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Zwangsmedikation in Psychiatrien

Meyer-Falk

2014-02-27 12:44

Der Fall des ehemaligen Psychiatrie-Patienten Gustl Mollath bewegte bundesweit viele Menschen und warf sein Schlaglicht auf die Zustände in den forensischen Psychiatrien. Wie sieht es aber im heutigen Alltag aus, wenn PatientInnen zwangsweise Psychopharmaka verabreicht werden (sollen)?

 

Ausgangslage

 

Das BVerfG hatte in mehreren wegweisenden Entscheidungen (u.a. Beschl. 12.10.2010 in BVerfGE 129, S. 269 ff) länderrechtliche Regelungen zur Zwangsmedikation für verfassungswidrig erklärt. So waren die Landesgesetzgeber aufgerufen, neue Regelungen zu erlassen, die insbesondere verfahrensrechtliche Sicherungen der besonders schutzbedürftigen Patienten beinhalteten, aber diesen auch Raum für eine selbstbestimmte Ablehnung von Zwangsmedikation belassen sollten.

 

Aktuelle Rechtssprechung

 

Zumindest die unteren Instanzen scheinen die Bedeutung der erfolgten Neuregelung, zumindest in Baden-Württemberg, noch nicht vollumfänglich in ihrer Tragweite erfasst zu haben. So hatte das Oberlandesgericht Stuttgart in zwei Entscheidungen deutliche Kritik an der jeweils zuständigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts R. geäußert.

 

Fall 1

 

In seinem Beschluss vom 10.10.2013 (Az. 4 a Ws 207/13 (V) ) beanstandete das OLG vordergründig nur die fehlerhafte Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung. Das LG hatte anstatt auf das eigentlich statthafte Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde auf das der (einfachen) Beschwerde verwiesen. Dadurch gelang es dem anwaltlich nicht vertretenen Patienten nicht, ein formal zulässiges Rechtsmittel gegen die die Zwangsbehandlung billigende Entscheidung des Landgerichts einzulegen.

Das OLG rügte ergänzend, das LG habe trotz eindeutiger gesetzlicher Regelung (vgl. § 312 Satz 3 FamFG) keinen Verfahrenspfleger bestellt, obwohl der Gesetzgeber ausdrücklich wollte, dass dem Patienten auch außerhalb der Anstalt Personen zur Seite stehen, wenn es um so einen gravierenden Eingriff wie die Zwangsmedikation gehe.

Interessant mag auch noch sein, dass das OLG entschied, dem Patienten, wie wohl die Monatsfrist (§ 118 StrVollzG) zur Einlegung der Rechtsbeschwerde versäumt war, bedingt durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung, unter Abweichung von der eigentlich nunmehr einwöchigen Frist (§ 45 Abs. 2 S. 2 StPO) zur Nachholung der versäumten Handlung, nach Gewährung der Wiedereinsetzung, die Monatsfrist zu gewähren und zugleich auch einen Anwalt beiordnete, der dies dann formal korrekt tun konnte.

 

Fall 2

 

In dem am 21.10.2013 (4 a Ws 211/13 (V) ) entschiedenen Fall liest sich der Beschluss des OLG Stuttgart stellenweise wie eine Nachhilfestunde für das Landgericht R.

Fast schon nebensächlich, dass auch dort das LG eine falsche Rechtsmittelbelehrung erteilte. Nach den Feststellungen des 4. Senats hatte das LG das gesetzlich vorgeschriebene Sachverständigengutachten (§ 321 FamFG) nicht eingeholt. Offenbar reichte dem LG der Antrag der Unterbringungseinrichtung aus; weshalb das OLG dem LG ausführlich erläuterte, dass zwischen diesem Antrag einerseits und einem Sachverständigengutachten andererseits strikt zu differenzieren sei. Ferner habe das LG entgegen der gesetzlichen Regelung (§ 329 Abs. 1 FamFG), die eine Genehmigung für maximal sechs Wochen vorsehe, die Zwangsbehandlung für gleich sechs Monate (!) bewilligt. Im übrigen habe die Kammer verkannt, dass Sinn einer Zwangsmedikation nicht sein könne, die Betreuung des Patienten zu erleichtern, oder den Aufwand für die Einrichtung zu mindern, sondern tatsächlich nur Ultima Ratio sein dürfe.

 

Bewertung/Ausblick

 

Im Fall 1 war der Patient anwaltlich nicht vertreten; nur weil er in der Lage war, sich selbst zu wehren, kam sein Fall vor das OLG. Wie steht es aber um jene PatientInnen, die weder hierzu in der Lage sind, noch anwaltlich professionell vertreten werden? Gerade MaßregelpatientInnen sind für die Anwaltschaft und auch die Vollzugseinrichtungen stetige Herausforderung, da es in den seltensten Fällen „leichte“ Fälle sind. Wenn aber Psychiatrien und untere Instanzen trotz eindeutiger verfassungsgerichtlicher Vorgaben und gesetzlicher Regelungen, fast scheint es unbeschwert, von der Zwangsmedikation Gebrauch machen, erscheint dies höchst bedenklich. Es war das OLG, welches im Fall 2 dem Landgericht ins Stammbuch schrieb, es gebe auch für MaßregelpatientInnen eine „grundrechtlich geschützte Freiheit zur Krankheit“.

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA Freiburg

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1 Kommentar

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Zwangsmedikation in Psychiatrien

@Meyer-Falk: "Es war das OLG, welches im Fall 2 dem Landgericht ins Stammbuch schrieb, es gebe auch für MaßregelpatientInnen eine „grundrechtlich geschützte Freiheit zur Krankheit“."

Hier sollte man weiter berücksichtigen, dass geprüft werden muss, ob die vorgesehene Zwangsmedikation überhaupt angemessen, nicht zusätzlich riskant, falsch im Grundsatz oder bei der Dosierung ist.  Wer dem Unterbringungssystem einfach vertraut, sollte sich auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen ;-)

 

 

 

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