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Bundesverfassungsgericht fordert organisatorische und personelle Vorkehrungen gegen überlange Verfahrensdauer – Konsequenzen für den Telekom Prozess?

ProfessorChristianWolf

2010-02-13 08:49

Das in Frankfurt anhängige Telekom-Verfahren ist in einer schwierigen Situation. Ein Ende des Musterverfahrens ist in den zwischen 2001 und 2003 eingereichten 2638 Klagen noch nicht absehbar. In meinem Beitrag „Der Telekom-Prozess gerät zum Pingpongspiel“ in der FAZ Nr. 10 vom 13. Januar 2010 auf S. 19 habe ich die hessische Justiz für die Organisation des Verfahrens kritisiert.

Meine Kritik umfasste im Wesentlichen drei Punkte:

  • Die 2638 Telekom-Verfahren wurden nicht alle gleichzeitig vor dem LG Frankfurt anhängig gemacht. Man hätte folglich den Arbeitsanfall antizipieren können und den Geschäftsverteilungsplan so ändern können, dass für die Verfahren nicht nur eine Handelskammer sondern mehrere Handelskammer zuständig, um die Arbeit auf mehrere Kammern zu verteilen.
  • Man hätte sowohl dem LG Frankfurt, als demjenigen Gericht welches über die Ausgangsverfahren zu entscheiden hat, als auch dem OLG Frankfurt als dem Gericht des Musterverfahrens, Richter als wissenschaftliche Mitarbeiter zuweisen können. Sowohl der BGH als auch das Bundesverfassungsgericht verfügt über wissenschaftliche Mitarbeiter zur Unterstützung.
  • Schließlich war bereits zu dem Zeitpunkt als das Musterverfahren beim OLG anhängig wurde absehbar, dass das Musterverfahren nur unter sehr günstigen Umständen vor der Pensionierung des Vorsitzenden Richters zu Ende geführt hätte werden können. Auch hierauf hätte man mit dem Geschäftsverteilungsplan reagieren können.

Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 30. 7. 2009 - 1 BvR 2662/06,  NJW-RR 2010 – 207) hat in einem jetzt veröffentlichten Kammerbeschluss folgendes zu überlangen Verfahrensdauer und der Verpflichtung des Präsidiums entsprechende Vorkehrungen gegen überlange Verfahren zu treffen ausgeführt:  

„Ein Jahr lang blieb das LG auf Grund eines Berichterstatterwechsels im Jahr 1996 untätig. Nach Abschluss des Ablehnungsverfahrens gegen den ersten gerichtlich bestellten Sachverständigen im Jahr 1998 blieb das LG erneut mehrere Monate untätig. Schließlich förderte es nach Abschluss des zweiten Pkh-Beschwerdeverfahrens durch Beschluss des OLG vom 6. 10. 2006 bei einer Gesamtverfahrensdauer von in diesem Zeitpunkt über 18 Jahren erneut vier Monate lang das Verfahren nicht und versagte dann im Hinblick auf die noch nicht erfolgte Einzahlung eines weiteren Kostenvorschusses für die Klageerweiterung aus dem Jahr 2004 rechtsfehlerhaft die Fortführung des Prozesses. …

Zwar waren die Verzögerungen auch durch den angesichts der Dauer des Verfahrens wohl unausweichlichen Wechsel in der Kammerbesetzung verursacht. Doch sind dem Staat auch diejenigen Verzögerungen zuzurechnen, die durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können. Dies gilt insbesondere für voraussehbare personelle Engpässe. Hier kam es zumindest bei einem Wechsel zu einer Vakanz der Richterstelle des Berichterstatters. Auch hätten sich relativ rasche Wechsel des Berichterstatters wie im August 1996 und dann bereits wieder Anfang 1998 durch organisatorische Maßnahmen – soweit voraussehbar – vermeiden lassen. Insoweit hätte das LG beispielsweise prüfen können, ob die Übertragung der Berichterstattung auf ein anderes Kammermitglied möglich gewesen wäre und zu einer höheren Kontinuität bei der Bearbeitung der Sache hätte führen können. …

Entscheidend für die Feststellung des Verfassungsverstoßes ist, dass sich das LG angesichts der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer nicht darauf hätte beschränken dürfen, das Verfahren wie einen gewöhnlichen, wenn auch komplizierten Rechtsstreit zu behandeln. Vielmehr hätte es – unter Zugrundelegung seines rechtlichen Ausgangspunkts – sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung nutzen müssen. Gegebenenfalls wäre es gehalten gewesen, sich um gerichtsinterne Entlastungsmaßnahmen zu bemühen. …

Das LG ist nunmehr gehalten, unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem möglichst raschen Abschluss des Verfahrens führen. Angesichts der Außergewöhnlichkeit der verfassungswidrigen bisherigen Gesamtdauer wird auch das Präsidium des LG Sorge für die Sicherstellung von Rahmenbedingungen zu tragen haben, unter denen die Kammer das Verfahren bestmöglich fördern kann.“

 

Die Entscheidung betraf einen zivilrechtlichen Schadensersatzprozess bei dem am 30. 6. 1987 die Schadensersatzklage beim LG gegen das Kreditinstitut eingereicht wurde. Aber kommt einem bei den Ausführung des BVerfG nicht sofort das Telekom-Verfahren in den Blick?

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