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Prädikatsexamen = Spitzenjurist? Unsinn!

volker.roemermann

2009-05-26 14:28

„Prädikatsexamen": Da leuchten die Augen jedes Studenten und Referendars, da will er hin. Ein Prädikatsexamen - das öffnet Türen. Man kann Richter werden oder Staatsanwalt, man kann in große internationale Wirtschaftssozietäten gehen, man kann Professor werden. Über Generationen, vermutlich seit das aktuelle Benotungssystem eingeführt wurde und irgendwer einigen Noten daraus die Bezeichnung „Prädikat", womöglich noch „groß" oder „klein" (aber nicht „mittel") beigelegt hat, strebt nun jeder nach diesem juristischen Ritterschlag, der eine goldene Zukunft verheißt.

Das ist so und bei näherer Betrachtung ist daran alles falsch. Weder garantiert ein Prädikatsexamen heute eine glückliche Zukunft noch reicht ein Prädikatsexamen, um über die Qualifikation ihres Trägers Nennenswertes auszusagen, mit anderen Worten: Das Prädikatsexamen ist weder notwendig, um ein Spitzenjurist zu sein, noch ist es dafür hinreichend. Zuerst zur glücklichen Zukunft: Glück ist ja bekanntlich Definitionssache. Ist glücklich, wer ein sicheres Einkommen hat, wer viel verdient, wer wenig arbeitet? Jeder ist gefragt, seine eigenen Prioritäten zu setzen. Ich wollte beispielsweise immer Rechtsanwalt werden, schließlich ist das mit Abstand der schönste aller denkbaren Berufe. Ein Prädikatsexamen war dabei nicht hinderlich, aber auch nicht unabdingbar erforderlich. In den Staatsdienst zu gehen, habe ich nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Für diejenigen Großkanzleien, die bestimmte Prädikate zu Einstellungsdogmen erhoben haben, habe ich mich nicht mehr interessiert, seit ich ihr Innenleben näher erforscht hatte (die Ergebnisse dieser Forschung sind teilweise zu finden in: Römermann, Entwicklungen und Tendenzen bei Anwaltsgesellschaften, 1995). Ob dort das Prädikatsexamen wirklich immer so unabdingbar ist, wie es aus Stellenanzeigen erscheint, sollte übrigens jeder, der dort landen will, selbst ausprobieren. Stellenanzeigen sind schließlich Werbeanzeigen; sie signalisieren den (potentiellen) Mandanten, dass die Kanzlei nur mit Spitzenjuristen besetzt sei. Faktisch werden dann jedoch - vernünftiger Weise - bei vielen Sozietäten auch andere Bewerber „durchgelassen". 

Dass ein Prädikatsexamen nur einen Teil der Qualifikation von Juristen darstellt, hat sich seit der Ausbildungsreform des Jahres 2003 bei vielen herumgesprochen. „Schlüsselqualifikationen" heißt seither das Schlüsselwort (ausführlich, auch zur Bedeutung bei Einstellungsentscheidungen: Römermann/Paulus [Hrsg.], Schlüsselqualifikationen für Jurastudium, Examen und Beruf, 2003). Rechtsanwälte, die zwar die Reichsgerichts-Rechtsprechung zu § 138 BGB kennen, aber unfähig sind, in einer Verhandlung die für den Mandanten optimale Strategie zu finden, taugen nichts. Oder genauer: Sind nur sehr begrenzt einsetzbar. In Großkanzleien gibt es nicht selten Rechtsanwälte ohne Außenkontakt. Sie beschäftigen sich tagein, tagaus mit durchaus spannenden, anspruchsvollen Aufgaben und liefern die Ergebnisse in Form von Entwürfen beim Senior Partner ab. Für diese Art der Tätigkeit braucht man (praktisch) keine Teamfähigkeit, kein Verhandlungsgeschick, keine rhetorischen oder psychologischen Kompetenzen. Jeder Jurist indes, der unmittelbar mit Mandanten oder - aus Richtersicht - Parteien zu tun hat, ist für eine erfolgreiche und erfüllende Berufsausübung zwingend auf Kernkompetenzen jenseits der puren Juristerei angewiesen. Das ist auch der Grund dafür, warum meine Vorlesung an der Humboldt-Universität zu Berlin nicht etwa „Vertragsrecht", sondern „Vertragsmanagement" heißt und Elemente der Vertragsverhandlung gleichrangig neben Vertragsrecht und -gestaltung behandelt.

Auch das Landgericht Regensburg hat in einer jüngeren, viel beachteten Entscheidung den Rückschluss vom Prädikatsexamen auf einen Spitzenjuristen verneint (Urteil vom 20.2.2009 - 2HK O 2062/08 [1]). Das erstaunt insofern, als gerade der Staat häufig an rigiden Punktevoraussetzungen für die Einstellung festhält. Bei näherer Lektüre erweist sich allerdings, dass der Entscheidung wohl eher keine Abkehr von überkommenen, auf Formalien basierenden Traditionen zugrunde liegt. Vielmehr dürfte es wieder einmal darum gehen, eine neue Form anwaltlicher Werbung zu vermeiden. 

In den letzten Monaten hat unsere Kanzlei zwei Rechtsanwälte eingestellt, die ich vorher als Referendare kennen lernen durfte. Ob sie am Schluss Prädikatsexamina erreicht haben, weiß ich nicht, ich traue es ihnen zu, aber es hat mich nicht wirklich interessiert. Unser Vertrag war lange vor dem Examen klar. Sicherer Umgang mit Mandanten, pfiffige frische Ideen, sorgfältige strategische und taktische Ansätze und last but not least ein solides juristisches Grundwissen waren für ihre Einstellung entscheidend. Das konnte ich in monatelangen Stationen beobachten. Welche Aussagekraft hätte daneben eine Note haben können, durch die ein Jurist zeigt, dass er Prüfungstechnik beherrscht, manches theoretische Wissen erworben und bei den Klausurthemen ein Quäntchen Glück gehabt hat?

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6 Kommentare

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vielen danke für diesen beitrag...

ich absolviere gerade ein repetitorium und möchte im nächsten jahr mein 1. examen machen.

der druck, möglichst ein prädikatsexamen zu machen, ist wirklich wahnsinnig belastend.

es ist schön, auch mal eine andere meinung zu hören!

 

danke dafür und beste grüße

 

carolin k.

Sehr geehrter Herr Professor Römermann,

 

haben Sie vielen Dank für Ihren Beitrag. Auch ich habe ihn während des Examens immer wieder und wieder gelesen, weil er mir Mut gemacht hat. Die Schriftliche Prüfung verlangte - mir jedenfalls - weder soziale noch kommunikative Kompetenzen ab. Ja nicht einmal logisches Denken war gefordert, wenn man den Fall bereits kannte. So habe ich meine beste Klausur doch ausgerechnet in einem Fach geschrieben, wo ich über die 4 Punkte normalerweise nie hinaus gekommen bin. Im ZR habe ich hingegen mehr oder weniger "die Münze geworfen" und mich letztlich für die richtige Anspruchsgrundlage bzw. die "richtige" Rechtsauffasung entschieden. Zwei Mal hab ich getroffen; ein Mal nicht. So ist das mit dem Glück ! Eine eigenständige Lösung birgt stets die Gefahr "an der Lösungsskizze vorbei zu schreiben".

 

Der Kracher war dann die Mündliche Prüfung: Wurden einige Durchgänge nahezu vollständig zweistellig geprüft, verloren andere sogar die guten Vornoten aus der Schriftlichen. Auch hier hatte ich Glück und danke dem Herrgott für meine Kommission. VB ! Ob ich mich nun wie ein Spitzenjurist fühle ? Wohl kaum. Ohne solides Grundwissen braucht man auf eine gute Examensnote zwar nicht zu hoffen, doch sollte man nie vergessen, dass auch min. 30% Glück dazugehören (und wenn ich die rausrechne, hab ich auch kein VB mehr ;o)

 

Mit den besten Grüßen,

 

Christopher

Hallo,

Ein Prädikatsexamen mit exzellenten Noten ist ein wenig Glückssache. Die Benotung hängt oft auch von den Prüfern ab. Sie haben einen ziemlichen großen Ermessensspielraum. Leider führt das oft zu Klagen vor dem Verwaltungsgericht.

Neulich las ich in einem Buch (Stein – Warnschild) neben anderen interessanten Fällen - von solch einem Rechtstreit. Ein Referendar verfehlte die erforderliche Mindestpunktzahl und war der Meinung, ein Prüfer habe falsch begutachtet. Nach 5 Jahren Studium und 2 Referendarzeit ist das Ganze niederschmetternd.

Also wer die Staatsexamen schafft, kann stolz auf sich sein.

Gruß

 

 

 

 

Was dem Prüfling in  <div class="chbeck-snippet"><a class="link" title="Ein Warnschild hätte genügt" href="http://www.beck-shop.de/Stein-Warnschild-genuegt/productview.aspx?produc... Warnschild hätte genügt</a></div> widerfahren ist, ist wahrlich Pech. Eine Prüfung fehlt zum bestandenen Examen. Aber es kann nicht jeder Anwalt sein. Na gut er kann klagen, schließlich hat er das studiert. Aber er kann das Diplom beantragen oder machen, dann hat er ein Abschluss und das Studium war in Gegensatz zu anderen Studiengängen nicht umsonst.

Gruß

Allen Unkenrufen zum trotz, für mich liest sich der Beitrag als sei er von jemanden verfasst worden, der es mit dem Prädikat nicht geschafft hat. Denn egal wie man das Kind nennt, unzweifelhaft ist es Ausdruck einer überdurchschnittlichen Leistung zu den besten ca. 15 Prozent aller Absolventen zu gehören.

Sehr geehrter Herr Professor Römermann,

 

Ihr Beitrag liegt nun schon einige Zeit zurück und doch ist es erfrischend diesen zu lesen. Zutreffend weisen Sie darauf hin, dass die Großkanzleien zwar ihre "Prädikatsjuristen" mittels Stellenanzeigen und Werbung aushängen, dass es aber mitnichten immer der Wahrheit entspricht, zeigt die Praxis.

Die stellenweise enorme Nachfrage könnte auch nicht mit den Prädikatsjuristen bedient werden, von denen Teile in die Lehre oder in den Staatsdienst gehen und auch in Unternehmen unterkommen. Ja, auch kommt es zunehmend und erfreulicherweise vor, dass viele Juristen sich bewusst gegen die Entsagung nahezu jeglichen Privatlebens und der gutgemeinten Heuchelei einer "gesunden" Work-Life-Balance entscheiden. Das vermeintlich große Geld- es kann ohnehin nur von einem Schmerzensgeld die Rede sein- entschädigt eben nicht alles.

Es ermutigt sehr von einem erfahrenen Juristen diese schönen Worte zu lesen, die aus Sicht potentieller Berufseinsteiger doch noch auf Verstandeskraft bei den Personalern hoffen lassen.

 

Vielen Dank für die Möglichkeit dieser Lektüre!

 

Beste Grüße

T.S.

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