Praxis – Entwicklung,  2007 (die bislang einzige fundierte Monographie zur Situation des Homeschooling aus einer neutralen soziologischen Perspektive, die Einblicke in das Milieu der Bewegung und ihrer Vernetzung gibt)

 

Thomas Schirrmacher, Bildungspflicht statt Schulzwang. Staatsrecht und Elternrecht angesichts der Diskussion um den Hausunterricht, 2005 (tendenziöser Überblick mit politischer Stoßrichtung gegen die Schulpflicht)

 

Ralph Fischer/Volker Ladenthin, Homeschooling – Tradition und Perspektive, 2006 (enthält eine historisch geordnete Sammlung mit pädagogischen Texten zum Hausunterricht)

 

Zur rechtlichen Diskussion: Joan Philipp Thurn/Franz Reimer, Homeschooling als Option?, NVwZ, 2008, S. 718-722; Thomas Langer, „Parallelgesellschaften“ – Allgemeine Schulpflicht als Heilmittel?, KritV, 2007, S. 277-292; Christoph Tangermann, Homeschooling aus Glaubens- und Gewissensgründen, ZevKR, 2006, S. 393-417.

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

3 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Weil mir der vorliegende Beitrag um echte Sachlichkeit bemüht erscheint, kann ich mir einige inhaltliche Korrekturen nicht verkneifen.

Zu den (eigentlich tausenden verschiedenen) Modellen des "Homeschooling" zählen neben den vielen Formen mit Fernunterricht insbesondere auch Formen des "Unschooling". Das sind Formen, die ganz oder weitgehend auf jeglichen Unterricht verzichten, d.h. auch Eltern halten sich mit aktiver Lehre zurück, wenngleich sie doch mehr oder weniger intensiv für Material- oder Situationsbeschaffung und für Fragen zur Verfügung stehen. Es gibt auch mittlerweile viele organisierte Formen wie z.B. Lerngruppen, schulähnliche Verbände, Kooperationen von Familien oder Familien mit anerkannten Privatschulen.

"Beschränkung des Homeschooling auf Fächer, die aus elterlicher Sicht eine Gefährdung ihres Kindes darstellen" ist genau falsch formuliert, wenn doch diese Fächer gerade Anlass dazu geben, ein Kind komplett vom Schulbesuch auszunehmen. Ginge es Homeschooling-Familien allerdings nur um diese Fächer, reichte der normal übliche Nachhilfeunterricht am Nachmittag oder Abend, der aber nicht wirklich als eine Form des Homeschooling bezeichnet werden darf.

Die Zahlen und Schätzungen sind recht alt (2002). Schon damals wurde auch ein Zuwachs von rund 10% geschätzt. 2009 wurden in den USA vorsichtig mindestens 2 Mio. Homeschooler und wegen verhaltener religiöser Gruppen eine immense Dunkelziffer geschätzt.

Das Bundesverfassungsgericht hat bislang nur religiöse Gründe als Befreiungstatbestände von der Schulpflicht bewertet. Nicht die vielfältigen pädagogischen oder psychosozialen Gründe.
Die ganze Rechtsprechung geht von einem grundgesetzlich legitimierten Erziehungsauftrag des Staates aus, obwohl im Grundgesetz - wie übrigens auch weltweit derart geregelt - öffentliche Schulen lediglich einer staatlichen Aufsicht unterliegen. Es wäre ja fatal, wenn im öffentlichen Raum (Schule als öffentliches Angebot für Schutzbefohlene) keine Kontrollinstanzen mehr existierten.

Meiner Einschätzung nach wird das US-Asyl für deutsche Homeschooler (eigenverantwortlich Lernende) zwar viele Nachfolger finden und die Diskussion in Deutschland anregen, aber an Präzedenzwirkung glaube ich auch nicht. Vielmehr werden die finanziellen und pädagogischen Probleme in Deutschland derart eskalieren, dass immer mehr Familien Alternativen zum Schulbesuch suchen oder auswandern. Die Häufigkeit der Anfragen, die ich diesbezüglich bekomme, zeigen mir klar den Trend.

Übrigens: Asyl innerhalb Europas kommt für viele Eltern nicht in Betracht, da sie zum Zeitpunkt, an dem sie berechtigt Asyl benötigen, in Deutschland bereits ihr Sorgerecht in Gefahr sehen und oft ihre Kinder von Jugendämtern und Familiengerichten steckbrieflich gesucht und innerhalb des Schengenabkommens in Europa ausgeliefert werden.

Ich finde es schade, dass "Menschenrechtsverstoß" immer in Anführungszeichen gesetzt wird. Wir müssen deswegen auswandern, die Kinder verlieren Nachbarschaft, Freunde und Großeltern, die in Deutschland zurückbleiben müssen.

Das Gute am Homeschooling ist aber, dass die Kinder in Frankreich auch schnell wieder Freunde finden werden. Sie haben alle Zeit der Welt - nur nicht jedes Land.

 

Vielen Dank für den guten Beitrag.

Ich möchte Stellung nehmen zu diesem Satz: "So bestehen Ausnahmen etwa für Kinder bestimmter Berufsgruppen, zum Beispiel Diplomaten oder fahrendes Gewerbe, oder für Kinder mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen." aus dem 1. Absatz undter Punkt 3.

Leider ist das so nicht zutreffend. Nämlich gerade für Kinder mit körperlichen Gebrechen und psychischen Beeinträchtigungen bestehen in der Regel eben keine Ausnahmen oder werden, selbst wenn das Schulgesetz sie vorsähe, nicht genehmigt. Dadurch entsteht unnötig Leid in einem sehr großen Ausmaß. Denn gerade die Kinder mit psychischen Beeinträchtigungen werden nicht selten psychiatrisiert, wozu auch die Unterbringung in geschlossenen Bereichen der Kinder- und Jugendpsychiatrie (mit entsprechender Medikamentierung) gehört. Das ist ein Skandal, wenn man aus eigener Erfahrung und Anschauung weiß, daß nicht wenige dieser Kinder ein freies Leben führen könnten, wenn nicht sie sich an die Schule anpassen müßten, sondern ihr Lern- und Bildungsweg sich nach ihren individuellen Bedürfnissen gestalten dürfte. Gerade für solche Kinder wäre bereits die Genehmigung von Fernunterricht anstelle Präsenzunterricht ein großer Gewinn.

Als letztes Jahr im Juli mein Sohn im Alter von 15 Jahren nach sieben Jahren ohne Schulbesuch (und wir sind Unschooler) über die Flex-Fernschule seinen Hauptschulabschluß machte, lernten wir bei den Prüfungen vor Ort Jugendliche kennen, die z. B. wegen Mobbing, Depressionen, Asperger-Autismus, ADHS, Hochbegabung das normale Schulsystem nicht ertragen hatten. Da ihre Eltern hinter ihnen standen, konnten sie über die Flex-Fernschule einen ersten Abschluß machen (weitere wie Mittlere Reife und Abitur werden bei einigen folgen), aber auch nur, weil die zuständigen Behörden sie nicht weiterhin unter Druck setzten. Es gibt genug Fälle, wo Schulamt und teilweise auch Jugendamt eingreifen und einen solchen Weg verhindern. Warum? - Das ist definitiv zum Nachteil dieser Jugendlichen!

Ich selber habe außerdem eine schwerbehinderte Tochter, die an einer therapieresistenten Epilepsie leidet. Sie geht nicht zur Schule und wir haben damit auch keinen Ärger, sie ist irgendwie durch die Maschen des Netzes gerutscht. Aber: Sie müßte zur Schule wie jedes andere Kind, und zwar auf eine Sonderschule. Sie wäre nämlich sonderschulpflichtig und nicht nur schulpflichtig. Wir haben ein Schulsystem, das nicht nur im Bereich der weiterführenden Schulen stark differenziert ist und wo die Wege nach unten zwar offen, nach oben aber versperrt sind, sondern wir haben ein Schulsystem, das auffällige Kinder einfach aussortiert und (meist ganztags) wegsperrt. Das ist widerlich und wurde ja auch vom UN-Sonderberichterstatter gerügt.

Besonders schlimm ist, daß schwerbehinderte Kinder zur Erfüllung der Schulpflicht unter Umständen von ihren Eltern getrennt werden und in Internaten beschult werden, weil die Schulpflicht höher bewertet wird als die Beziehung zur Familie. Auch gibt es genug Beispiele, wo schwerbehinderte Kinder stundenlange Busfahrten hinnehmen müssen, weil die Sonderschulen große Einzugsbereiche haben anstatt dezentral als kleine Einrichtungen an vielen Orten anzutreffen zu sein. Anträge auf Ausnahmegenehmigungen von der Schulbesuchspflicht, um solche Wege, die ja auch Belastungen sind, zu vermeiden, werden regelmäßig zurückgewiesen. Für solche Kinder Hausunterricht genehmigt zu bekommen (das ist in etlichen Schulgesetzen so vorgesehen, da kommt dann z. B. zweimal pro Woche für etwa zwei Stunden ein ausgebildeter Lehrer nach Hause), ist fast unmöglich.

----------------------------------

Abschließend will ich aus persönlicher Erfahrung nach vielen Jahren schulfreiem Leben in Deutschland sagen, daß es einer Gesellschaft, die sich immer noch freiheitlich nennt, spottet, wenn man jede Art von Bildung zu Hause kategorisch verbietet und kriminalisiert. Wenn eine Familie entscheidet, anders zu leben als die große Mehrheit und dabei auch die Bildung ihrer Kinder individuell zu gestalten, dann sollte das unbedingt legal möglich sein! Die Kinder und Jugendlichen, die sich ohne Schulbesuch gebildet haben, sprechen fast ausnahmslos durch ihre Art und ihr Wissen für sich und für eine Abschaffung der Schulpflicht zugunsten einer Bildungsfreiheit. Kaum eine Familie würde sich Kontrollen entziehen, sofern diese menschlich und respektvoll sind. Dazu gehört, daß die Wahl des Ortes, wo die Kontrollen stattfinden, offen ist (also etwa zu Hause oder in einer Schule), daß nicht ein Lehrplan der Maßstab ist, an dem die Kinder gemessen werden, sondern daß jedes Kind immer sein eigener Maßstab bleibt und nur überprüft wird, ob es sich weiterentwickeln konnte und allgemein gute Lernfortschritte macht und daß die Art und Weise, wie sich ein Kind Wissen aneignet, völlig frei ist. Dies alles muß - ganz anders als bisher im deutschen Privatschulwesen - jeder Familie unabhängig von ihrem sozioökonomischen Stand offenstehen.

Kommentar hinzufügen