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too big to fail, too big too jail

joachim.kretschmer

2014-07-10 13:02

 

„Too big to fail, too big to jail“ kann man als Kommentar zu dem gestrigen Freispruch in der Sache HSH-Nordbank hören. Es ist und war wie sooft § 266 StGB, der herangezogen wurde, um das finanzielle Versagen und Fehlverhalten von Vorstandsmitgliedern einer Bank zu bewerten. Das LG Hamburg sprach gestern unter anderem den ehemaligen Bankenvorstand Jens Nonnenmacher frei.

„b) Auch das Merkmal der Pflichtwidrigkeit hat die höchstrichterliche Rechtsprechung in fallgruppenspezifischen Obersätzen hinreichend in einer Weise konkretisiert, die die Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit im Regelfall sichert. Voraussehbarkeit der Strafdrohung und Kohärenz der Rechtsordnung stehen in engem Zusammenhang. Die Ziele dementsprechender Auslegung müssen von Verfassungs wegen darin bestehen, die Anwendung des Untreuetatbestands auf Fälle klarer und deutlicher (evidenter) Fälle pflichtwidrigen Handelns zu beschränken, Wertungswidersprüche zur Ausgestaltung spezifischer Sanktionsregelungen zu vermeiden und den Charakter des Untreuetatbestands als eines Vermögensdelikts zu bewahren. Die (Fort-)Entwicklung geeigneter dogmatischer Mittel zu diesem Ziel obliegt in erster Linie den Strafgerichten und hier vornehmlich den Revisionsgerichten. Diese müssen im Interesse der Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit der Rechtsanwendung in wichtigen Anwendungsbereichen des Untreuetatbestands diesen durch fallgruppenspezifische Obersatzbildung unter Berücksichtigung der genannten Kriterien handhabbar machen.

112Für eine fallgruppenspezifische Obersatzbildung finden sich in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verschiedene Beispiele (vgl. etwa BGHSt 47, 187 zum Sponsoring; BGHSt 46, 30 und 47, 148 zur Kreditvergabe, näher dazu unten III. 3. a); BGHSt 50, 331 zur Prämiengewährung durch Aktiengesellschaften). Tatbestandsbegrenzende Funktion hat auch die jüngere Rechtsprechung, die eine Pflichtverletzung im Sinne des § 266  StGB nur dann bejaht, wenn sie gravierend ist (vgl. BGHSt 47, 148 <152 f.>; 47, 187 <197>; siehe aber auch BGHSt 50, 331<343 ff.>; BGH, Urteil vom 22. November 2005  ... ) Der gegen die Rechtsprechung erhobene Einwand, dass sich dem Wortlaut des Tatbestands das Erfordernis einer gravierenden Pflichtverletzung nicht entnehmen lasse (Schünemann, NStZ 2005, S. 473 <475>), überzeugt angesichts der dargelegten Notwendigkeit einer Beschränkung (Restriktion) des sehr weiten Wortlauts nicht. Der Einwand der Beschwerdeführer zu III. 1) bis 5), hier würden nur weitere Wertungsspielräume eröffnet, deren Folgen im Einzelfall unvorhersehbar seien, verkennt, dass sich gravierende Pflichtverletzungen nur dann werden bejahen lassen, wenn die Pflichtverletzung evident ist.“

Das sagt das BVerfG in seiner Entscheidung zur Untreue v. 23.6.2010 – das ist jetzt auch schon vier Jahre her: NStZ 2010, 626. Diese verfassungsrechtliche Entscheidung hat sowohl in § 266 als auch in § 263 StGB in der Bewertung und Bezifferung des wirtschaftlichen Vermögensschadens zu einem Umdenken geführt. Aber mit dem restriktiven Verständnis des § 266 StGB und vor allem mit dem verfassungsrechtlich anerkannten Erfordernis, dass die vermögensrechtliche Pflichtverletzung gravierend sein muss, gewinnt die Strafverteidigung ein erhebliches Argument. Das beweist das gestrige Urteil. Dahinter steckt der richtige  Gedanke, dass nicht jede zivilrechtliche oder gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung auch eine strafrechtliche Pflichtverletzung ist. Oftmals enthalten bereits diese akzessorischen Vorschriften einen Bewertungsspielraum. Mit dem Stichwort „gravierend“ wird die eigenständige strafrechtliche Beurteilung betont.

„Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Untreuestrafbarkeit im Zusammenhang mit Kreditbewilligungen einen Personenkreis betrifft, bei dem nach Ausbildung und Erfahrung die für die fallbezogene Anwendung der rechtlichen Standards nötigen Fachkenntnisse vorausgesetzt werden können (..).“

Dieser Satz aus der Entscheidung des BVerfG klingt jedoch ein wenig ironisch, wobei ich vermute, dass dem BVerfG Ironie fern ist.

Es ist gewiss ein Grundelement einer kapitalistischen Werteordnung, dass unternehmerische Entscheidungen stets ein gewisses Risiko von Gewinn und Verlust beinhalten. Dieses Risiko darf aber nicht auf Ignoranz, Dummheit, Gier beruhen, sondern bedarf vernünftiger Abwägung. Das bedarf auch der Transparenz und der Dokumentation. Ob diese Maßstäbe in der Sache HSH Nordbank – Stichwort: Omega 55 wirklich eingehalten wurden, lässt sich auf Grund der kritischen Medienberichte nur schwer einschätzen. In diesem Rahmen kann auch § 266 StGB von Bedeutung sein. § 266 StGB kann aber nicht das gesellschaftliche und rechtliche Allheilmittel der strafrechtlichen Abwicklung zwischen einem vernünftigen wirtschaftlichen Handeln und einem ignoranten Zocken in der Bankenkrise sein. Es ist anzunehmen, dass der BGH in der Sache HSH das letzte Wort haben wird.

Strafverteidiger sollen und müssen die Weite der Norm und die vorgegebenen restriktiven Elemente im Interesse ihrer Mandanten nutzen. Die Medienschelte und vielleicht auch die Kritik aus dem wissenschaftlichen Schrifttum werden Sie ertragen können. Auch dafür werden Sie gut bezahlt.

 

Privatdozent und Rechtsanwalt Dr. Joachim Kretschmer, Berlin

 

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