„ein Weizenbier“

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.06.2016
6|3965 Aufrufe

...aber was hat das mit dem Blog zu tun? Klar - das AG hatte dem Betroffenen etwas zu leicht geglaubt. Das Kammergericht rückt aber einmal klar, wie mit Einlassungen umzugehen ist, wenn sie den Betroffenen entlasten. Derartige Einlassungen darf der Tatrichter nämlich nicht ungeprüft glauben:

 

 Jedenfalls leidet das Urteil an einem durchgreifenden Darstellungsmangel. Es gibt zwar die den Fahrlässigkeitsvorwurf in Frage stellende Einlassung des Betroffenen wieder und erörtert sie, unterlässt es aber, auch die gegen den Betroffenen sprechenden Umstände in gleicher Weise darzustellen und zu erörtern (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 338, NStZ 2012, 227; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 267 Rn. 33). Auch enthält das Urteil, obwohl sich der Betroffene umfassend eingelassen hat, keine Angaben zum Zeitpunkt des Trinkendes. Daneben verhält sich das Urteil auch nicht zu weiteren Parametern, die dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung ermöglichen könnten.
7Das Urteil lässt eine kritische Auseinandersetzung mit der Behauptung des Betroffenen vermissen, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken. Einer Erörterung hätte es bedurft, weil die beim Betroffenen um 2.22 Uhr und damit 42 Minuten nach einem von Polizeibeamten beobachteten Rotlichtverstoß gemessene Atemluft eine Alkoholkonzentration von 0,35 mg/l aufwies. Auch wenn sich in der Literatur Angaben über Konversionsfaktoren mit einer Schwankungsbreite in Extremen zwischen 1 : 0,7 und 1 : 6,0 finden (vgl. Haffner/Graw, NZV 2009, 209 m. w. N.; Haffner/Dettling, Blutalkohol 52, 233) und mithin eine exakte Konvertierung von Atemalkohol in Blutalkohol im wissenschaftlich-arithmetischen Sinn ausgeschlossen ist, so ist die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch, dass eine um 2.22 Uhr entnommene Blutprobe einen deutlich höheren Blutalkoholwert (in Promille) ergeben hätte. Dies gilt umso mehr, als die Urteilsfeststellungen es in zeitlicher und örtlicher Hinsicht als denkbar oder sogar naheliegend erscheinen lassen, dass der Atemalkohol nicht in der Anflutungs-, sondern in der sog. postresorptiven Eliminationsphase gemessen wurde. In diesem Abschnitt steigen die Konversionsfaktoren gegenüber der Trinkphase deutlich an, nämlich auf durchschnittlich etwas über 1 : 2 (vgl. Haffner/Graw, a. a. O.; Haffner/Dettling, a. a. O.: zwischen 1 : 1,99 und 1 : 2,33). Auf dieser Grundlage geht auch der Gesetzgeber von einer „normativen Entsprechung“ der Messverfahren im Verhältnis von 1 : 2 aus. Dabei will er den Betroffenen, dessen Atemalkohol gemessen wird, eher etwas günstiger stellen als jenen, dessen Blut untersucht wird, so dass die (hier nicht gemessene) Blutalkoholkonzentration des Betroffenen, zumal die Trinkphase schon länger abgeschlossen war und ggf. die Phase überwiegender Alkoholelimination begonnen hatte, mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar noch über dem verdoppelten Atemalkoholwert gelegen hätte.
8Für die hier alleine in den Blick zu nehmende Bestimmung der erforderlichen Darstellungs- und Erörterungstiefe im Urteil ergibt sich daraus, dass eine Orientierung an der - zudem auf empirisch-wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgehenden - normativen Wertung des Gesetzgebers zulässig und geboten ist. Danach musste das Amtsgericht die Behauptung des Betroffenen, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken, mit der Möglichkeit abgleichen, dass um 2.22 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von ca. 0,7 Promille auf ihn wirkte. Eine Erörterung dieses Umstands lag umso näher, als allein zwischen der Gestellung des Betroffenen und der Messung 42 Minuten lagen. Die vom Betroffenen zuvor besuchte Gastwirtschaft wiederum lag mehr als 15 im innerstädtischen Verkehr zurückzulegende Kilometer vom Gestellungsort entfernt, so dass von einem noch deutlich früheren Trinkende auszugehen und gegebenenfalls in Rechnung zu stellen war, dass die mit dem Genuss von 0,5 l Weizenbier aufgenommene Alkoholmenge (ca. 20 g) bereits ganz oder zumindest teilweise abgebaut gewesen wäre.

Zwar bewertet es der nicht sachverständig beratene Senat nicht als Verstoß gegen die Denkgesetze, dass das Amtsgericht dem Betroffenen geglaubt hat, er habe nur „ein Weizenbier“ getrunken, und schon gar nicht ersetzt der Senat die Würdigung der Tatrichterin durch seine eigene. Die im Urteil geschilderten Umstände lassen die Einlassung jedoch als so überprüfungs- und klärungsbedürftig erscheinen, dass es einer vertieften Darstellung und Auseinandersetzung mit den Begleitumständen bedurft hätte. Hinzunehmen wäre die Bewertung des Amtsgerichts gegebenenfalls gewesen, wenn das Urteil ein ausgesprochen leichtes Körpergewicht des Betroffenen mitgeteilt hätte, so dass bereits geringe Mengen Alkohol zu der festgestellten, den Gefahrengrenzwert des § 24a StVG erheblich überschreitenden Alkoholisierung geführt haben könnten. Nach einer überschlägigen Berechnung des Senats und (sogar) unter Außerachtlassung möglichen Abbaus müsste der Betroffene allerdings zur Tatzeit weniger als 40 kg gewogen haben. Unter zusätzlicher Berücksichtigung begonnener Alkoholelimination dürfte die vom Betroffenen angegebene Trinkmenge indes kaum plausibel sein.

 

5. Daneben ist auch die Beweiswürdigung nicht frei von Rechtsfehlern. Eine einen Rechtsfehler im Sinn des § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 337 Abs. 1 StPO darstellende Lücke liegt vor, wenn die Beweiswürdigung wesentliche Feststellungen nicht erörtert (vgl. etwa BGH NStZ-RR 2016, 54) oder nur eine von mehreren gleich naheliegenden Möglichkeiten prüft (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 147). Das ist hier der Fall. Der Senat versteht das Urteil so, dass es das Amtsgericht als Indiz für die Glaubhaftigkeit der Behauptung des Betroffenen, er habe eigentlich alkoholfreies Bier trinken wollen, gewertet hat, dass er an Krebs leidet und „seit ca. einem Jahr generell keinen Alkohol“ trinke. Zugleich hat das Amtsgericht dem Betroffenen geglaubt, dass er „vor Fahrtantritt sowie während der Fahrt nicht merkte, dass er unter dem Einfluss alkoholischer Getränke stand“. Es mag entfernt denkbar sein, dass ein seit einem Jahr alkoholabstinent Lebender den zu einer Atemalkoholkonzentration von 0,35 mg/l führenden Alkohol nicht spürt. Jedenfalls müsste das Urteil aber erkennen lassen, dass sich die Richterin der Besonderheit dieses Umstands bewusst war, und es wäre darzulegen gewesen, dass und warum dem Betroffenen gleichwohl geglaubt werden konnte.

Das Urteil war daher aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Tiergarten zurückzuverweisen.
 

6. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Da § 24a StVG als abstrakte Gefährdungsordnungswidrigkeit wichtige Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Eigentum der Verkehrsteilnehmer schützt (vgl. BVerfG NJW 2005, 349) und die Gefahren im Straßenverkehr, wo Nachlässigkeiten und Irrtümer zu folgenschweren Unfällen führen, besonders hoch sind, sind auch die Sorgfaltsanforderungen besonders streng (LK-König, StGB 11. Aufl., § 315c Rn. 66). Folgerichtig muss sich ein Kraftfahrer vor Fahrtantritt nicht nur der Verkehrssicherheit seines Fahrzeugs (§ 23 StVO) und seiner Ladung (§ 22 StVO), sondern auch seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit (§ 2 Abs. 1 FeV; § 31 Abs. 1 StVZO; auch §§ 315c, 316 StGB) sicher sein (vgl. Senat Blutalkohol 52, 32).

Sollte das in neuer Hauptverhandlung gegebenenfalls sachverständig beratene Amtsgericht dem Betroffenen erneut glauben, versehentlich Alkohol konsumiert zu haben, wird neben dem bisher ausschließlich in den Blick genommenen Vorwurf der bewussten Fahrlässigkeit zu prüfen sein, ob dem Betroffenen in Bezug auf seine Alkoholisierung unbewusste Fahrlässigkeit zur Last fällt. Das wäre der Fall, wenn er bei der nach den vorgenannten Maßstäben besonders strengen Selbstprüfung zu dem Ergebnis hätte kommen können und müssen, dass er unter der Wirkung von Alkohol stand. Nach einjähriger Alkoholabstinenz dürfte dies bei der festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,35 mg/l naheliegen.

 

KG, Beschluss vom 03.03.2016 - 3 Ws (B) 106/16 - 122 Ss 30/16

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

6 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Was soll der Amtsrichter, der das zurückbekommt, eigentlich noch an Tatsachen feststellen und würdigen? Derartige Entscheidungen sind für mich ungenießbar. Wenn das KG die Tatsachenwürdigung durch den Amtsrichter für falsch hält und meint, deshalb aufheben zu können, dann müsste es konsequienterweise auch durchentscheiden.

0

Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Da darf das KG m.E. nicht einfach "durchentscheiden", wenn ein Fehler vorliegt.

0

Wenn die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist, darf das KG sie nicht aufheben, nur weil sie ihm nicht passt.

0

Natürlich nicht. Das KG prüft auf Rechtsfehler, und das eben auch bei der Beweiswürdigung. Hier ist das KG zu dem (soweit mir bekannt  sehr seltenen) Ergebnis gekommen, dass die Beweiswürdigung aus Rechtsgründen (Darstellungs- bzw. Rechtsfehler) aufzuheben ist. Ob die Fehler tatsächlich vorliegen kann man natürlich wie so oft anders sehen, aber folgt man dem KG insoweit ist die weitere Vorgehensweise - aufheben und zurückverweisen - korrekt.

0

Sie haben sicher recht. Der Satz "Die im Urteil geschilderten Umstände lassen die Einlassung jedoch als so überprüfungs- und klärungsbedürftig erscheinen, dass es einer vertieften Darstellung und Auseinandersetzung mit den Begleitumständen bedurft hätte." ist aber in der Sache ein "Im Gegensatz zum Tatrichter glauben wir dem Betroffenen -zumindest erstmal- nicht." Das ist in meinen Augen in der Sache eine (vorläufige) Beweiswürdigung durch das Rechtsbeschwerdegericht.

0

Hätte man bei vorliegender Alkoholkonzentration in der Atemluft und bei Z.n. Rotlichtverstoß den Blutalkoholgehalt im Blut bestimmt, so bräuchte es jetzt nicht diese geradezu irrwitzigen Spekulationen über Berechnungsmöglichkeiten (die ich als Arzt für durchweg zweifelhaft halte) und auch über die Glaubhaftigkeit des Angeklagten.

Die offenbar fehlende Bestimmung darf aber nicht zu Lasten des Angeklagten gehen.

Außerdem wird ein kräftig gebauter Mann (über 40 kg!) gerade nicht bei Genuss eines einzigen Bieres zwingend eine Alkoholwirkung feststellen müssen, jedenfalls nicht, wenn er sich ohnehin in Feierlaune befindet. Dann wird er allenfalls etwas fröhlicher als ohnehin schon, was subjektiv nicht unbedingt auffallen muss. Die "Ausrede", er sei von nichtalkoholischem Bier ausgegangen, erscheint mir deshalb nicht widerlegt.

Das Amtsgericht hat keinen erkennbaren Fehler begangen. Das KG schreibt Unsinn.

0

Kommentar hinzufügen