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Berufskrankheitenrecht (SGB VII) und Übergangsleistungen

ThomasFertig

2010-11-30 15:29

Das BSG hat im Urteil vom 12.01.2010 (B 2 U 33/08 R) die Anforderungen an die Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 BkV abgesenkt, u.a. sollen nicht die "arbeitstechnischen Voraussetzungen" vollumfänglich vorliegen müssen, um entsprechende Leistungen beanspruchen zu können.

Ist das Urteil allgemein bekannt, gibt es schon Erfahrungen, wie es von den BG umgesetzt wird ?

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3 Kommentare

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Das zitierte Urteil beinhaltet eine systematisch gute Klarstellung zu den Voraussetzungen des sog. kleinen Versicherungsfalls der BK 2108. M.E. werden aber gerade nicht die Anforderungen abgesenkt, sondern die dort vertretene "Grundlinie" entspricht besonders bezüglich der konkreten Gefahr absolut der herrschenden Meinung.

Richtig ist, das in der BG-Welt öfters restriktive Einzelauffassung vertreten werde, wie z.B. hier offensichtlich die haftungsbegründen Daten (arbeitstechnischen Voraussetzungen) in voller Ausprägung gefordert wurden. Für eine präventive Vorschrift, die gerade nicht den Eintritt einer BK fordert,sondert ihn vermeiden will, macht dies natürlich keinen Sinn (im Gegenteil!). Notwendig und ausreichend war schon immer eine arbeitsmedizinisch relevante Expositionshöhe und eine individuell nachgewiesene körperliche Reaktion des Versicherten im Sinne des berufskrankheitentyschen Krankheitsbildes und - für den Leistungsfall der Übergangsleistung - eine negative Prognose.

Wichtiger erscheint mir hier die Bestätigung der Rspr. zum kleinen Versicherungsfall. Die herrschende Meinung bei den BG'en geht immer noch von Einzelentscheidungen zu den nach § 3 BKV möglichen Leistungen/Massnahmen aus. Sie sehen sich daher auch bei unstreitigem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzuingen nicht als zuständig für akzessorische oder begleitende Leistungen. M. E. ist, wenn einmal der kleine VersF vorliegt, außer Rente das gesamte Spektrum des SGB IX iVm SGB VII dem Grunde nach beinhaltet.

Demgegenüber entspricht es noch weitgehend der Üblichkeit, unter § 3 BKV die Zuständigkeit für die medizinische Rehabilitation (zeitlich begrenzt) zu übernehmen, dies aber zumindest bei vorbestehender Arbeitsunfähigkeit zu Lasten der Krankenkasse durchzuführen und den Verletztengeldanspruch abzulehnen. Dies kollidiert mit den ganzheitlichen Zielen des bglichen Präventionsauftrages, der Verantwortng für die Steuerung des Heilverfahrens und der Konzeption des SBG IX, dessen einschlägige Vorschriften hierzu Gegenteiliges normieren.

U.A. unter Bezug auf das o.G Urteil beabsichtige ich in einem geeigneten Fall einen Musterrechtsstreit zu führen. Die kollegiale Meinung hierzu interessiert mich sehr.

 

Sehr geehrter Herr Holtstraeter,

besten Dank für Ihre Einschätzung.

Ich hatte unter Bezugnahme auf das Urteil bei einer BG einen Überprüfungsantrag gem. § 44 SGB X angebracht, nachdem ein V-Fall mangels der arbeitstechnischen Vss. abgelehnt worden war (bereits unter Berücksichtigung der Rspr. des BSG zum Mainzer Dosis-Modell).

Ich warte jetzt schon seit über 7 Monaten auf den Bescheid (die Untätigkeitsklage bringe ich demnächst auf den Weg).

Das Urteil des 2. Senats von Anfang des Jahres ist bislang (soweit für mich erkennbar) nicht in der Literatur besprochen worden, ein mit mir bekannter Mitarbeiter einer Bau-BG hält sich auch bedeckt, ich meine aber schon, daß das Urteil für die BGen einige Sprengkraft besitzt.

 

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

 

T. Fertig

Sehr geehrter Herr Kollege Fertig,

selbstverständlich stimme ich Ihnen zu, dass dieses Urteil unsere anwaltliche Argumentation deutlich erleichtert. In Überprüfungsfällen zur BK 2108 kommt die Relativierung der früheren Grenzwerte des MDD noch ergänzend hinzu.

Indes gerade für die Überprüfung von Altfällen ist es im Hinblick auf die Rechtsprechung zu § 44 SGB X sicherer, nicht von einer rechtlichen Neubewertung auszugehen, weil dann die Rechtswidrigkeit der früheren Entscheidung weniger in Frage gestellt werden kann. Mir war nur wichtig, dass z. B. die arbeitstechn. Voraussetzungen oder der objektive Zwang zur Aufgabe der schädigenden Tätigkeit nicht auf Grund dieses Urteils neu, sondern von je her nach diesen Kriterien zu beurteilen waren.

Dass sich die BG Bau unter allen drei Aspekten (MDD-Absenkung, arbeitstechnische Voraussetzungen für § 3 BKV und kleiner Versicherungsfall) mit diesem Urteil schwer tut, kann ich mir gut vorstellen. Denn hier kumulieren alle drei Aspekte in einem Branchenschwerpunkt. Das kann teuer werden. Als ehemaliges Mitglied der Fachkreise der DGUV (die übrigens dieses Urteil bereits unter dem 16.04.2010 intern veröffentlich hat) bin ich davon überzeugt, dass der zentrale Aspekt dieses Urteils, nämlich die nicht vollumfängliche Erforderlichkeit der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen des großen Versicherungsfalls, in Literatur und Praxis die herrschende Meinung war und ist. (Eine andere Frage ist natürlich, ob dann auch so entschieden wurde).

Dies ist m. E. bereits dadurch belegt, dass man für den Unterfall der Entstehung des großen Versicherungsfalles durch Verschlimmerung eines vorbestehenden Leidens ja gleichfalls nicht die vollen Dosiswerte benötigt. Bei der präventiven Norm des § 3 BKV ist es - besonders für die Noxen mit additiver Wirkung wie bei 2108 - 2110 - ja fast schon logisch zwingend, weil man ansonsten den § 3 BKV nicht benötigte. Denn auch die Übergangsleistungen haben einen primär präventiven Ansatz und Entschädigungscharakter nur mittelbar bezüglich des Wertes des (freiwillig) aufgegebenen Arbeitsplatzes. Wollte man Letzteres anders sehen, wäre die Ungleichbehandlung des Unfallverletzten, der selbst als Querschnittgelähmter diese Leistungen bei Aufgabe des Arbeitsplatzes nicht erhält, nicht zu rechtfertigen.

Gerne räume ich ein, in meinem früheren (Berufs-)Leben nicht selten eine defizitäre Umsetzung gerade dieser Aspekte erlebt zu haben. Das hat aber wenig mit rechtlichen Aspekten zu tun. Die Gründe sind so vielfältig, dass man dazu eine Doktorarbeit schreiben könnte. Übrigens für die Negierung eines eigenständigen Versicherungsfalles § 3 BKV sind sie ebenso vielfältig. Entsprechend hartnäckig wurde und wird er von der Praxis der BG'en verneint. Hier hatte ich immer eine absolute Mindermeinung vertreten. Vielleicht habe ich (nur) deswegen einen etwas anderen Blick auf dieses Urteil, denn es ist das zweite und damit schon ständige Rspr.!?!

MfkG

R. Holtstraeter

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