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Straßburger Gerichtshof verhandelt Recht auf Hilfe zur Selbsttötung - Wenig Aussicht auf Erfolg

kubiciel

2010-11-26 13:02

Im Sommer und Herbst dieses Jahres hat der BGH zwei bedeutende Urteile zu den Grenzen der Sterbehilfe gefällt. Im ersten Urteil erklärt der BGH einen tödlichen Behandlungsabbruch, auch passive Sterbehilfe genannt, für gerechtfertigt, selbst wenn er von einem Nicht-Arzt durch aktives Tun, konkret: durch die Entfernung einer Magensonde, vollzogen wird (dazu Verf. ZJS 2010, 656 ff. ). In der anderen, noch unveröffentlichten Entscheidung hat das höchste deutsche Strafgericht einer Presseerklärung zufolge strenge Anforderungen an den Nachweis eines „ausdrücklichen und ernsthaften Verlangens“ i.S.d. § 216 StGB aufgestellt und damit implizit die grundsätzliche Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe bestätigt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte steht nun vor einer Grundsatzentscheidung zu einer anderen Variante der Sterbehilfe: der Suizidbeihilfe bzw. deren faktischen Ermöglichungsbedingungen.

Am Dienstag dieser Woche hat das Straßburger Gericht die Beschwerde des Witwers einer Frau verhandelt, die sich mit Hilfe eines schweizerischen Sterbehilfevereins im Jahr 2005 in Zürich das Leben genommen hatte. In den Jahren zuvor hatte die querschnittsgelähmte und schwer leidende Frau, die nach einem Sturz im Jahr 2002 nur noch den Kopf bewegen und nur mit künstlicher Beatmung am Leben erhalten werden konnte, beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte einen Antrag auf Abgabe einer tödlichen Dosis eines bestimmten Medikaments gestellt. Diesen Antrag hatte die Behörde unter Verweis auf das BetäubungsmittelG abschlägig beschieden. Daraufhin wendete sie sich  an den Verein Dignitas, mit dessen Hilfe sich die Frau schließlich tötete. Nach Ausschöpfung des nationalen Rechtsweges hat sich der Witwer mit einer Individualbeschwerde gemäß Art. 34 EMRK an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht gewandt. Er meint, die deutschen Behörden hätten seiner Frau konventionswidrig die notwendige Hilfe zur Selbstötung verweigert.

Diese Beschwerde stößt auf mehrere Probleme.

1. In Bezug auf die Zulässigkeit ist bereits fraglich, ob der Witwer überhaupt beschwerdebefugt ist. Die Individualbeschwerde steht nämlich grds. nur dem Opfer einer behaupteten Konventionsverletzung zu, s. Peukert, in: Frohwein/ders., EMRK, 3. Aufl. 2009, Art. 34 Rn. 22. Allerdings hat der Gerichtshof anerkannt, dass mittelbar betroffene Personen, die in enger Beziehung zu dem Betroffenen standen, beschwerdebefugt sind, wenn der unmittelbar Betroffene vor Beschwerdeeinlegung verstarb (EGMR, EuGRZ 1987, 410).

2. Fraglich ist weiterhin, ob der Witwer ein Rechtsschutzbedürfnis nachweisen kann. Fehlen kann es, wenn im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung kein Nachteil mehr bestand. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung war die Ehefrau bereits aus dem Leben geschieden. Die Ablehnung der Medikamentenvergabe hatte insoweit ihre nachteilige Wirkung verloren. Indes legt der EGMR die Nachteilswirkung häufig weit aus. So hat der Gerichtshof bereits Beschwerden für zulässig erachtet, die unter Hinweis auf die Stellung als Erbe und auf das „moralische Interesse der Familie“ erhoben worden sind (dazu Schorkopf, in: Grothe/Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG, Kapitel 30 Rn. 28). Der Beschwerdeführer könnte versuchen geltend zu machen, er habe ein Interesse an der Feststellung, dass der Wunsch seiner Frau legitim war, weil die sonst fortbestehende Ablehnung ihres Antrages einen rechtlichen und sittlichen Makel auf das Vorgehen der Eheleute werfe. Zudem dürfte im vorliegenden Fall auch die praktische Erwägung eine Rolle spielen, ob der schwer leidenden Frau möglich und zumutbar gewesen wäre, ein langwieriges und im Ergebnis kaum vorhersehbares Verfahren in Straßburg durchzustehen. Ihr Ehemann holte so gesehen mit seiner Beschwerde lediglich nach, was seiner Frau nicht (mehr) möglich war.  Zusammengenommen dürfte dies hinreichend dafür sein, dass der EGMR die Klage für insoweit zulässig erachtet.

3. Nicht unproblematisch ist auch die Voraussetzung des Artikels 35 Abs. 2 b EMRK. Danach ist eine Beschwerde unzulässig, wenn sie im Wesentlichen mit einer bereits vom EGMR geprüfen Beschwerde übereinstimmt. Im Jahr 2002 hatte der Gerichtshof nämlich im Fall „Pretty“ bereits entschieden, dass die Verweigerung aktiver Sterbehilfe nicht das „Recht auf Leben“ nach Art. 2 EMRK verletzt. Das Recht auf Leben könne nicht ohne weiteres „im Sinne eines negativen Aspekts“, also: nicht leben zu wollen, interpretiert werden (EuGRZ 2002, 234). Indes ist die faktische Gestaltung beider Fälle wohl doch zu unterschiedlich und im Übrigen differenziert die herrschende Meinung auch normativ zwischen der aktiven Sterbehilfe und der Suizidbeihilfe (dazu, mit Kritik Verf., JZ 2009, 600, 601, 607 f.). Folglich dürfte die Beschwerde auch diese Klippe überspringen.

4. In materieller Hinsicht ist schließlich fraglich, welche Gewährleistung der Konvention die Ablehnung der Medikamentenzuteilung verletzt haben könnte. Artikel 2 EMRK scheidet nach der „Pretty“-Entscheidung jedenfalls aus. Der Beschwerdeführer beruft sich daher auf Artikel 8 EMRK. Das Recht zur Achtung der Privatsphäre schließt seines Erachtens auch die Entscheidung ein, wie ein Mensch sterben wolle. Dieses Argument ist aus der deutschen Diskussion um die Sterbehilfe wohlbekannt. Es greift aber entschieden zu kurz: Verkannt wird nämlich der fundamentale Unterschied zwischen einem Abwehr- und einem Anspruchsrecht, zwischen negativer und positiver Freheit (dazu Verf., JZ 2009, 600, 605 ff.). Dass der Staat grds. nicht in die Privatsphäre eingreifen soll, ist etwas anderes als die Forderung, der Staat möge jedem meiner privaten Wünsche entsprechen. Auf das Medizinrecht übertragen: Es ist das eine, dass ich nicht gegen meinen Willen behandelt werden darf, aber es ist etwas anderes, eine Behandlung von einem Arzt zu verlangen, nur weil diese meinem Wunsch entspricht. Behandlungswünsche z.B. eine Arm zu entfernen, Morphium zu spritzen, darf der Arzt ablehnen, wenn sie nicht medizinisch indiziert sind. Auf der Unterscheidung von negativer und positiver Freiheit beruht letztlich auch die Abrgenzung zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe: Bei jener verbittet sich der Patient eine (weitere) Behandlung und stirbt in Folge seiner Krankheit. Bei jener aber verlangt er etwas: seine aktive Tötung. Aus der Zulässigkeit der ersten Form, folgt nicht die Zulässigkeit der zweiten. Trennt man beide Formen, was ich für rechtstheoretisch zwingend, medizinethisch geboten und politisch notwendig halte, dürfte die Individualbeschwerde wenig Aussicht auf Erfolg haben.

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