Zeit für einen „Irrational-Choice-Ansatz“? – Kriminologie im Falle Volkswagen

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 29.09.2015
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologieMaterielles Strafrecht530|51220 Aufrufe

Gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der VW AG Martin Winterkorn, so lesen wir, ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen Betrugs. Wahrscheinlich sind auch Ermittlungen gegen unbekannte weitere Konzernangehörige anhängig. (Nach aktuelleren Meldungen ermittelt die StA nun doch (noch) nicht gegen Winterkorn, sondern nur gegen Unbekannt. Bei Herrn Winterkorn werde ein Anfangsverdacht noch geprüft. Ebenso wie die Süddeutsche Zeitung halte ich es für mindestens fragwürdig, zunächst die Presse von Ermittlungen gegen Winterkorn zu informieren, dies dann jedoch im Internet wieder zurückzunehmen).

Die strafrechtlich entscheidende Frage wird sein, ob Herr Winterkorn bzw. andere künftige Beschuldigte persönlich davon gewusst hat oder gar selbst angeordnet hat, die Manipulationen des Abgassystems an den VW-Fahrzeugen vorzunehmen, um damit mit Bereicherungsabsicht Abnehmer und Käufer der Fahrzeuge zu täuschen bzw. täuschen zu lassen.

Aber ganz gleich, ob sich Herr Winterkorn oder andere hochrangige VW-Manager wegen Betrugs strafbar gemacht haben, stellt sich die kriminologische Frage, wie es zu solch einem deliktischen Verhalten in dem Unternehmen gekommen ist.

Die typische Wirtschaftsdelinquenz (z.B. Betrug, Untreue, Wettbewerbsverstöße, Korruption im geschäftlichen Verkehr, illegale Beschäftigung zur Umgehung von Sozialleistungen, Steuerhinterziehung) zielt darauf ab, zur Bereicherung des Unternehmens bzw. seiner Eigentümer kostenträchtige Regeln des Marktes und der Einbindung in die staatliche Infrastruktur zu umgehen. Dabei dienen Wirtschaftsdelikte meist denselben Zielen wie die legale wirtschaftliche Tätigkeit, nämlich der Einnahmen- und Gewinnoptimierung. Kriminaltheoretisch wird hier oft Rational Choice als Erklärungsansatz bemüht, also derselbe Ansatz, der auch der Wirtschaftstätigkeit selbst zugrunde liegt: Eine Kosten-Nutzenabwägung unter Einbeziehung des Risikos und der Folgen der Aufdeckung der strafbaren Handlung kann bei passender Tatgelegenheit mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zur Begehung von Straftaten führen.

Besonders relevant sind solche strafbaren Handlungen, in denen (primär aus Effektivitätserwägungen) ein Kontrolldefizit besteht und damit Tätern etwa die Nichteinhaltung teurer Wettbewerbsregeln, Umweltauflagen oder Sozialleistungen erleichtert, ja geradezu nahegelegt wird: Wenn die unmittelbare Konkurrenz wegen illegaler Beschäftigung günstiger wirtschaftet, zugleich aber die illegale Beschäftigung unzureichend kontrolliert wird, dann sehen sich Unternehmen wegen des Kostendrucks am Markt praktisch „gezwungen“, ebenfalls regelwidrig zu handeln. Ähnliches gilt bzw. galt – bei defizitären Kontrollen – für das Doping z.B. im Radsport.

Bei der aktuell bekannt gewordenen VW-Manipulation (eine Art Software-Doping) irritiert aber Folgendes: Der VW-Konzern hat den dauerhaften Beweis seiner irregulären Machenschaften zig-Millionen Mal auf die Straßen der Welt geschickt. Es war deshalb fast mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass diese Manipulation irgendwann aufgedeckt wird. Es verwundert eigentlich, dass dies offenbar erst nach etwa 10 Jahren geschehen ist. Zudem muss es etliche Mitwisser gegeben haben, die dann jederzeit in der Lage gewesen wären, das Fehlverhalten von VW aufzudecken und den Konzern hätten erpressen können. Auch die Konsequenzen einer solchen Aufdeckung waren, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, vorhersehbar: ein kaum wieder gut zu machender Vertrauensverlust in die Dieseltechnologie, in die VW-Fahrzeuge, und in die deutsche Automobilexportbranche insgesamt, neben den extrem schweren wirtschaftlichen Folgen für den Konzern und möglicherweise strafrechtlichen Folgen für einzelne Personen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Verhalten (von wem auch immer im VW-Konzern) kaum noch rational erklärbar. Zeit für einen Irrational-Choice-Ansatz?

Update 01.07.2016

In der New York Times erklären Tillman/Pontell, warum es entgegen meiner Einschätzung doch völlig rational von VW war die betrügerische Abschalteinrichtung einzubauen. Ein sehr lesenswerter Artikel.

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530 Kommentare

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Zudem muss es etliche Mitwisser gegeben haben, die dann jederzeit in der Lage gewesen wären, das Fehlverhalten von VW aufzudecken und den Konzern hätten erpressen können.

Das alles war seit Jahren bekannt. Nur wir in der Deutschland-GmbH haben, wie immer, komplizenhaft ein Auge zugedrückt und den Betrug, wie immer, mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis genommen. Die aktuelle Aufregung kommt nur daher, dass ein Nichtgesellschafter der Deutschland-GmbH unsere schöne Gemütlichkeit durcheinander bringt und eine Milliarden-Strafe dafür fordert, was bei uns im Ernstfall ggf. einen drohenden Zeigefinger und ein "Du, Du" eingebracht hätte. So geht das in der Deutschland-GmbH übrigens immer noch mit allen Compliance-Verstössen, die in keiner Weise irgendwie ansatzweise ernst genommen und abschreckend bestraft werden. Was bei uns ans Licht kam, kam alles in den USA ans Licht (Siemens, Deutsche Bank etc.)...

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Sehr geehrter Leser,

danke für Ihren Kommentar.

Sie schreiben:

"Das alles war seit Jahren bekannt. Nur wir in der Deutschland-GmbH haben, wie immer, komplizenhaft ein Auge zugedrückt und den Betrug, wie immer, mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis genommen."

Dass das Fahrzeugverhalten für die Abgastests und Verbrauchstests optimiert werden, ist bekannt, ja. Dass die Testes wenig aussagekräftig sind, liegt v.a. daran, dass die Tests nur unzureichend den Normalbetrieb reflektieren.  Aber haben Sie tatsächlich Belege (Links auf Presseberichte o.ä.) dafür, dass "uns", also der allg. Öffentlichkeit in Deutschland bekannt war, dass die Messwerte aktiv durch eine softwaremäßig im Normalbetrieb wieder abgeschaltete Motorsteuerung/Abgasreinigung manipuliert wurden?

Da mittlerweile die meisten der Fahrzeuge nicht in Deutschland gekauft und gefahren werden, wäre ein "komplizenhaftes Augenzudrücken" in der Deutschland GmbH" aber auch gar nicht ausreichend gewesen, eine mögliche Erpressung auszuschließen.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

            Aber haben Sie tatsächlich Belege (Links auf Presseberichte o.ä.) dafür...

War natürlich nicht "jedem" Hinterweltler bekannt, den das auch gar nicht interessierte. Aber wer sich ernsthaft interessierte, konnte das wissen, vgl.:

Die Bundesregierung kannte die Betrüger-Technik  Die Technik zur Motor-Manipulation ist in Berlin und Brüssel seit Langem bekannt. Das zeigt ein Papier aus dem Verkehrsministerium. (http://goo.gl/RDE8cm).

Längst ist bekannt, dass die realen Abgaswerte vieler Autohersteller meilenweit von den offiziellen Testergebnissen abweichen. Am gefährlichsten ist das bei Diesel-Fahrzeugen. Doch die Politik ignoriert das Problem. Für Europas Autolobby steht zu viel auf dem Spiel (http://goo.gl/QQkxPx).

Einsatz rechtswidriger Software war VW seit Jahren bekannt (http://goo.gl/wqYaAF).

Erpressbar war VW also nicht. Bei einer Erpressung hätten die in Wolfsburg doch nur müde gelächelt. Wie die hochbezahlten hohen Herrn dort allerdings denken könnte, das könnte aller Welt so wurst sein, wie uns in der D-GmbH, ist mir ein Rätsel...

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Lieber Professor,

zum Einen bin ich mir nicht sicher, ob Herr Winterkorn derjenige sein sollte, auf den sich die Strafverfolgung primär konzentrieren sollte. Ganz einfach aus dem Umstand heraus, dass die Einführung der Manipulationssoftware unter einem ganz anderen Vorstandsvorsitzenden vollzogen wurde. Meines Wissens fallen diese Vorgänge noch unter die Ägide Piech.

 

Darauf aufbauend kann man sich Ihrer Frage:

Aber ganz gleich, ob sich Herr Winterkorn oder andere hochrangige VW-Manager wegen Betrugs strafbar gemacht haben, stellt sich die kriminologische Frage, wie es zu solch einem deliktischen Verhalten in dem Unternehmen gekommen ist.

 

ganz anders nähern.

 

Wenn unter Piech, derartige Verstösse begangen wurden und diesselbigen einen Milliardenverlust an Strafen oder auch nur eine Milliardeninvestition an Entwicklungskosten für Motoren zur "stillen" Behebung des "Fehlers" bedeutet, was sollte Herr Winterkorn angesichts dieses Dillemas tun?

 

Er ist nur Geschäftsführer, nicht Gesellschafter.

 

Sollte er Selbstanzeige erstatten? Damit würde er seinem Auftrag zuwinder handeln, den Wert des Unternehmens zu mehren.

 

Sollte er für schon Millionenfach verkaufte Fahrzeugserien eine Neuentwicklung der Motoren in Angriff nehmen? Nur wie sollte er das erklären, wenn nicht mit Preisgabe des Betrugs --> Offenlegung der Mitwisserschaft.

 

Ich halte das Verhalten für durchaus rational. We cross the bridge, when we come to it. Probleme lösen, nicht kreiieren, ist des Managers täglich Brot.

 

Irrational erscheint, dass Winterkorn anstatt Piech in den Fokus der Ermittlungen gerät. Nicht der Täter scheint zu interessieren, sondern der zuletzt Verantwortliche...

 

LG

Ich als Rechtsanwalt verstehe nicht, wie Winterkorn den "Betrug" so einfach gestehen konnte. Da hätte es doch sicher Strategien gegeben, die "ausgeklügelte" Software als zulässige "Optimierung in Testsituationen" auszugeben. Man hätte zu späterer Zeit ggf. ein "Missverständnis" der Testkriterien zugeben und grosszügig in Zukunft darauf verzichten können und alles wäre in ziemlicher Ordnung gewesen. Warum also stante pede zugeben? Wofür bezahlt die deutsche Industrie eigentlich ihre hochbezahlten (überschätzten) Wunderwirtschaftsanwälte?

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Sehr geehrter Herr Mustermann,

mir erschein auch nicht unbedingt das Verhalten Winterkorns irrational (sorry, falls ich mich missverständlich ausgedrückt habe), sondern dasjenige derjenigen im VW-Konzern, die die Sache "ins Rollen" gebracht haben, wer immer das war.

Sie haben vielleicht Recht, was die Rolle Winterkorns angeht. Wenn die Manipulationen schon vor zehn Jahren begannen, dann war übrigens Herr Pitschesrieder VW-Vorstandsvorsitzender. Winterkorn  war möglicherweise zu Beginn seiner Amtszeit nicht informiert über das Kuckucksei und als er dann möglicherweise informiert wurde, gab es wenig Spielraum für eine  nicht selbst schädigende Strategie alternativ zum "Augen zu und durch", da gebe ich Ihnen Recht. Ist natürlich - eingeräumt - alles spekulativ. Häufig laufen allerdings solche Dinge an der obersten Leitung eines Unternehmens vorbei, die manchmal nur Vorgaben macht, die dann ohne Betrug nicht einzuhalten sind.

Das alles ändert nichts daran: Wenn man betrügt, dann braucht man auch eine Strategie, den Betrug zu vertuschen, oder eben zu verschwinden, bevor der Betrug aufgedeckt wird. Und dieser Betrug war (bei 11 Millionen Beweismitteln weltweit) nicht zu vertuschen; ebensowenig kann sich der Konzern aus der Verantwortung stehlen, also verschwinden. Das meine ich mit "irrational choice". Mit Deutschland GmbH und den hiesigen unvollkommenen Tests hat das bei einem international operierenden Unternehmen nur wenig zu tun.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Möglicherweise hat sich VW in den USA überhaupt nicht strafbar gemacht:

Quote:

Unterdessen berichtet das "Wall Street Journal", dass der Konzern womöglich ganz um Umweltstrafen in den USA herumkommen könnte. Grund sei ein Schlupfloch in der US-Gesetzgebung. So sehe der Clean Car Act aus dem Jahr 1970 eine weitgehende Straffreiheit für Autokonzerne vor. Die Ermittler in den USA suchten deshalb nun nach anderen Wegen, VW wegen der Manipulationen zu belangen.

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/volkswagen-aufsichtsrat-lie...

Es hat schon eine gewissen Ironie, im "Clean Car Act" Autokonzerne von der Strafbarkeit auszunehmen.

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Zur (möglichen) Schuldfrage aufschlussreich, die SZ von heute:

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/abgas-skandal-volkswagen-stellt-si...

"Die Frage, wann wer über den neuen Dieselmotor entschieden hat, ist wichtig. Denn die betrügerische Software betrifft Fahrzeuge, die ab 2009 ausgeliefert wurden. Das heißt: Spätestens seit 2007/2008 muss im Konzern über die Technologie diskutiert worden sein. Pischetsrieder und Bernhard ließen am Dienstag über einen Rechtsanwalt mitteilen, dass sie "aufs Schärfste" Mutmaßungen widersprächen, mit dem Fall zu tun zu haben. Sie könnten eidesstattlich versichern, keine Kenntnis von der Manipulationssoftware gehabt zu haben. Wenn das zuträfe, dann würde dieses Thema alleine in die Amtszeit von Martin Winterkorn als VW-Chef fallen und seinen Entwicklern, unter anderem Ulrich Hackenberg."

VW wird die Strafbarkeit relativ egal sein; was wirklich gefährlich wird sind die Zivilklagen (http://derstandard.at/2000022991204/Erster-US-Landkreis-klagt-wegen-Umwe...) und die Kosten für Nachbesserung bzw. Rücknahme (wenn zugesicherte Eigenschaften wie Motorleistung nach Aufspielen der Nichttricksersoftware nicht mehr erreicht werden).

Was den Ursprungsgedanken angeht: die Software zur Motorsteuerung ist mittlerweile derart komplex, dass ein Nachweis der Manipulation durch Auslesen und Reverse Engineering de facto unmöglich ist. Am Ende "drangekriegt" wurde VW ja nur durch das eigene Geständnis.

Ich kann mir folgende Denkweise bei den Entwicklern vorstellen: "wenn wir die Werte im Testzyklus einhalten, egal wie, dann kann uns keiner was - schließlich steht nirgends, dass der Motor im Alltagsbetrieb auch die Werte erreichen muss. Und die Codebefehle zum Schummeln findet niemand in den 100 Millionen Programmzeilen.". Bei der Typzulassung und Verbrauchsmessung wurde ja eh schon geschummelt (Spalte abkleben, 5 bar Reifendruck etc.) und man kam damit durch.

Weil man sich der Trickserei bewusst war, blieb es so "geheim" wie möglich und hat nicht bei den Hausjuristen nachgefragt. Und in Deutschland war man sich sicher, von der Politik in Ruhe gelassen zu werden. In welchem Ausmaß das einem in den USA um die Ohren fliegen könnte, hat man schlicht nicht erwogen. So wie ein Einbrecher vielleicht daran denkt, mit Handschuhen keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, aber nicht daran, dass er durch ein ausgefallenes Haar am Tatort mit DNA-Analyse ermittelt werden kann.

Sehr geehrter Mein Name,

Ihre Erläuterung zur subjektiven Einschätzung ("hat man schlicht nicht erwogen") finde ich einigermaßen nachvollziehbar. Aber dass es allein das Geständnis war, das VW in die Bredouille brachte, glaube ich  nicht. Die Möglichkeit der Abschaltautomatik war ja schon bekannt  und es wäre dann sicherlich auch mögich, die entsprechenden Programmzeilen aufzufinden, wenn ein solcher konkreter Verdacht aufkommt. Schließlich werden ja auch Viren gefunden, die in Millionen von Programmzeilen versteckt sind.

Gute, wenig aufgeregte Erläuterung übrigens hier:

http://www.heise.de/autos/artikel/Der-vorlaeufige-Stand-der-Dinge-in-Sac...

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Das halte ich ebenfalls für eine fragwürdige Angelegenheit - ich habe meinen Beitrag oben entsprechend ergänzt.

Wo liegt denn beim Betrug im Sinne des StGB der Schaden?

Einziger Nachteil für den Endkunden war ja ggf. ein nicht den Abgasnormen entsprechendes Auto zu fahren. Ein finanzieller Nachteil ist dadurch, soweit mir ersichtlich, aber nicht entstanden.

Ggf. könnte man auf einen geschmählerten Wiederverkaufswert abstellen. Da aber in der Zeit vom Verkauf bis jetzt die Manipulation nicht allgemein in Käuferkreisen bekannt war, ergibt eine Gesamtsaldierung auch da keinen Schaden. Einziger Anhaltspunkt wäre der ggf. geschmählerte Wiederverkaufswert nach Bekanntwerden der Manipulation. Da aber der Fehler jetzt behoben wird, wird nun ein Auto wiederverkauft, das die versprochenen Eigenschaften hat. Man müsste also darauf abstellen, dass - trotz Behebung -  der Manipulationsskandal allgemein zu einer Wertminderung des Wiederverkaufswerts geführt hat. Ob sich das nachweisen lässt, ist die Frage.

Gibt es andere Aspekte oder Geschädigte, die ich übersehe?

 

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Sehr geehrter MT,

sofern beim verkauften Fahrzeug eine bestimmte Abgasreinigung im Fahrbetrieb versprochen wird und der Käufer dafür auch bezahlt hat, ist es m. E. eine betrugsrelevante Täuschung, wenn dieses Abgasreinigungssystem im Normalfahrbetrieb abgeschaltet ist. Der Käufer, der ein besonders sauberes Fahrzeug kaufen wollte und dafür auch bereit war, mehr Geld zu bezahlen, wäre durch ein Versprechen getäuscht und veranlasst worden, Geld zu bezahlen für ein Fahrzeug, das die gewünschten und mitbezahlten Eigenschaften gar nicht aufweist.  Dies ist auch ein finanzieller Nachteil, wenn ein sauberer Diesel "Blue" mehr wert ist/wäre als ein normaler Diesel "hust".

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Ergänzung: Es kommt beim Betrug nicht darauf an, ob ein im Moment der Vermögensverfügung entstandener Schaden später ausgeglichen werden kann (durch Reparatur/Nachbesserung/Schadenersatzansprüche), oder ob ein künftiger Wiederverkaufswert gemindert ist.

Sehr geehrter Prof. Müller,

da haben Sie Recht. Ich hatte mich zu sehr auf die öffentlich-rechtlichen Abgasnormen konzentriert und dabei aus dem Blick verloren, dass es dem Kunden sehr wohl darauf ankommt, ob das Auto umweltfreundlich fährt oder nicht. Damit fehlt dem Auto eine zugesicherte Eigenschaft, der Kunde ist bei Gesamtsaldierung "ärmer". Darin liegt der Schaden.

Viele Grüße,

MT

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Ich möchte noch einmal auf das eigentliche Thema und Prof. Müllers Beitrag #6 zurückkommen. Ich denke, Blogger liegt mit seiner Einschätzung unter #3 richtig.

Für die Entscheidungsfindung i.S.d. Kriminologie ist ja das Werte- und Normensystem des "Milieus" relevant, hier also die Denkweise im Unternehmen bzw. der Abteilung. Man kann davon ausgehen, dass dort die technische Problemlösung bzw. das Erreichen bestimmter Verbrauchs- und Abgaswerte im Prüfzyklus das Oberziel war und die Belohnungssysteme darauf ausgerichtet waren. Der rechtliche Rahmen spielte dabei insofern keine Rolle, als dass die nicht softwarebezogenen Tricksereien (Temperatur 28 Grad und mehr, abgeklemmte Batterie und die o.g. Maßnahmen) ja "legal" waren und die Vorgabe, die am Prüfstand erreichten Ergebnisse müssten realitätsnah sein, von allen ignoriert wurde.

Durch erfolgreiches Lobbying hatte der VDA das Kraftfahrtbundesamt vom Kontrolleur der Autoindustrie zu ihrem Bettvorleger degradiert und sogar die Regierung zu ihrem Sprachrohr gemacht - man denke nur an den deutschen Widerstand gegen schärfere CO2-Werte in der EU. Und mit einem Minister für Wirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz hat man Bock und Gärtner in Personalunion - wenn derjenige dann noch als niedersächsischer Ex-Ministerpräsident im VW-Aufsichtsrat saß, hat man Bock und Schoßhund in Personalunion.

In diesem Bewusstsein - nämlich dass die deutsche Politik Erfüllungsgehilfe und Lobbyist der eigenen Sache ist - spielten Legalitätsüberlegungen nur eine untergeordnete Rolle (wie ja bereits im Eröffnungsbeitrag angesprochen) und in den Technikabteilungen eher gar keine. Ausgehend von den zahnlosen Regelungen zum bisherigen Prüfzyklus war sich der, der der Softwaremanipulation seinen Segen gab, wohl sicher, dass eventuell auftretende Probleme durch Lobbying beherrschbar sein würden.

Und die Wirklichkeit gab ihm Recht: offen angesprochen wurde die Softwaremanipulation bereits vor über 2 Jahren (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/spritverbrauch100.html). Die 3-Affen-Reaktion von KBU und Verkehrsministerium (http://www.ingenieur.de/Branchen/Fahrzeugbau/Kritik-an-Verbrauchsmessung...) spricht Bände. Die Kleine Anfrage der Grünen vom Frühjahr belegt, dass die Bundesregierung vom Betrug wusste und das Ganze auf kleinstmöglicher Flamme verfolgte (übersetzt: "wir überlegen uns mal, wie wir das möglichst langwierig in irgendwelchen EU-Gremien einsargen").

Bis dahin also ein Musterbeispiel für Rational Choice. Interessant wird es bei der Betrachtung des US-Marktes. Immerhin musste für den dortigen Prüfzyklus die Software umgeschrieben werden. Man muss kein Fachmann für US-Recht sein, um aus vergangenen Prozessen wie denen der Tabakindustrie zu wissen, dass staatliche Institutionen dort extrem angepi**t reagieren, wenn sie von Firmen systematisch betrogen werden. Erst recht als ausländisches Unternehmen ohne wirkliche Lobbymacht muss man da aufpassen.

Wer also entschied, diese - anders als in Deutschland - extrem riskante Softwaremanipulation auch auf den US-Markt zu adaptieren? Und vor allem, dies möglicherweise ohne juristische Expertise bzw. auch finanzielle Risikoabwägung anzuordnen? Dazu ist aber anzumerken, dass dort Diesel-PKW so gut wie keine Rolle spielen (Marktanteil ca. 3%, in D um die 50%). Es ist also durchaus denkbar, dass die US-Adaption auf rein technischer Ebene entschieden wurde in der Hybris "wenn es die Deutschen uns nicht nachweisen können/wollen, dann schaffen es die Amis auch nicht - und zur Not reden wir uns auf einen Programmfehler raus".

Selbst wenn man eine Kosten-Risiko-Berechnung gemacht hätte (Entdeckungswahrscheinlichkeit vs. Rückruf- und Nachbesserungsaufwand), wäre es immer noch Rational Choice gewesen. Insgesamt aber glaube ich, dass man sich einfach zu sicher war, dass man wie in Deutschland eventuelle Abweichungen mit der Künstlichkeit des Prüfzyklus erklären kann und damit durchkommt.

Ich frage mich, ob durch den Einsatz der Software und die damit bewirkte Manipulation des Ergebnisses des Prüfvorgangs ein Computerbetrug verwirklicht worden ist. Eines der Prüfverfahren wird in diesem Testprotokoll ab Seite 35 ausführlich beschrieben ( http://www.theicct.org/sites/default/files/publications/WVU_LDDV_in-use_... ).

 

Worüber genau täuscht der Fahrzeughesteller? Nach meinem Verständnis regelt die Software den Schadstoffausstoß nur runter, solange das KfZ auf dem Prüfstand steht. Die Abgaswerte werden derart gedrosselt, dass die gesetzlich zulässigen Höchstwerte nicht überschritten werden. Sobald das KfZ den Prüfstand verlässt, schaltet sich die Software wieder in stand-by und dadurch der Motor in "Normalbetrieb". Die dabei verursachten Abgaswerte überschreiten die gesetzlich erlaubten Höchstwerte erheblich.

Die Abgaswerte, die auf dem Prüfstand ausgeworfen werden, entsprechen aber dem (in diesem Moment) tatsächlichen Ausstoß - und sind daher objektiv zutreffend. Die Täuschung liegt also vielmehr darin, dass der soeben gemessene Ausstoß auch im Normalbetrieb nicht überschritten wird - was der Hersteller jedenfalls konkludent erklärt. Tatsächlich ist jedoch der Zeitpunkt der Kontrolle der einzige Moment, in dem sich der Fahrzeughersteller an die gesetzlichen Regeln hält.

 

Das Ganze erinnert mich an STUXNET. Eine Software, maßgeschneidert für ein konkretes technisches set-up und dessen unbefugte Beeinflussung.

 

Willkommen im 21. Jahrtausend.

 

 

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@ Fotobiene: der von Prof. Müller gepostete Heise-Link ist sehr empfehlenswert. Dort steht auch, welche speziellen Prüfstandprogramme zulässig sind und warum. Türspalte werden deshalb abgeklebt, weil der Fahrtwind auf dem stationären Rollenstand durch einen Windkanal simuliert wird.

Manipulation bedeutet erst einmal nur Beeinflussung - nur weil es oft negativ konnotiert ist, ist es noch lange nicht illegal (auch jemanden zu überreden ist Manipulation).

@ Prof. Müller: der Vergleich mit einem Antivirenprogramm greift nicht. Ein solches findet nur Viren, deren Signatur ihm bekannt sind - daher sind aktuelle Updates ja so wichtig. Bei einer Motorsteuerungssoftware wüsste man aber nicht, wonach man suchen muss (und würde evtl. bei der Zylinderabschaltung und Drehzahlabsenkung im Leerlauf auch falsch positive Treffer landen). Abgesehen davon ist diese Software so etwas wie der "heilige Gral" der Motorenbauer - jeder Konkurrent würde die gerne kennen. Darum ist sie entsprechend gegen das Auslesen geschützt (z.B. kryptographische Methoden, eigene Compiler und Assembler, Sperrbit gegen das Auslesen - nur Diagnosedaten und manche Steuerkennfelder, z.B. für Chiptuner, ausgenommen). Suchen könnte man nur, wenn der unkompilierte Programmcode z.B. beim KBA hinterlegt werden müsste - das wären aber höchst sensible Firmengeheimnisse und außerdem keine Garantie dafür, dass auf den tatsächlich verbauten Chips das gleiche Programm läuft.

Eine Irrational Choice macht dann Sinn, wenn eine komplette Unternehmenskultur irrational geworden ist. Dann ist die irrationale Verhaltensweise wieder rational, weil im Unternehmen konform. Es gibt den Effekt einer Bad Practice (statt Best Practice).

1. Juristisch und technisch begründete Kritik wird abgebügelt mit "Das machen wir immer schon so und es ist nie etwas passiert" Das scheint bei VW bis vor wenigen Wochen auch so gewesen zu sein.

2. Das Brechen von Gesetzen wird nicht nur geduldet, sondern als angeblicher Mut und "Denken im Sinne des Unternehmens" gelobt und gefördert. Verstöße gegen Regeln und Gesetze werden fast schon wie ein Sport betrieben. Am angesehensten ist, wer die meisten Regeln bricht.

3. Mit der Fixierung auf Quartalsergebnisse werden langfristige Risiken bis hin zum Totalverlust des Unternehmens und langjährigen Haftstrafen ausgeblendet.

4. Es gibt im Management manchmal eine Bevorzugung des "Win-Loose" Denkens. Es wird dann a priori angenommen, dass jeder Schaden oder Nachteil, der Anderen zugefügt wird, einem selber einen Vorteil bringt. Minderwertige Produkte bringen angeblich mehr Profit. Schlecht bezahlte und behandelte Mitarbeiter leisten angeblich genau so viel. Win-Win Situationen werden nicht erkannt oder sogar - quasi ideologisch - abgelehnt.

In diesem Fall handelt es sich nicht nur um Betrug, sondern um vorsätzliche Körperverletzung in mehreren Hunderttausend Fällen. Es sind Produkte geliefert worden, die nicht dem Stand der Technik entsprachen und damit nicht die zu erwartende Qualität aufweisen - insbesondere weil VW explizit mit sauberen Diesel-Fahrzeugen geworben hat und damit Eigenschaften zugesichert hat. Der Verlust der günstigen Steuerklasse sowie der Verlust der Zulassung der Fahrzeuge in Umweltzonen ist zu befürchten. Damit haben die Fahrzeuge einen massiven Wertverlust erlitten. Die Marke VW hat ebenfalls einen massiven Schaden erlitten und ist weniger wert.

 

3

Ich kann der optimistischen Einschätzung (noch) nicht ganz folgen, dass der Tatbestand des Betrugs verwirklicht worden sei und es nur noch um den/die Täter geht. Das versteht sich m.E. nicht von selbst.

Beginnend mit der Täuschungshandlung schreibt Professor Müller:

sofern beim verkauften Fahrzeug eine bestimmte Abgasreinigung im Fahrbetrieb versprochen wird und der Käufer dafür auch bezahlt hat, ist es m.E. eine betrugsrelevante Täuschung, wenn dieses Abgasreinigungssystem im Normalfahrbetrieb abgeschaltet ist. 

Versprechen macht i.d.R. der Verkäufer (Vertragshändler) dem Käufer. Der Hersteller ist an dem Kaufgeschäft nicht beteiligt. Worin soll dann sein Versprechen liegen? 

Inhaltlich als versprochen kommen die Angaben im Fahrzeugbrief zur Schadstoffklasse in Betracht. Der Hersteller verspricht dem Käufer aber nix. Möglicherweise liegt ein Versprechen bezüglich der Schadstoffklasse im Verhältnis des Herstellervertriebs zum Vertragshändler. Die gesellschaftliche Organisationsform des Vertriebs dürfte auch eine Rolle spielen. Hier stellt sich jedenfalls aber die Frage des Schadens anders. Der Vertragshändler muss doch nicht zwingend dadurch geschädigt werden, dass die "versprochene" Schadstoffklasse nicht stimmt. 

@Qualitätsmanager schreibt:

Es sind Produkte geliefert worden, die nicht dem Stand der Technik entsprachen und damit nicht die zu erwartende Qualität aufweisen - insbesondere weil VW explizit mit sauberen Diesel-Fahrzeugen geworben hat und damit Eigenschaften zugesichert hat.

Das Werbrversprechen ist i.d.R. nicht einmal rechtsgeschäftlich relevant. Wenn man falsche Werbeversprechen strafrechtlich verfolgen wollte, dann gäbe es viel zu tun.

@ Waldemar Robert Kolos

Hier handelt es sich nicht um bloßes Werbematerial (iSv Anpreisung), sondern in den Prospekten und sonstigen Werbemitteln des Herstellers wird mitgeteilt, dass das Fahrzeug eine bestimmte Abgasnorm erfüllt. Das ist eine dem Beweis zugänglicher Zustand und damit Tatsache im Sinne des Betrugstatbestands.

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„Es waren nicht nur ein paar kriminelle Entwickler“

Im VW-Skandal weitet sich der Kreis der Mitwisser aus. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung liegen erste Ergebnisse interner Untersuchungen vor. Demnach habe der Konzern „systematisch Kunden und Behörden getäuscht“.

 

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/vw-abgasskandal/vw-skandal-nicht-n...

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Zu Beginn des Skandals gab es einige Stimmen, die zwar die (verbotene) Manipulation in den USA verurteilten, darin aber noch keine strafbare Handlung in Deutschland (und darüber diskutieren wir hier) erkennen wollten. Meine Argumentation (siehe oben): Es ist auch vermögensschädigender Betrug, wenn ein durch bestimmte Motorfunktionen bzw. Abgasreinigungssysteme "sauberer" Diesel angepriesen und verkauft wird, diese Systeme aber nur auf dem Prüfstand funktionieren und  im Normalbetriebn abgeschaltet sind. Ein solches Versprechen  ist weit mehr als bloßes unkonkretes marktschreiereisches Anpreisen ("Öko-Auto"). Jetzt gibt es deutliche Hinweise darauf, dass auch Mess- und Prüfzyklen in Europa gezielt manipuliert wurden und auch hier verbotene Abschaltsysteme für den Normalbetrieb in Funktion waren.

http://www.sueddeutsche.de/auto/vw-abgas-skandal-schummeln-nach-mass-1.2... (Link schon von Mein Name genannt)

Zudem gibt es nun die Ankündigung, betroffene Kunden von VW müssten evtl. KfZ-Steuer nachzahlen.

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/abgas-affaere-vw-soll-kfz-steuer-n...

Meine Einschätzung, es handele sich um Betrug zum Nachteil der Käufer, wird damit letztlich bestätigt.

 

Ergänzend @Waldemar Robert Kolos (02.10.)

Wer konkret der Täter des Betrugs gewesen ist, hängt natürlich von den noch aufzuklärenden genauen Mitwissern der Affäre ab. Ein Vertragshändler, der im guten Glauben ein solche manipuliertes Fahrzeug verkauft, unterliegt ja selbst einem Irrtum und begeht den Betrug am Kunden als Tatmittler/Werkzeug im Rahmen einer mittelbaren Täterschaft. Je nach Vertragsgestaltung mit dem VW-Konzern ist der Händler möglicherweise zugleich Opfer eines Betrugs.

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Prof. Müller (#32),

zwar ist eine Änderung der KfZ-Steuerbeischeide bei VW-Kunden trotz Bestandskraft nicht ausgeschlossen (§ 173 AO). Allerdings halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass der Fiskus es um jeden Preis vermeiden wollen wird, gegen Millionen von Endkunden jeweils einzeln vorzugehen. Das wäre wegen des Risikos von Masseneinsprüchen zu teuer und letztlich bestünde auch keine Erfolgsgarantie. Ich vermute deshalb, die Sache wird per Haftungsbescheid gegenüber VW erledigt werden, wobei mir als Rechtsgrundlage nur die Haftung des Steuerhinterziehers (§ 71 AO) in den Sinn kommt.

Viele Grüße,

MT

0

Sehr geehrter MT,

ebenso wenig wie Sie glaube ich, dass es tatsächlich Steuernachforderungen gegenüber einzelnen VW-Haltern geben wird. Ich sehe diese Meldung aber als Indiz für eine reale Schädigung der betr. Kunden an. Es geht eben nicht nur darum, dass sie auf (strafrechtlich irrelevante) Werbesprüche hereingefallen sind, es handelt sich um (sogar steuerlich) bedeutsame Eigenschaften der Fahrzeuge.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Professor Müller,

danke, dass Sie ausdrücklich auf die mittelbare Täterschaft der Strafbarkeit hingewiesen haben. Das hat m.E. gefehlt, jedenfalls der Klarheit wegen. So geht die Strafbarkeit wg. Betrugs auf und dem kann ich so folgen.

Besten Gruß

Waldemar Robert Kolos

Gründe und Motive für das Fehlverhalten fordert Psychologie & Psychopathologie heraus

Henning Ernst Müller schrieb:

...  Bei der aktuell bekannt gewordenen VW-Manipulation (eine Art Software-Doping) irritiert aber Folgendes: Der VW-Konzern hat den dauerhaften Beweis seiner irregulären Machenschaften zig-Millionen Mal auf die Straßen der Welt geschickt. Es war deshalb fast mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass diese Manipulation irgendwann aufgedeckt wird. Es verwundert eigentlich, dass dies offenbar erst nach etwa 10 Jahren geschehen ist. Zudem muss es etliche Mitwisser gegeben haben, die dann jederzeit in der Lage gewesen wären, das Fehlverhalten von VW aufzudecken und den Konzern hätten erpressen können. Auch die Konsequenzen einer solchen Aufdeckung waren, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, vorhersehbar: ein kaum wieder gut zu machender Vertrauensverlust in die Dieseltechnologie, in die VW-Fahrzeuge, und in die deutsche Automobilexportbranche insgesamt, neben den extrem schweren wirtschaftlichen Folgen für den Konzern und möglicherweise strafrechtlichen Folgen für einzelne Personen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Verhalten (von wem auch immer im VW-Konzern) kaum noch rational erklärbar. Zeit für einen Irrational-Choice-Ansatz?

Ich bin mit meinem brainstorming "Psychologie oder Psychopathologie des Abgas-Skandals?" [*Quelle] so weit gediehen:

Die Ursachen und Wurzeln dieses Abgas-Skandals sind letztlich in der Einstellung und im Denken der verantwortlichen Manager, - vermutlich weit überwiegend Männer - im Vorstand und im Aufsichtsrat zu suchen. Wer alles davon wusste, wissen wir derzeit (12.10.15) noch nicht. Waren es wenige, waren es viele, waren es alle? Es sitzen sehr viele "Ermittler" an diesen Fragen. Und wenn die Luft für den einen oder anderen Verwickelten dünner wird, könnte die Gesprächs- und Geständnisbereitschaft steigen, auch wenn die wirklich Verantwortlichen im Hintergrund alles tun werden, um das zu verhindern. Grundsätzlich stehen mehrere Hypothesen hinsichtlich der verantwortlichen Manager an:      

  1. 1. Man war sich sicher, dass der Betrug nicht entdeckbar war (unerklärliche Realitätsverkennung).
  2. 2. Man war sich sicher, dass man so viel Macht hat, dass selbst bei Entdeckung, keine echte Gefahr droht.
  3. 3. Man war sich sicher, dass der Nutzen des Betruges viel größer war als der Schaden.
  4. 4. Man dachte überhaupt nicht richtig nach, und war froh, für den Moment eine "Lösung" gefunden zu haben.
  5. 5. Man dachte zwar, dass es sehr unangenehm werden könnte, wenn die Sache aufflog, aber man beruhigte sich mit der Formel, da wird uns dann schon was einfallen.
  6. 6. Man dachte, wir sind so groß, so reich, so mächtig, so wichtig: letztlich kann uns nichts passieren ... und dann gibt es ja noch die SteuerzahlerIn.
  7. 7. Sonstiges.

 

*Quelle:

http://www.sgipt.org/politpsy/wirts/dag/VW/vws.htm#Psychologie%20oder%20...

Die Leserin Foto Biene macht mich auf einen Kommentar des Wirtschaftsethikers Prof. Beschorner und des Nationalökonomen Prof. Kolmar aufmerksam, der zum hiesigen Thema in der NZZ erschienen ist:

http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/moral--ein-kostenfaktor-1.18627545

Auszug:

"Die meisten Menschen sind fest davon überzeugt, dass sie das Richtige tun – auch im moralischen Sinne. Aber sie unterscheiden sich in ihrer Einschätzung, was das Richtige ist. Die psychologische Forschung und die experimentelle Ethikforschung liefern dafür eine Erklärung: Menschen bauen sich Geschichten, die ihr Handeln für sie selbst erklärbar und rechtfertigbar machen. Dabei geht es nicht primär um Wahrhaftigkeit, sondern um die Stabilisierung des eigenen Handelns.

Ein nach allgemeinem Verständnis ethisch fragwürdiges Verhalten ist dabei umso einfacher zu rechtfertigen, je besser es in die grösseren kulturellen Narrative einer Gesellschaft passt. Jahrzehnte einer ideologischen Interpretation der Idee, dass sich in einer Marktwirtschaft Eigeninteresse automatisch in Gemeinwohl übersetzt, waren hierbei sicherlich ebenso wenig störend wie die verbreitete Vorstellung, dass die einzige Pflicht des Unternehmens die Gewinnerzielung sei. In einem solchen kulturellen Milieu fällt es nicht schwer, das eigene Verhalten jenseits von moralischen Kategorien wahrzunehmen."

Kann es nicht sein, dass VW möglicherweise nur Mängel des Verfahrens zur EG-Typengenehmigung und der erforderlichen Überprüfung durch Technische Dienste ausgenutzt hatte (ob das sinnvoll war, ist eine andere Frage), ohne die Technischen Dienste und das Kraftfahrzeugbundesamt getäuscht zu haben? Wenn eine Täuschung durch Einrichtung der Abschaltungssoftware vorgelegen haben soll, dann frage ich mich, warum das Kraftfahrzeugbundesamt die Genehmigung nicht widerruft oder VW zur Beseitigungsmaßnahmen auffordert? 

Ohne Täuschung der Technischen Dienste kommt Täuschung der Kunden wohl kaum in Betracht.

@Foto Biene

Ihren Hinweis auf Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Artikel 5 (2) c) halte ich für besonders wichtig. Danke. Darin wird Täuschung durch "Abschalteinrichtungen" gesetzlich definiert. Erforderlich ist also die Verfälschung des Prüfungsverfahrens. 

Es wurde bereits geschrieben, dass das Prüfungsverfahren im Standbetrieb vorgenommen wird. Das ist mir völlig unverständlich. Für eine Prüfung im Fahrbetrieb müssten die Fahrzeuge keineswegs bewegt werden. Mit Hilfe einer simplen Vorrichtung wäre das überhaupt kein Problem. Aber es ist wie es ist.

Wenn es aber zutreffen sollte, dass tatsächlich im Standbetrieb geprüft wird, dann kann eine Software bzw. "Abschaltvorrichtung" ausschließlich mit Einfluss auf den Fahrbetrieb das Ergebnis des Prüfungsverfahrens nicht verfälschen. Das ist nicht möglich. Täuschung liegt damit nicht vor. 

Der Betrugsvorwurf erscheint unter diesen Umständen daher mehr als fraglich.

Sehr geehrter Herr Kolos,

warum nun die Täuschung (noch einmal: des Kunden!) "mehr als fraglich sein soll", weil die Abschalteinrichtung nur auf den Fahrbetrieb Einfluss nimmt, erscheint nun mir mehr als fraglich. Den Kunden wird ein Fahrzeug angepriesen, das auf dem Prüfstand über eine Abgasreinigung verfügt, die im Fahrbetrieb - was natürlich verschwiegen wird - aber ausgeschaltet ist. Meine Frage: Wie oft fahren Sie Ihr Auto auf einem Prüfstand und wie oft auf einer Straße?

Mit besten Grüßen

Henning Ernst Müller

Ich glaube Herr Kolos hat dasselbe falsche Pferd geritten wie ich zu Anfang. Es geht schlicht und ergreifend nicht um die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Abgasnormen, sondern um die Eigenschaft "umweltfreundliches Auto nach EURO X Abgasnorm", die "VW" (ggf. in mittelbarer Täterschaft) dem Endkunden vorgetäuscht hat. Also Betrug gegenüber und zulasten des Endkunden - nicht gegenüber der Prüfbehörde, zulasten des Kunden.

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Der Betrug ist eingestanden - was soll die Diskussion darüber?

In Deutschland hätte VW aufgrund der unheilvollen Allianz zwischen Politik, Justiz und Wirtschaft ("Deutschland AG") nicht viel zu befürchten gehabt. Glücklicherweise - muss man an dieser Stelle mal eineinräumen - sind die Amerikaner mit im Spiel, die es ja auch entdeckt und nachgewiesen haben. Der Betrug ist eingestanden - was soll also die Diskussion ob oder ob nicht?

Angenommen, der Vorstands- oder Aufsichtsratsvorsitzende wusste davon, wäre er dann strafrechtlich verantwortlich oder bleibt "bloße" Mitwisserschaft strafrechtlich bedeutungslos?

 

RSponsel schrieb:

Der Betrug ist eingestanden - was soll die Diskussion darüber?

In Deutschland hätte VW aufgrund der unheilvollen Allianz zwischen Politik, Justiz und Wirtschaft ("Deutschland AG") nicht viel zu befürchten gehabt. Glücklicherweise - muss man an dieser Stelle mal eineinräumen - sind die Amerikaner mit im Spiel, die es ja auch entdeckt und nachgewiesen haben. Der Betrug ist eingestanden - was soll also die Diskussion ob oder ob nicht?

Ich bin einigermaßen schockiert von solch einer Aussage von Ihnen. Sie sind doch sonst so für sauberes Arbeiten in Justizangelegenheiten?

Ein Geständnis klärt bestenfalls, welche Tatsachen vorliegen. Ob diese Tatsachen dann rechtlich einen Straftatbestand erfüllen, ist eine ganz andere Frage.

Ein hypothetisches Beispiel: Die für den Abgasskandal verantwortlichen VW Mitarbeiter melden sich reihenweise bei der Polizei und gestehen außerehelichen Geschlechtsverkehr. Das sei doch strafbar und sie würden dafür ob der neugefundenen Ehrlichkeit auch ins Gefängnis gehen. Nur ist "Ehebruch" in Deutschland kein Straftatbestand - es würde also nie zu einer Verurteilung kommen.

Genauso wäre es rein theoretisch denkbar, VW hätte zwar beim Abgastest die Behörde getäuscht. Hätte VW dann aber die betroffenen Autos ausdrücklich als "Tolle Dreckschleuder für Klimawandelskeptiker, die garantiert nicht die Abgasnorm nach EURO X einhalten" vermarktet, wäre das keine betrugsrelevante Täuschung gegenüber den Endkunden. Die Kunden hätten ja genau die "Dreckschleuder" erhalten, die sie auch bestellt haben. Das Geständnis, die Behörde getäuscht zu haben, wäre also strafrechtlich letzten Endes nicht relevant.

In diesem Spannungsfeld, natürlich auf subtilerer Ebene, diskutieren wir hier.

Quote:

Angenommen, der Vorstands- oder Aufsichtsratsvorsitzende wusste davon, wäre er dann strafrechtlich verantwortlich oder bleibt "bloße" Mitwisserschaft strafrechtlich bedeutungslos?

Bei der rein passiven Mitwisserschaft, die nicht einmal für ein Hilfeleisten im Sinne einer Beihilfe oder eine konkludente Täuschung ausreicht, ist man da beim sehr problematischen Betrug durch Unterlassen. Das heisst der Vorstands- oder Aufsichtsratsvorsitzende müsste eine Pflicht gehabt haben, eine beim Endkunden bestehende Fehlvorstellung zu beseitigen, aufgrund einer sog. Garantenstellung. Ich bin bei der Konzernstrafrechts-Rechtsprechung nicht ganz im Thema, aber bei einem Vorsitzenden sollte man solch eine Pflicht doch wohl annehmen können. Die Frage ist letztendlich aber immer, welches Wissen um welche Tatsachen genau nachweisbar sind. Da kommt die Schwierigkeit beim Betrug durch Unterlassen her.

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MT]</p> <p>[quote=RSponsel schrieb:

Der Betrug ist eingestanden - was soll die Diskussion darüber?

In Deutschland hätte VW aufgrund der unheilvollen Allianz zwischen Politik, Justiz und Wirtschaft ("Deutschland AG") nicht viel zu befürchten gehabt. Glücklicherweise - muss man an dieser Stelle mal eineinräumen - sind die Amerikaner mit im Spiel, die es ja auch entdeckt und nachgewiesen haben. Der Betrug ist eingestanden - was soll also die Diskussion ob oder ob nicht?

MT schrieb:

Ich bin einigermaßen schockiert von solch einer Aussage von Ihnen. Sie sind doch sonst so für sauberes Arbeiten in Justizangelegenheiten?

Ein Geständnis klärt bestenfalls, welche Tatsachen vorliegen. Ob diese Tatsachen dann rechtlich einen Straftatbestand erfüllen, ist eine ganz andere Frage.

Ein hypothetisches Beispiel: Die für den Abgasskandal verantwortlichen VW Mitarbeiter melden sich reihenweise bei der Polizei und gestehen außerehelichen Geschlechtsverkehr. Das sei doch strafbar und sie würden dafür ob der neugefundenen Ehrlichkeit auch ins Gefängnis gehen. Nur ist "Ehebruch" in Deutschland kein Straftatbestand - es würde also nie zu einer Verurteilung kommen.

Wirklich sehr überzeugend, außerordentlich subtil und so passend.

Sponsel schrieb:

Angenommen, der Vorstands- oder Aufsichtsratsvorsitzende wusste davon, wäre er dann strafrechtlich verantwortlich oder bleibt "bloße" Mitwisserschaft strafrechtlich bedeutungslos?

MT schrieb:

Bei der rein passiven Mitwisserschaft, die nicht einmal für ein Hilfeleisten im Sinne einer Beihilfe oder eine konkludente Täuschung ausreicht, ist man da beim sehr problematischen Betrug durch Unterlassen. Das heisst der Vorstands- oder Aufsichtsratsvorsitzende müsste eine Pflicht gehabt haben, eine beim Endkunden bestehende Fehlvorstellung zu beseitigen, aufgrund einer sog. Garantenstellung. Ich bin bei der Konzernstrafrechts-Rechtsprechung nicht ganz im Thema, aber bei einem Vorsitzenden sollte man solch eine Pflicht doch wohl annehmen können. Die Frage ist letztendlich aber immer, welches Wissen um welche Tatsachen genau nachweisbar sind. Da kommt die Schwierigkeit beim Betrug durch Unterlassen her.

Das hört sich schon besser an. Hätten Vorgesetzte, die davon wussten, es also unterbinden müssen? Die Wendung "sehr problematischen Betrug durch unterlassen" verheißt mir da wenig Hoffnungsvolles.

Die Staatsanwaltschaft hat ja drei Wochen Zeit gelassen, Spuren zu verwischen. Immerhin hat das KBA nun mal in den ersten Gang geschaltet. Bin gespannt, wann der Verkehrsminister so weit sein wird.

 

Sehr geehrter Herr Professor Müller,
sehr geehrter MT.

Ja, klar. Natürlich geht es mir immer noch um Täuschung des Kunden. Schließlich nimmt er ja die Vermögensverfügung vor und nicht der Sachverständige des Technischen Dienstes. Der Hersteller hat aber in der Regel keine Möglichkeit, kommunikativ auf die Vorstellung des Kunden unmittelbar einzuwirken. Zu diesem Zweck bedient er sich möglicherweise eben des Sachverständigen und des Kraftfahrt-Bundesamtes als Werkzeug. Ursächlich für die Eintragung der Schadstoffklasse im Fahrzeugbrief und damit dem Kunden vom Händler versprochene Eigenschaft des Fahrzeugs zu "EURO X Abgasnorm" ist die allgemeine Betriebserlaubnis, die sich auf das Prüfungsergebnis des Sachverständigen stützt.

Wie der Kunde so auch ich wäre gewiss einem Irrtum verfallen, was die Aussage anbetrifft, die in der Angabe der Schadstoffklasse steckt. Ich wäre davon ausgegangen, dass damit selbstverständlich Schadstoffemissionen vor allem im Fahrbetrieb gemeint sind und nicht nur im Standbetrieb. Der Inhalt der Aussage zur Schadstoffklasse ergibt sich objektiv aber aus dem Prüfungsverfahren. Ohne Kenntnis des Prüfungsverfahrens und der dazu einschlägigen Normen kann die Aussage an sich schon irreführend sein und nicht der Einsatz von Abschaltvorrichtungen. 

Gemessen wird der Schadstoffausstoß (CO, HC, NOx, PT) im Standbetrieb in g/kWh. Damit wird also noch keine Beschränkung der Aussage auf den Standbetrieb vorgenommen, wenn auch im Standbetrieb geprüft wird. Eine Beschränkung kann aber darin liegen, dass Abschalteinrichtungen durchaus zugelassen sind, wenn nur die Bedingungen des Prüfungsverfahrens erhalten bleiben und damit nicht verfälscht werden. Auch wenn der Sachverständige z.B. wüsste, dass die Filterfunktion im Fahrbetrieb ausgeschaltet wird, würde das an seinem Messergebnis nichts ändern. Am Messergebnis würde sich nur dann etwas ändern, wenn der Sachverständige in Kenntnis der Abschaltvorrichtung das Prüfungsverfahren ändert. 

Sie, Herr Professor Müller haben das Verschweigen der Abschalteinrichtung kurz angesprochen. Klar, auch an Täuschung durch Unterlassen wäre zu denken. Ich sehe aber keine Aufklärungspflicht bezüglich der Abschalteinrichtung bzw. Garantenstellung des Herstellers. Sie gesetzlich zu regeln, wäre an sich doch kein Problem. 

 

Mit besten Grüßen

Waldemar Robert Kolos

Sehr geehrter Herr Kolos,

können Sie Ihre Auffassung, Betrug sei nicht möglich, weil ja die werbende Aussage: "Clean Diesel schadstoffarm" o.ä. für den Prüfstand zutraf, aber vom Hersteller bewusst für den Fahrbetrieb ausgeschaltet wurde, mit der Entscheidung

BGH, v. 22.10.86 - 3 StR 226/86

vereinbaren? Den Kunden wurden dort mit übertriebener Werbung Mittel angeboten, die keinerlei Wirkung hatten. Der BGH hat dies als betrügerische Täuschung bewertet. Nach Ihren Ausführungen wäre dies anders zu beurteieln, wenn der damalige Hersteller sich zunächst ein Zertifikat besorgt hätte, das diese Wirkung belegt, dann aber Mittel in den Vertrieb gebracht hätte, bei denen dieser Wirkmechanismus bewusst abgeschaltet wird. Letzteres Verhalten halte ich sogar für schwerwiegender als die bloße Anpreisung mit haltlosen Behauptungen. Also, ein Hersteller und Verkäufer, der "mehr" tut, nämlich zugegebenermaßen sein Fahrzeug für den Prüfstand "dopt", soll dann nach Ihrer Meinung keine Täuschung mehr begehen, wenn er mit bestimmten Eigenschaften des Fahrzeugs wirbt?

Klingt ein bisschen wie Lance Armstrong, der ja auch (nach den damaligen Prüfmethoden) nie gedopt haben will.

Ich kann Ihnen nicht folgen,

besten Gruß

Henning Ernst Müller

@ Dr. Sponsel

Ehebruch ist nunmal eines der Schulbeispiele für ein Wahndelikt. Und der Beleg, dass ein Geständnis kein Totschlagargument und Denkverbot bezüglich der rechtlichen Bewertung des Gestandenen ist.

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"Warum bei VW niemand „Stopp“ rief

Haben wirklich nur wenige Mitarbeiter bei VW von den Abgas-Manipulationen gewusst? Ein Verhaltensforscher vermutet etwas ganz Anderes.  ...  ....  .... 

„Saubermann“-Image führte zu moralischer Verzerrung

Außerdem beobachtet der Forscher eine Reihe von Verzerrungen in der Organisation, die den Betrug begünstigt haben könnten. „VW hat sich selbst immer das Bild des sehr sauberen Autoherstellers gegeben“, sagt Irlenbusch. Was eigentlich positiv erscheint, kann zum Problem werden. Denn aus Studien mit Probanden ist bekannt, dass Menschen, die von ihrem moralischen Verhalten überzeugt sind, vor sich selbst den ein oder anderen Fehltritt besser rechtfertigen können – Irlenbusch spricht von einer „moralischen Lizenz“. Auch weitere systematische Verzerrungen im moralischen Verhalten, „wie zum Beispiel Konformität, Gehorsam in Hierarchien oder Gruppendruck scheinen in der Natur des Menschen zu liegen“, sagt der Ökonom. Angesichts dieser Erkenntnisse könnten Verfehlungen in Organisationen nicht ausschließlich durch Verweise auf einzelne Mitglieder erklärt werden können. „Unternehmen und deren Compliance-Abteilungen müssen gemeinsam mit der Wissenschaft innovative Wege finden, wie Bedingungen geschaffen werden können, dass solche systematischen Verzerrungen im moralischen Verhalten von Organisationsmitgliedern verringert werden“, fordert Irlenbusch."

Quelle FAZ:

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/vw-abgasskandal/warum-niemand-im-v...

Sehr geehrter Herr Professor Müller,

mir ist Betrug immer noch als ein "Kommunikationsdelikt" bekannt. Werbung des Verkäufers - wie in BGH, v. 22.10.86 (3 StR 226/86) - kann durchaus kommunikativ auf die Vorstellung des Käufers eingewirkt haben, vor allem dann, wenn sie noch mit einem Bestellschein verbunden war oder die Voraussetzungen der invitatio ad offerendum vorlagen. Ja, es fällt mir schwer, solch eine kommunikative Einwirkung generell in den Broschüren des Herstellers zu sehen. Ich will mich dem aber nicht gänzlich verschließen und lasse mich gerne umstimmen. 

Kommunikative Einwirkung auf die Vorstellung des Käufers durch Herstellerbroschüren hätte auch in der Konsequenz zur Folge, dass in jeder in Umlauf gebrachten Broschüre der Tatbestand des versuchten Betrugs erfüllt wäre. Bei vollendetem Betrug müsste dann die Kausalität der Broschüre, insbesondere die darin enthaltenen Angaben zu Schadstoffemissionen auf Abschluss des Kaufvertrags mit dem Händler im konkreten Fall objektiv nachweisbar sein. 

Ja, Lance Armstrong hätte möglicherweise auch wohl niemals gedopt, wenn im Radrennsport analoge Doping-Vorschriften zu EG-Typengenehmigung bestanden hätten. Nur ist es auch nicht so, denke ich, dass die Technischen Dienste über adäquate Prüfmethoden nicht verfügen würden. Ich gehe davon aus, dass - wie schon früher - jeder Prüfstand über Rollen verfügt, auf denen der Fahrbetrieb simuliert wird, um z.B. das Bremsverhalten zu prüfen. Genauso könnten auch die Emissionswerte gemessen werden. Auf dieses Prüfungsverfahren müsste man sich nur einigen, damit es für alle Fahrzeuge einheitlich ist. Auch die Regelung einer Erklärungspflicht zur verwendeten Abschalteinrichtungen wäre sinnvoll. Ich denke, auch in Doping-Vorschriften gibt es zahlreiche Erklärungspflichten.

Mit besten Grüßen
Waldemar Robert Kolos

"Abgasaffäre: Dutzende Manager in VW-Skandal verwickelt  Der Skandal um manipulierte Dieselmotoren von Volkswagen weitet sich aus. Der Betrug wurde nach SPIEGEL-Informationen nicht von einer "kleinen Gruppe" organisiert, wie der Konzern behauptet. Beteiligt waren offenbar mindestens 30 Manager. ... " [SPON 14.10.15]

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/volkswagen-dutzende-manager...

@ Foto Biene (#7)

Das Thema Vermögensschaden hatten wir schon, ich zitiere mal Prof. Müller:

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter MT,

sofern beim verkauften Fahrzeug eine bestimmte Abgasreinigung im Fahrbetrieb versprochen wird und der Käufer dafür auch bezahlt hat, ist es m. E. eine betrugsrelevante Täuschung, wenn dieses Abgasreinigungssystem im Normalfahrbetrieb abgeschaltet ist. Der Käufer, der ein besonders sauberes Fahrzeug kaufen wollte und dafür auch bereit war, mehr Geld zu bezahlen, wäre durch ein Versprechen getäuscht und veranlasst worden, Geld zu bezahlen für ein Fahrzeug, das die gewünschten und mitbezahlten Eigenschaften gar nicht aufweist.  Dies ist auch ein finanzieller Nachteil, wenn ein sauberer Diesel "Blue" mehr wert ist/wäre als ein normaler Diesel "hust".

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Henning Ernst Müller schrieb:

Ergänzung: Es kommt beim Betrug nicht darauf an, ob ein im Moment der Vermögensverfügung entstandener Schaden später ausgeglichen werden kann (durch Reparatur/Nachbesserung/Schadenersatzansprüche), oder ob ein künftiger Wiederverkaufswert gemindert ist.

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