Bild von recktenwald

Tagessatz einer Geldstrafe bei Sozialhilfeempfaengern

recktenwald

2015-04-01 23:58

Der auf dem Bahnhof einer Stadt am Neckar unter die bayrischen Haescher gefallene Angeklagte hat seinen Einspruch wegen eines Verwertungsverbotes zurueckgezogen und eine Geldstrafe von 12 Euro akzeptiert. Er konnte nicht endlos schlechtem Geld gutes hinterherwerfen zumal er .als Sozialhilfeempfaenger keines hat.

 

1. 12 Euro sind unter diesen Umstaenden vergleichsweise milde, das OLG Braunschweig haelt 15 Euro fuer korrekt:

 

  • Ob es regelmäßig geboten ist, die Tagessatzhöhe auf das vierfache der Differenz zwischen unerlässlichem Lebensbedarf und Regelbedarf zuzüglich Sachbezügen zu begrenzen (so OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.02.2010, 1 Ss 425/08, juris, Rn. 11; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.09.2006, 1 Ss 167/06, juris, Rn. 28 [zu SGB XII]; OLG Stuttgart, Beschluss vom 05.03.1993, 2 Ss 60/93, juris [zu BSHG]), muss der Senat nicht entscheiden. Der Tagessatz von 15,- € ist auch nach dieser Rechtsprechung nicht zu beanstanden. Die Differenz zwischen unerlässlichem Lebensbedarf und Regelbedarf zuzüglich Sachbezügen beträgt 811,60 € (450,- € – 247,10 € = 202,90 € x 4 = 811,60 €) und übersteigt damit die verhängte Geldstrafe von 750, – € (50 TS zu je 15,- €).

 

2. Seine Auslegung des Sozialrechtes ist aber willkuerlich.  Ob der Angeklagte eine Geldstrafe von 50 Tagessaetzen aus einem Monatseinkommen zahlen kann, kann allenfalls fuer die Frage einer Ratenzahlung, aber weder fuer die Zahl der Tagessaetze, noch fuer deren Hoehe von Bedeutung sein.

 

3. Die Geldstrafe soll dem Angeklagten, was hier einfach einmal nur behauptet wird, in der Schweiz scheint es selbstverstaendlich zu sein, lediglich -- in gleicher Weise wie eine Freiheitsstrafe die körperliche -- die finanzielle Freiheit nehmen.

 

Sie soll -- wiederum wie die Freiheitsstrafe -- nicht auch noch darueber hinaus -- gleichsam in Form einer zusaetzlichen Daumenschraube -- in irgendeiner Weise besonders "spuerbar" sein. Das waere der reine Sadismus. Wenn ein Gericht meint, dass ein Sozialhilfeempfaenger besonders strafbeduerftig ist, es also "spueren" soll, dann sollte es die Zahl der Tagessaetze erhoehen.

 

Die Tagesatzsatzhoehe ist deshalb in jedem Fall nicht "auf das vierfache der besagten Differenz zwischen unerlässlichem Lebensbedarf und Regelbedarf zuzüglich Sachbezüge" zu begrenzen, sondern auf diese Differenz ueberhaupt. Mehr finanzielle Freiheit hat ein Sozialhilfebezieher nicht. Er kann nicht viel sparen.

 

Wer ihm mehr nimmt, nimmt ihm über seinen bescheidenen "Luxus" hinaus das "phsysische Existenzminimum", also den absoluten Mindessatz, auf dessen Gewaehrleistung er seit 1954 einen Anspruch hat, von dem die Studenten seitdem in der Staatsrechtsvorlegung hoeren und der der Grund fuer das Bundessozialhilfegesetz von 1960 war, das urspruenglich noch den Buerger und nicht schon den Kunden im Blick hatte.

 

Der Staat kann nicht mit der einen Hand nehmen, was er mit der anderen Hand geben muss. Er kann dem Bürger deshalb nie das Existenzminimum wegnehmen. Das physische Existenzminimum ist für den Staat, soweit er es nicht mindestens herstellen muss, tabu. Eine Geldstrafe kann niemals hoeher sein, als was der Angeklagte, ein regelmäßige Verhaeltnisse vorausgesetzt, an einem Tag bezahlen kann. Die Rechtsprechung zieht die Daumenschrauben etwas zu sehr an. Sie nimmt dem Angeklagten an den betreffenden Tagen, an denen ihm nur seine wirtschaftliche Freiheit genommen werden soll, auch noch die Heizung und wirft ihn auf die Strasse. 1954 scheint fuer das Strafrecht gerade erst angefangen zu haben.

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

3 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Anm 1: Eine Geldstrafe von 45 Tagessaetzen a 12 Euro, um die es am Ende nur noch ging, nachdem das Gericht zuvor von einem noch weniger realistischen Tagersverdienst ausgegangen war, fuer eine haemoeopatische Drogenmenge, die bei einer verdachtslosen Kontrolle gefunden worden waren. "Da haben wir ja noch 10 Minuten Zeit fuer eine Kontrolle"...

 

Anm 2: Die 15 Euro des Oberlandesgerichtes Braunschweig finden sich hier: http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod?...

 

§ 40 Abs. 2 StGB ordnet das Nettoprinzip nur fuer den Regelfall an:

 

Die Höhe eines Tagessatzes bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei geht es in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Ein Tagessatz wird auf mindestens einen und höchstens dreißigtausend Euro festgesetzt.

 

"Bei einkommensschwachen, nahe am Existenzminimum lebenden Personen wirkt sich das Nettoeinkommensprinzip gemäß § 40 Abs. 2 S. 2 StGB systembedingt stärker aus als bei Normalverdienern. Aus Gründen der Angemessenheit kann es geboten sein, diesem Umstand durch Senkung der Tagessatzhöhe Rechnung zu tragen. Übersteigt das Nettoeinkommen des Täters nicht oder nicht wesentlich das Existenzminimum, so kann als Tagessatz auch ein Betrag, der unter dem Dreißigstel des Monatseinkommens liegt, in Betracht kommen (vgl. OLG Hamm NJW 1980, 1534; OLG Köln NJW 1976, 636; OLG Hamburg NStZ 2001, 655)."

 

So https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2012/III_3_RVs_4_12beschluss20...

 

Denn das Existenzminimum muss dem Angeklagten -- entgegen denen, die "auf das vierfache der Differenz zwischen unerlässlichem Lebensbedarf und Regelbedarf zuzüglich Sachbezügen" abstellen -- uneingeschränkt erhalten bleiben. Dieses Drei- oder Vierfache geht von einem falschen Begriff der Geldstrafe aus. Die Geldstrafe soll dem Straftaeter die wirtschaftliche Freiheit nehmen so wie die Freiheitsstrafe ihm die körperliche Freiheit nehmen soll. Die Menschenwuerde bleibt in beiden Faellen erhalten. Fuer ein Vielfaches des "Luxus" ist da kein Raum.

 

Der Staat kann nicht mit einer Hand nehmen, was er mit der anderen Hand aus Gruenden des Sozialstaatsprintzips und der Menschenwuerde garantieren muss. Allenfalls der ueber das "physische Existenzminimum" hinausgehende "Luxus", der 30 Prozent von dem Regelsatz erfassen soll, steht dem staatlichen Zugriff offen. Mehr Geld pro Tag darf der Staat dem Bürger nicht wegnehmen. Das sind maximal 5 Euro pro Tag. Der Staat darf dem Bürger ueber den Regelsatz hinaus auch nicht seine Heizung und Wohnung wegnehmen. Diese Sachzuwendungen sind zwar auch Einkommen, aber doch jedenfalls in der Regel kein "Luxus", ueber den der Straftaeter frei verfuegen kann, sondern gleichfalls "physisches Existenzminimum" und damit fuer den Staat tabu. Dass auch einem Reichen das Existenzminimum verbleiben muss, spielt fuer diesen keine praktische Rolle. Es ist allein der Arme, den das Nettoprinzip ungleich trifft.

 

 

 

 

 

Dazu gibt es jetzt auch ein sehr schoenes Positionspapier des Deutschen Caritasverbandes und der Katholische Bundes-Arbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe via

 

http://www.bag-s.de/aktuelles/aktuelles0/article/geldstrafe-wer-kann-das...

 

at

 

http://www.bag-s.de/fileadmin/user_upload/PDF/Position_Tagessatzhoehen_v... .

 

Ausserdem gibt es vielleicht demnaechst auch eine Entscheidung eines Landesverfassungsgerichtes ueber eine Verfassungsbeschwerde deswegen gegen einen Gnadenakt, den man jedenfalls in Hessen angreifen kann, durch den ein Tagessatz von 50 Euro auf 15 Euro reduziert worden ist.

 

Da stellen sich dann genau diese Fragen.

 

Die Amerikaner geben zu, dass das Thema auch eine haushaltsmaessige Seite hat. Schwarze werden in amerikanischen Staedten regelrecht "gemolken". Thats Kleinkriminalität. Wie der russische Geschaeftsmann auf der Autobahn zwischen Remscheid und Koeln in eines seiner Handies sagte: "Ich moechte Zahlen hoeren"

 

Das finstere Mittelalter...

 

 

 

Man sollte bei der Argumentation mit dem Begriff des Tagessatzes anfangen. Sonst geht, wenn einer kein Geld hat, alles durcheinander. Ein Tagessatz ist, was einer an einem Tag bezahlen kann. Was kann ein Sozialhilfeempfaenger an einem Tag zahlen? Was zeigt, dass die Frage modifiziert werden muss: Was kann einer an einem Tag zahlen, wenn er jeden Tag das gleiche zahlen muesste? Usw.

 

Ist ja interessant, wen man bei dem Thema alles anspricht. Mind your language. Da hat einer keinen Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt und keinen Antrag auf Ratenzahlung gestellt. Wie das Kind, das  sich die Augen zuhaelt und meint, es waere nun unsichtbar. Da kommt die Polizei um ihn mitzunehmen und die liebe fruehere Ehefrau will ihm das Gefangnus ersparen und zahlt. Wie ist die Rechtslage?

Kommentar hinzufügen